Ferne Welt?
Auch zu uns sind Engel in dieser Adventszeit unterwegs
Predigttext: Offenbarung 3,1–6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. 3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. 4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. 5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Exegetische Erwägungen
Die Johannesoffenbarung ist insgesamt als Brief gestaltet (Offb 1,4-8). Ihr brieflicher Charakter zeigt sich direkt in den einleitenden sieben Sendschreiben. Sie reden die einzelnen Gemeinden konkret auf ihre spezifischen Probleme an, sind aber auch typisch für die Lage der Christen am Ende des 1. Jh. und haben paradigmatische Bedeutung. Die sieben Gemeinden stehen stellvertretend für die ganze Kirche (Offb 1,20); was einzelnen Gemeinden gesagt ist, soll alle angehen („Wer Ohren hat zu hören, höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ Offb 2,7 u. ö.; „Alle Gemeinden werden erkennen, …“ Offb 2,23). Jesus Christus hält sie zusammen (Offb 1,16; 2,1). Die Sendschreiben sind jeweils in ähnlicher Weise strukturiert: Aufforderung zum Schreiben, die Selbstvorstellung Christi, Christi Kenntnis der Gemeinde, Mahnung oder Zuspruch, Überwinderspruch und Aufforderung zum Hören.
Beim Predigttext handelt es sich um das fünfte Sendschreiben, das an einen Adressaten in Sardes gerichtet ist, jener einst blühenden Stadt, die nach dem Erdbeben des Jahres 17 v.Chr. kaum noch Bedeutung hatte. Der Text ist durch Zahlen und Symbole geprägt. Die Zahl „Sieben“ bezeichnet nach biblischer Tradition die Zahl der Vollendung und weist auf die Fülle hin. Auch Weckrufe finden sich im NT vor allem in eschatologischen Passagen wie Mk 13,33 oder Lk 12,35ff. , die aber nicht nur mit dem Bild des Diebes verbunden werden, sondern auch das Motiv des Überraschungseffektes beinhalten. „Weiße Kleider“ werden in der Offenbarung an verschiedenen Stellen erwähnt (vgl. 4,4 oder 6,11). Off 7,14 spricht davon, dass auch die, die überwinden, ihre Gewänder nicht aus eigener Kraft reinigen können, sondern sie im Blut des Lammes reinigen. Anklänge zu dieser Szene finden sich schon im AT, denn nach Sach 3,3.4 werden dem Hohepriester Jeschua in einer himmlischen Gerichtsszene die unreinen Kleider aus- und ihm „Feierkleider“ angezogen. Das Bild vom Buch des Lebens, das sowohl in der Bibel als auch in der frühjüdischen Literatur zu finden ist, will die Verbindung mit Gott verdeutlichen. Der Gedanke, dass Christus Menschen bekennt bzw. sich zu ihnen bekennt, ist z.B. in Mt 10,32, in Lk 12,8 oder im 2. Clem 3,2 belegt.
Eine Gemeinde kann nur wachwerden, wenn jemand da ist, der sie auf- oder wachrüttelt. Offenbar steht die Gemeinde vor der Gefahr, vor sich hinzudämmern, den Bezug zu Christus zu verlieren. Und genau aus diesem Grund erfolgt der „Weckruf“: die ChristInnen sollen wach werden für Christus und wachwerden für ihre Mitmenschen. Hinein in ihren Dämmerungsmodus erhalten sie den Auftrag, andere zu stärken und aufzubauen. Das mag für einige eine Zumutung sein, für andere eher ein Zutrauen und ein Zuspruch. Nach Heinrich Kraft spricht V. 3 die Rückbesinnung auf die Tradition an, die sich in Form der alttestamentlichen Gebote zeigt. Dieser Vers kann aber auch in dem Sinne ausgelegt werden, dass ein Zusammenhang zu Offb 1, 4-6 hergestellt wird. In diesen Versen wird Christus als Zeuge bezeichnet, der sich nicht nur seiner Gemeinde geschenkt, sondern für die Menschen auch Gutes getan hat.
Die Buße, die schließlich gefordert wird, ist eine unmittelbare Reaktion auf das Handeln Christi, das mit Martin Luthers These 1 aus den 95 Thesen von 1517 gedeutet werden kann: „Da unser Herr und Meister Jesu Christi spricht: `Tut Buße` (Mt 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei“. Und denen, die sich nach Aussage des Bibelwortes bewähren, wird in dreifacher Weise die Zugehörigkeit zum erhöhten Christus und zu Gott selbst verheißen (V 4f.): sie werden – (vgl. das Bild der weißen Kleider) an Jesu Seite verherrlicht, ihre Namen haben Bestand im Buch des Lebens und Christus bekennt sich zu ihnen. Ziele dieser Wortes ist Gemeindeaufbau (oikodome) und das Festhalten an der frohmachenden Botschaft des Evangeliums, die an die Aussage von Offb 1,17f. gebunden ist: Christus der Erste und der Letzte, der tot war und nun lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit (1,17f).
Systematische-homiletische Erwägungen
Es herrscht ein positives Spannungsverhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde. Diese Gemeinde ist für ihn noch nicht abgeschrieben. Doch aufgeschrieben im Buch des Lebens ist nur eine Minderheit. Der Brief wirbt einerseits verheißungsvoll und schreckt doch manche ab. Wer ist denn schon vollkommen? Und wer ist es schon wert, in der Nachfolge mit Christus zu gehen? Das Predigtwort ist für manche hart, angesichts einer Adventszeit, die für viele erwartungsfroh oder stimmungsvoll ist, einer Zeit mit Kerzenlicht und Kuschelbedürfnis. Hoffnung und die Vorfreude auf das Kommen Gottes in Jesus Christus korrespondieren mit der Sorge, ob ich dem entspreche, was ich bin. Bedeutet Gottes Ankunft mehr Licht oder Schatten in meinem Leben? Oder gehört nicht beides zu meinem Leben? Der Blick hinter die Kulissen zeigt doch, was wir nicht so gern bei Tageslicht sehen wollen: kaum einer kann von sich, von seiner Gemeinde, von seiner Kirche sagen, dass es da keinen Widerspruch zwischen Schein und Sein gibt?
Auch auf Briefe kann man in der einen oder anderen Weise reagieren. Wir können die Annahme der Briefe verweigern, sie in den Papierkorb werfen, aus dem email-Fach löschen, sie verschlossen liegen lassen, wir können sie aber auch lesen, uns an ihnen freuen und vielleicht durch sie sogar wachgerüttelt werden. Der Text lebt von Bildern, für mich ist das Bild vom „aufgeweckt werden“ anregend, da bei jedem Menschen eigene Erfahrungen angesprochen werden. Nicht nur „Morgenmuffel“ brauchen einen guten Grund aufgerüttelt zu werden. Denn, wenn wir nicht in unserem Leben hellwach sind, werden wir unser Leben verschlafen. Und Christus hat den Weckdienst übernommen, denn die dahindämmernde Gemeinde ist ihm so wichtig, dass er sie nicht in einem Dämmerschlaf sehen möchte. Mit Leiden-Schaft wirbt er um sie wie um eine Braut, er möchte sie nicht abschreiben. Jesus möchte seine Gemeinde aufrütteln, er will sie nicht einfach in Ruhe lassen, dass sie noch träger wird, sondern möchte sie anspornen, damit sie eben nicht verloren geht. Auch wenn die wenigsten Gemeinden Vorzeige-Gemeinden sind, haben sie doch alle eines gemein: den Auftrag, andere zu stärken und aufzubauen. Dieser „Aufbau“ geschieht nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraftquelle Jesus Christus, er ist das Fundament, auf dem sich unser Gemeindeleben aufbaut, in ihm verbindet sich Altes mit Neuem, in ihm erfüllt sich der Weg der Verheißung.
Der Prediger bzw. die Predigerin sollte sich davor hüten, die schroffen Worte des Johannes an die Gemeinde in Sardes eins zu eins an die eigene Gemeinde weiterzugeben. Gerichtspredigten vermitteln manchmal das Gefühl, endlich einmal alles ausgesprochen und die Wahrheit gesagt zu haben. Doch haben über 2000 Jahre Gerichtspredigt wirklich etwas erreicht und das Verhalten der Menschen verändert? Auch für Sardes gilt: vielleicht haben sich ja die Verhältnisse in Sardes kurzfristig geändert, aufs Ganze gesehen haben die Apelle aber wenig genutzt. Angesichts der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit unserer Gemeinden sollte die Predigt der Gemeinde den Rücken stärken und sie nicht durch Gerichtsparolen schwächen. Denn eine wichtige Erkenntnis des Predigttextes ist, dass unsere Gemeinden aus einer Zukunft leben können, die Liebe verheißt. Und das ist das Neue, das bleibt. Wenn die Gemeinde das versteht, kann und wird sie sich auch verändern.
Lieder
„Macht hoch die Tür“ (EG 1); „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11); „Mit Ernst, o Menschenkinder (EG 10); „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16); „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7, 4-7); „Tragt in die Welt nun ein Licht“ ( in: Singt Jubilate. Lieder und Gesänge für die Gemeinde, Nr. 3, München-Berlin 2012).
Gebet
Gott auf dich warten wir nicht vergeblich. Du kommst und schenkst uns deine Liebe und Nähe. Wir bitten dich, mach uns bereit, dass wir in diesen Tagen des Advent auf dich zugehen. Du bist unser Helfer, jetzt und alle Zeit. Komm mit deiner Liebe und Gerechtigkeit. Feiere deinen Advent bei uns und öffne unsere Herzen für deine Wahrheit und unsere Augen für Welt in der wir leben. Rüttele uns immer wieder durch deine lebendige Botschaft auf, damit wir aus dem Schlaf der Sicherheit aufwachen.
Gedicht
Du hinter uns
hinter allem, was war
Kraft, die hervorbringt
die Leben will
Entfaltung
Du in uns
in allem, was ist
Kraft, die durchdringt
die Reifung will
Verwandlung
Du vor uns
vor allem, was wird,
Kraft, die vorantreibt
die Liebe will
Vollendung
(In: Lothar Zenetti, Texte der Zuversicht, München 1972, 299.)
Literatur
Wilhelm Bousset, Die Offenbarung Johannis (KEK 16), Göttingen 1906; Traugott Holtz, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen 2008; Hans-Josef Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament (UTB 2022), Paderborn 1998, 264f.; Heinrich Kraft, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974; Ernst Lohmeyer, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 1953; U. B. Müller, Die Offenbarung des Johannes (ÖTK 19), Gütersloh 1995; ders., Prophetie und Predigt im Neuen Testament, Gütersloh 1975, bes. 57-62; Pierre Prigent, Commentary on the Apokalypse of St. John, Tübingen 2004; Anton Vögle, Das Buch mit sieben Siegeln, Freiburg 1981.
Engel, Himmelsboten, tauchen in der Bibel immer wieder wie aus dem Nichts auf, sie sagen im Namen Gottes eine Botschaft, manchmal tun sie auch etwas und verschwinden dann wieder ganz schnell. Unser Predigttext entführt uns in eine ferne Welt, wenn vom Engel der Gemeinde in Sardes die Rede ist.
(Lesung des Predigttextes)
Er bekommt ein Schreiben übermittelt, dass eine Botschaft für die Gemeinde in Sardes enthält. Sardes ist die fünfte der sieben Städte Kleinasiens, die jeweils ein Sendschreiben erhalten. Die sieben Gemeinden Kleinasiens stehen – bildlich gesprochen – für die ganze frühchristliche Kirche des ausgehenden ersten Jahrhunderts. Die Gemeinden strahlen nicht einfach von sich aus. Sie erhalten ihre Strahl- und Leuchtkraft von dem, der sich in den Sendschreiben zu Wort meldet. Dies ist nicht der Seher Johannes, auch nicht der Engel, sondern der, der spricht: Ich kenne dich! Es ist Jesus Christus, der das Licht der Welt ist. Es gibt hier einen Bezug zu Worten, die wir aus dem Propheten Jesaja kennen und die zu Weihnachten verlesen werden: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais … auf ihm wird ruhen der Geist Gottes der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn (Jes 11, 1f.) Wer Ohren hat zu hören, darf diese alte Prophezeiung mithören. Mit Jesus öffnet sich für uns die weite Welt der Verheißungen, die das Volk Israel empfangen hat. Das ganze Buch der Offenbarung ist voll solcher Bezüge zu den Geschichten aus dem Alten Testament, es sind meistens keine direkten Zitate, wohl aber Anspielungen, Andeutungen, Anklänge.
Besondere Assoziationen weckt auch der Name der Stadt: Sardes. In der Antike beschwört dieser Name Erinnerungen an Glanz und Größe, denn die Hauptstadt Lydiens, die sich über den größten Teil der heutigen Westtürkei erstreckte, wurde bekannt durch den wohl berühmtesten König Krösus, der sprichwörtlich in Reichtum lebte und auch seine Mitmenschen an diesem Reichtum beteiligte. Und viele kennen von uns ja auch das Sprichwort: „Ich bin doch kein Krösus“. Wenn die Leute von früher sprachen, erzählten sie sich, dass der kleine Fluss Paktolos, der mitten durch die Stadt Sardes floss, feinen Goldstaub mit sich führte. Heute wissen wir, dass dies ein Bild dafür war, wie viel Reichtum aus dem umliegenden Land in die Stadt hereinfloss, weil dort Schafe und Ziegen geweidet wurden, deren Wolle weiterverarbeitet und gefärbt wurde, so dass ein blühender Textil- und Teppichhandel entstand. Auch Tragisches erzählten die Menschen damals: Krösus, der berühmte König befragte das Orakel in Delphi, ob er gegen die Perser in den Krieg ziehen sollte? Du wirst ein großes Reich zerstören, hatte das Orakel geantwortet. Krösus zog los – und verlor den Krieg. Er zerstörte sein eigenes großes Reich. Krösus konnte sich in die Akropolis flüchten. Diese Königsburg galt als uneinnehmbar. Doch die Perser fanden ein unbewachten Zugang und nahmen die Burg ein. 300 Jahre später wiederholte sich die Geschichte. Wieder dachte man, unbesiegbar zu sein, diesmal kamen die Athener über Nacht als Angreifer.
Wenn du nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde, so hören wir in dem Sendschreiben aus der Offenbarung. Dieses Motiv begegnet hier nicht ohne Grund. Die kollektive Erinnerung war auch bei den Menschen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts noch vorhanden. Die Leichtfertigkeit hatte in Sardes offenbar wieder Fuß gefasst. Man fühlte sich sicher. Hatte sich die Stadt nicht immer wieder erholt und aufgerappelt nach den Eroberungen durch die Perser oder die Athener? Und auch nach dem Erdbeben im Jahr 17 n. Chr., von dem viele noch aus der Erinnerung der Eltern und Großeltern damals erzählten, ging es dann in Sardes wieder bergauf: Kaiser Tiberius schenkte der Stadt 10 Millionen Sesterzen und fünf Jahre Steuerbefreiung: Konjunktur- und Steuerprogramme gab es also schon damals in der Antike und nicht erst im aktuellen Koalitionsvertrag. Ein Artemistempel wurde gebaut mit Ausmaßen wie ein Fußballfeld, völlig überdimensioniert; er wurde nicht fertig, blieb eine Bauruine. Sie merken, dass sich im menschlichen Leben von damals zu heute gar nicht viel verändert hat, auch Bauskandale hat es schon früher gegeben und nicht erst im Jahre 2013, wenn ich an den BER, der nicht fertig wird, denke, oder an die Verteuerung der Renovierung der Staatsoper Unter den Linden oder die Schwierigkeiten beim Bau der U5 in Berlin-Mitte.
War Sardes wirklich eine Stadt voller Aufbruch und Optimismus, Glanz und Geld, Ansehen und Erfolg. Wie ging es der christlichen Gemeinde in Sardes? Welche Rolle spielt sie in diesem Kontext? Ich kenne deine Werke, sagt Jesus, du hast den Namen, dass du lebst. So lautet der Anfang. Ja, da mag die Gemeinde in Sardes stolz den Kopf heben. Und tun wir das als Trinitatisgemeinde nicht auch? Da hören wir, dass wir eine lebendige Gemeinde sind. Hier in Trinitatis ist was los, da gibt es tolle Gemeindegruppen, das herrscht eine lebendige Kinder- und Jugendarbeit, da haben wir eine tolle Kantorei, der gerade das Weihnachtsoratorium im Repertoire hat, da haben wir tolle Musiker, die mit ihrer POP-Messe vor allem Jugendliche begeistern, alles toll in Trinitatis. Nur für einen Moment bleibt der Kopf oben, damals in Sardes, und vielleicht auch bei uns? Vielleicht muss man dann doch beschämt den Blick senken. Du hast den Namen, dass du lebst – und bist tot. Das haut einen fast von den Kirchenbänken. Aber warum dieses harte Urteil über die Gemeinde? Woran wird hier gemessen, was Lebendigkeit ist und was Tod? Der Tod entpuppt sich zum Glück nur als Schlaf. Jesus will die Gemeinde in Sardes zu neuem Leben erwecken: Werde wach, ruft er, und stärke das andere, das sterben will. In diesem Weckruf steckt ein Kriterium, was Lebendigkeit ausmacht, nämlich für die dazu sein, die ohne Lebenskraft sind, für die Lebensmüden und -verdrossenen, die sich wie damals Elija in der Wüste aus dem Leben verabschieden wollen, weil sie keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen, oder weil sie meinen, ihr Leben verspielt zu haben. Doch der Engel kam mit Brot und Wasser zu Elija, legte ihm die Hände auf die Schulter und sagte: Steh auf und iss.
Auch Sardes, die Stadt des Geldes und der Zuversicht, hatte offenbar Grauzonen und dunkle Ecken. Es gab Menschen, die nicht mitkamen, die übersehen wurden, die auf der Strecke blieben, vielleicht psychisch angeschlagen, sozial im Abseits, arbeitslos, krank. Immer wieder kommt im Predigttext der Bezug zur Tradition, zu den Worten der Verheißung: Denke daran, sagt Jesus, was du empfangen und gehört hast. Machen wir uns klar, was uns geschenkt wurde und mit welchen Worten wir aufgebaut werden, was uns nicht aus eigener Kraft aufrichtet, sondern weil wir spüren, dass uns im Leben immer wieder unter die Arme gegriffen wird. Dann ist da noch im Predigttext von Buße die Rede, von Richtungsänderung, von umkehren, von wachsam sein. Wir wissen: das kostet Überwindung. Jesus mutet uns zu, nicht den bequemsten Weg zu gehen, sondern den steinigen. Anstelle eines schönen Lebens sollen wir Solidarität üben, dass wir uns von der Not anderer anrühren lassen, den Leidenden nicht aus dem Weg gehen. Es gab offenbar einige in Sardes, die nach Jesu Ansicht Lob verdienten. Sie sind nicht Gemeindemitglieder, sondern leben als NichtchristInnen in der Stadt. Doch sind sie offenbar so lebendig, dass sie in Jesu Augen Vorbildfunktion haben. Immer wieder gibt es dieses Motiv in der Bibel, dass den vermeintlich Frommen jemand von draußen als Vorbild gezeigt wird: der barmherzige Samariter ist das berühmteste Beispiel. Sie sind es wert, zum Zeichen für ihre guten Werke weiße Kleider zu tragen.
Weiße Kleider werden auch denen verheißen, die dem Namen nach Christen sind, wenn sie überwinden, Buße tun, umkehren und aus dem Schlaf der Sicherheit aufwachen. Denn sie kümmern sich nicht allein um das Eigene, sondern auch um Andere, weil sie um die Hilfe und Unterstützung wissen, die sie vielleicht einmal selbst empfangen haben. Weiß wie das Licht sind ihre Kleider, wie bei einer Hochzeit, wie bei einer Taufe, wenn wir das Geschenk der Liebe feiern. Damit tragen diese Menschen die Liebe weiter, und genau solche Menschen will Jesus an seiner Seite haben. Nehmen wir die Hoffnung und den Zuspruch an, dass wir Jesus nicht egal sind, dass auch zu uns Engel in dieser Adventszeit unterwegs sind, die uns mit ihrer Botschaft erreichen wollen in unserer Stadt Berlin, in unserer Trinitatisgemeinde, zum Wohl all der Menschen, die Stärkung und Hilfe brauchen.
Gerichtspredigten im Anschluss an den harten Predigttext lehnt Pfarrer Hutter-Wolandt ab. Aber Buße als Richtungsänderung, Umkehr und Wachsamkeit steht in seiner Predigt im Vordergrund. Nach der sehr ausführlichen, erhellenden Exegese und seinen fundierten Predigtüberlegungen schildert er lebendig und interessant die Situation der Christen in der Krösus- Stadt Sardes damals. Dann fällt sein kritischer Blick auf die Verhältnisse seiner Predigtgemeinde und der Christen heute. Zu unserem Glück erinnert er daran, dass Jesus damals und heute uns und unsere Gemeinden immer wieder gütig zu neuem Leben erwecken will und wird. Wir sind Jesus nicht egal, und Engel sind in dieser Adventszeit unterwegs zu uns.