Uns hat der Geist berührt. Sonst wären wir heute Morgen nicht aufgestanden und in diese Kirche zum Gottesdienst gekommen. Dieser Geist bewegt uns. Das Gute macht sich in uns breit wie ein helles Licht und drängt das Dunkle hinaus. Also will der Geist, durch den wir bewegt sind, auch durch uns etwas in Bewegung bringen. „Wenn wir im Geiste leben, so lasst uns auch im Geiste wandeln.“ Berührt von diesem Geist, verschließe ich mich nicht. Nein, ich gehe aus mir heraus. Ich bleibe nicht bei mir, sondern bewege ich auf andere zu. Ich trete in eine Beziehung mit anderen Menschen, in der dieser Geist das Gute wirken lässt. Doch stehen wir nicht in der Gefahr, bei uns selbst zu bleiben?! Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir uns verschließen und uns selbst genug sind. Auf Herbert Grönemeyer´s neuester CD „Schiffsverkehr“ heißt das letzte Lied „So wie ich“. In dieser Hymne für Selbstverliebte singt Herbert Grönemeyer:
Ich will mit mir in den Urlaub fahren
Ich hol mich ab vor meiner Tür
Will ungestört an meiner Seite sein
Nur mit mir
Lad mich auch gern mal ins Kino ein
Ich koch für mich und schenk mir was
Les mir was vor und bleib mit mir allein
Nur so zum Spaß
Ich bin total in mich verliebt …
Ich leb mit mir in trauter Einsamkeit
Und lass die andern für mich stehen
Für mich ist mir kein Weg zu weit
Ich will mit mir gehen
Ich fehl mir schnell, versteh mich gut
Find mich in Ordnung so
Ich lasse mich nie wieder los
Mach mich froh
Ich bin total in mich verliebt …
Ab jetzt bin ich für mich da, verzeihe mir
Egal was war, ich zähl auf mich
Und lass mich nicht im Stich und bin mein Sommer
Nehm mich mit wohin ich geh und lass mich nicht
Im Regen stehen, geh mit mir durch dick und dünn
Jeden Tag aufs Neue freu ich mich auf mich
Ich bin total in mich verliebt
Ich bin so froh, dass es mich gibt
Und nur bei mir bin ich schön
Ich will mich um mich selber drehen
Niemand kann mich wie ich verstehen
Da ist „die Liebe zum Ich“ ausgesprochen, wie sie gerade im neuesten GEO-Heft (9/2012) bis hin zur übersteigerten Selbstliebe thematisiert wird. Narzissmus nennt man das, nach dem sich selbst bespiegelnden griechischen Jüngling. Als Antrieb dazu kann man Erfolgs- und Leistungsdruck ausmachen, der heutzutage schon in der Familie beginnt. Damit wir dieser Versuchung nicht erliegen, uns nur um uns selbst zu drehen, bewegt uns der Geist. Er bewegt uns auf andere Menschen zu. Bringt uns so in Bewegung, dass wir über uns hinauswachsen und ein Du wahrnehmen. Wer ist dieses Du, auf das uns der Geist hin bewegt? Es ist, o Schreck, der Andere in seiner Verfehlung. „Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist.“ Wer will schon etwas mit der Schuld des Anderen zu tun haben?! Davon distanzieren wir uns gerne und waschen unsere Hände in Unschuld. „Nein, es ist nicht meine Schuld – es ist seine oder ihre!“ Umso leichter fällt es uns, darüber zu reden, wenn jemandem etwas missraten ist oder wo jemand einen Fehler gemacht hat. Doch aller Tratsch hilft weder dem Verfehlten noch uns selbst. Es könnte uns gerade recht sein, jemanden vor Augen zu haben, dem das Leben aus seinen Händen gleitet. Wo immer wir Menschen sehen, denen es schlechter als uns selbst geht, steigt eine gewissen Erleichterung in uns auf. Ich bin noch nicht am Boden. Der oder die Andere ist es offensichtlich. Also stehe ich vor Gott und der Welt doch noch ganz gut da. Mit einem Mal wird das menschliche Miteinander zur Konkurrenz vor Gott. Gut wenn ich noch jemanden eine Stufe unter mir wähne. So kann das Übel eines Anderen zu meiner Entschuldigung, ja zur Rechtfertigung vor Gott entarten.
Der Geist, der uns berührt und bewegt, aber sagt: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Diese Last – was ist damit gemeint? Es ist die Schuld gemeint, die ein Mensch auf sich lädt. Schuld, die auf ihm lastet und ihn drückt. Schuld, die isoliert und einsam macht. Zu diesem Menschen kann kein vermeintlich Gerechter eine Brücke bauen. Der Graben zwischen solch Extremen ist zu groß. Nur wer für sich auch sieht, anderen etwas schuldig geblieben zu sein, der kann sich in den hineinversetzen, auf dem etwas lastet. Nur wer sich selbst eingesteht, nicht ohne Verfehlung dazustehen, der wird auch stark genug sein, die Last eines Menschen mitzutragen, ihn zu entlasten. Sich mit dem zu solidarisieren, der sich verfehlt hat, steht uns gut zu Gesicht. Denn niemand von uns ist perfekt. Keiner kann von sich behaupten, ohne Fehl und Tadel zu sein. Im tiefsten Innern unseres Herzens wissen wir um unsere Defizite. Wir kennen uns selbst nur allzu gut. Wir ahnen, dass die Schuld des Anderen auch jederzeit unsere eigene Schuld sein könnte. Wir haben Schwächen und brauchen darin die Stärke des Anderen. Wir haben Stärken und können damit anderen hilfreich zur Seite stehen: In einem klärenden Gespräch. Mit unserem tastenden Einfühlungsvermögen. Durch ein aufmunterndes Wort. In
einer helfenden Geste.
„Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.“ In Marcus Pfisters Kinderbuch „Der Regenbogenfisch“ geht es um einen Fisch, dessen Schuppenkleid in allen Regenbogenfarben schillert. Die anderen Fische bewundern diesen Regenbogenfisch. Darum ist er auch so stolz auf seine Schönheit. Als ein kleiner Fisch ihn eines Tages um eine Glitzerschuppe bittet, lehnt der Regenbogenfisch ab und jagt ihn weg. Erschrocken schwimmt der kleine Fisch davon und erzählt dies seinen Freunden. Nun will kein anderer Fisch mehr etwas mit dem Regenbogenfisch zu tun haben – und er ist der einsamste Fisch im Ozean. Stolz macht hochmütig. Überheblichkeit macht unbarmherzig. Neid macht einsam. Lassen wir Herbert Grönemeyer noch einmal den Refrain seines Liedes singen: „Ich bin total in mich verliebt / Ich bin so froh, dass es mich gibt / Und
nur bei mir bin ich schön / Ich will mich um mich selber drehen / Niemand kann mich wie ich verstehen.“ Dagegen brauchen wir den Geist. Den Geist, der uns dazu bewegt, Gutes zu tun. Dem Regenbogenfisch gibt der Octopus den Rat, jedem Fisch einen seiner Glitzerschuppen zu schenken. Als er alle Schuppen bis auf eine verteilt hat, ist er mit den anderen Fischen glücklich und zufrieden.
„Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Der Geist bewegt uns, in unserer Umgebung mit dem Guten anzufangen, nicht im fernen Afrika. Also bei dem, der uns mit seiner Engstirnigkeit auf den Geist geht. Indem wir ihm mit einem weiten Herz begegnen. Da, wo wir ihr Besserwissen kaum ertragen können. Indem wir ihr mit mehr Gelassenheit begegnen. Da, wo uns eine andere Glaubensauffassung entgegentritt. Indem wir ihr mit all unserer Liebe begegnen. Wenn sich das Gute in unserer Umgebung breit macht, dann wird das auch die Fernstehenden hellhörig machen. Zusammenleben wird da möglich, wo der Geist das Gute in und durch uns wirkt. Wir wissen ja: „Wie es in den Wald schallt, so schallt es auch heraus.“ Oder sagen wir es biblisch: „Was wir säen, werden wir ernten!“ Wo wir den Geist uns bewegen lassen, wo wir das Gute säen, wo wir nicht müde werden, da werden wir ein beglückendes Zusammenleben ernten. Der Geist lenkt unseren Blick auf das Du. Weg von unserer Eitelkeit, unserer Ich-Verliebtheit, unserer Selbstüberschätzung. Das Gute, das wir dem Du gewähren, wird uns auf wundersame Weise selbst beglücken.