Heute ist Volkstrauertag. Ein Tag an dem wir mittlerweile der Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen gedenken. Der Tag wurde 1952 eingeführt. Doch die Idee ist älter. Nach dem 1. Weltkrieg schlug der ‚Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge’ den Tag als Erinnerung an die Toten dieses Krieges vor. Durch den 2.Weltkrieg kamen noch mehr Tote hinzu samt den zahllosen Opfern derNationalsozialisten. Seitdem gab es weitere Kriege: den Kalten Krieg mit seinen Opfern. Kriege in Vietnam, Biafra… überhaupt in Afrika, in Asien, fast überall auf der Erde. Bis in die Gegenwart. Der Konflikt in der Ukraine. Die brutale Verfolgung und Tötung von Menschen im Irak, in Syrien, in Nigeria… Irgendwie hilflos fragt man sich: Muss das so sein? Müssen Menschen durch Gewalttat, zugefügt von anderen Menschen, sterben? Müssen wir immerzu um Menschen bangen und später unter Umständen trauern? Geht denn das immer so weiter? Ja, ich sehne mich nach Frieden und hoffe darauf, dass sich was ändert. Was hilft einem dabei, die Hoffnung und den Mut nicht zu verlieren? Als Christ ziehe ich die Bibel zu Rate und erhoffe mir von ihr, wenn nicht eine Antwort, so doch Stärkung für die unruhige Seele, die die Hoffnung nährt und Perspektive gibt. Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag. Es sind Worte des Apostel Paulus, die sich vielleicht nicht auf den ersten Blick für den Volkstrauertag eignen:
(Lesung des Predigtextes)
Paulus erinnert die Korinther an die Zukunft. Er blickt nicht zurück, sondern schaut nach vorne. Er erinnert uns, die wir an die Vergangenheit denken und in der Gegenwart leben, an die Zukunft, an das, was uns verheißen ist. Der Blick in Vergangenheit und Gegenwart kann müde machen, traurig depressiv, hoffnungslos. Der Blick in die Zukunft, an die uns Paulus erinnert, stärkt – inmitten einer Welt, die so ist, wie sie halt ist. Dabei geht es um Leben und Tod. Paulus spricht davon in Bildern. Er vergleicht unser menschliches Leben mit einer Hütte. Sie ist nicht stabil, nicht für die Ewigkeit. Sie ist anfällig, ein kräftiger Sturm, und sie bricht zusammen. Sie wird abgerissen. Dem Tod können wir nicht entgehen. Allerdings denke ich: Sind diese Worte von Paulus nicht zynisch gegenüber Menschen, deren Behausung durch Bomben zerstört wurde, gegenüber Menschen, deren Lebenshütte durch Kugeln abgerissen wurde, die dadurch ihren Lieben entrissen wurden? Aber vermutlich meint Paulus hier nicht in erster Linie den Tod, den Menschen einander brutal und gewalttätig zufügen. Sondern den, der mein Leben ohne menschliches Zutun beendet. Am Ende meines Lebens, wie lange es auch immer währen mag, steht der Tod. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen”, leider durch viele Möglichkeiten.
„Darum seufzen wir”, sagt Paulus zutreffend. Und nicht nur wir, wie Paulus an die Römer schreibt, sondern die ganze Schöpfung ängstigt sich und seufzt. Wir Menschen und die Mitwelt leiden und seufzen. Paulus lenkt nicht ab, er vertröstet nicht auf eine bessere Welt im Jenseits. Er weiß darum, wie die Kinder Gottes, wie die Menschen leiden. Er weiß um die harten Nöte der Menschen: Krieg, Gewalt, Verfolgung, Misshandlung, Folter, Vergewaltigung, Unterdrückung, Ausbeutung. Damals wie heute. Er weiß auch darum, wie die Mitwelt leidet: Der laute Schrei des Schweines im Schlachthof, der stumme Schrei des halbtoten Fisches, der als Beifang ins Meer zurückgeworfen wird, der Schmerz des Urwaldriesen, der für eine Palmölplantage oder Rinderweide gefällt wird…. Die Opfer der kalten Wirtschaftskriege. Aber ich lese bei Paulus noch andere Worte. „Wir haben einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.“ Das ist uns verheißen, dort ist unsere Bleibe und darum gehen wir nicht im Nichts verloren. Darauf können wir vertrauen und an diese Zukunft glauben, die uns bleibt, von der her wir leben: Dass wir, und auch unsere Toten, die wir beklagen, nicht vergessen, sondern bei Gott, in diesem festen Haus gehalten sind.
Es ist eine Frage des Glaubens – wir leben im Glauben und nicht im Schauen, sagt Paulus. Mit was für einer Zukunft rechnest du? Was erwartest du? Wird fortgeschrieben, was heute ist und gestern war? Oder ist unsere Zukunft die Verbesserung davon, dadurch, dass wir unser Leben verstehen und wahrnehmen in der Gegenwart Gottes, der uns seinen Geist als Pfand gegeben hat? Dass wir aus seinem Geist heraus Leben gestalten. Die Gegenwart einfach fortzuschreiben führt nicht aus mancher Trostlosigkeit heraus. Die Zukunft erschließt sich dem, der Gottes Verheißung traut. Auf menschliches Leid eingehen, gerade an solchen Gedenktagen, und Menschen in ihrem Leid trösten zu können und auch selbst getröstet zu werden, hängt mit meinem Glauben zusammen, dass diese Zeit und ihr Verhängnis begrenzt sind, und dass sie abgelöst werden durch eine neue Wirklichkeit, die mir eben im Glauben gegenwärtig ist. Paulus nennt das „das Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.“ Eine neue Wirklichkeit, die hier schon wirken will und kann. Diese Bleibe oder Heimat ist verbunden mit dem Namen Jesu Christi, sichtbar gemacht in dieser Welt durch sein Kreuz und mir im Glauben bereits gegenwärtig. Ja, ich vertraue darauf, dass es außer dieser Erfahrung von Leid, Schmerz und Tod eine andere Wirklichkeit gibt, die uns aufnimmt, in der wir geborgen und aufgehoben sind. Wo wir erkennen, was vorläufig ist und was Bestand hat, und wir warten auf das Beständige. Das ist es: Hoffnung, die aus diesem Vertrauen und Glauben lebt, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, und dann daran teilhat an der Kraft, die daraus erwächst.
Nicht der Tod, sondern das Leben ist das Ziel der Wege Gottes, nicht Verfall, nicht Unterwerfung unter die Eigengesetzlichkeit dieser Welt und ihre Zwänge. Dieser Glaube verändert die Blickrichtung, die Perspektive: Er sieht das Leben unter Gottes Verheißung, verbunden mit Gottes Ja: Ich will dich in Ewigkeit. Ich habe eine feste Bleibe für dich. Was für eine Aussicht für die Mühseligen und Beladenen: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten (Psalm 126, 5). Paulus stärkt mich weiter: Was ich hier gegenwärtig erleide, was ich hier gegenwärtig tue und lasse, wie ich lebe, ist Gott nicht egal: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.“ Das lädt ein sich zu fragen: Wie lebe ich hier in der Fremde, im Unterwegssein? Baue ich auf oder ab? Bereite ich anderen die Hölle oder lindere ihre Lebenslasten? Paulus spornt an in dieser Welt nicht aufzugeben, sondern „Gott wohlgefallen“ zu wollen. „Christen sind Protestleute gegen den Tod“, wie Blumhardt sagt – vor allem gegen den Tod, der durch Menschen verursacht und gewollt ist. Wir sind darum „Befreit zum Widerstehen“, wie das Motto der diesjährigen Friedensdekade lautet. Wir können dies und Gottes Verheißung in die Welt hineintragen.
Nichts ist so heilsam und zukunftsträchtig wie die Hoffnung, die in mir lebendig ist. Leben aus der Hoffnung heraus, die sich nicht in innerweltlichen Prognosen erschöpft, sondern die uns zuwächst aus unserem Glauben an Kreuz und Auferstehung Jesu – eine Hoffnung, die aus einem Vertrauen kommt, das seinen Grund hat in dem Willen Gottes zum Leben: der Christus vom Tode erweckt und der uns in ihm das Leben versprochen hat. Dass wir nicht verzweifeln an dieser Welt und ihrer Unfähigkeit, ihre Probleme zu lösen. Sondern dass wir festhalten an der Verheißung der ewigen Bleibe, des festen Hauses. Unser Leben steht unter Gottes Verheißung. Wir sind nicht ausgeliefert an die Geschehnisse der Welt allein. Wir haben eine Verheißung, einen Lebenshorizont, dessen Linie Gott gezogen hat. Ein Hoffnungsschimmer, vielleicht ein Anfang nur, aber er stärkt – Lasst uns von dieser Zukunft her leben. Dietrich Bonhoeffer drückt Paulus auf seine Weise aus, wenn er schreibt: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hoch zu halten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt…. Mag sein, dass morgen der Jüngste Tag anbricht, dann wollen wir gerne die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“