Predigt

Ferne Welt?

Auch zu uns sind Engel in dieser Adventszeit unterwegs

PredigttextOffenbarung 3,1-6
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum:15.12.2013
Kirchenjahr:3. Sonntag im Advent
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Offenbarung 3,1–6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. 3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. 4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. 5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Exegetische Erwägungen

Die Johannesoffenbarung ist insgesamt als Brief gestaltet (Offb 1,4-8). Ihr brieflicher Charakter zeigt sich direkt in den einleitenden sieben Sendschreiben. Sie reden die einzelnen Gemeinden konkret auf ihre spezifischen Probleme an, sind aber auch typisch für die Lage der Christen am Ende des 1. Jh. und haben paradigmatische Bedeutung. Die sieben Gemeinden stehen stellvertretend für die ganze Kirche (Offb 1,20); was einzelnen Gemeinden gesagt ist, soll alle angehen („Wer Ohren hat zu hören, höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ Offb 2,7 u. ö.; „Alle Gemeinden werden erkennen, …“ Offb 2,23). Jesus Christus hält sie zusammen (Offb 1,16; 2,1). Die Sendschreiben sind jeweils in ähnlicher Weise strukturiert: Aufforderung zum Schreiben, die Selbstvorstellung Christi, Christi Kenntnis der Gemeinde, Mahnung oder Zuspruch, Überwinderspruch und Aufforderung zum Hören.

Beim Predigttext handelt es sich um das fünfte Sendschreiben, das an einen Adressaten in Sardes gerichtet ist, jener einst blühenden Stadt, die nach dem Erdbeben des Jahres 17 v.Chr. kaum noch Bedeutung hatte. Der Text ist durch Zahlen und Symbole geprägt. Die Zahl „Sieben“ bezeichnet nach biblischer Tradition die Zahl der Vollendung und weist auf die Fülle hin. Auch Weckrufe finden sich im NT vor allem in eschatologischen Passagen wie Mk 13,33 oder Lk 12,35ff. , die aber nicht nur mit dem Bild des Diebes verbunden werden, sondern auch das Motiv des Überraschungseffektes beinhalten. „Weiße Kleider“ werden in der Offenbarung an verschiedenen Stellen erwähnt (vgl. 4,4 oder 6,11). Off 7,14 spricht davon, dass auch die, die überwinden, ihre Gewänder nicht aus eigener Kraft reinigen können, sondern sie im Blut des Lammes reinigen. Anklänge zu dieser Szene finden sich schon im AT, denn nach Sach 3,3.4 werden dem Hohepriester Jeschua in einer himmlischen Gerichtsszene die unreinen Kleider aus- und ihm „Feierkleider“ angezogen. Das Bild vom Buch des Lebens, das sowohl in der Bibel als auch in der frühjüdischen Literatur zu finden ist, will die Verbindung mit Gott verdeutlichen. Der Gedanke, dass Christus Menschen bekennt bzw. sich zu ihnen bekennt, ist z.B. in Mt 10,32, in Lk 12,8 oder im 2. Clem 3,2 belegt.

Eine Gemeinde kann nur wachwerden, wenn jemand da ist, der sie auf- oder wachrüttelt. Offenbar steht die Gemeinde vor der Gefahr, vor sich hinzudämmern, den Bezug zu Christus zu verlieren. Und genau aus diesem Grund erfolgt der „Weckruf“: die ChristInnen sollen wach werden für Christus und wachwerden für ihre Mitmenschen. Hinein in ihren Dämmerungsmodus erhalten sie den Auftrag, andere zu stärken und aufzubauen. Das mag für einige eine Zumutung sein, für andere eher ein Zutrauen und ein Zuspruch. Nach Heinrich Kraft spricht V. 3 die Rückbesinnung auf die Tradition an, die sich in Form der alttestamentlichen Gebote zeigt. Dieser Vers kann aber auch in dem Sinne ausgelegt werden, dass ein Zusammenhang zu Offb 1, 4-6 hergestellt wird. In diesen Versen wird Christus als Zeuge bezeichnet, der sich nicht nur seiner Gemeinde geschenkt, sondern für die Menschen auch Gutes getan hat.

Die Buße, die schließlich gefordert wird, ist eine unmittelbare Reaktion auf das Handeln Christi, das mit Martin Luthers These 1 aus den 95 Thesen von 1517 gedeutet werden kann: „Da unser Herr und Meister Jesu Christi spricht: `Tut Buße` (Mt 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei“. Und denen, die sich nach Aussage des Bibelwortes bewähren, wird in dreifacher Weise die Zugehörigkeit zum erhöhten Christus und zu Gott selbst verheißen (V 4f.): sie werden – (vgl. das Bild der weißen Kleider) an Jesu Seite verherrlicht, ihre Namen haben Bestand im Buch des Lebens und Christus bekennt sich zu ihnen. Ziele dieser Wortes ist Gemeindeaufbau (oikodome) und das Festhalten an der frohmachenden Botschaft des Evangeliums, die an die Aussage von Offb 1,17f. gebunden ist: Christus der Erste und der Letzte, der tot war und nun lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit (1,17f).

Systematische-homiletische Erwägungen

Es herrscht ein positives Spannungsverhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde. Diese Gemeinde ist für ihn noch nicht abgeschrieben. Doch aufgeschrieben im Buch des Lebens ist nur eine Minderheit. Der Brief wirbt einerseits verheißungsvoll und schreckt doch manche ab. Wer ist denn schon vollkommen? Und wer ist es schon wert, in der Nachfolge mit Christus zu gehen? Das Predigtwort ist für manche hart, angesichts einer Adventszeit, die für viele erwartungsfroh oder stimmungsvoll ist, einer Zeit mit Kerzenlicht und Kuschelbedürfnis. Hoffnung und die Vorfreude auf das Kommen Gottes in Jesus Christus korrespondieren mit der Sorge, ob ich dem entspreche, was ich bin. Bedeutet Gottes Ankunft mehr Licht oder Schatten in meinem Leben? Oder gehört nicht beides zu meinem Leben? Der Blick hinter die Kulissen zeigt doch, was wir nicht so gern bei Tageslicht sehen wollen: kaum einer kann von sich, von seiner Gemeinde, von seiner Kirche sagen, dass es da keinen Widerspruch zwischen Schein und Sein gibt?

Auch auf Briefe kann man in der einen oder anderen Weise reagieren. Wir können die Annahme der Briefe verweigern, sie in den Papierkorb werfen, aus dem email-Fach löschen, sie verschlossen liegen lassen, wir können sie aber auch lesen, uns an ihnen freuen und vielleicht durch sie sogar wachgerüttelt werden. Der Text lebt von Bildern, für mich ist das Bild vom „aufgeweckt werden“ anregend, da bei jedem Menschen eigene Erfahrungen angesprochen werden. Nicht nur „Morgenmuffel“ brauchen einen guten Grund aufgerüttelt zu werden. Denn, wenn wir nicht in unserem Leben hellwach sind, werden wir unser Leben verschlafen. Und Christus hat den Weckdienst übernommen, denn die dahindämmernde Gemeinde ist ihm so wichtig, dass er sie nicht in einem Dämmerschlaf sehen möchte. Mit Leiden-Schaft wirbt er um sie wie um eine Braut, er möchte sie nicht abschreiben. Jesus möchte seine Gemeinde aufrütteln, er will sie nicht einfach in Ruhe lassen, dass sie noch träger wird, sondern möchte sie anspornen, damit sie eben nicht verloren geht. Auch wenn die wenigsten Gemeinden Vorzeige-Gemeinden sind, haben sie doch alle eines gemein: den Auftrag, andere zu stärken und aufzubauen. Dieser „Aufbau“ geschieht nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraftquelle Jesus Christus, er ist das Fundament, auf dem sich unser Gemeindeleben aufbaut, in ihm verbindet sich Altes mit Neuem, in ihm erfüllt sich der Weg der Verheißung.

Der Prediger bzw. die Predigerin sollte sich davor hüten, die schroffen Worte des Johannes an die Gemeinde in Sardes eins zu eins an die eigene Gemeinde weiterzugeben. Gerichtspredigten vermitteln manchmal das Gefühl, endlich einmal alles ausgesprochen und die Wahrheit gesagt zu haben. Doch haben über 2000 Jahre Gerichtspredigt wirklich etwas erreicht und das Verhalten der Menschen verändert? Auch für Sardes gilt: vielleicht haben sich ja die Verhältnisse in Sardes kurzfristig geändert, aufs Ganze gesehen haben die Apelle aber wenig genutzt. Angesichts der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit unserer Gemeinden sollte die Predigt der Gemeinde den Rücken stärken und sie nicht durch Gerichtsparolen schwächen. Denn eine wichtige Erkenntnis des Predigttextes ist, dass unsere Gemeinden aus einer Zukunft leben können, die Liebe verheißt. Und das ist das Neue, das bleibt. Wenn die Gemeinde das versteht, kann und wird sie sich auch verändern.

Lieder

„Macht hoch die Tür“ (EG 1); „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11); „Mit Ernst, o Menschenkinder (EG 10); „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16); „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7, 4-7); „Tragt in die Welt nun ein Licht“ ( in: Singt Jubilate. Lieder und Gesänge für die Gemeinde, Nr. 3, München-Berlin 2012).

Gebet

Gott auf dich warten wir nicht vergeblich. Du kommst und schenkst uns deine Liebe und Nähe. Wir bitten dich, mach uns bereit, dass wir in diesen Tagen des Advent auf dich zugehen. Du bist unser Helfer, jetzt und alle Zeit. Komm mit deiner Liebe und Gerechtigkeit. Feiere deinen Advent bei uns und öffne unsere Herzen für deine Wahrheit und unsere Augen für Welt in der wir leben. Rüttele uns immer wieder durch deine lebendige Botschaft auf, damit wir aus dem Schlaf der Sicherheit aufwachen.

Gedicht

Du hinter uns hinter allem, was war Kraft, die hervorbringt die Leben will Entfaltung

Du in uns in allem, was ist Kraft, die durchdringt die Reifung will Verwandlung

Du vor uns vor allem, was wird, Kraft, die vorantreibt die Liebe will Vollendung

(In: Lothar Zenetti, Texte der Zuversicht, München 1972, 299.)

Literatur

Wilhelm Bousset, Die Offenbarung Johannis (KEK 16), Göttingen 1906; Traugott Holtz, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen 2008; Hans-Josef Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament (UTB 2022), Paderborn 1998, 264f.; Heinrich Kraft, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974; Ernst Lohmeyer, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 1953; U. B. Müller, Die Offenbarung des Johannes (ÖTK 19), Gütersloh 1995; ders., Prophetie und Predigt im Neuen Testament, Gütersloh 1975, bes. 57-62; Pierre Prigent, Commentary on the Apokalypse of St. John, Tübingen 2004; Anton Vögle, Das Buch mit sieben Siegeln, Freiburg 1981.

Neuigkeiten

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Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)... mehr lesen

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