Predigt

Flucht und Segen

Nur ein Traum?

Predigttext1.Mose (Genesis) 28,10-19a
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum:22.09.2019
Kirchenjahr:14. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandr

Predigttext: 1. Mose 28, 10-19a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017

10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. 16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel.

Zum Predigttext

Es hat sich in der Forschung die Meinung durchgesetzt, dass dieser Text verschiedene literarische Bearbeitungen erfahren hat. Die Erzählung von Jakobs Traum kann auf einen Entstehungsprozess zurückblicken, an dessen Anfang, vielleicht schon in kanaanäischer Zeit, die Legende von der Entstehung des Heiligtums in Bethel stand.

Im Verlauf ihrer Überlieferung ist die Handlung schließlich in die Vätergeschichte eingebaut und in mehreren Schritten erweitert worden. In der vorliegenden Erzählung finden sich die Überlieferungsschichten J und E, in denen es um die Ätiologie von Beth-El bzw. Beth-Elohim geht. Unterschiedlich ist bei beiden Fassungen allerdings die Art der Offenbarung. Während es sich bei J um eine Audition handelt, zeigt sich Gott in der E-Version in einer Vision, in einem wortlosen Traum.

Der Sinn der Offenbarung ist in beiden Fällen der gleiche: Jakob vergewissert sich, dass Gott ihn erwählt hat. Diese Vergewisserung erfolgt bei J unvermittelt, als Jahwe Jakob erscheint und mit ihm spricht.

Bei E hingegen wird sie vermittelt in die Erzählung eingebaut: in dieser Fassung gehen Gottes Boten auf der Rampe hin und her und stellen die Verbindung von Himmel und Erde, die Verbindung zwischen Gott und Jakob an diesem konkreten Ort her: Die Distanz zwischen Himmel und Erde wird durch die Rampe überbrückt.

Der Predigttext ist in sich schlüssig und bildet eine Einheit. Der Predigthörer sollte nicht mit den komplizierten traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen überfrachtet werden. Vers 10 schließt an 1. Mose 27,41-45 an, als Jakob der Aufforderung seiner Mutter folgt, seine Heimat zu verlassen. Diese Flucht ist notwendig, weil Jakob der Rache seines Bruders Esau entgehen muss, den er um den väterlichen Segen betrogen hat.

Jakob wird von der Dunkelheit überrascht und macht an dem Ort halt, an dem er sich im Augenblick befindet. Und er träumt. Im Traum sieht er eine Rampe (hebr. sullam), von Martin Luther in Vers 12 mit „Leiter“ übersetzt. Diese Rampe verbindet den Himmel mit dem schlafenden Jakob. Die auf- und absteigenden Boten symbolisieren die Heiligkeit des Ortes.

Die vierfache Verheißung in den Versen 13 bis 15 kennzeichnet Gott als den Vätergott, der schon Abraham und Isaak Land, Nachkommen und Segnung verheißen hatte. Dieser Schutz Gottes soll nun auch Jakob trotz seines Betruges begleiten, ja Gott will ihn sogar wieder in die Heimat zurückführen. Jakob reagiert – nach der Erzählung in den Versen 16 bis 19 - auf den Traum.

Der Vätergott, dessen Wirken er bislang lediglich im Umkreis seiner Familie erfahren hatte, ist nun in der Fremde bei ihm. Jakob fürchtet sich, als er aufwacht und merkt, dass er sich an einem heiligen Ort befindet. Er richtet den Stein auf, der ihm während des Traumes zu Füßen lag. Dieser Stein ist zum einen das Zeugnis des Traumes und zum anderen das Zeichen, das diesen Ort für die kommenden Generationen zum heiligen Ort macht.

Die Salbung des Steines ist eine spätere Hinzufügung, die ausdrücken wollte, dass von diesem Stein eine Kraft ausgeht. Die Namensgebung in Vers 19a bildet den Schluss der Erzählung.

Zur Predigt

Jakob begegnet Gott unterwegs, als er ohne Gepäck in die Fremde aufbricht. Er erkennt, dass dieser Gott für Verheißungen steht: Land, zahlreiche Nachkommen, Segen, Schutz, Beistand, Rückkehr in die Heimat, Schutz auch während des Alleinseins. Diese Verheißungen erwecken in ihm Erwartungen, die mit Wertvorstellungen wie Land, Nachkommen, Segen, Schutz und Zukunft verknüpft sind.

Vor dem Hintergrund von Flucht und Alleinsein gewinnen die positiven Werte wie Segen, Schutz und Zukunft an Bedeutung und Gewicht. Der heutige Leser der Geschichte wird sich fragen müssen, was er tut, wenn er – aus welchen Lebensumständen auch immer - vor die Entscheidung gestellt wird, ohne Besitz in die Fremde in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.

Es können auf einem solchen Weg Hoffnungen geweckt werden, um an ein Ziel zu kommen. Es kann aber auch passieren, dass wir gehindert werden, solche Hoffnungszeichen wahrzunehmen. Hierbei stellt sich die Frage: Hilft unser Glaube an Gott, wenn wir ohne Besitz aufbrechen. uns auf den Weg machen müssen? Dabei erkennen wir, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind und wir auf Gottes Schutz und seine Vergebung angewiesen bleiben. Denn Gott wendet sich selbst von einem Betrüger wie Jakob nicht ab, sondern gewährt ihm Schutz und Verheißung.

Der Glaube an Gott befreit uns, denn durch seine Unterstützung sind wir vor jeglicher Überforderung, vor möglichem Versagen bewahrt. Es ist ein Glaube, der auf Gottes Vergebung und Schutz vertraut, der in Jesus Christus zum Ja und Amen geworden ist.

Literatur

O. Eißfeld, Der Gott Bethel, in: ders., Kleine Schriften Bd. 1, Tübingen 1962, 206-233; K. Galling (Hg.), Biblisches Reallexikon, Tübingen 1977 (2. Aufl.), 44f.; R. A. Klein, Jakob. Wie Gott auf krummen Linien gerade schreibt. BG 17, Leipzig 2007, 57-66; J. Miles, Gott. Eine Biographie, München 1995, 88-92; E. Otto, Jakob in Bethel. Ein Beitrag zur Geschichte der Jakobüberlieferung, in: ZAW 88/1976, 165-190; G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis. ATD 2-4, Göttingen 1972 (9. Aufl.); W. Richter, Traum und Traumdeutung im Alten Testament, in: BZ 711963, 202-220; W. H. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchen-Vluyn 1990 (7. Aufl.), 32-34; C. Westermann, Genesis (12-36). BKAT I 2, Neukirchen-Vluyn 1989 (2. Aufl.); ders., Genesis 12-50. EDF 48, Darmstadt 1975, 51-53; ders., Tausend Jahre und ein Tag, Gütersloh 1965, 36-46. Lieder: EG 365 (Von Gott will ich nicht lassen); EG 303 (Lobe den Herren, o meine Seele); EG 378 (Es mag sein, dass alles fällt); EG 333 (Danket dem Herrn); EG 165 (Gott ist gegenwärtig); EG 355 (Mir ist Erbarmung widerfahren); EG 324 (Ich singe dir mit Herz und Mund); EG 327 (Wunderbarer König). Lesen: Psalm 146, 1-10; Röm 8, 14-17 (Epistel); Lukas l7, 11-19 (Evangelium).

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