Predigt

Gemeinsames Gebet

Israelsonntag – Gedenken an Israel und der Treue Gottes zu seinem Volk

PredigttextJesaja 62,6-12
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum:05.08.2018
Kirchenjahr:10. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Jesaja 62, 6-12 (Übersetzung nach Martin Luther 2017)

6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wiederaufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! 8 Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, 9 sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. 10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.

Exegetisch-homiletische Erwägungen

Die Analyse des Jesajabuches Kap. 56-66 ist umstritten. Die teilweise lose miteinander verbundenen Worte des „Dritten Jesaja“ gehen nach Ansicht vieler Exegeten auf mehrere Verfasser zurück. Das Zentrum des „Tritojesaja“ sind die Kap. 60-62, die von der Mehrzahl der Exegeten auf einen Propheten „Tritojesaja" zurückgeführt werden können, der nach der Rückkehr aus dem Exil in Jerusalem gewirkt hat. Seine Worte zeigen auffallend enge Berührungen mit der Verkündigung „Deuterojesajas“, dessen Verkündigungs- und Hoffnungsziel der erlöste Zion war.

Nun waren Teile des Volkes zum unerlösten Zion zurückgekehrt, sie mussten aber feststellen, dass ihre Hoffnung enttäuscht wurde. Die Kap. 60-62 gehören inhaltlich eng zusammen – „als Verkündigung des eschatologischen Heils, das in Jerusalem anbrechen wird“ (Hans-Joachim Kraus). Aber das Volk ist noch nicht angekommen, doch erfährt es durch den Propheten von V. 6ff. eine Gottesweisung. Denn die Trümmer des in Schutt und Asche liegenden Jerusalem waren nur zum Teil geräumt. Insofern mussten die Rückkehrer sich einen Weg durch Schutt und Geröll bahnen.

Strittig ist in der Exegese, wer in V. 6f, die „Wächter“ sind. Mit Claus Westermann sind darin auf keinen Fall himmlische Wesen „über den Mauern Jerusalems“ zu sehen, sondern die vom Propheten angeredeten Menschen in Jerusalem. Die Funktion dieser Wächter wird sehr eigenwillig beschrieben. Sie sollen Gott an seine Verheißungen erinnern. In der schwierigen Situation der nachexilischen Zeit bringt Tritojesaja wieder die grundlegenden Verheißungen Gottes ins Spiel, die Deuterojesaja im Exil dem Volk verkündigt hatte. Es geht mit Hans-Joachim Iwand, um „die Wiederholung eines Verlorenen, einer faktisch verlorenen und betrogenen Hoffnung“.

Der Prophet spricht zu Gott und fordert seine Gemeinde auf, dies ebenfalls zu tun und Gott keine Ruhe zu geben, „bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden“ (V. 7). Auch die jüdische Exegese fragt danach, wer diese Wächter sind. Ein jüdischer Ausleger personalisiert diese Wächter mit Begriffen: der erste Begriff ist „Schmach“. Damit soll an die schmachvolle Geschichte des Volkes Israel erinnert werden, denn dieses Volk war Gott gegenüber ungehorsam geworden. Der zweite Begriff ist „Umkehr“. Damit will der Ausleger deutlich machen, dass die Vergangenheit immer wieder bedacht werden muss und dennoch ein neues Gottesverhältnis begründet werden kann. Und der dritte Begriff ist „Gottesverheißung“. Damit soll deutlich werden, dass der Mensch allein durch Gottes Hilfe sein Leben leben kann.

Die Bewohner Jerusalems werden ermuntert (V. 10ff), durch die Tore hinauszuziehen, um den Weg für die zu bereiten, die noch nicht zurückgeholt sind, die sich noch in der Fremde befinden. Damit soll auch für sie das Heil konkret und erfahrbar werden. Aber – und dies ist ganz entscheidend! – die Rückführung der übrigen Exilierten ist allein Gottes Sache, ohne den nichts bewegt werden kann. Was auf dem Zion passiert, ist Ausdruck der Liebe Gottes zu seinem Volk Israel und erweiternd gesprochen: Ausdruck der Liebe und Zuwendung zu allen Menschen.

Mitten im Sommer ein besonderer Sonntag, der sich mit dem Gedenken an Israel beschäftigt. Damit gemeint ist die Treue Gottes zu seinem Volk Israel, aber auch unser Respekt vor diesem Volk, dessen Geschichte mit dem Christentum wie auch mit der Geschichte unseres Volkes so eng verbunden ist. Aus dem Predigttext ergibt sich ein Thema, das existentiell mit dem Lebensthema der Menschen zur Zeit Tritojesajas wie auch für die Menschen unserer Tage verbunden werden kann: Das Ganze steht noch aus. Das heißt: Unser jetziges Leben ist noch unvollständig, was im Augenblick ist, ist nicht die ganze Wirklichkeit. Dieses Thema gilt für den Einzelnen ebenso wie für ein ganzes Volk. „Siehe, dein Heil kommt“, das Heil ist noch nicht angebrochen, es kommt noch, auch der Glauben verheißt dem Menschen, dass er mit seinen großen Wünschen an das Leben rechnen darf. Das Ganze geschieht im Beten vor Gott, der dieses Gebet erhört und die Menschen nicht mehr verlässt.

Literatur

Ulrich Berges, Willem Beuken, Das Buch Jesaja. Eine Einführung, Göttingen 2016, bes. 211-215; Rudolf Bohren, Prophet in dürftiger Zeit. Auslegung von Jesaja 56-66, Neukirchen-Vluyn 1969, 112-119; Peter Höffken, Jesaja. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2004; Reinhard G. Kratz, Artikel Tritojesaja, in: TRE 34 (2002), 124-130 (Lit.!); Hans-Joachim Kraus, Das Evangelium der unbekannten Propheten. Jesaja 40-66, Neukirchen-Vluyn 1990; Konrad Schmid, Artikel Tritojesaja, in: RGG (4. Auflage) Bd. 8, Tübingen 2005, Sp. 625-627; Claus Westermann, Das Buch Jesaja. Kapitel 40-66, Göttingen 1966; ders., Predigten, Göttingen 1975, 80-84; Walther Zimmerli, Zur Sprache Tritojesajas, in: ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, München 1969, 217-233; Israelsonntag 2018. Dich aber ruft man: Aufgesuchte! Stadt, niemals verlassen. Predigthilfe und Materialien für die Gemeinde. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Berlin 2018.

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