Gemeinschaftlich unterwegs
Niemand kann sich zurücklehnen, es sind alle gefordert
Predigttext: 1. Petrus 5,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
1 Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: 2 Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist, und achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund, 3 nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde. 4 So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
Einführung zu Predigttext und Predigt
Zu den Osterfolgen gehört für die „quasi Neugeborenen“ auch der Jubel über die Misericordias Domini, die Barmherzigkeiten (Plural!) Gottes. Und die Frage danach, wie das - zugegebenermaßen immer wieder eingetrübte – Spiegelbild göttlichen Erbarmens sich im Miteinander der Gemeinde zeige. Sünde ist wahrhaft zu nennen, wo sich nichts davon zeigt – und für all die nicht gezeigt hat, denen an Leib und Seele durch Menschen der Kirche, denen sie und andere vertrauten, schwerer Schaden zugefügt wurde. Undenkbar für den Verfasser des Petrusbriefes, der, wenn auch in den Spuren einer Substitutionstheologie gegenüber dem Judentum, die alten prophetischen Maßstäbe ans Hirtenamt anlegt.
Anders als Wikipedia zum Thema „Presbyter“ glauben machen möchte, sollte man vorsichtig damit sein, biblische Befunde zu den Stichworten „Presbyter, Älteste“ unmittelbar historisch zu verifizieren, anstatt die Begriffe vorsichtig auf Rückprojektion aus der Zeit des Verfassens oder Redigierens der Texte auf jene, in der der jeweilige Text zu spielen vorgibt, zu untersuchen. Selbst im Neuen Testament (mit seiner viel kürzeren Zeitspanne) lässt sich, was mit einzelnen Begriffen jeweils gemeint ist, nicht zwangsläufig an allen Stellen des Vorkommens als identisch verstehen.
Deutlich aber wird aber in dem kleinen Abschnitt: ausgerichtet ist alle Ethik auf den „Erzhirten“ des 23. Psalms, Gott selbst. Dem Gegenüber des „Mietlings“ zum Hirten im Johannesevangelium“ entsprechen hier die Gegensätze von „gezwungen“ und „frei“, von „schändlichem Gewinn“ und „von Herzensgrund“ sowie „herrschen“ und „Vorbilder“. Der kritische Blick fällt in der Schrift stets auf die Hirten. Und gebietet ein herrschaftskritisches Verständnis der Predigt-Stelle und ihrer Parallelen, insbesondere im Blick auf die „Schafe“. Die gängigen Illustrationen zum Sonntag (Schäfer mit Schafherde) werden dem Text nicht im vollen Umfang gerecht. Der Herrschaftswechsel legt das Bild weniger nahe, als selbst im antiken Brieftext durch die Rede vom Vorbild ermöglicht wird.
Lied- und Liturgieempfehlungen
Österliches – immerhin nimmt jeder Sonntag das Osterfest wieder auf: 559 O herrlicher Tag …. Sogar Hirtenstrophen lassen sich österlich hören: 54, 2+3 Hirten, warum wird gesungen .. Erlöser nun erschien; Ostern und Herrschaftskritik: Das könnte den Herren der Welt ja so passen …
Gott, der gute Hirte: 274 Der Herr ist mein gerechter Hirt …
Gut, dass wir einander haben …
NL 72 Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun
Credo mit Barmen IV
Bußbekenntnis mit der Litanei von Coventry 810,4 (neuere Fassungen der Litanei siehe „Nagelkreuzgebet“)
Wer kürzlich die Gemeindeversammlung besucht hat, konnte Einiges über unsere Statistik erfahren. Doch hinter den Zahlen stehen ja immer auch Menschen. Wie sie gezählt werden, kann unterschiedlich aussehen. In manchen biblischen Geschichten, etwa von der Speisung der 5000 im Johannesevangelium (6), werden nur die Männer erwähnt. Frauen und Kinder darf man sich dann dazu denken. Kann man so machen. Wäre heute nicht nur für eine Statistik ungünstig, wenn z.B. einen Gottesdienst vor allem Frauen besuchen. Es würde sich bestimmt auch Widerstand regen, wenn Frauen im wörtlichsten Sinne nicht zählen.
Dann gibt es alte Dokumente, wo die Größe einer Pfarrei oder auch eines Dorfes mit „Seelen“ angegeben werden. 1400 Seelen leben hier. Also Menschen, große und kleine, Frauen und Männer und Kinder. Alles andere, Vieh, Haustiere, Reichtum blieben unberücksichtigt. Dafür mag Anderes bei solcher Redeweise mitschwingen: der Mensch als Gottesgeschöpf, eine lebendige Seele, zum Leben erweckt mit dem Odem Gottes.
Für Grußschreiben haben wir schon mal diskutiert, ob wir die „Gemeindeglieder“ oder die „GemeindeMITglieder“ ansprechen sollen. Gemeindeglieder hat einen unmittelbaren biblischen Bezug: Paulus beschreibt Kirche so: (1. Kor 12,27) „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.“ Hände, Füße, Augen, Ohren haben unterschiedliche Aufgaben, aber wirken zusammen. Der Kolosserbrief akzentuiert ein bisschen anders, hier ist Christus das Haupt des Leibes Gemeinde. Und dann kannten auch die Römer eine Legende vom der Gesellschaft als einem Leib. Ihnen lag an einem festen Oben und Unten in der Gesellschaft. Anders als Paulus, der darauf beharrt, dass gerade solche Glieder am Leib, die nach der Konvention als unehrenhaft gelten, besondere Ehre bekommen sollten. Die römische Legende vom Magen, den die Glieder versorgen müssen, damit es ihnen selbst einigermaßen gut geht, die sollte die Plebejern manipulieren, die reichen Patrizier nur recht gut zu versorgen. Da ist mir das Gemeindebild des Paulus doch lieber. Also doch, im Brief die Anrede: „Liebe Gemeindeglieder?“
Aber wer erinnert sich bei dem Wort „Gemeindeglieder“ schon an Paulus und sein wunderbares Bild vom Leib mit den Gliedern, die gemeinsam leiden, wenn auch nur ein einziges von ihnen vom Leid betroffen ist? Wäre es zum leichteren Verständnis nicht besser, von „Mitgliedern“ zu sprechen? Auch Parteien, Krankenkassen oder Gewerkschaften haben Mitglieder. Vielleicht ist ja sogar die Rede von den „Mitgliedern“ ein biblisch inspirierter Begriff, eingegangen selbst ins unkirchliche Umfeld. Allerdings: über eine Mitgliedschaft entscheide ich in der Regel selbst. Ich kann einer Partei, einem Verein beitreten und auch wieder austreten. Das liegt allein an meiner Entscheidung.
Wer aber einmal getauft ist, ist Glied am Leib Christi geworden und bleibt unlösbar verbunden. Kann nicht entfernt werden. Nicht einmal durch sich selbst. Auch nicht, wenn dieses Glied keine Lust mehr hat, den anderen beizustehen. Dann leiden die anderen. Und es selbst vielleicht ohne es zu wissen. Nach unserem Verständnis und unserer Absprache mit vielen anderen Kirchen wird Taufe auch nicht wiederholt. Weil das Versprechen des Auferstandenen, dass wir zu seinem Leib gehören, gilt. Selbst wenn jemand das nicht mehr für sich selbst fruchtbar machen möchte.- Sie spüren, dass mir die Rede vom Gemeindemitglied zu wenig ist. Aber ich verstehe: so ist der allgemeine Sprachgebrauch.
Eine weitere Bezeichnung von den Menschen einer christlichen Gemeinde zu reden, wird mit spöttischem Ton vorgebracht: „Na, wieviel Schäfchen gehören denn zu deiner Gemeinde“. Immerhin scheint auch das ein biblisches Bild. Spricht doch sogar Jesus davon, dass seine Schafe die Stimme des guten Hirten kennen. Viel öfter aber – quer durch die Bibel durch – kommt die Rede auf die Hirten. Und welchen Auftrag sie haben. Wenn von Schafen die Rede ist wie im Wochenspruch, dann ihre Leistung anerkennend: „Meine Schafe kennen meine Stimme“.
Es fällt mir keine einzige Stelle ein, wo dumme Schafe beschrieben werden. Und dass das Schaf im Gleichnis, das seinem Hirten verloren geht (es passt anscheinend der Hirte nicht auf!), klein, dumm, störrisch, eigenwillig, böse oder unvernünftig gewesen sei, steht da auch nicht im Lukasevangelium, sondern gehört zur Moralisierung unserer Kinderbibeln und Nacherzählungen. Das Gleichnis läuft auch nicht darauf hinaus, dass man sich keine eigenen Wege suchen dürfte. Dem Gleichnis ist allein wichtig die Freude in der ganzen Nachbarschaft des Hirten, das Schaf wieder zu haben.
Weil die Anvertrauten wichtig sind, deshalb blicken die Propheten kritisch auf die Hirten Israels, auf die Führungsgestalten ihrer jeweiligen Zeit. Und wie die mit Menschen und Gütern umgehen. Sie werden gemessen an den wahrhaft großen Hirten, die tatsächlich die Hut selbst auch noch von der Pike auf gelernt hatten: Mose, der die Herden seines Schwiegervaters weidete, David, der später König wurde und über dem Vieh seiner Familie wachte. Die Elite des Landes erweist sich als gute Hirten, wenn sie den Weisungen ihres Gottes folgen, ihm nacheifern in seinem auf Fürsorge und auf Nachhaltigkeit bedachten Verhalten. Gott, der Herr, ist mein guter Hirte, bekennt der Beter des Psalms. Er führt mich auf grüne Au, zu frischem Wasser, sogar durchs Todestal.- Kaum jemand hat soviel zu unserem Gottesbild beigetragen wie die Beterin, der Beter des 23. Psalms. Kein Mensch käme auf die Idee, sie oder ihn „Schäfchen“ zu bezeichnen.
Im heutigen Predigtabschnitt, im neutestamentlichen Petrusbrief werden nun Älteste angesprochen werden als Hirten. Und es liegt nahe, zu fragen: was heißt das für unser Gemeindeleben, für die Sorgen angesichts der Nöte und Entwicklungen in unseren Gemeinden?
Älteste sind keine christliche Erfindung. Alle oder zumindest viele jüdische Gemeinden in der Diaspora, fern vom Tempel in Jerusalem, wurden von Ältesten geleitet. Was jeweils in ihre Zuständigkeit fiel, kann ich nicht genau sagen. Vermutlich könnte man dazu einen eigenen Forschungsauftrag an die Universität geben. Auf eines möchte ich hinweisen: Älteste gibt es in der Bibel und auch hier im Petrusbrief, immer im Plural. Sie agieren gemeinschaftlich. Aus dem gegenseitigen Gespräch heraus. Sie sind einander zu-, aber nicht übergeordnet. Zugegeben, das entspricht nicht unserem üblichen Bild eines Hirten. Zieht der nicht einsam mit seiner Herde durch die Lande? So ja auch das Bild unserer Faltblätter für den Gottesdienst (Wort für die Woche vom Neukirchner Kalenderverlag).
Doch anders als heutige Schäfer sind Hirten in den Hügeln Judäas tatsächlich gemeinschaftlich unterwegs, in Gruppen. Anders wäre die Arbeit im unübersichtlichen Gelände gar nicht zu leisten. Solch eine Gruppe wünscht sich der Apostel für die Gemeinde, wenn er sagt: Die Ältesten ermahne ich: weidet die Herde Gottes. Gott selbst gegenüber tragen sie Verantwortung. Sie übernehmen Führungsaufgaben. Aber handeln in Gemeinschaft. Sie müssen eigenständig Entscheidungen treffen, zugleich sich aufeinander beziehen. Sie wirken freiwillig, niemand ist ihnen vorgesetzt, niemand kann sie zwingen. Sie wenden Mühen auf, aber das Amt macht sie nicht reich und sie dürfen sich nicht bereichern.
Und dann schreibt der Apostel: Seid Vorbilder der Herde. Von Vorbildern zu reden, ist nur sinnvoll, wenn es möglich ist, in die Aufgaben der Vorbilder einmal selbst einzurücken. An ihre Stelle zu treten. Vielleicht denkt der Briefschreiber noch nicht an ein rollierendes System. Aber die Ältesten in unserem Petrusbrief sind keine abgeschlossene Kaste. Auch die anderen Gemeindeglieder müssen damit rechnen, einmal deren Aufgaben übernehmen zu müssen, zu sollen, zu dürfen. Der Briefschreiber kommt mir auf einmal ganz modern vor. Ganz aktuell.
Unser Leben hat sich ja im Laufe der letzten 100 Jahre auf vielen Ebenen demokratisiert. Aus dem Projekt Demokratisierung lassen sich aber nicht nur die Rosinen herauspicken. Der Kuchen verkrümelt sonst gänzlich. Schon der Apostel des Petrusbriefs (das ist nicht der Jünger Petrus) erwartet, dass in die Aufgaben seiner Ältesten auch die jüngeren, auch die anderen einrücken. Niemand kann sich zurücklehnen. Es sind alle gefordert.
Heute wird hier im Gottesdienst ein Gemeindeglied nach langen Jahren aktiver Mitwirkung verabschiedet. NN. Jahrzehnte wirkte sie mit im Förderverein für diakonische Arbeit. Doch ich kann auch jemanden heute in der Gemeinde und im Gottesdienst vorstellen und in das Amt einführen. Um wie in den letzten Monaten auch in Zukunft Haus- und Krankenbesuche mit großer Verlässlichkeit zu übernehmen.
Was für ein Glück für die hiesige Gemeinde. Was für ein Geschenk. Es tut sehr gut, solches zu erleben. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig davon weitererzählen. Unter uns sind Menschen, die achten auf andere. Nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt. Nicht um des Gewinns willen, sondern von Herzensgrund. Nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde.
Die biblischen Hirten, die guten Hirten wussten alle, wo sie anzufassen hatten. Und Gestalten wie Mose und David dürfen uns nicht vergessen lassen, dass das Hirtenamt eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Aus diesem Grunde muss es viele Hirten geben. So wie die Frauen bei uns im Förderverein. Und wie all die anderen, die uns jeweils Vorbilder sind
Der Friede Gottes, höher als aller Vernunft, bewahre unsere Herzen uns Sinne in Christus Jesus.
Die Predigt macht sehr schön die unterschiedlichen Bedeutungen des Hirtenamtes deutlich und kommt am Schluss zu der berechtigten Forderung, dass wir alle an der Gestaltung dieses Amtes beteiligt sind und daran denken sollten, „dass das Hirtenamt eine Gemeinschaftsaufgabe ist.“ Als gelungene Beispiele werden Haus- und Krankenbesuche in der Gemeinde erwähnt und die Mitarbeit von Frauen im Förderverein. Eine interessante Predigt mit vielen Informationen und Mut machenden Impulsen.