Wenn wir Pfarrerinnen und Pfarrer zusammenkommen und über unsere Berufspraxis sprechen, kommen wir immer wieder auf die Frage, wie weit gehen wir, wenn Wünsche für besondere Gottesdienste an uns herangetragen werden. Sollen wir in einer eigens gebauten Traukapelle Trauungen durchführen, auch wenn unsere katholischen Kollegen das nicht tun wollen? Oder es möchte ein Brautpaar im Wald getraut werden. Dann gibt es den Wunsch nach einem Tiergottesdienst auf dem Gnadenhof, und für nächsten Fasching bin ich von einer Vertreterin des Karnevalvereins angefragt worden, ob nicht ein Fastnachtsgottesdienst denkbar wäre. Wie sehr sollen wir als Kirche auf die Wünsche und Anliegen der Menschen eingehen? Da gehen die Meinungen innerhalb unserer Kirche ziemlich weit auseinander. Würden wir uns jetzt und hier darüber austauschen, würden wir hier heute Morgen vermutlich nicht auf einen Nenner kommen. Fest steht: Wir haben den Auftrag, die gute Nachricht von Gottes Liebe zu den Menschen weiterzugeben. Wie weit können wir dabei gehen, ohne uns selbst zu verlieren, ohne die Prinzipien und Grundlagen, die uns wichtig sind, zu verraten? Wie weit können wir gehen, ohne uns seltsam anzubiedern und dadurch unglaubwürdig zu werden?
(Lesung des Predigttextes)
Ich bin allen alles geworden, sagt der Apostel Paulus, den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Schwachen ein Schwacher, damit ich auf alle Weise einige rette. Das klingt so ein bisschen nach „allen nach dem Mund reden“. Da werden wir sozusagen zum Chamäleon, das sich überall anpasst. Ergebnis könnte sein, dass man gar nicht mehr auffällt. Ich glaube, dass das so nicht gemeint sein kann. Unauffällig, ohne eigene Färbung und Identität war Paulus ganz sicher nicht. Er war doch eher das Gegenteil: ein Mann der deutlichen Worte und kluge Argumentationen. Jemand, der eindeutig Stellung bezieht. Was Paulus jedoch sehr wichtig ist, ist Menschen für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Er fühlt sich dazu berufen, das, was er selbst als die befreiende Botschaft erfahren hat, weiter zu geben. Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!
Es tut so gut zu hören, dass Gott uns alle liebt, so wie wir sind – ganz ohne dass wir erst einmal etwas leisten müssen. Es ist ein überaus beruhigendes Gefühl, dass Gottes Liebe für uns da ist und das für alle Menschen gleichermaßen gilt. Wo gibt es das denn, dass alle gleich viel wert sind. Das gibt es doch in dieser Absolutheit nur bei Gott! Gottes Liebe ist stärker als alles, sogar als der Tod. Das wurde in Jesu Leben und Wirken, aber auch in seinem Tod und seiner Auferstehung deutlich.
Paulus, der am eigenen Leib erfahren hat, dass der Glaube an diese frohe Botschaft freimachen kann und dem Leben einen richtigen Sinn gibt, ist so erfüllt von der Freude darüber, dass er davon allen erzählen möchte. Er möchte jeden Menschen einladen, an diesem Glück teilzuhaben. Wenn ich selbst von etwas überzeugt bin, dann möchte ich, dass auch andere davon erfahren und meine Überzeugung teilen. Das ist doch auch das Ziel aller kirchlichen Arbeit.
Aber wie stellt man das an? Wie sagen wir die Sache Jesu Christi, so dass sie einladend wirkt? Wo gibt es Anknüpfungspunkte, die es uns erleichtern, Menschen abzuholen, wo sie sind, wo sie leben und arbeiten, denken und fühlen? Wie schaffen wir es, eine Sprache zu sprechen, die verstanden wird und die keinen Menschen ausgrenzt? Wie können wir die Bedürfnisse der Einzelnen berücksichtigen? Nur wenn wir die Situation ernst nehmen, in der sich eine andere Person gerade befindet, können wir glaubhaft Gottes Liebe weitergeben. Paulus drückt das so aus: „Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne.“ Paulus hat sich entschieden, sich unterzuordnen, oder wie er es sagt, „ein Knecht zu werden um der Sache des Evangeliums willen“. Sein Glaube, seine Begeisterung für die frohe Botschaft macht ihn bereit, sich auf die Menschen einzulassen. Er möchte offen sein für andere Menschen.
Paulus versucht dabei durchaus nicht zwanghaft, es allen recht zu machen – so wie wir es vielleicht manchmal von uns selbst kennen. Nein, Paulus möchte vielmehr ohne Berührungsängste auf andere zugehen und sich auf sie einlassen. Also versucht er ihre Sprache zu sprechen, um sie so für den Glauben zu gewinnen. Da er sich in seinem Handeln nur Gott verpflichtet fühlt, ist er unabhängig von der Zustimmung und Sympathie der Menschen. Das ist doch beneidenswert! So überzeugt zu sein, so fest auf Gott zu vertrauen, dass wir allen Anfeindungen widerstehen können. Dass uns alle dummen Sprüche anderer nichts anhaben oder beirren können. Wenn wir es schaffen, uns voller Gottvertrauen frei zu machen vom Urteil anderer, dann können wir das eigentliche Anliegen in den Mittelpunkt stellen und alle Kraft und Kreativität wirklich für diesen Menschen oder diese Sache einsetzen, die uns am Herzen liegen.
Mit den Konfis gehe ich jedes Jahr in den Seilgarten, damit sie am eigenen Leib genau so eine Erfahrung machen können: Fest gehalten von der Sicherungsleine hat man die Hände zum Greifen frei. Die Bindung an der zentralen Stelle des Körpers gibt uns Bewegungsfreiheit an anderen. Wichtig ist es, darauf vertrauen zu können, dass das Seil uns hält. Solchen Halt kann uns das Vertrauen auf Gott geben und dadurch ermutigen, starre Verhaltensweisen loszulassen, Berührungsängste aufzugeben und liebevoll und offen anderen zu begegnen. So konnte zum Beispiel Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident Südafrikas, als tiefgläubiger Mensch ohne Hass und Rachegefühle auch auf Angehörige der Bevölkerungsgruppe zugehen, der er 30 Jahre Gefängnis und Leiden zu verdanken hatte. Wir können nicht alle immer so großmütig sein. Es gibt jedoch auch in unserem Alltag immer wieder kleinere und größere Möglichkeiten, das Evangelium lebendig zu machen.
Wir dürfen uns darauf verlassen, dass Gott bei uns ist und uns hält. Das gibt uns die Freiheit, manches Neue auszuprobieren. Zum Beispiel auch in Auseinandersetzungen offen zu bleiben für neue Lösungsansätze. Oder zu probieren, zerstrittene Parteien an einen Tisch zu bekommen. Oder auf dem Schulhof zu versuchen, Streit zu schlichten. Wir können Ungewohntem und Fremdem neugierig und offen begegnen und nach reiflicher Prüfung dann entscheiden, was unser Leben bereichert oder wo wir doch lieber beim Altvertrauten bleiben wollen. Wir haben auch die Freiheit, bei Anfragen und Sonderwünschen an die Kirchengemeinde frei abzuwägen, wie weit wir Menschen entgegenkommen können, ohne dabei unsere eigentliche Überzeugung zu verraten, damit wir im Sinne des Paulus möglichst viele Menschen gewinnen.Entscheidend ist doch, ob wir mit unserem Handeln Gottes Liebe sichtbar machen und ob wir glauben, dass Jesus auch so gehandelt hätte.
Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.