Predigt

Gerechtigkeit und Frieden

Unterweisung in der Kunst, Frieden zu schaffen – es lohnt sich, auf GOTTES Tora zu hören

PredigttextMicha 4,1-5(7b). mit Einführung
Kirche / Ort:Ev. Stadtkirche / Pforzheim
Datum:10.11.2024
Kirchenjahr:Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Autor:Pfarrer Hans Eisinger

Predigttext: Micha 4,1-5(7b), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017

1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, 2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 3 Er wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. 4 Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s geredet. 5 Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich! (7b Und der HERR wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun an bis in Ewigkeit.=

Beobachtungen und exegetische Bemerkungen zum Predigttext

Exegetisch herrscht weitgehend Übereinstimmung, dass Micha 4 nach der Zerstörung des Tempels verfasst wurde, aber der Prophetengestalt Micha aus dem 8. Jahrhundert zugeschrieben wird. Mit der nachexilischen Erfahrung bzw. dem Wissen, dass der Tempel zerstört und Jerusalem jede Bedeutung verloren hatte, „gibt es eine Zukunft“ nur, wenn sich die Menschen „auf ungesicherte, visionäre Perspektiven“ einlassen (Utzschneider).

Micha 4,1-4 haben in Jes 2,2-4 eine unmittelbare Parallele (später Joel 4, 10). Bemerkenswert: Die Völker zieht es aus eigenem Antrieb zum Zionsberg aus Interesse an der Tora. Im Unterschied zu Ps 46 muss Gott sein Volk nicht verteidigen und seine Macht erweisen. Die Vision des Micha geht deutlich weiter: Einsicht für alle Völker gemeinsam. Waffen werden überflüssig. Quelle dieser Einsicht ist die Tora.

Die Folge der Lehre (Tora) ist Einsicht; eine Einsicht, die sich in einer vorsichtigen Haltung der Toleranz und klaren Entscheidungen (Waffen umschmieden) manifestiert. Dieser Wandel führt zu Friedenszeiten und Wohlstand – Weinstock und Feigenbaum sind Symbolbilder eines guten Lebens.

V. 5 geht über Jes 2 hinaus: Die Völker führen ihren Lebenswandel weiter im Horizont ihrer eigenen Götter, und Israel bleibt seinem Gott treu. An dieser Stelle wandelt sich der beschreibende Stil in der 3. Person zum gemeinsamen „Wir“ als Gottesvolk.

Die Motivationen, warum sich die Völker zum Zion aufmachen, sind bei Micha anders als in Jes 49 und 60. Dort kehren sich die Verhältnisse um, und die Völker ziehen zum Berg Gottes, um wie Vasallen dem mächtigsten Herrschergott Tribut zu zollen (Vorstellung von Dominanz und Hegemonie).

Der Text bei Micha, ähnlich der Linie in Jes 2, setzt einen ganz anderen Akzent. Die Völker kommen nicht als Untertanen, sondern aus Neugier und Respekt vor der Klugheit der Tora. Die Tora kann in diesem Zusammenhang mit einem Akzent auf „Ordnung“ oder „Gebot“ konnotiert werden. Zwei Linien kann man aus dieser Interpretation ableiten: Die Völker ziehen zum Berg Gottes, weil sie dort die Tora verstehen lernen und so eine universale Friedensgemeinschaft durch Einsicht wächst. Am Ende konvertieren alle Völker zum einen, wahren Gott

Oder: Der Akzent liegt auf dem Ort der Offenbarung und steht in der Sinaitradition. Dann würde die Wallfahrt zum Zion bedeuten, dass Gott eine neue Tora schickt, die für alle Völker gleich attraktiv sei. „Diese Tora ist kein religiöses Gesetz, keine Reinheits- oder Speisevorschriften, sondern es ist ein Unterricht in der Kunst des Friedenschaffens. Mit dieser Tora ausgestattet werden die Völker „verlernen“, Krieg zu führen und stattdessen ihr Kriegsgerät in Friedensinstrumente umschmieden – Schwerter zu Pflugscharen.

Hier soll also Bewegung hineinkommen in die ewige Haltung, nur aus der Position der Macht heraus sei Sicherheit möglich. Jahrtausende schon gibt es Sieger und Besiegte – und ohne die Befreiung durch Soldaten hätte das europäische Judentum weder physisch noch geistig überlebt. Die „Errichtung einer Heimstätte in Palästina“ nach dem Ende des Osmanischen Reiches an einem bedeutsamen Ort sowie der Aufbau eines Staates für Juden wäre nie Realität geworden. Dass die Palästinenser in dieser Entwicklung in eine ausweglos erscheinende Situation gerieten, steht dabei außer Frage und zeigt die Dringlichkeit der Sichtweise von Jesaja 2 und Micha 4.

Bei Micha wird die Tora umgedeutet: vom religiösen Gesetz mit Reinheits- und Speisevorschrift hin zu einer Unterweisung in der Kunst, Frieden zu schaffen. Frieden erfordert höchstes Engagement und geschieht nicht von selbst. „Allerdings braucht auch diese Unterweisung in der Kunst des Friedens Recht und Zurechtweisung (V. 31). Das Bewusstsein darum, dass dieser Friede nicht von allein kommt und möglicherweise auch nicht von allen Nationen gleichermaßen befördert wird, leuchtet im Hintergrund der Vokabeln schafat „richten“ und jakach „schlichten, zurechtweisen“ auf (A. Schüle aaO, S. 483, vgl. dazu auch Mt 5, 9f. Jesus nimmt in der Bergpredigt am Ende des Seligpreisungen diesen Gedanken auf: eirenepoioi = die Frieden schaffen und deutet in V. 10 an, dass dies Menschen viel abverlangt).

A. Deeg (aaO, S. 485) weist darauf hin, dass Frieden nur durch eine grundsätzlich andere Haltung als die der Sicherung und Abschreckung entstehen kann. Er beschreibt dies als „innerweltlich närrische Logik“: Friede entsteht durch gemeinsame Ent-Sicherung: Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Sicheln (V. 3)“ Er zitiert aus einer Rede D. Bonhoeffers von 1934 auf der Ökumenischen Weltkonferenz in Fanö/Dänemark. Friede wird nicht geschaffen durch politische Verträge und Investitionen oder gegenseitige Aufrüstung. Hier wird Friede mit Sicherheit verwechselt. Friede kann nicht gesichert, sondern nur gewagt werden. Denn jede Sicherheit ist Ausdruck von Misstrauen, was wiederum zu Krieg führt. „Friede heißt, sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen“ (zit. n. A. Deeg aaO, S. 486).

Das Bild „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde ab dem Buß- und Bettag 1980 in der DDR zu einem Symbol für die Friedenswilligen in der Ev. Kirche der DDR und breitete sich schnell auch im Westen aus. Das Symbol auf Aufnähern und Aufklebern zeigt das Zitat aus Micha 4 und das Abbild der Bronzeskulptur, die die Sowjetunion im Dezember 1959 der UNO geschenkt hatte und die bis heute vor dem UN-Hauptquartier steht.

Literatur A. Deeg, A. Schüle: Die neuen Alttestamentlichen Perikopentexte, Leipzig 2018, S. 482-487. - Predigtmeditationen in christlich-jüdischem Kontext, Berlin 2023, S. 379-384. - Helmut Utzschneider, Micha, ZBK. AT 24/1, Zürich 2005. - Amos Oz, Die letzte Lektion, Suhrkamp Berlin 2020. - Bibel, Übersetzung Luther 2017. - Biblia Hebraica Stuttgartensia, aktuelle Auflage online: Micha 4 - Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) - www.die-bibel.de

Zur Liturgie Psalm 85 = NL 937.2 Evangelium Lk 17, 20-24(-30) Wochenspruch Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Mt 5,9)

Liedempfehlungen EG 452 Er weckt mich alle Morgen EG 426 Es wird sein in den letzten Tagen (Wochenlied) EG 432 Gott gab uns Atem, damit wir leben EG 662 (Anh. Baden...) Schenk uns Weisheit, gib uns Mut EG 436 Herr, gib uns deinen Frieden (Kanon)

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