Drei Bibelverse holen uns mitten in unsere Beziehung zu Gott. Unsicher wird darin vor etwa 2 1/2 Tausend Jahren gefragt: Wie ist dieser Gott? Für uns heute im 3. Jahrtausend nach Christi Geburt ist es die Frage nicht nur nach dem Gott des Alten / Ersten Testaments, nicht nur nach dem Gott der Juden. Wie ist dieser Gott von uns Christen, von dir, von mir? Unsicher sind wir Menschen vor Gott, so wie es der Prophet Micha Jahrhunderte vor Christus beschrieben hat. “Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott?” Ist eine solche Unsicherheit eigentlich nötig? Sprechen wir nicht gerne von der Liebe Gottes, der Liebe Jesu, von ihm, der die Liebesgabe Gottes an uns Christen ist? Sind wir auch so unsicher wie die Menschen um Micha? Damals stand die Frage im Raum: Wie soll ich mich Gott nahen? Könnte dies nicht auch unsere Frage heute sein? In die Kirche kommen, zum Gottesdienst gehen, nach den zehn Geboten leben, mit dem Kind, dem Enkelkind beten, selbst beten, mich in der Gemeinde engagieren und z.B. das Ältestenamt übernehmen? Wer würde jetzt nicht zustimmen und sagen: Das würde Gott gefallen, dies Alles kann ich unserem Gott anbieten. Brandopfer, Kälber, Widder, Öl und sogar den ältesten Sohn oder die älteste Tochter sind für uns heute schon als Gedanke unvorstellbar, aber meine guten Taten und meine Mitarbeit in der Kirche müssen Gott doch gefallen – könnte ich mich damit unserem Gott nicht guten Gewissens nahen? Meine Sünden – sind sie wirklich hinderlich oder werden sie durch meine guten Taten ausgeglichen? Lassen wir dazu den Pfarrer und Dichter Kurt Marti sprechen („Abendland“, Gedichte, Darmstadt 1980):
wenn
die Bücher aufgetan werden
wenn sich herausstellen wird
daß sie niemals geführt worden sind:
weder gedankenprotokolle noch sündenregister
weder mikrofilme noch computerkarteien
wenn
die Bücher aufgetan werden
und siehe! auf seite eins:
„habt ihr mich für einen
eckenspäher und schnüffler gehalten?“
und siehe! auf seite zwei:
„der große aufpasser
oder unbruder: eure erfindung!“
und siehe! auf seite drei:
„nicht eure Sünden waren zu groß –
eure lebendigkeit war zu klein!“
wenn
die Bücher aufgetan werden
Ich gehe einmal davon aus, dass ich als Christin oder Christ Gott näher bin. Aber bin ich damit Gott wirklich nahe? Lässt mich Gott dafür nahe genug an sich heran kommen, und lasse ich Gott an mich heran kommen? Lässt Gott mich an sich herankommen? Die Lebens- und Glaubenserfahrungen von uns hier im Gottesdienst, aber genauso schon der Menschen in den alten Schriften der Bibel, lehren uns, dass Gott es wirklich zulässt. Das Bild eines Labyrinths verschaulicht uns, was geschieht: Es gibt den Eingang, verschlungene Wege, die zur Mitte führen, nicht ankommen, wieder zurückleiten, dann erneut in Richtung Mitte führen, jedoch in Sackgassen enden, sich als Irrwege herausstellen, bis endlich die Mitte erreicht ist. Aber wir können in der Mitte, unserem Ziel, nicht bleiben. Wir müssen wieder auf den verschlungenen Wegen des Labyrinths zurück, sie können wieder nahe oder ganz fern von der Mitte sein. Nähe und Ferne wechseln im Leben. Auf manchen Wegen spüren wir die Nähe Gottes überhaupt nicht, auf einmal wieder ganz intensiv.
Moses erlebt die Nähe Gottes im brennenden Dornbusch, er erfährt gleichsam Gottes Brennen für sein leidendes Volk. Wolken- und Feuersäule begleiten es durch die Wüste aus ägyptischer Sklaverei in die Freiheit. Der Prophet Elia spürt Gott nicht in pompösen Erscheinungen, sondern im leisen Säuseln des Windes. Einladende Bilder. Lasse ich Gott so an mich heran? Darf Gott sich mir so nähern und mir nahe sein? Dabei mögen uns jetzt mehrere Gedanken durch den Kopf gehen. Es gibt viele Menschen, welche sich mit dem, was wir in unserer christlichen Kirche Glauben nennen, schwer tun. Menschen, die nichts, aber auch gar nichts, was mit Glaube und Kirche zu tun hat, an sich herankommen lassen. Und wir Kirchenmitglieder? Lassen wir Gott an uns herankommen, lassen wir Gott neben uns auf der Kirchenbank Platz nehmen? Bemerken wir diesen Gott, wenn unsere Gottesvorstellung ganz anders ist? Wenn Gott die Nöte der Welt und meine persönlichen Nöte nicht beseitigt, trotz inständigen Bittens und Flehens? Lasse ich Gott an mich heran, wenn es zuweilen nicht “der liebe Gott” ist, der versprochen hat, wie eine Mutter oder ein Vater für mich zu sorgen, wie eine Bärin für mich zu kämpfen oder mit Blitz und Donner dazwischen fährt, wenn sich Menschen voller Hass und Feindschaft bis aufs Blut bekämpfen?
Wir haben unsere menschlichen Vorstellungen von Gott und tun uns wirklich schwer, wenn sie nicht mit der Realität zusammenkommen, wenn nichts mehr passt. Auf einmal ist Gott für uns weit, weit weg. Dabei hat uns Gott so viele Hilfen angeboten. Die Bibel erzählt von seiner Geschichte mit seinem Volk, von Gottes überraschenden Wohltaten, von seiner Beziehung mit uns Menschen. Wenn wir im letzten der drei Predigtverse hören “Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist…”, so sind wir eingeladen, in Freude wie im Schmerz die Worte und Geschichten der Bibel zu uns sprechen zu lassen, in den darin aufgeschriebenen Erfahrungen der unterschiedlichsten Menschen auf Gottes Stimme zu achten. Sie erzählen von Gott als einem Vater, der mit uns geht, uns begleitet, als tröstende Mutter, als Brot, das unseren Hunger stillt. Gott ist uns genau da nahe, wo wir seine Nähe suchen und uns ihm anvertrauen. Braucht ein Mensch Gott als lebendiges Wasser, welches eine große Sehnsucht stillt, so braucht ein anderer den Gott der Stille, der Ruhe in die Gedanken bringt oder den Gott, der ihn wie eine Glucke schützt, sich ihm mütterlich zuwendet. So verschieden die Belange der Menschen sind, um so verschiedener zeigt sich Gott.
“Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist…” Demütig sein vor deinem Gott – dies bedeutet nicht unterwürfig, “devot”, zu sein. Demütig meint auch nicht ängstlich oder klein, vielmehr: eine Verbindung zu Gott zulassen, die nicht urteilt, fordert, ein festgezurrtes Gottesbild hat, sondern sich auf die überraschende Liebe Gottes einlässt, darauf, was mir Gott zukommen lässt. Demut vor Gott kann für mich heißen, eine verlässliche Partnerin, ein verlässlicher Partner für Gott zu sein, auf Wegen mit allen Höhen und Tiefen. Eine wörtliche Übersetzung des biblisch- hebräischen Wortlautes ergibt: “Es wurde dir mitgeteilt / erzählt / verkündigt, was Gott bei dir sucht: Recht / die Gebote tun, Gemeinschaftssinn lieben / pflegen und aufmerksam / wachsam mitgehen mit deinem Gott”. Du weißt es also, es steht geschrieben, was gut ist, gut für dich. Du bist damit gut beraten – auch und gerade für deinen Umgang mit anderen Menschen, den dir nahestehenden oder fremden, in der Zusammenarbeit mit ihnen, in deinem beruflichen Tun, es wirkt sich aus, und es wird spürbar.
Jesus von Nazareth kannte die Worte des Michabuches, sie waren ihm aus der Hebräischen Bibel vertraut. An einer Stelle im Evangelium nach Markus (10,17-22) weist er auf das höchste Gut hin, weist, als jemand ihn mit „Guter Meister“ anredet, demütig von sich weg auf den einzig Guten: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein“, um den Menschen daraufhin an die Gebote zu erinnern. In einem anderen Zusammenhang antwortet Jesus auf die Frage nach dem höchsten / wichtigsten Gebot mit Worten aus seiner Bibel: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften (5. Mose 6,4-5). Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese“ (Markus 12,28-34).
Gott sei Dank gibt es bis heute Menschen (hier in …und auf der ganzen Welt), die nicht nur vom Guten sprechen, sondern es auch tun, darauf bedacht sind. Ich denke an die vielen Menschen, die nicht nur um das eigene Wohl besorgt sind, sondern anderen helfen und ihnen Gutes tun. Halten Menschen mit solcher Gesinnung und Tatkraft nicht eine Gemeinde, ein Land, gut zusammen? Vielleicht kommt ihr gutes Handeln aus der Dankbarkeit, weil sie in einer schwierigen Lebenssituation Gottes Güte, seine Wohltat, erfahren haben, oder vielleicht geht es ihnen wie jener Frau, einer Nachbarin der evangelischen Kirchengemeinde St. Pauli in Hamburg: „Da schliefen plötzlich afrikanische Flüchtlinge in der Kirche nebenan – da musste ich doch rübergehen, Wäsche waschen, kochen“ (zit. nach Nikolaus Schneider, in: chrismon spezial. Das evangelische Magazin 2013/5). Der Apostel Paulus hat es ganz im Sinne des Michabuches und Jesu so gesagt (1. Korinther 13,1): “Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle”. Möchten wir doch gut klingen und miteinander Wohlklang in die Welt bringen.