Fünf Gerstenbrote und zwei Fische

Wer teilt, hat Anteil an dem, der das Brot vermehrt

Predigttext: Johannes 6,1-15
Kirche / Ort: 21640 Bliedersdorf
Datum: 19.07.2015
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Manuela Handelsmann

Predigttext: Johannes 6,1-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Danach fuhr Jesus über den See von Galiläa, der auch See von Tiberias heißt.
2 Eine große Menge Menschen folgten ihm, weil sie seine Wunder an den Kranken gesehen hatten. 3 Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich mit seinen Jüngern.
4 Es war kurz vor dem jüdischen Passafest. 5 Jesus blickte auf und sah die Menschenmenge auf sich zukommen. Er wandte sich an Philippus: »Wo können wir Brot kaufen, damit alle diese Leute zu essen bekommen?« 6 Das sagte er, um Philippus auf die Probe zu stellen; er selbst wusste schon, was er tun würde.
7 Philippus antwortete: »Zweihundert Silberstücke wären nicht genug, um so viel zu kaufen, dass jeder auch nur einen Brocken abbekommt.«
8 Andreas, ein anderer Jünger, der Bruder von Simon Petrus, sagte:
9 »Hier ist ein Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das schon bei so einer Menschenmenge?«
10»Sorgt dafür, dass die Leute sich setzen«, sagte Jesus. Es gab viel Gras an dem Ort. Sie setzten sich; ungefähr fünftausend Männer waren da. 11 Jesus nahm die Brote, sprach darüber das Dankgebet und verteilte sie an die Menge. Mit den Fischen tat er dasselbe, und alle hatten reichlich zu essen. 12 Als sie satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: »Sammelt die Brotreste auf, damit nichts verdirbt.«
13 Sie taten es und füllten zwölf Körbe mit den Resten. So viel war von den fünf Gerstenbroten übrig geblieben. 14 Als die Leute das Wunder sahen, das Jesus vollbracht hatte, sagten sie: »Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!«
15 Jesus merkte, dass sie drauf und dran waren, ihn mit Gewalt zu ihrem König zu machen. Deshalb zog er sich wieder auf den Berg zurück, ganz für sich allein.

Exegetische Überlegungen

Was ist das Wunder? Und wozu wird es erzählt? das sind wohl die entscheidenden Fragen, um vom Text zur Predigt zu kommen. Mehrere Antworten bieten sich an: 1. Die sozialethische Antwort: Als Jesus das Brot teilte, teilten auch die Menschen die Wegzehrung, die sie in der Tasche hatten. Dieser Antwort folgend müsste die Predigt zum Teilen auffordern. 2. die symbolische Antwort: Jesus stillt im Abendmahl den Hunger nach der Nähe Gottes. 3. Die hoffnungsvolle/eschatologische Antwort: Eines Tages werden alle satt und alle Menschen werden zu ihrem Recht kommen.
Ich kann gut den Auslegern folgen, die den Zentralpunkt des Wunders auf das Staunen legen. Jesus gibt mehr als genug (zwölf Körbe bleiben übrig). Dennoch möchte ich die verschiedenen Ansatzmöglichkeiten nicht gegeneinander ausspielen, sondern den Hörern als verschiedenen Deutungsmöglichkeiten anbieten.

Homiletische Situation

In den letzten Wochen beherrschte das Thema Griechenland und die Beratungen in der EU über Finanzhilfen die Schlagzeilen. In der Predigt sind große Weltprobleme wie dieses immer leicht zu lösen, auch weil die Predigerin höchstens halbinformiert ist. Ich werde mir verkneifen den moralischen Zeigefinger zu heben. Trotzdem möchte ich das Thema ansprechen. Genauso wie das Thema Flüchtlinge. Beide Male geht es ja auch um teilen und austeilen.

Der Gottesdienst ist der letzte vor den Ferien (Niedersachsen). Traditionell wird dieser Gottesdienst in einem Ortsteil meiner Gemeinde in einem kleinen Waldstück gefeiert. Kinder und Konfirmanden sind dabei. Zwei Trauerfamilien werden anwesend sein. Anschließend wird gemeinsam gegessen. Also kein Platz für viel Theorie. Sonst lauschen die Gottesdienstbesucher eher dem Vogelgezwitscher als der Predigt.
Ich entscheide mich für eine Erzählpredigt mit zwei Ebenen. Aus der Perspektive des Kindes, das fünf Brote und zwei Fische besitzt, erzähle ich die Geschichte der Bibel neu. Die gleiche Person lasse ich Jahre später über das Geschehene reflektieren. So kann ich die aktuellen Bezüge einflechten. Die Unterschiede zwischen den beiden Zeitebenen werden zwischendrin bewusst miteinander vermischt. So soll die alte Jesusgeschichte ins Heute geholt werden. Der Predigttext wird schon als Evangeliumslesung zu hören sein.

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ODer uralte Mann hält einen Stock in der Hand. Er stützt sich bei jedem Schritt, doch er geht stetig bergan. Fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat der Uralte im Beutel, genau wie damals. Er hat keinen Hunger. Er hat sie einfach so mitgekommen, fünf kleine Gerstenbrote und zwei getrocknete Fische. Dieses Mal ist er allein. Es ist still.
Damals waren so viele unterwegs. Sein Freund Boas hatte ihm zu gerufen: „Komm mit! Jesus ist da! Er geht auf den Hügel!“ Boas winkte ihn heran. „Und was hab ich von Jesus zu erwarten?“ betont langsam schlenderte er auf Boas zu. „Jesus kommt aus Jerusalem. Er hat einen Lahmen geheilt am Teich Bethesda. Vielleicht tut er ein neues Wunder!“ „Mensch Boas, welches Wunder soll Jesus für dich wirken? Dass du im Lotto gewinnst? Chance 1:1 Million 573 Tausend! Oder willst du so schlau werden, dass du alles kannst? Oder willst du, dass deine Schwester endlich mal die Klappe hält? Das wäre ein Wunder!“ Boas lachte: „Ist doch egal! Ist endlich mal was los hier.“ Boas knuffte ihn in die Seite und er … ließ sich mitschleppen. Vielleicht tut Jesus ein Wunder!?

„Was ist ein Wunder? Wenn einer wieder gesund wird? Oder wenn einer in Frieden stirbt? Was ist ein Wunder? Wenn das Recht funktioniert? Den kleinen Leute der Acker nicht abgeluchst wird, von einem der groß bauen will. Ein Wunder wäre, wenn sich die Russen und die Ukrainer wieder vertragen, – wenn kein Mensch mehr auf der Flucht wäre, wenn jeder Arbeit hat und jeder zu essen, wenn die Griechen ihre Steuern zahlen und die EU sich einig ist, alle Schulden zu erlassen, ein Wunder wäre…“ Der alte Mann schließt die Augen. Er denkt an damals. Als er neben Boas den Hügel hinauf gestürmt war, um ein Wunder von Jesu zu sehen. Ein durchtrainierter Mann war neben ihm aufgetaucht. Sein Magen knurrte. Er lachte ihn an. „Ist nur ein bisschen Luft im Bauch. Ich fresse dich schon nicht.“ „Willst du was essen? Ich habe fünf Gerstenbrote und zwei Fische, also wenn du was brauchst…“ „Danke, das ist lieb von dir, aber im Moment möchte ich nichts. Schlepp dein Zeug lieber selbst bergauf.“ Mit seinen langen Beinen überholte ihn der Mann. Boas zupfte ihn am Ärmel: „Was wollte Andreas von dir?“ „Andreas?“ „Du hast dich doch eben mit dem Langen da vorn unterhalten. Das ist Andreas. Ein Jünger Jesu. Der war früher Fischer, unten in Kapernaum.“

„Ein Jünger? Die hatte ich mir aber anders vorgestellt.“ Boas lachte. Er hielt an und drehte sich um: „Guck mal wieviel Leute hinter uns sind! Ist ja Wahnsinn!“ „Wie du schon gesagt hast: Endlich mal was los hier!“ Die beiden Freunde trabten zügig den Hügel hinauf. Immer den Steinen ausweichend, barfuß durchs Gras. „Bitte setzt euch. Ruht euch aus.“ Es war wohl auch einer der Jünger, der sie freundlich ansprach. Wie durch eine Kettenreaktion setzen sich alle. Und es geschah erst einmal – nichts. Etwas weiter oben wurde geredet. Er tippte Boas auf die Schulter: „Welcher ist Jesus?“ „Keine Ahnung, wer Jesus ist. Ich bin ihm doch auch noch nie begegnet.“ Typisch Boas, macht einen riesen Wirbel, weiß aber nichts. Boas erklärte: „Wir werden schon gleich sehen, wer Jesus ist.“ Stattdessen kam Andreas auf sie zu. „Da bist ja. Ich dachte schon ich finde dich nicht mehr zwischen all den Leuten. Gilt es noch, dass du mir von deinem Brot gibst?“ Er nickte und öffnete den Beutel. Andreas war verlegen: „Gibst du mir auch alles?“ Er zögerte. „Ich soll Jesus alles geben? Boas lacht mich aus, weil ich mich immer rumkriegen lasse. Mutter wird mit mir schimpfen, wenn ich nichts zu essen mitbringe.“ Er sah in seinen Beutel: „Ist das gut genug für Jesus? Ich hab nicht viel zu bieten. Nur Gerstenbrot, das Brot der armen Leute. Nur fünf kleine Gerstenbrote und zwei Fische. Die futtert der lange Andreas alleine und was ist mit den anderen?“ Er zog die Bänder des Beutels wieder zu und übergab ihn Andreas. Der nahm ihn ohne ein Wort, verbeugte sich und ging.

Nach all den Jahren erinnert er sich genau, was ihm damals durch den Kopf ging. Er schaut hinaus auf den tief unten liegenden See. Es ist ihm als lächele Andreas ihn wieder an. „Gibst du mir auch alles?“ Er nickt und lächelt. „Wie könnte ich es je bereuen. Es war gut, es war richtig: Jesus alles zu geben!“ Er sitzt in der Sonne und doch läuft ein Schauer durch seinen Körper und die Härchen auf den Unterarmen sträuben sich. Jesus nahm die Brote, sprach das Dankgebet und verteilte sie an die Menge. Mit den Fischen tat er dasselbe und alle wurden satt. Das Dankgebet. Wie verrückt war es ihm damals vorgekommen, angesichts einer Menschenmasse für so wenig zu danken! Wie irrsinnig, den Versuch zu wagen, mit fünf Gerstenbroten tausende satt zu bekommen! Aber sie waren satt geworden. Natürlich hatte Boas hinterher gesagt: „Hast du nicht gesehen? Jeder hatte ein Stück Brot in der Tasche. Alle haben es heimlich, still und leise rausgezogen und es durchgebrochen. Wenn jeder teilt, dann werden eben alle satt. Das ist doch kein Wunder. Sieh dir das an. Die Jünger sammeln die Reste. Jeder trägt einen Korb. Das geht nur, weil alle etwas mit hatten und geteilt haben.“

„Boas wollte ein Wunder damals, aber er hat keins gesehen. Ich bin satt geworden. Ich habe Gott gespürt in diesem Mann, in seinem Dankgebet.“ Seine Härchen richten sich wieder auf. Wieder einmal spürt er die Nähe. „Gott ist in mir. Gott ist neben mir. Gott ist… Nein, keine Worte.“ Er versucht alle Worte aus seinem Kopf zu vertreiben. Er legt sich auf den Rücken und schaut in den Himmel, wolkenlos. „Fünf Brote und zwei Fische für 5000 Leute. Ich habe nie verstanden wie Jesus das gemacht hat. Es ist mir auch egal. Staunen und bewundern. Und ich glaube heute noch nicht, dass Boas Recht hat und die Leute geteilt haben. Heute geht es allen viel besser und sie teilen immer noch nicht. Ganz im Gegenteil. Sie sagen: Unser Land kann keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Es zerreißt unser Gemeinwesen. Einige zünden die Häuser an, in denen Flüchtlinge wohnen sollen. Die Worte Fachkräftemangel und demographischen Wandel kennen die Meisten. Aber, das dunkelhäutige Menschen Fachkräfte sind, leuchtet nicht jedem ein. „Wir sind kein Einwanderungsland“ sagen sie. „Wir haben keine Einwanderungsgesetze.“ So sollte es heißen. Vielleicht gehören einige Flüchtlinge wirklich zum Islamischen Staat. Die hätte ich auch nicht gern als Nachbarn. Ich möchte allerdings auch keinem Menschen, der unter Todesangst über das Mittelmeer gekommen ist, oder einem der aus Syrien aus einem zerbombten Haus geflohen ist, sagen: „Geh du mal wieder schön in deine Heimat.“ In der Heimat helfen wäre gut. Man müsste sprechen mit den Regierungen in Syrien und Libyen und im Sudan. Wenn nur klar wäre, wer regiert! Ja, klar wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, nicht alle Menschen aus Afrika und Bosnien können kommen. Wir sind nicht das Heil der Welt.“

Wohin ist der Alte mit seinen Gedanken gekommen?! Und wollte doch nicht denken. Vielleicht hat Boas doch recht: Das Wunder ist, wenn einer die Tasche auf macht und sein Brot teilt. Und wer teilt, hat Anteil an dem, der das Brot vermehrt.“ Der wolkenlose Himmel. Blau. Der gleiche Himmel überall, in jedem Land. Die gleiche Sonne. Die Erde nur ein winziger Stern im Universum. Nur eine Erde für alle. Der uralte Mann schaut das Blau. Träumt vom Himmel: „Er hat fünf Brote und zwei Fische genommen und das Dankgebet gesprochen. Er hat ausgeteilt. Und ich bin satt geworden. Satt geworden für ein ganzes Leben. Kein Hunger mehr nach Blut und Rache. Kein Neid, der von innen frisst. Die Sehnsucht nach Heil, nach Vollkommenheit: durch ein Stück Brot, durch den Einen Sohn Gottes gestillt für immer. Das ganze Leben ein Dankgebet.“

Immer noch liegt der Uralte dort und seine Gedanken segeln auf den Flügeln des Windes: „Wer Jesus Christus nicht gekostet hat, hungert noch heute. Es wird so viel gehungert: Die Armen hungern nach Brot. Die Reichen hungern nach Sinn. Die Unterdrückten hungern nach Freiheit. Alle hungern nach Liebe und Anerkennung.“ Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ein alter Mann versucht sich mit Weisheiten.“ schimpft er sich selbst. Er steht auf. Beutel und Stock bleiben im Gras liegen. Er hebt seine Hände zum Himmel. Noch einmal erinnert er sich an das Wunder von damals und dankt und staunt. Er steht fest im Heute und dankt und staunt. Er macht die Hoffnung in sich groß, dass er in Ewigkeit danken und staunen wird über die Wunder aus der Hand des Heilandes Jesus Christus.

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Ein Kommentar zu “Fünf Gerstenbrote und zwei Fische

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Ganz großartig und originell verbindet Pastorin Handelsmann eine Erzählpredigt über den Text mit den ausgedachten Betrachtungen des Jungen, der damals die fünf Brote und fünf Fische zu Jesus mitgebracht hatte, hier Boas genannt. Sehr farbig und lebendig erzählt die Pastorin die Wundergeschichte und kann immer wieder stimmig Gedanken und Reflexionen über das Wunder und die heutige Anwendung einbauen. Sie fragt, was ein Wunder sei, damals und heute. Am Schluss spricht sie darüber, dass wir als Christen heute auch mit den notleidenden Flüchtingen teilen sollen. Der Junge Boas hat damals bei Jesu Wunder Gott gespürt, er erinnert sich als alter Mann. Das ist der Höhepunkt und Schluss der mitreißenden und reflektierenden Erzähl-Predigt.

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