Ewiges Leben
Christus-like leben
Predigttext | 1. Johannes 5, 11 – 13 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe |
Datum: | 05.01.2025 |
Kirchenjahr: | 2. Sonntag nach dem Christfest |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Hauser |
Predigttext: 1. Johannes 5, 11 – 13 (Übersetzung nach Martin Luther)
11 Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.
Vom Fenster unserer Ferienwohnung aus konnten wir in ihr Wohnzimmer sehen.
I
Sie hieß Fanny, eine alte Frau, zwei Weltkriege hatte sie hinter sich gebracht, viel Arbeit im Stall und auf dem Feld. Darüber ist sie alt geworden. Das Gehen fiel ihr zunehmend schwer. Aber Tag für Tag ging sie hinüber in die kleine alte Kapelle und stellte einen Blumenstrauß auf den Altar. Oder sie schleppte sich zur alten mächtigen Eiche am anderen Ende des Dorfes und legte dort zu Füssen des Kruzifixes ein Sträußchen Blumen nieder. Vor einem Jahr ist sie gestorben. Seitdem fehlt dem kleinen Dorf etwas. Die Sträuße sind vertrocknet und keiner staubt mehr in der Kapelle ab. Nun fahren die Leute achtlos an Kapelle und Kruzifix vorbei. Keiner ist mehr da, der Zeit hat zum Zuhören, der für sie betet, der im Stillen das Elend und die innere Not des Dorfes mitträgt. Ihre Wohnung liegt so unberührt da, wie vor einem Jahr als sie starb. Es sieht so aus, als ob das ganze Dorf darauf warte, das dort wieder jemand einzieht und Fannys Aufgaben für alle wahrnimmt.
So ist Fanny mir zum Bild geworden für das ewige Leben, das schon hier und heute beginnt. Denn in Jesus Christus können wir erkennen, worin dieses Leben besteht: darin, dass man sich das Leben der anderen Menschen zu eigen macht. Es zeigt sich daran, dass sie sich selbst vergessen und überwinden kann. Das ewige Leben zeigt sich in den tausend kleinen Dingen des Alltags. Natürlich ist es wenig, zuzuhören, natürlich ist es wenig, für Leute zu beten. Natürlich ist es wenig, ein paar Blumen aufzustellen. Aber gerade darin erweist sich die Leben, das Gott uns schenkt und einfach kreatürliches Leben ist. Gerade in den kleinen Dingen, die wir tun um Christi willen oder eben nicht. Das zu tun, was nicht gleich und sichtbar und erkennbar für sich selbst einen Vorteil verspricht, was nicht unmittelbar einsichtig und gleich verständlich ist. Denn normalerweise wird immer die Frage gestellt: und was bringt mir das, und welchen Vorteil habe ich davon? So fragt der Egoismus. Aber wenn unser Leben von Christus und seiner neuen Welt erfasst wird, dann geschieht alles selbstlos ohne jeden Eigennutz. Einfach, weil es getan werden muss und weil es richtig ist.
II
Da war das kleine Mädchen, das mir auf dem Weg mit dem Fahrrad begegnete. Sie sprang vom Rad und beugte sich herab. Ich hielt an, sah aber im Gegensatz zu ihr nichts. Auf meine Frage: „Warum hältst du denn an?“, antwortete sie mir: „Da liegt ein Regenwurm auf dem Weg, den hätte ich um ein Haar überfahren. Ich will ihn an den Wegesrand legen“. Schweigsam fuhr ich weiter und dachte bei mir: Da hatte dieses kleine Mädchen etwas verstanden, etwas vom ewigen Leben im Hier und jetzt, in der Rücksicht auf das Zerbrechliche und Unberührbare.
Etwas vom ewigen Leben, das mit Andacht zum Kleinen beginnt. Dieses Leben, das Christus uns geschenkt hat, drückt sich darin aus, dass ich den anderen wahrnehme, annehme, ihm diene in den kleinen Dingen, das ist ein Teil der Liebe Gottes. Ein Ausdruck für die letzte und wichtige Selbstvergessenheit, die wir üben sollen in unserem Leben. Sie zeigt sich darin, dass ich mich selbst vergessen kann. Dass ich nicht jeden Morgen aufstehe und meinen Puls fühle und darüber nachdenke, wie es mir geht, ob ich mich heute besser oder ein wenig schlechter fühle. Oder dass ich nachts noch lange wach liege und immer und immer wieder Sorgen wälze. Selbstvergessenheit gründet in dem festen Vertrauen, dass ich einen Herrn habe, der sich meiner annimmt. Der mich führt und leitet und zu dem ich jeden Morgen sprechen darf:
Mein lieber himmlischer Vater, wie immer ich mich heute fühle und wie immer es mir auch geht und was immer mir begegnet: Gib mir Geduld und Liebe für alle Menschen, die mir heute begegnen, für die freundlichen und die weniger freundlichen, die ich mag und die ich nicht mag. Lass etwas aufscheinen von dem neuen Leben, das dein lieber Sohn Jesus Christus uns gebracht hat. Wir sind alle deine Kinder. Deshalb danke ich dir auf für sie. Noch ist in mir Leere, aber bei dir ist die Fülle der Liebe. Schenke sie mir heute. Amen.
Dann begegne ich den Menschen ganz anders. Denn ich bin mir gewiss: Der Mensch, der mir begegnet, wurde auch von Gott gewollt und ist zum Leben in Verbindung mit Christus bestimmt. Ich kann gelassen sein. Mein Leben steht unter aller höchster Aufmerksamkeit und mein lieber himmlischer Vater wird sich meiner annehmen. Und der Mensch, der mir begegnet, der steht auch unter dieser allerhöchsten Aufmerksamkeit. Gewiss. Er ist eine Nervensäge und Quasselstrippe. Am liebsten würde ich ihm aus dem Weg gehen. Aber weil ihn mir Gott über den Weg geschickt hat, lasse ich mich auf ihn ein. Nun sagen sie vielleicht: das gelingt manchmal. Aber häufiger auch nicht. Bisweilen schaffe ich es. Aber manchmal bin ich genervt, verärgert. Da liegt mir ein Mensch quer. Denken sie nicht so sehr daran, dass sie es selbst schaffen müssen. Das schaffen wir gar nicht.
III
Ewiges Leben, das Christus schenkt, hat etwas damit zu tun, dass wir uns verändern lassen. Da hilft uns nur das Gebet: Herr Jesus Christus, über diesen Menschen habe ich mich so geärgert. Du kennst ihn. Und ich bin mir gewiss, dass du ihn so liebst, wie er ist. Ich bitte dich, hilf mir dabei, ihn auch anzunehmen und dein Zeuge zu sein. Amen. Darüber werden wir frei von unserem Ärger. Dann steht die andere Person und nicht wir selbst im Mittelpunkt unserer Gedanken. Selbstvergessenheit ist der Beginn des ewigen Lebens. Dass wir uns und unsere Sorgen und Ängste unsere Nöte und Befürchtungen einfach einmal vergessen können. Denn unsere größten Ängste und Befürchtungen sind ja häufig, dass es nicht reicht, dass wir nicht genug getan und gemacht haben, dass wir zu kurz kommen und einfach nicht alles schaffen.
Aber hier hat der Apostel eine wunderbare Botschaft für uns: In Jesus können wir erkennen, dass Gott Liebe ist. Dass er es gut mit uns meint, dass für das Wesentliche gesorgt ist. Der Sohn Gottes ist Gottes sichtbare Liebe zu uns. An ihm an Jesus können wir erkennen, wie wir leben dürfen und können. In Jesus sehen wir, wie Gott den Menschen eigentlich gemeint hat. Wenn wir in Jesu Leben hineinschauen, dann ist dieser Zug unübersehbar: Da sind die Aussätzigen, die keiner anrühren durfte. Jesus berührt und heilt sie. Da sind die Zöllner, die keiner besuchen durfte. Jesus feiert mit ihnen. Da sind die psychisch Kranken. Jesus geht auf sie ein und fügt sie wieder in die Gemeinschaft ein. Da sind all die Blinden, Tauben und Stummen, die nicht mehr in der Lage sind mit anderen zu sprechen und Jesus heilt sie, damit sie wieder sehen hören und sprechen können.
Wenn ich weiß, dass ich Gott so ganz und gar recht bin. Dann darf ich mir die anderen auch einmal recht sein lassen. Denn es gibt so viele Menschen, die wir uns nicht recht sein lassen. Es gibt so viele, die wir im Stillen und Verborgenen ärgern, weil sie nicht so sind, wie wir sie gerne hätten. Aber nur die Liebe, die den anderen dort annimmt, wo er ist und steht, wird den anderen verändern. Wer immer mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend läuft und den Leuten erklärt wie schlecht sie sind und was sie alles zu verändern hätten, der wird gar nichts verändern.
Das heißt den „Sohn haben“: Christus-like zu leben. Versuchen Sie es einmal: Lassen Sie sich ihren Nachbarn recht sein. Lassen Sie sich einmal die Jugendlichen recht sein, die ihnen so fremd vorkommen! Lassen Sie sich einmal Ihre Kinder und Enkel recht sein und sehen Sie sie mit den Augen Christi an. Christus betrachtet sie in Liebe. Er schaut sie freundlich an und will, dass sie alle auf ihn vertrauen und in seiner Liebe leben. Und unser Aufgabe ist es einfach, die zu sein, die wir sind: die in Christus Lebenden.