Geduld – Warten auf das umstürzend Gute

"Gott ist unsere Zuversicht und Stärke ..."

Predigttext: Jakobus 5 7-8 (mit Exegese und homiletischer Besinnung)
Kirche / Ort: Magdeburg
Datum: 06.12.2020
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: PD Pastor Dr. Günter Scholz

Predigttext: Jakobus 5,5-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

7 So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Exegetische Bemerkungen

Ausgehend vom Predigttext Jak 5,7-8 und den entscheidenden Stichwörtern „geduldig“ und „Kommen“ entdecke ich diesen Ton schon von Anfang an:
In 1,2-4 heißt es: Glaube führt zur Geduld, und Geduld zur Vollkommenheit.

In 1,12 wiederholt sich die Reihe: Glaube führt zur Bewährung, und Bewährung zur Krone des Lebens. Dabei hebt die erste Reihe eher auf eine allgemeine Haltung ab (Geduld), die zweite auf ein Verhalten (Bewährung), dem ein Erhalten als Lohn entspricht (Krone).

Wichtig ist, dass Haltung bzw. Verhalten auf Vollendung zielt, also nicht nur auf einen geschichtlichen Endpunkt, sondern darüber hinaus auf ein endzeitliches Geschehen. Das spiegelt sich dann im Predigttext wieder im (Wieder)kommen des Herrn. Die Geduld in 5,2 ist von daher glaubensvolle Geduld (1,3), die sich in Anfechtung bewährt (1,12; 4,7). Der Zweifel ist nicht etwa der Bruder des Glaubens, sondern ein Mangel an Weisheit (1,5-8). Die Weisheit aber kommt von oben (3,17) wie alle gute Gabe (1,16-17) und bringt gute Werke hervor (3,17-18).

Die Hervorhebung der guten Werke hat den Jakobusbrief zu einem im polemischen Sinn „katholischen“ Brief gemacht. Das ist aber völlig einseitig. Hier geht es nicht um Werke contra Glauben, sondern um die Einheit von Reden und Tun. Diese wird zu Recht gefordert, wenn und weil Reden und Tun beim Adressaten offenbar auseinanderfallen (1,22; 2,12.14-17; 4,17).

Ein leichter Antipaulinismus ist freilich zu spüren: 2,18-20.21-26. Er ist aber nicht gegen Paulus gerichtet, sondern gegen die, die Paulus offenbar missverstanden haben. Ein lebendiger, auch in Werken sichtbarer Glaube ist das Ziel der Paränese. Auch das zuchtvolle Reden ist ein Tun aus Glauben (3,1-12) und auch das Gebet (5,13ff).

Das Kommen Gottes wird sowohl präsentisch als auch futurisch beschrieben, präsentisch im Kommen aller guten Gabe, auch der Weisheit, von oben, futurisch als eschatologische Vollendung der Welt in Gericht (und Rettung). Das Gewicht verschiebt sich mehr und mehr in Richtung Rettung, wie schon in 2,13 präludiert:

Wenn das Gericht kommt, schlägt das Gericht die Unbarmherzigkeit, die an den Tag gelegte Barmherzigkeit schlägt das Gericht. Hier wird noch einmal die überlebenswichtige Einheit von Glauben und Tun (Barmherzigkeit) deutlich.

Homiletische Bemerkungen

Es besteht eine grundsätzliche Schwierigkeit, den Parusiegedanken zu vermitteln. Grundvoraussetzung ist der Glaube an die Existenz Gottes, seine Menschwerdung und ein lineares, teleologisches Geschichtsverständnis. Es gibt freilich verschiedene Zugänge:

Über „Advent“ zu gehen ist möglich, aber wegen der Vieldeutigkeit der Adventszeit schwierig. „Ankunft“ wessen? Jesu in Jerusalem? Gottes auf Erden im Kind? Warten auf Wiederkehr?

Ich versuche zwei andere Zugänge: über Bilder alter Meister. Was sagen sie uns? Das Bild von Lukas Cranach d.Ä. aus der St. Johanniskirche in Orla ist im Internet zu finden. Aussage: Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe werden am Ende siegen.

Anderer Zugang: Gott kommt = von Gott ist noch etwas zu erwarten. Ich denke vergleichsweise an „messianische“ bzw. charismatische Präsidenten. Von denen ist noch etwas zu erwarten, wenn sie kommen. Wenn sie gehen, ist nichts mehr zu erwarten. Sie kommen und gehen; aber unser Herr kommt!

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„Das Kommen des Herrn ist nahe“ – ja, noch 18 Tage bis Weihnachten. Noch 18 Tage bis zum Kommen des Festes, an dem wir die Geburt des göttlichen Kindes feiern; die Geburt des Kindes, das bis heute unser Herr ist. „Das Kommen des Herrn ist nahe“.

I.

Jedes Jahr in der Adventszeit inszenieren wir das Kommen des Herrn. Immer mehr Kerzen zünden wir an, immer heller wird es, immer mehr wird das Dunkel verdrängt, immer mehr bricht das Licht sich Bahn, bis es am Heiligen Abend die Geburt des Kindes verkündet, das unser aller Herr ist. In und mit diesem Jesuskind kommt Gott zu uns in die Welt. Das ist das größte Wunder, das wir kennen, das wir feiern und das wir aller Welt verkündigen. Gott kam in die Welt, Gott kommt in die Welt, und Gott wird wiederkommen.

Gott kam in die Welt in Jesus. Davon erzählt die Weihnachtsgeschichte. Gott kommt in die Welt, immer wieder. Das betont unser Jakobusbrief gleich zu Anfang: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, vom Vater der Himmelslichter …“ (1,17). Und: Gott wird wieder in die Welt kommen. Das ist die Botschaft unseres heutigen Bibeltextes: „Das Kommen des Herrn ist nahe.“ (5,8).

Wir dürfen auch erwarten: Jesus Christus wird wiederkommen; denn in Jesus Christus ist Gott ja bereits gekommen, in Jesus Christus wird er auch wiederkommen. So sprechen wir es im Glaubensbekenntnis aus. Unsere vierwöchige Adventszeit ist das Pendent zur vierzigtägigen Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt. Unser Herr fährt auf von dieser Erde in den Himmel, aber er vergisst uns nicht: Er wird wiederkommen. Aber wie soll ich mir das vorstellen? Wie soll ich heute mit solchen Glaubenssätzen umgehen?

II.

Lukas Cranach d.Ä. hat die Wiederkunft Christi mehrfach in ein Bild gefasst. Eine Darstellung gehört zum Altarbild der Stadtkirche St. Johannis in Neustadt an der Orla (Thüringen). Hier ist Christus vom Himmel herab wiedergekommen am Ende der Zeit und thront auf einer Weltkugel als Richter. Neben ihm Maria (links) und Johannes der Täufer (rechts) in anbetender Haltung. Hinter ihnen schweben in den Wolken die verstorbenen Seligen, rechts die Männer, links die Frauen. Darunter, auf der Erde, ist das Gericht zu sehen. Während die Guten sanft von einem Engel in den Himmel geleitet werden, schiebt der Teufel auf der rechten Seite die Menschen unsanft in die Hölle.

Ewiges Leben für die Guten, ewige Verdammnis für die Bösen, so die Vorstellung vom Kommen des Herrn und der Vollendung der Welt. So bildhaft wird es auch in der Bibel geschildert. Hinter dem Bild lag eine tröstliche Aussage, ein tröstlicher Glaube: Mag hier auf Erden noch so viel Böses, noch so viel Unrecht geschehen, mag hier auf Erden noch so viel Böses und noch so viel Unrecht unter den Teppich gekehrt werden, irgendwann wird das Gute und die Gerechtigkeit sich durchsetzen. Irgendwann werden Wahrheit und Liebe siegen.

„So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn“. So werden unsere Vorfahren gedacht haben, als sie sprachen: „Von dort wird er kommen, …“ Ich könnte mir diesen Zugang zueigen machen. Ich möchte Sie aber noch mit einem anderen Zugang vertraut machen, der mir noch mehr entgegenkommt. „Gott wird wiederkommen“ heißt für mich: Von Gott ist noch etwas zu erwarten. Gott hat noch nicht alles getan, was in seiner Macht steht. Von ihm ist noch etwas zu erwarten. Etwas Gutes freilich, etwas umstürzend Gutes vielleicht.

III.

Der Bauer, von dem hier bildhaft die Rede ist, erwartet ja auch etwas Gutes, nämlich die kostbare Frucht der Erde, wenn die Erntezeit im Herbst gekommen ist. Von Gott ist noch etwas umstürzend Gutes zu erwarten, für mich und für die ganze Welt. Das kann dauern. Nicht heute und nicht morgen, aber es wird passieren. Warten erfordert Geduld. Die wird mir abverlangt, aber vielleicht auch noch Generationen nach mir. Warten auf das umstürzend Gute, das einst kommt, und zwar von oben her, bedeutet: mit Gott rechnen, an ihn glauben.

Das Dilemma unserer Zeit ist, dass hierzulande immer weniger Menschen mit Gott zu rechnen scheinen. Gott wird kommen, in Christus wiederkommen. Von ihm ist etwas zu erwarten, etwas umstürzend Gutes. Viele sagen: Was haben 2000 Jahre Christentum der Welt gebracht? Nichts umstürzend Gutes! – Seid geduldig, Brüder und Schwestern, geduldig bis zum Kommen des Herrn. Er kommt bestimmt. Von ihm ist noch etwas zu erwarten.

Geduld erwartet etwas von Gott, und wer von Gott etwas erwartet, der geht geduldig ans Werk. Der rechnet mit Gottes Hilfe und wartet darauf. Der wartet auf Gottes Kommen, auch schon jetzt. Der bittet: „Gott schütze dieses Haus vor Wasser, Feuer, Sturm und bösen Viren“. Das wäre eine glaubensvolle Aufschrift auf den Balken über der Haustür. Mit Gottes Kommen rechnen, mit Christi Wiederkommen, lasst uns das in der Adventszeit wieder neu lernen.

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Ein Kommentar zu “Geduld – Warten auf das umstürzend Gute

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Es sind noch 18 Tage im Advent bis Weihnacht. Damit steigt Pastor Dr Scholz aktuell in die Predigt ein. Durch unsere Advents-Sitten und Gebräuche bereiten wir auch das Kommen Gottes durch Jesus vor. Gott wird immer wieder in unsere Welt kommen. Zur Veranschaulichung weist der Pastor auf das Bild von Lukas Cranach hin. Wie im Glaubensbekenntnis thront Jesus neben Gott. Unten schickt der Teufel die Bösen zur Hölle. Von Gott können wir noch etwas erwarten. Wie der Bauer im Predigttext geduldig seine Erntefrüchte erwartet , können wir von Gott noch viel erhoffen. Viele erwarten von Gott heute leider nichts mehr. Wir Christen erwarten noch viel an Hilfe, Heil und Segen bis zur Vollendung der Weltgeschichte und Evolution. ( Anmerkung: das könnte man mit Teilhard de Chardin noch stärker betonen. ) Aktuell sollten wir nach dem Vorschlag der Predigt über unserer Tür die Aufschrift befestigen: Gott schütze dieses Haus vor Feuer und Sturm und Wasser und vor bösen Corona-Viren.

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