Folgenreiche Entscheidung(en)
Licht in die Welt bringen
Predigttext | Johannes 3, 14-21 |
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Kirche / Ort: | Walldorf b. Heidelberg |
Datum: | 16.03.2025 |
Kirchenjahr: | Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrer Dr. Uwe Boch, |
Predigttext: Johannes 3, 14-21 (Übersetzung nach Martin Luther)
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Recht oft konnte man einen Vers unseres Textes vor etwa 30 Jahren auf Fußballplätzen und später auch bei anderen Sportarten sehen. Meistens in den Fernsehübertragungen von internationalen Spielen. Vor allem Ende 1990er und Anfang der 2000er Jahre standen da plötzlich in irgendeiner Ecke eines Stadions Fans mit einem Banner: „John 3:16“. Haben Sie sich damals gefragt, was das bedeuten soll? Wissen Sie es? Nun. Wenn man sich kundig machte, konnte man erfahren: Ein Mann namens Rollen Stewart hatte das aufgebracht. Johannes 3,16:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
In jedem Stadion bei internationalen Meisterschaften bis etwa 2006. Heute nur noch sehr vereinzelt. Stewart wollte damit seinen missionarischen Eifer zum Ausdruck bringen und aller Welt sagen: Nur mit Jesus könnte ihr – wovor auch immer – gerettet werden. Heute würde man sagen: Das ist etwa so verkürzt wie die kurzen Instagram-Botschaften. Ihnen wirft man ja vor, dass sie keinen Kontext bieten und deshalb ungeeignet für komplexe Botschaften sind. Darauf kommen wir später noch einmal darauf zurück.
Rollen Stewart nannten damals viele Christen einen mutigen Mann. Einen mit echtem missionarischem Eifer. Andere sahen in ihm einen Menschen mit einem schweren religiösen Spleen. Beurteilen seines selbst. Schon während der Aktionen war Stewart im Gefängnis. Sein religiöser Eifer hatte ihn dazu gebracht, eine Putzfrau zu entführen. Damit wollte er auf den bevorstehenden Weltuntergang hinweisen.
Das Johannesevangelium ist speziell. Man könnte sagen: Es bietet, im Gegensatz zu den als verkürzt kritisierten Instagram-Texten zum Beispiel, zu viel Kontext. Und auch Johannes 3,16 mangelt es nicht an Kontext. Das ist auch der Grund, warum die Texte des Johannesevangeliums noch nie für missionarische Aktivitäten getaugt haben. Zu sperrig. Zu verkopft. Zu theologisch-philosophisch.
Ich habe schon als Jugendlicher nie verstanden, warum man in frömmeren Gruppen immer ein Johannesevangelium verteilt hat, um Menschen für den Glauben zu interessieren. Und schon gar nicht ist das Johannesevangelium dazu geeignet, als Gesamttext oder in Passagen das Christentum den Menschen des 21. Jahrhunderts schmackhaft zu machen. Aber dafür ist es ja auch nicht geschrieben. Es war an gebildete Menschen in Kleinasien gerichtet. Und es war und ist ein theologisches (und literarisches) Konstrukt. Der Verfasser setzt das österliche Geschehen schon voraus: Jesus ist gestorben, und er ist auferstanden. Das steht über allen Texten vom 1. Kapitel an.
Nun habe ich ihnen die Passage vorgelesen. Im Zentrum steht tatsächlich der Vers 16. Er ist sicher der Schlüssel zu den Worten über eine Schlange, ewiges Leben, Gericht, Licht und Finsternis, und das Böse und die Wahrheit. In acht Versen. Der Blick wird von Anfang an ausgerichtet: So wie im Alten Testament. Als Moses sein Volk im Auftrag Gottes rettet. Der hatte eine Schlangenplage geschickt, weil das Volk seinen Willen nicht erfüllte.
Moses wird von Gott auf das Klagen des Volkes hin beauftragt, eine bronzene Schlange an einem Stab aufzurichten. Dorthin soll der Blick der Menschen gehen. Dann werden sie gerettet. Was als mythische Geschichte des Alten Orients einfach klingt, ist bei Johannes komplizierter. Da ist es Jesus, auf den die Menschen schauen sollen. Auch er wird erhöht. Allerdings am Kreuz. Auch mit dem Blick auf ihn, dem Glauben, findet man Rettung. Der Blick wird ausgerichtet: Auf Jesus, den Sohn Gottes. Der, in dem Gott in einem Menschen so nah kommt, wie es nur geht. So weit, so einfach: Glaube an Gott in Jesus. Und du wirst gerettet. Wie die Israeliten in der Wüste vor dem Gift der Schlange.
Aber hier bei Johannes wird aus der einfachen Geschichte ein theologisches Drama. Da reicht es nicht, so anschaulich wie im Alten Testament zu erzählen. Da muss die Rettung hinterfüttert werden. Sie braucht Kontext. Und den liefert Johannes. Fast mehr als wir wollen. Der Blick geht im Glauben auf Jesus. Seine Erhöhung bietet Rettung. Aber nicht für jeden. Der Blick auf ihn muss schon da sein. Daraus entwickelt sich im Text eine Ausführung über das dem Sünder drohende Gericht. Ganz in der Tradition des Schwarz-weiß-Denkens: Entweder du glaubst oder du bist schon gerichtet; du folgst dem Licht oder bleibst in der Finsternis. Du wählst das ewige Leben oder verfällst dem ewigen Tod. Du bist böse und tappst im Dunkeln oder du schaust auf den erhöhten Menschensohn und kommst zur Wahrheit.
Das war sicher beeindruckend für die Leser des Johannes damals. Sprachgebilde, die mit den griechischen Philosophen mithalten konnten. Gedankengebäude, die zeigen: Diese neue Religion, das ist nicht für die einfach gestrickten Menschen gedacht. Die wendet sich auch an die Gebildeten.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass so etwas uns Christen gefällt. Wir haben es gern, wenn unsere Adressaten unsere schöne Sprache, unsere kunstvollen Satzgebilde und Gedankentürme verstehen.
Neulich habe ich unser Redaktionsteam darum gebeten, die Texte im Gemeindebrief doch kurz zu machen. Sehr kurz. Warum? Weil die Menschen lange Texte nicht mehr gewöhnt sind. Weil sie keine ausführlichen und verschachtelten Sätze mehr lesen können und auch nicht wollen. Die Antwort eines der Redaktionsmitglieder war: Das kann nicht sein, das glaube ich nicht. Ich lese jede Woche die „Zeit“. Ja, wir können die Zeit lesen.
Aber wir sind inzwischen eine Minderheit in der Gesellschaft. Und ja, unsere Gemeindeglieder verstehen meist, was wir sagen von der Kanzel. Die paar, die noch da sind im Gottesdienst. Die, die immer weniger werden. Vermutlich hat das einen Grund. Auch der hängt mit dem zusammen, was wir hier bei Johannes sehen. Was in der Schule immer elementarisieren heißt, Inhalte auf das kleinste Teil herunterbrechen, damit auch der schwächste Schüler noch folgen kann. Das haben wir in der christlichen Gemeinde nie lernen müssen. Weil es auch so ging. Weil wir mit Kirchenmusik, hochentwickelter Sprache und kunstvollen Gedankengebilden in unseren Predigten über lange Zeit immer noch viele Menschen erreicht haben. Vor allem die Gebildeten. Vor allem die Kunstbeflissenen. Vor allem die Wohlsituierten. Sie haben uns gereicht.
So wie die Adressaten des Johannes ihn sicher auch verstanden haben. Die anderen Evangelisten haben nicht umsonst eine ganz andere Sprache gepflegt: Mit Bildern, Gleichnissen, Geschichten. Nicht für das gebildete Großbürgertum oder vielleicht auch die Mittelklasse. Sondern für die einfachen Menschen, die Jesus auch verstehen sollen, wenn sie mit Platon nicht vertraut waren.
Nun hat sich die bei uns die Situation leider stark geändert. Auch die Hochgebildeten laufen uns davon. Auch bei ihnen kommen wir mit unserer Sprache nicht mehr so richtig an. Ich habe auf der anderen Seite das Gefühl, dass wir die sogenannten unteren Gesellschaftsschichten schon lange verloren haben, was unsere Gottesdienste angeht. Die „Sprache Kanaans“ nannte man es früher, wenn ein Theologe unverständlich und kompliziert redete. Die müssten wir aufbrechen in der Gemeinde. Andere Ausdrucksformen finden, die den Menschen Kirche wieder lieb und vertraut machen.
Es ist ein alter Traum von mir, regelmäßig mit einem Kirchenmobil, welcher Art auch immer, auf dem Markt unseres Städtchens aufzutauchen. Auf die Kerwe und den Weihnachtsmarkt mit eigenem Stand, das haben wir schon geschafft. Und sind dort gern gesehen. Aber der Wochenmarkt, das wäre nochmal etwas anderes. Aber: Mit „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“brauchen wir uns erst gar nicht dorthin zu stellen. Da werden wir gleich in die Ecke abgeschoben, die Rollen Stewart eingenommen hat: Die religiösen Spinner. Was soll das in unserer Welt?
Aber vielleicht wäre es an der Zeit, die Botschaft, die dahinter steckt, mal wieder spruchreif zu machen. Ob mit oder ohne Sprache. Hinauszugehen und von Gottes Liebe zu einer lieblosen Welt erzählen. Und vor allem so zu handeln. Sichtbar zu werden als Kirche, wenn zum Beispiel am nächsten Samstag die Earth Hour ist. Als Gemeinde klar zu machen: Die großen Themen unserer Gesellschaft, die interessieren nicht nur Gott. Sondern vor allem auch uns. Und wir lieben diese Welt, weil Gott sie liebt. Und wir setzen uns für sie ein, wie Jesus es sicher auch getan hätte. Der, der der keinen zurückließ und niemanden wegstieß. Der aber klar sagte, was zu sagen war. Und der den Finger in die Wunde des Wegschauens und des Duckmäuserns und der Scheinheiligkeit legte. Der ganz bestimmt nicht zugestimmt hätte, dass ein Christ und ein Pfarrer, eine Pfarrerin, nicht politisch zu sein haben. Man hat es im Vorfeld der Wahl oft genug gehört.
Nein. Der, den Gott geschickt hat, weil er die Welt liebt, der war klar und offen und mutig. Und wenn wir ihn anschauen. Und wenn wir uns ihn zum Vorbild nehmen, dann machen wir bestimmt nichts falsch. Dann schauen wir aber nicht passiv die Schlange an. Sondern dann setzen wir uns für das ein, was Jesus und mit Gott wichtig ist: Das Leben. Dieses Leben. Diese Welt.
Johannes wird es mir verzeihen: Da braucht es keine theologiephilosophischen Künsteleien. Da wird Johannes 3 zum Leben. Licht bringen wir in die Welt, keine fadenscheinigen Meinungen und Ansichten. Laut und fröhlich sind wir, nicht duckmäuserig und verkniffen. Klar, Johannes hat Recht: Wer das Böse, das lebensfeindliche und menschenfeindliche lebt, der richtet sich tatsächlich selbst. Denn er schließt sich aus aus dem, was Gott noch sinnvolles Leben nennt. Er zerstört seine eigene Lebensgrundlage. So wie wir es mit unserer Erde machen. Christlicher Glaube ist doch lebensnah und realistisch. Kein philosophisches Geschwätz für Minderheiten.
Also los. Johannes lesen. Aber ihn runterbrechen für unsere Lebenswirklichkeit. Endlich wieder die gute Nachricht leben und ausstrahlen. Vielleicht sind heute gerade die scheinbar verkürzten Instagram-Botschaften wichtig. Weil sie ihre Adressaten ernst nehmen.