„Es steckt viel in einem Stammbaum drin…“

Die Verheißung an Abraham findet in Jesus ihre Fortsetzung

Predigttext: Matthäus 1,1-17
Kirche / Ort: 27624 Geestland-Köhlen
Datum: 26.12.2022
Kirchenjahr: Christfest (2)
Autor/in: Dipl.-Theol. Pfarrerin em. Christiane Borchers         

Predigttext: Matthäus 1,1-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Jesu Stammbaum

1 Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. 2 Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. 3 Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram. 4 Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon. 5 Salmon zeugte Boas mit der Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai. 6 Isai zeugte den König David. David zeugte Salomo mit der Frau des Uria. 7 Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abija. Abija zeugte Asa. 8 Asa zeugte Joschafat. Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Usija. 9 Usija zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskia. 10 Hiskia zeugte Manasse. Manasse zeugte Amon. Amon zeugte Josia. 11 Josia zeugte Jojachin und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. 12 Nach der babylonischen Gefangenschaft zeugte Jojachin Schealtiël. Schealtiël zeugte Serubbabel. 13 Serubbabel zeugte Abihud. Abihud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Azor. 14 Azor zeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud. 15 Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob. 16 Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus. 17 Alle Geschlechter von Abraham bis zu David sind vierzehn Geschlechter. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind vierzehn Geschlechter. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind vierzehn Geschlechter.

 

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„Woher kommen wir, wohin gehen wir? Das frage ich mich schon lange, besonders, wo ich jetzt älter bin. Geht es dir genauso?“, fragt Tamar ihre um ein paar Jahre jüngere Schwester Ruth.

I.

Die beiden Schwerstern sitzen in der Sonne auf der Steinmauer ihres elterlichen Gartens. Obwohl es Winter ist, scheint die Sonne um die Mittagszeit noch recht warm, auch wenn sie die Kraft des Sommers längst verloren hat. Den tiefsten Punkt hat sie seit ein paar Tagen überschritten. Das zunehmende Licht ist schon geboren.

Ruth überlegt: „Ja, die Frage wird immer wichtiger für mich. Wir kennen von unseren Großeltern nur unsere Oma Anna, die Mutter unserer Mutter Maria. Beide Opas haben wir nicht mehr kennen gelernt, auch nicht unsere andere Oma. Die sind alle drei gestorben, bevor wir geboren sind.“

„Das ist schade, unsere Mutter hat uns zwar etwas von ihnen erzählt, aber nur beiläufig, wenn sich die Situation ergab“, bedauert Tamar „sie müssen liebe Menschen gewesen sein“ „Aber auch streng“, wirft Ruth ein „Sicher“, bestätigt Tamar, „so war die Zeit. Ich hätte überhaupt viele Fragen an unsere Mutter gehabt, zu spät, jetzt, wo sie tot ist.“ „Ich auch“, gesteht Ruth ein, aber früher hat mich unsere Familiengeschichte nicht interessiert.“ „Das geht mir ebenso“, sagt Tamar. „ Wir haben drei unserer Großeltern nicht mehr kennen gelernt. aber über Oma Anna weiß ich auch erschreckend wenig. Darüber habe ich früher nicht nachgedacht.

II.

Was mir geholfen hat, mehr von unserer Familiengeschichte und von unseren Wurzeln zu erfahren, waren die Gespräche mit unserem Bruder Jesus. Da wohnte er schon nicht mehr zu Hause. Da war er bereits als Prediger auf Wanderschaft.“ „Ihr habt darüber gesprochen?“ fragt Ruth erstaunt. „Ja“, antwortet Tamar.

„Jesus hatte bereits sein Sendungsbewusstsein, unsere Brüder haben das ja sehr kritisch gesehen, taten es als Spinnerei ab, meinten, er sei von Sinnen (Mk 3,21). Dir war Jesu Auftreten auch nicht ganz geheuer.“ „Das muss ich zugeben“, gesteht Ruth, „im Nachhinein sehe ich das anders, wer hat schon einen Bruder, der sich als Sohn Gottes begreift. Das hat mich damals als Jugendliche verwirrt.“ „Das ist verständlich“, tröstet Tamar ihre Schwester. „Ich war auch irritiert, wusste nicht, was ich davon halten sollte. Aber da ich immer gut mit unserem ältesten Bruder reden konnte, stand das Verständnis seiner Messianität nicht im Vordergrund, zumindest zu Anfang nicht. Als er dann tatsächlich anfing, auf Wanderschaft zu gehen und vom Reich Gottes zu erzählen, wurde die Frage nach seiner Identität brennender: Wer ist unser Bruder?

Als Jesus einmal wieder nach Nazareth kam, haben wir ein gutes Gespräch geführt. Ich habe ihn nach seinem Sendungsbewusstsein gefragt. Jesus konnte seinen ganzen Stammbaum aufsagen.“ „Woher kennt er den?“, fragt Ruth ungläubig. „“Dieselbe Frage habe ich ihm auch gestellt“, antwortet Tamar, „Er sagte: von einem gebildeten Mann, der sich gut in religiösen Schriften auskennt.* Jesus hat den Stammbaum auswendig gelernt, so wichtig war er für ihn.“  

„Kannst du mir den Stammbaum sagen?“ Ruth glaubt nicht ernsthaft, dass Tamar das kann. „Auch ich habe den Stammbaum auswendig gelernt, schreiben und lesen haben wir als Mädchen, dazu aus einfachem Hause, leider nicht lernen dürfen, so wie der Junge unseres Stadtschreibers.

Jesus musste mir den Stammbaum immer wieder sagen, bis ich ihn konnte. Ich kann ihn bis heute, nach so vielen Jahren, wo Jesus nun schon bald 30 Jahre tot ist. Er betrifft immerhin auch uns beide und unsere anderen Brüder, bis auf den Schluss natürlich. Stell dir vor, du und ich sind nach unseren Vorfahren benannt. Tamar und Ruth werden im Stammbaum erwähnt. Es ist bestimmt kein Zufall, dass wir so heißen. Unser Vater Josef hat uns nach unseren Vorfahrinnen benannt, das ist in den heutigen Familien nicht unüblich. Fünf Frauen werden insgesamt im Stammbaum aufgelistet, ansonsten verfolgt der Stammbaum die männliche Linie. Die weibliche Linie lässt sich daher wesentlich schwerer bis gar nicht nachvollziehen. Das ist leider die Regel in patriarchalen Gesellschaften.“

III.

„Wer sind die fünf Frauen“, möchte Ruth wissen. „Zuerst kommt Rahab“, erklärt ihre ältere Schwester. Rahab ist eine Frau aus dem nach unserem Verständnis heidnischem Jericho. Es folgt meine Namensschwester Tamar. Sie hat ihren Schwiegervater verführt, damit sie Kinder von ihm bekommt. Danach kommt Ruth, eine Moabiterin, also auch keine Jüdin, die ihrer Schwiegermutter in ihre Heimatstadt nach Bethlehem folgt und dort den reichen und frommen Boas heiratet.

Als nächstes kommt Batseba, die David sich unrechtmäßig zur Frau nimmt. Batseba wird zwar nicht namentlich im Stammbaum erwähnt, sondern von ihr ist die Rede als Frau von, nämlich die Frau von Uria. David hat ihren Mann, den Uria, im Krieg an die vorderste Front geschickt, damit er getötet wird. Die Taktik hat funktioniert, so ist er ihn elegant losgeworden, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Dass Batseba nicht namentlich genannt wird, hat den Grund, dass es nicht um die Frau selbst geht, sondern um die Schuld Davids. Als fünfte Frau wird unsere Mutter Maria erwähnt.

Der Stammbaum besteht hauptsächlich aus einer langen Aufzählung von Namen, manche sind bekannt, die meisten nicht; recht öde und langweilig zu hören. Der Stammbaum beginnt zu leuchten, wenn mit den Namen Lebensgeschichten verbunden werden können. Von einigen kenne ich die Biografie oder Teile ihrer Biografie. Von Jesus habe ich viele Geschichten gelernt. Vieles wussten wir sowieso von zu Hause aus. Abraham wird zuerst im Stammbaum genannt.

„Das ist eine tolle Sache, dass Abraham unser Stammvater ist“, ruft Ruth beglückt aus. Abraham hat eine besondere Verheißung von Gott bekommen, durch ihn sollen alle Völker auf Erden gesegnet sein (Gen 12,1-3). Ich bin also nach einer Ahnfrau benannt“, fährt Ruth fort. Ich kenne die Geschichte von Ruth, habe aber nicht gewusst, dass sie in unseren Stammbaum gehört.

Weißt Du etwas über die Ahnfrau Tamar? Ich weiß nichts über sie außer ihrem Namen.“ „Ja“, erwidert ihre Schwester, „es gibt eine Überlieferung von ihr. Tamar ist eine Kanaaniterin. Sie ist zweimal Witwe geworden.  Nachdem ihr erster Mann verstarb, musste sein Bruder sie heiraten. Das ist ein Recht zum Schutz der Frau. Würde eine Frau nicht geheiratet, würde das höchstwahrscheinlich ihren Tod nach sich ziehen. Eine Frau konnte sich nicht selbst ernähren, sie durfte keinen Acker besitzen, keinen Beruf nachgehen außer der Prostitution, ihr blieb nur das Betteln. Wer aber wollte einer Verstoßenen Almosen geben?

Der zweite Bruder heiratete pflichtgemäß seine Schwägerin Tamar. Aber auch er starb bald nach der Heirat. Jetzt war der dritte Bruder an der Reihe. Da griff ihr Schwiegervater Juda ein, er wollte ihr seinen dritten Sohn nicht geben. Hatte Juda eine diffuse Angst? Lag ein Fluch auf seiner Schwiegertochter, dass ihre Ehemänner so bald starben? Juda verweigerte Tamar ihr Recht auf seinen dritten Sohn. Tamar griff zu einer List. Sie verkleidete sich als Hure, stellte sich an den Weg, an dem ihr Schwiegervater Juda regelmäßig vorbeikam. Sie bot sich ihm, er schwängerte sie, sie gebar zwei Söhne. Als Mutter seiner Söhne musste Juda sie wieder in seine Familie aufnehmen.Tamars Überleben war gesichert, erst durch Juda, dann durch ihre beiden Söhne.“

IV.

„Was haben wir für eine Familiengeschichte“ entfährt es Ruth. Auch wenn diese Menschen längst tot sind, wirkt ihre Lebensgeschichte nach. Sie sind unsere Wurzeln und unsere Herkunft. Das kann nicht ohne Wirkung für die Gegenwart sein“ Ihre Schwester teilt ihre Ansicht: „Trotzdem“, stellt sie klar:Gott hat uns als freie Menschen geschaffen, wir sind für uns selbst verantwortlich, mit seinen Ahnen kann sich niemand herausreden.“ „Das sehe ich auch so“, bekräftigt Ruth. „Dann ist da noch Rahab, was ist von ihr bekannt?“ möchte sie wissen.

Rahab war ebenfalls keine Jüdin, sie betrieb in Jericho ein Bordell“, erzählt Tamar. Rahab hat geholfen, dass Josua die Stadt einnehmen konnte und das Volk sich nach 40-jähriger Wüstenwanderschaft endlich dauerhaft niederlassen konnte. Rahab hat einen Juden geheiratet, ist schwanger geworden und hat Boas geboren. Boas hat bekanntlich die Moabiterin Ruth geheiratet.“ „Je mehr ich von den Menschen im Stammbaum erfahre, umso stärker fällt mir auf, dass er mehr ist als nur eine Auflistung von Namen. Der Stammbaum spiegelt lebendige Geschichte“, ist Ruth fasziniert.

„Dann gehören vor allen Dingen in den Stammbaum die Namen der Könige“, erklärt Tamar weiter. „ Aber nur David wird als König bezeichnet, obwohl andere Männer auch Könige waren, Salomo z.B. oder Rehabeam, Joram, Ahas, Hiskia, Manasse und andere. Die im Stammbaum genannten Königsnamen sind nicht vollständig. Aber es hat womöglich dem Verfasser des Stammbaums gereicht, eine Auswahl zu nennen, die Liste wäre noch länger und gar nicht mehr zu merken. Der wichtigste König ist natürlich David. Er will Jesus als den rechtmäßigen Erben des Thrones Davids ausweisen. Ferner liegt es ihm am Herzen, dass die Verheißung, die an Abraham gerichtet ist, in Jesus ihre Fortsetzung findet.

Liebe Ruth, es steckt so viel in dem Stammbaum drin. Ich habe noch gar nicht alles erwähnt. Wir reden ein anderes Mal weiter. Grundsätzlich lohnt es sich schon, sich klarzumachen, wozu ein Stammbaum wichtig ist. Ein Stammbaum wirft die Frage nach der eigenen Identität auf. Ich muss wissen, woher ich komme, dann weiß ich auch, wer ich bin und wohin ich gehe.

„Wie Recht du hast, liebe Schwester. Jetzt lass uns ins Haus gehen, ich habe genug Sonne getankt. Die Mädchen kommen gleich mit den Schafen nach Hause, sie müssen gemolken werden“ Ruth springt von der Steinmauer und klopft sich den Staub von dem Rock. Auch Tamar steht von der Mauer auf und schüttelt den Staub aus ihren Kleidern. Gemeinsam gehen sie ins Haus.

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Ein Kommentar zu “„Es steckt viel in einem Stammbaum drin…“

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr interessant und lebendig berichtet Pfarrerin Borchers mit einem Gespräch von Tahmar und Ruth 30 Jahre nach Jesu Tod über die lange Liste der Vorfahren von Jesus. Darunter ist bekanntlich auch König David . Bei den vielen Wiederholungen zu Weihnachten wird ein Predigt- Hörer oder Leser interessiert aufhorchen.

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