Frömmigkeit und Gerechtigkeit
Es ist gut und richtig, wenn sich die Kirchen immer wieder auch in politische Diskussionen einmischen und sich nicht abseits halten, so wie es jahrhundertelange Praxis war
Predigttext: Jesaja 5, 1-7 (Übersetzung nach Martin Luther)
1 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.
2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!
4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.
6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.
Exegetische Hinweise zum Predigttext
Das „Weinberglied“ ist ein Bänkelsängerlied, das als Parabel Bilder aus der Erotik und aus dem Rechtswesen vermischt. Der Weinberg und die Trauben sind ein klassisches Bild für die Geliebte (Hld 7,8; 8,12).
Die guten Trauben sind veredelt, trotzdem haben die Rebstöcke nur unveredelten, wilden Wein hervorgebracht.
Für Vers 7 gibt es viele unterschiedliche Vorschläge, um das Wortspiel besser herauszuarbeiten. (Gerechtigkeit/ Schlechtigkeit // Bundestreu/ Hilfsgeschrei; Guttat/Bluttat // Rechtsspruch/ Rechtsbruch).
Die Gerichtsrede ist auch klassisch mit der Darstellung der eigenen Pflichterfüllung durch den Kläger, der mangelnden Pflichterfüllung durch den Beklagten und dem Aufruf zum Schiedspruch.
Dem Freund oder Geliebten fällt die Rolle des Brautwerbers oder in diesem Fall des Prozessvertreters zu. Jesaja spricht für Gott, als dessen Beauftragter.
Jesaja wirkte im 8. Jh. v. Chr., er kritisiert, was auch die Propheten vor ihm angeklagt haben: Unterdrückung der Armen, Rechtsbeugung und falsche politische Bündnisse.
Neu ist, dass für das Volk keine Hoffnung bleibt. Die Verse 5-7 kündigen eine vollkommene Zerstörung Israels an.
Nebenbei erfährt man viel über den Weinanbau im damaligen Israel, liebevoll wird in allen Einzelheiten geschildert, was alles getan werden muss, damit ein guter Wein entstehen kann.
„Da soll sich die Kirche doch heraushalten“, so hört man die Meinung vieler – auch nichtkirchlicher Menschen, wenn sich kirchliche Würdenträger oder der / die OrtspastorIn zu politischen Fragen geäußert haben, gleichgültig ob zur Ladenöffnung am Sonntag, der Wiedereinführung des Reformationsfestes oder der Ehe für alle. Das hat bei uns in Deutschland eine lange Tradition, schließlich bestimmten früher die Fürsten über den Glauben ihrer Landeskinder. Die Kirchen kümmerten sich um das Seelenheil, Gesetze und deren Durchsetzung wurden der Obrigkeit überlassen. Gerade in meiner lutherischen Landeskirche war es so, und dass im 3. Reich lange zu dem Unrecht geschwiegen wurde und sich mit dem aktiven Widerstand schwer getan wurde, lag auch an dieser Tradition und dieser Überzeugung.
Als ich dann in den 70ger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem Studium der Theologie begann, begegnete ich zum ersten mal, über Kindergottesdienstwissen hinaus, den Propheten des Alten Testaments, solchen Propheten, wie heute in unserem Predigttext, Jesaja zum Beispiel. Jesaja singt das Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. Ich stelle mir eine Marktszene vor, wie man sie aus historischen Filmen kennt, voll quirligen Lebens, Händlern, die ihre Ware anpreisen, Marktfrauen, oder vielleicht ein großes jüdisches Fest. Dazwischen steht Jesaja, nicht mit einem Leierkasten, aber doch mit einem lauten Saiteninstrument, und beginnt zu singen.
Jesaja findet sofort seine Zuhörer, denn sein Lied verspricht interessant zu werden. Weinberg und Weintrauben sind Bilder für die oder den Geliebte/n, so wie heute auch jeder sofort weiß, was gemeint ist, wenn jemand seine Rose besingt. Die ZuhörerInnen erwarteten ein Liebeslied, und zuerst scheint es ja auch eines zu sein. Der Prophet beschreibt, was sein Freund alles für seinen Weinberg tut: beste Lage, beste Erde, beste veredelte Pflanzen, umgraben, alle Steine entfernen. Die Zuhörer werden genickt haben: “Ja, so muss man umgehen mit der/mPartnerIn. Mehr kann man wirklich nicht tun”. Da stimmen ihm alle ZuhörerInnen zu und warten auf mehr.
Dann wird es spannend: Statt des erwarten Weines in Spitzenqualität tragen die Reben nur wilde Trauben. Der/ die Geliebte reagiert nicht so, wie es erwartet wird, wie es eigentlich auch Pflicht wäre, wenn man so umsorgt worden ist. Deshalb trifft Jesaja wohl auch auf allgemeine Zustimmung, als er beschreibt, dass sein Freund den Weinberg vollständig zerstören will. Hier wird deutlich, dass der Weinberg die Geliebte ist – eine Frau hätte damals nie die Möglichkeit gehabt, sich so an einem untreuen und rücksichtslosen Mann zu rächen. Er wird ihn komplett zerstören und sogar dafür sorgen, dass kein Regen mehr auf ihn fällt, so muß man mit liebevoll umsorgten Frauen umgehen, die sich nicht dankbar dafür zeigen, da sind sich alle Umstehenden einig.
Doch dann kommt der Schock: Jesaja singt gar nicht von einer untreuen Geliebten, sondern von denen, die um ihn herumstehen. Der Freund ist Gott, der Weinberg ist Israel, sein Volk, an dem sein Herz hing, das er liebte. Gott hat sein Volk liebevoll umsorgt, ihm Heimat, Leben, Gebote geschenkt und es immer wieder gesegnet. Doch das Volk hat nur schlechte und wilde Trauben geliefert. Das werden viele von denen, die bis dahin zugehört haben, anders gesehen haben. Denn es wurden ja Gottesdienste, Opfer, Feste zelebriert und gefeiert. Das religiöse Leben war aktiv, Priester sorgten für die korrekte Durchführung.
Gott aber will anderes, er will mehr: Gott wartete nicht auf viele Gottesdienst und Opfer, sondern auf Recht und Gerechtigkeit, aber er fand Beides nicht. Im hebräischen Urtext sind die Worte für das, worauf Gott wartete und das, was er bekam, ähnlich. Im Deutschen ist das schwer und nur sehr künstlich wirkend nachzuahmen. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit, so steht es in der Lutherbibel; er hoffte auf Guttat, und siehe da, Bluttat, auf Rechtsspruch und siehe da, Rechtsbruch, sagt die Zürcher.
Wenn man sonst bei Jesaja nachliest, was Gott meint, dann sind die Dinge erstaunlich modern: Kleine Leute wurden wirtschaftlich ausgebeutet. Sie fanden vor Gericht kein Gehör, auch heute gewinnt häufig, wer sich den besseren, teureren Anwalt leisten kann, auch wenn wir alle angeblich gleich sind. Kleine Schulden armer Menschen wurden brutal eingetrieben, reiche ließ man laufen. Gottesdienst alleine reicht Gott nicht, Gott will auch, dass Menschen gut und gleichberechtigt miteinander leben.
Deshalb ist es gut und richtig, wenn sich die Kirchen immer wieder auch in politische Diskussionen einmischen und sich nicht abseits halten, so wie wir es jahrhundertelang getan haben. Leider ist es nicht immer so eindeutig, was denn nun Recht und Gerechtigkeit ist, das muss immer wieder gesucht und erbetet werden. Ich kann als Christ auch in einem Unrechtsstaat Christ sein, das haben uns viele vorgemacht und machen uns heute in vielen Ländern andere Christen vor.
Aber Gott möchte nicht nur Frömmigkeit, sondern auch Gerechtigkeit. Gott will nicht, dass Menschen unter anderen Menschen leiden, Arme und Rechtlose von den anderen übervorteilt und ausgebeutet werden. Auch bei uns in Deutschland gibt es dafür noch Beispiele genug. Deshalb gut, wenn wir als Christen immer wieder darauf hinweisen, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, dass wir alle Seine geliebten Kinder sind. Es ist gut, wenn jede/r von uns versucht, das zu leben, in unserem Lebensumfeld und in unserem Land.
Die Predigt von Pastorin Naß ist gut und spannend aufgebaut. Sie beginnt mit der immer wieder wichtigen Frage: soll sich die Kirche politisch einmischen ? Der Prophet Jesaja hat sich nach dem Predigttext ganz entschieden und geschickt eingesetzt. Er beginnt seine öffentliche Rede mit einem Bänkellied vom Weinberg.Das ist damals wie die rote Rose ein Bild für eine Liebesbeziehung. Der Liebhaber aber wird trotz aller Mühe enttäuscht. Nur eine Mißernte gibt es. Es folgt die Vergeltung. Dann aber kommen die Schocks des Sängers: Die Zuhörer sind selbst die Ungetreuen. Ja, es folgt zweitens: Die Israeliten feierten damals Prunkgottesdienste, aber vergaßen die soziale Gerechtigkeit. Gemeint ist von Jesaja sogar damals das Volk Israel, dem die Strafe der Verbannung droht. Nach dieser mitreissenden Erzählpredigt kommt die Pastorin zum Schluss: Die Verhältnisse heute sind ähnlich. Es gibt auch heute viele “kleine” Leute, welche ungerecht ausgebeutet werden. Die Pastorin kommt zu der überzeugenden Konsequenz, nach dem die Kirche sich politisch engagieren muss, die Armen schützen und der Gerechtigkeit nachstreben muss. – Prof Schulz von Thun als bedeutendster Kommunikations-Psychologe hat wissenschaftlich herausgearbeitet, dass verständliche Texte vier Bedingungen erfüllen müssen: gut aufgebaut (s.o.) einfache, vertändliche Worte,zusätzliche leichte Prägnanz ( z.B. mehr Freisprüche durch Elite-Rechtsanwälte.) Alle vier Punkte erfüllt diese verständliche Predigt erfreulich.