Geburt der Hoffnung
Immanuel - Gott mit uns
Predigttext: Jesaja 7,10-14 (Übersetzung ach Martin Luther, Revision 2017)
10 Und Jesaja redete abermals zu Ahas und sprach:
11 Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe!
12 Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche.
13 Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen?
14 Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Exegetische Bemerkungen zum Predigttext
Ich gehe von einem authentischen Jesaja aus (Jesaja [auth.]), der in Kap. 6 zum Unheilspropheten berufen wird. Seine Botschaft ist das Zu-Spät (6,9f). Es gibt keine Aussicht auf eine Wende zum Besseren mehr (z.B. 8,5-8.11-15). Der Herr ist es leid (7,13). Er gibt Jerusalem preis (Kap. 3).
Schon der engste Schülerkreis Jesajas kann sich mit diesem einseitigen Gottesbild nicht anfreunden (8,16-18). Allem Unheil zum Trotz, die Hoffnung auf den Herrn darf nicht sterben(8,17). Die Folgen der gottgewollten Verstockung Israels (6,9f → 8,11-15) werden eingeklammert durch Hoffnung auf „Immanuel“ (8,9-10.16-18). Hinzu kommen später Gegentexte gegen den unerbittlich zürnenden Gott, z.B. das Danklied der Erlösten (Kap. 12), so dass das ambigue Gottesbild mit einem Mehr an Gnade (vgl. Ex 34,6f) wiederhergestellt ist. Dass Jesaja (auth.) mit seiner Verabsolutierung des Deus absconditus so nicht stehenbleiben konnte, macht die Hinzufügung von Deutero- und Tritojesaja deutlich, wobei sich tritojesajanische Einflüsse des Deus exspectatus in den großen Weissagungen Protojesajasbemerkbar machen (Jes 4,2-6; 2,1-5; 9,1-6; 11,1-9).
Ich stütze mich auf die Kommentare zu Jesaja von W.A.M. Beuken und U. Berges (HThKAT), nehme aber auch den Einwand ernst, dass ein Prophet, der lediglich eine Verstockungstheologie ohne eine Funken Hoffnung kultiviert, nichts mehr zu sagen hat und sich erübrigt. Dann aber wird man mit Zuschreibungen von Heilsworten an Jesaja (auth.) sehr vorsichtig sein müssen. – Zum Ganzen vgl. auch G. Kittel, Der Name über alle Namen I, Göttingen 1989, S. 138-147 und G. Scholz, Von Gewalt zur Gewaltüberwindung in der Bibel, Göttingen 2021, S. 285-323.
Zum Predigttext: V. 10 ist m.E. „der Herr“ durch „Jesaja“ zu ersetzen (s. BH). V. 11: Die Bitte um ein Zeichen ist nicht illegitim, Gott auf die Probe stellen allerdings (Ex 17,1-7; Dtn 6,16). Da Jesaja von Ahab nichts Unrechtes verlangt, ist Ahas‘ Reaktion nicht als religiöse Scheu zu deuten, sondern als Heuchelei. V. 14: Hier übersetze ich „junge Frau“, im Zitat Mt 1,23 hingegen ist „Jungfrau“ gemeint.
Jes 7,14f könnte einmal eine isolierte Heilsweissagung gewesen sein (vgl. die positiven Konnotationen zu „Immanuel“ in 8,8.10). Jesaja hat sie in seine Theologie des Zu-Spät integriert. Dadurch verliert sie freilich die soteriologische Bedeutung, und „Immanuel“ wird zum Symbol des Gerichts (vgl. die Tendenz der Vv. 15-25).
Homiletische Bemerkungen
Eine Theologie bzw. Ideologie des Zu-Spät hilft niemandem. Darum wohl hat die Liturgische Konferenz der EKD die Perikope auf diese fünf Verse begrenzt. Mit V. 14 endet sie offen, intratextuell auf Jes 9,5f, innerbiblisch auf das Heil der Welt Mt 1,23 verweisend. Nur in diesem großen Bogen ist sie zu Weihnachten auch verkündbar. Dennoch muss das, was auf uns lastet, was verkehrt läuft, was unbedingt angegangen werden muss, nicht verschwiegen werden. Jesaja verschweigt es auch nicht. Leider ist Jesaja (auth.) dabei m.E. ohne Hoffnung. Gott sei Dank wurde er von seinen Schülern bald korrigiert.
Hier muss der Hoffnungsbegriff reflektiert werden. Er ist nicht einseitig psychologisch als Überlebensstrategie zu erklären, sondern er ist ein Sich-Festmachen im Unverfügbaren in der Gewissheit, dass der Unverfügbare über Mittel und Wege zur Rettung verfügt („Jahwe wird retten“).
Das ist nun schon das zweite Weihnachtsfest, das wir in aller Stille, in aller Vorsicht, mit dem gebotenen Abstand begehen müssen, und doch gab und gibt es Hoffnung. Im Sommer gab es Hoffnung auf einen entspannten Winter, doch alles ist anders gekommen. Nun hoffen wir auf das Frühjahr, auf Ostern, auf das Ende von Angst und schrecklichen Bildern. Die Hoffnung ist nicht totzukriegen.
Was ist Hoffnung?
Was hat es auf sich mit dieser Hoffnung? Menschliche Überlebensstrategie oder ist sie wie der Meeresgrund, ein verlässliches Fundament außerhalb von mir, wo ich Anker werfen, mich festmachen kann? Ist sie so etwas wie Gewissheit, die ich nicht in der Hand habe, unverfügbare Gewissheit? So wie sie in dem Wort zum Ausdruck kommt, das vielleicht wieder über der Tür eines Hauses steht: „Gott schütze uns vor Wasser, Feuer, Sturm und bösen Viren“. In der Bitte steckt die Gewissheit, dass er es tun wird, weil wir es nicht in der Hand haben.
Die Bibel ist kein Lehrbuch für Überlebensstrategien, sondern sie will uns den Grund all unserer Hoffnung offenbaren und uns zum Hoffen ermutigen: „Du darfst hoffen, weil einer mit dir ist, der Herr ist über alles Schreckliche und Bedrohliche.“ Diese Gewissheit haben schon die Gläubigen und Frommen in sich getragen, die vor ca. 3000 Jahren in Israel lebten. Und sie haben diese Gewissheit in einen schönen, poetisch klingenden Satz gefasst: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“
Schwanger sein – das Leben geht weiter; ein Kind kommt zur Welt – alle Hoffnung liegt auf seiner Zukunft; Immanuel – das heißt: Gott ist bei uns. Das Leben geht weiter, in eine hoffnungsvolle Zukunft hinein, trotz allem; denn Gott ist bei uns. „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“
Das gilt auch und gerade in den dunkelsten Stunden. Der Prophet Jesaja führt uns in eine solche dunkle Stunde für Israel. Krieg überzieht das Land. Eine menschengemachte Epidemie verwirrter Gehirne, die Zerstörung, Tod und Elend bringt, nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zeit unmittelbar danach. Aus dem Norden rücken assyrische Truppen heran, um ganz Israel zu unterwerfen. Heute nennt man sie die Iraker.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie bringt auffallend ähnliche Mutationen hervor. Dem Ansturm der Assyrer stellen sich Syrien und Nordisrael – damals bekannt unter dem Namen Ephraim – entgegen. Es ärgert sie, dass Ahas, der König von Südisrael – damals bekannt unter dem Namen Juda mit der Hauptstadt Jerusalem – in der Koalition der Willigen gegen Assyrien nicht mitmacht. Daher entschließen sie sich zum Bruderkrieg gegen Juda, um Jerusalem gewaltsam auf ihre Seite zu ziehen und so gestärkt (?) den Assyrern Widerstand zu leisten.
Was für ein Blutvergießen, was für eine Verwüstung wird das werden! Ahas in Jerusalem will den Angriff der Brüder aus Ephraim abwehren und dazu – ausgerechnet die Assyrer zu Hilfe holen. Dem stellt sich der Prophet Jesaja verzweifelt entgegen und mahnt: „Lass ab von solch einem Abenteuer, vertrau vielmehr dem Herrn; denn der Plan Ephraims und Syriens, dich abzusetzen, wird scheitern. Aber du glaubst das ja nicht und vertraust auf eigenes Kalkül statt auf Gott. Darum wirst du nicht bleiben.“ Jesaja ahnt voraus, was am Ende sein wird. Ahaswird ein Vasall des Assyrerkönigs und wird als Zeichen der Unterwerfung dessen religiöse Sitten und Gebräuche übernehmen. Zuvor aber versucht Jesaja noch einmal, auf den König Ahas einzureden.
(Lesung des Predigttexes Jesaja 7,10-14)
Ein äußerst spannungsgeladener Dialog. Ich will ihn noch einmal mit meinen Worten nachzeichnen: Jesaja versucht es ein letztes Mal: „Wenn du, König Ahas, schon nicht Gott blind vertraust, dann lass dir doch von ihm ein Zeichen geben, ein Blitz von oben oder ein Beben von unten, damit du weißt, er ist an deiner Seite.“
Scheinheilig antwortet Ahas: „Das will ich nicht. Ich will ja Gott nicht herausfordern. So etwas tut man nicht.“ In Wahrheit will er nur seine Politik der Stärke zusammen mit den Assyrern gegen die syrisch-ephraimitische Allianz durchsetzen. – Jetzt hat es Jesaja satt! Und er macht deutlich: Ich habe keine Lust mehr, und auch Gott ist eures Geschwätzes müde. Aber ein Zeichen setzt er noch, das Zeichen des Immanuel!“
Immanuel, das ist ein Name. Der Name eines verheißenen Kindes, der Name einer versprochenen Zukunft. Darin aber ist er auch ein Zeichen. Nicht ein Zeichen, das man hier, da oder dort sieht, sondern ein Zeichen, auf das man hören soll: Immanuel – Gott ist mit uns. Ein Zeichen auch in der dunkelsten Stunde – Gott ist mit uns. Jesaja ist ein Prophet der dunkelsten Stunden,
Jesaja ist ein Prophet des Untergangs. Auch Immanuel wird in diesen Untergang hineingerissen. Immanuel wird durch die Hölle gehen und überflutet werden vom Strom der Assyrer (8,8). Ist Gott wirklich noch mit uns in den dunkelsten Stunden? Ja er ist! „Hier ist Immanuel“ – mitten in einer aus den Fugen geratenen Welt. „Hier ist Immanuel“ – wie ein Fels in der Brandung. Hier ist „Gott mit uns“. Das sagt der Prophet auch – aus innerster Überzeugung (8,9-10). Wir werden erinnert an Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. ‚Gott ist bei uns‘ am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Jesaja sieht schwarz. Es ist 5 nach 12. Alles wird wüst werden und veröden in ganz Israel. Nur ein Rest wird übrig bleiben. Ob er überlebensfähig ist? Ist hier „Immanuel“? – Auch Bonhoeffer weiß nicht, was kommen mag. Aber er setzt ein anderes Vorzeichen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. – Und wir? Was malen wir für ein Bild? Wir wollen die Welt retten und sehen die Klimakatastrophe kommen.
Wir können das 1,5⁰-Ziel nicht erreichen und beschwören den Untergang des Menschengeschlechts, und in die apokalyptischen Bilder fügt sich ein, dass der Mensch durch sein bloßes Dasein den Treibhauseffekt begünstigt. Wir, die selbsternannten Retter, werden krachend scheitern, weil wir Immanuel nicht kennen. Wir werden scheitern, weil wir uns in der Apokalypse verfangen und die Schreckensbilder am Ende noch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
Aber das ist nicht das Bild, zu dem uns die Bibel anleiten will. Die Bibel will uns den Blick auf Immanuel, das versprochene Kind an unserer Seite, offenhalten. „Glaubt an dieses Versprechen“, sagt das Alte Testament. Und nun baut die Bibel eine weit gespannte Brücke ins Neue Testament, wo die Prophezeiung der Geburt des Kindes in einer ganz besonderen Weise wahr wird:
„Und der Engel sprach zu Joseph: ‚Maria, deine Frau … wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von den Sünden.‘ Das aber ist geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: ‚Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben‘, das heißt übersetzt: Gott mit uns“ (Mt 1,21-23).
Das ist die Brücke, über die wir gehen dürfen. Aus dem verheißenen Immanuel wird der versprochene Jesus. Denn Jesus heißt auf Deutsch: „Gott wird retten“. Aus dem Gott, der bei uns ist in den dunkelsten Stunden, wird der Gott, der retten wird „aus Sünd und Tod“. Das ist das Kind in der Krippe, ein Zeichen der Hoffnung auf Zukunft, auf seinem Weg in seine dunkelste Stunde, hindurchgetragen von dem Gott, der sein eigenes Selbst gab, in diese Welt, für uns, in der Heiligen Nacht.
Mit diesem Bild im Herzen darf die Christenheit (und mit ihr die ganze Menschheit) seither leben. Mit der unauslöschlichen Gewissheit „Gott wird retten“ können wir getrost ans Werk gehen, das zu tun, was in unseren Kräften steht, nicht mehr und nicht weniger.
Das ist ein sehr anspruchsvoller Text für eine Predigt. Nachdem fast alles Licht gedämpft worden ist, kommt die Botschaft gedämpft daher. Allerdings erleben Christen manchmal genau diese Situation, dass in dunkler Zeit das Licht für uns in Corona-Zeit erheblich größer scheinen müsste. Seit je müssen Christen auch ihr Kreuz tragen. Pastor Dr. Scholz gelingt es, die Unheilsbotschaft zuerst ehrlich verständlich zu machen und dann das hoffnungsvolle Ziel des Predigtextes den Hörern oder Lesern mit der Weihnachtsgeschichte und Jesus mitzuteilen.