Geschmack des Lebens
Tun, was notwendig ist
Predigttext: 1.Korinther 11, 23-26 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
23 Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe: Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten wurde, nahm er das Brot,
24 dankte und brach es und sagte: »Nehmt, esst, das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird; dies tut zu meinem Gedächtnis.«
25 Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahl und sagte: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; dies tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.«
26 Denn sooft ihr dieses Brot esst und diesen Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
Erste Gedanken beim Lesen des Predigttextes
Der Apostel Paulus gibt weiter, was er „empfangen“ hat. Aber er ist doch gar kein Jünger Jesugewesen. Wie hat er die „Einsetzungsworte“ erhalten? „Der Herr“ selber hat sie ihm gegeben. KeinMensch, kein Jünger, kein Gemeindeglied aus einer seiner zahlreichen Gemeindegründungen hatihm diesen alten Bericht erzählt. Diese Einsetzungsworte sind „unbefleckt“, also echt, göttlich,
wahr. Das schreibt der große Apostel seiner Gemeinde in Korinth. Und in dieser Weltstadt gab es
viele Religionen, Konfessionen und esoterische Gemeinschaften mit ihren tradierten Texten undheiligen Büchern. Denen setzt Paulus „seine“ Einsetzungsworte entgegen - mit einer Bewertung:
Das Abendmahl ist die „Verkündigung“ von Jesu Tod, „bis er kommt“. Also keine Verkündigungseines Auferstehens, seines Lebens, sondern seines Kreuzes. Das macht mich nachdenklich …
Text nach-denken
Die Predigtperikope ist eingebettet in einen Briefabschnitt des 1 Korintherbriefs, in dem sichPaulus zu den Gemeindezusammenkünften in Korinth äußert (1 Kor 11, 17-33). Die Christenwollten sich treffen, miteinander sprechen und essen. Und sie wollten sich vorlesen, was ihr Apostel, der die Gemeinde ca. 50nC gegründet hatte, ihnen geschrieben hat. Paulus hatte sieangesteckt mit seiner Botschaft von Jesus, der vor etwa 20 Jahren in Israel hingerichtet wordenwar. Die gute Nachricht von einem neuen Geist, der in die Welt gekommen sei, wollten sieunbedingt hören. Und so kamen die Satten und die Hungrigen, die Armen und die Reichenzusammen, um die Eucharistie zu feiern. Doch bald wurde der Graben zwischen arm und reichdeutlich: die Armen brauchten etwas zu essen. In Jerusalem wurden - nach Apg 6, 1-6 - Diakoneeingesetzt, die für die tägliche (!) Speisung der Menschen zuständig waren. Ob es eine solcheInstitution in Korinth gab?
Paulus kritisiert seine Korinther und macht auf die Diskriminierung der Armen aufmerksam (V 22). Das kann nicht im Sinne des „Herrenmahls“ sein. Also soll das Agapenmahl (Speisung) von der Eucharistie (Abendmahl) getrennt werden: die Speisung der Armen soll zuhause geschehen (V 24). Zuerst muss der Hunger gestillt werden, dann kann „Eucharistie“ geschehen! Paulus: „Das
andre will ich ordnen, wenn ich komme“ (V 34b). Hunger und Armut - Grunderfahrungen im 1.Jh.n.C.? Und wie kann man dies „ordnen“?
In unserem Abschnitt geht es Paulus um das „letzte Abendmahl“ Jesu und seine Bedeutung. Er habe die „Einsetzungsworte“ vom HERRN empfangen und gebe sie (unverfälscht) an die korinthische Gemeinde weiter. Diese Einsetzungsworte sind „Gedächtnisworte“: Brot und Kelchsind Zeichen für das blutige Ende von Jesus Christus.
Der ehemalige Christenverfolger Paulus hat Jesus weder kennengelernt noch war er bei dessen Kreuzigung anwesend. Die Kunde von der Hingabe des Nazareners bis in den Tod muss ihn gewandelt haben: Wer gibt schon seinen Leib für die Menschen hin? Und ist nicht die blutige Hinrichtung Jesu mit dem gepressten Saft der Trauben zu vergleichen? Vielleicht hat der Apostel bei den verfolgten Christen eine ähnliche Haltung festgestellt: sie wollten ihrem Christus nachfolgen. Das eigene Leben haben sie "in Christus" eingesetzt.
Darum können die Einsetzungsworte - nach der Meinung des Apostels - kein „einfaches“ Sättigungsmahl bedeuten sondern sind als Zeichen zu verstehen: „Sooft ihr von diesem Brotesst“ (V 26), teilt ihr euch den Menschen mit, verströmt ihr Christen euren Lebenssaft, gebt ihr euch hin, „verkündigt ihr den Tod des Herrn“. „Bis ER kommt“ (V 26bß):
Es ist ein kleiner Satz, leicht zu überlesen: Bis ER kommt. Wie kann ein Toter wiederkommen? Der
Christenverfolger weiß, dass ein Getöteter nicht wieder aufsteht. Er hat es oft erlebt. Wie kommt er
zu dieser neuen „Erkenntnis“? Paulus: „Ich habe von dem HERRN empfangen, was ich euch weitergegeben habe“ (V 23). Also ist diese „Erkenntnis“ nicht zu begründen!?
Eine Predigt sollte ein Gespräch sein und keine Belehrung eines Menschen, der es besser weiß. Sie sollte zu neuen Ideen und Gedanken anregen. So können wir auch den heutigen Predigttext als einen Besuch ansehen, der zu uns als Gast gekommen ist. Es ist ein kleiner Abschnitt aus einem Brief, den der Apostel Paulus vermutlich aus der ehemaligen Hafenstadt und Kultstätte Ephesus an seine Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth geschrieben hat. Ich lese diesen „Besuch“ in einer eigenen Übersetzung noch einmal vor (1 Korinther 11, 23-26):
“Ich, Paulus, gebe euch weiter, was ich vom auferstandenen Christus bekommen habe: Jesus Christus, unser Herr, nahm in der Nacht, in der er „weitergegeben“ wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach es und sprach: Das ist mein Leib – für euch. Dies tut zu meiner Erinnerung! Ebenso den Kelch – nach dem Essen – mit den Worten: Dies ist der Kelch, der neue Bund in meinem Blut. Das tut, jedesmal wenn ihr trinkt, zu meiner Erinnerung! Denn immer, wenn ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod unseres Herrn, bis er kommt”.
Ich glaube, die zentralen Worte dieses Textes sind vielen von uns als die Einsetzungsworte unseres Abendmahls bekannt. Sie gehören für viele Christen zum den Grundworten des Glaubens, die viele von uns auch auswendig kennen. Es sind uralte Worte, deren Ursprung wir nicht mehr ergründen können. Sie besagen, warum Jesus nicht nur ein einfacher Mensch, sondern einbesonderer Mensch ist. Ich darf es einmal kurz erinnern: Jesus ist in einer bestimmten Nacht mit Menschen zusammen. In der Regel sprechen wir hier vonseinen Anhängern, seinen Jüngern, Männern und Frauen. Es geht ums Essen, ums
gemeinschaftliche Essen. Jesus nimmt Brot und bricht es durch. Vielleicht hat er dies mit den Anwesenden schon oft getan. Sie werden wohl nicht erstaunt gewesen sein. Vielleicht gab es
einen festen Termin für diese Speisungen. Vielleicht war dies auch notwendig, da zur Zeit Jesu die „normalen“ Menschen gehungert haben. Hunger war der alltägliche Begleiter der Menschen! Deshalb war ein solches Mahl lebensrettend. Brot war nicht nur Brot, sondern es war sinnstiftendfür die Menschen.
Vielleicht spüren wir schon an dieser Stelle den großen Unterschied zu einem heutigenAbendmahl! Wenngleich es auch heute wieder (physisch) hungernde Menschen gibt. Ob sie auch in unsere Gottesdienste, zu unseren Abendmahlsfeiern kommen? Ich habe den Eindruck, dass Jesus in seinem Leben immer da war, wo der Hunger und die Hungrigen waren. Und umgekehrt: Die Menschen scheinen jenem Wanderprediger gefolgt zu sein, weil sie vom ihm das „tägliche Brot“ bekommen haben. So auch in jener Nacht, deren Termin gänzlich unbekannt ist, wie auch der Anlass oder die Anzahl der Teilnehmenden.
Jesus nimmt also Brot und bricht es durch, teilt es auf. Alle sollen etwas bekommen. Dann dankt er
mit einem Gebet für das Brot. Auch hier halte ich inne: Wer von uns dankt für die Speisen, die er
bei Aldi oder Edeka für sein Geld gekauft hat? Warum dankt Jesus? War es (nur) ein Ritual? Wenn ja, welche Bedeutung, welchen Sinn hat das Gebet? Paulus teilt uns in seinem Brief keinenGebetstext mit. War die Verbindung zu Gott (damals) etwas Normales, Natürliches? War man mit Gott verbunden? Hat der (physische) Hunger zu mehr Gottesfürchtigkeit als heute geführt? Vielleicht ist unser „Guten Appetit!“ der Restwunsch eines Gebets. Bis hierhin waren die Handlungen Jesu wohl den Menschen vertraut. Das kannten sie. Aber nunkommt etwas Neues. „Dieses Brot ist mein Leib – für euch“ sagt Jesus. Und „Dies tut zu meiner Erinnerung!“ Vielleicht hatten die Anwesenden bereits ein Stückchen Brot im Mund. Für die Hungrigen eine köstliche Gabe! Mit diesem Stückchen Brot hätten sie IHN, Jesus, in sichaufgenommen – und nicht nur Ceralien oder Kohlhydrate. Jesus nicht nur im Kopf sondern auch im Bauch, im eigenen Leib. Wer schon einmal nach einer Fastenzeit das erste kleine Stückchen Brotgeschmeckt hat, wird verstehen und nachspüren können, was die Gäste Jesu empfunden habenmögen! Es ist unendlich süß, das Brot. Ein Genuss. Und man ist sofort satt. Diesen Geschmack des Lebens bewahrt euch, mag Jesus gemeint haben. Diesen Geschmack des Leben nehmt als Erinnerung an mich. Ich möchte in euch lebendig werden. Ich möchte mich auf diese Weise in die Menschen und in die Welt geben.
„Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen“, sagt der Volksmund. Also reicht der Gastgeber
den Kelch herum: „Dies ist der Kelch, der neue Bund in meinem Blut. Das tut, jedesmal wenn ihr
trinkt, zu meiner Erinnerung!“ Das Ritual des Kelches werden die Gäste gekannt haben. Aber dann etwas Neues: Der Kelch bedeutet den neuen Bund. Der Saft der gepressten und gekelterten Trauben – ein Hinweis auf Folter und Kreuzigung Jesu? Schon in einem anderen biblischen Brief spricht der Autor von dem Opfer Jesu, das ein für alle Mal dargebracht ist, sodass für uns Christen Opferhandlungen nicht mehr notwenig sind (Hebr 7,27). Das Trinken aus dem Abendmahlkelch solluns daran erinnern. Für die Zeitgenossen des Paulus muss dies etwas ungeheuerliches gewesen sein. Denn da waren Opferhandlungen gang und gäbe. Und heute? Wer oder was wäre heute mit einem Opfer zubesänftigen? Wir kommen an dieser Stelle zu existentiellen Fragen wie Schuld, Vergebung, Krankheit (und auch Gesundheit). Wem bin ich verantwortlich? Wen lasse ich in meine Seeleblicken? Das Bedürfnis nach professionellen Zuhörern wie Psychotherapeuten oder Coachs ist heute sehr groß. Das Erlebnis von Alleinsein, Verlassensein, „Seelenfinsternis“, Depression kenntfast jeder von uns. Ich wünsche mir einen „neuen Bund“ für mein Leben, einen guten Sinn, eine gewisse Zukunft.
Wir kennen diese Worte als Einsetzungsworte des heiligen Abendmahls. Paulus schreibt, er habediese Worte „empfangen“. Sie sind ihm „eingefallen“. „Der Herr“ hat sie ihm „eingegeben“, ihm, dem ehemaligen brutalen Christenverfolger, der die Jesus-Nachfolger unerbittlich gejagt, verhaftet und getötet hat. Ihm, der den Zimmermannssohn nie persönlich kennengelernt hat. Paulus gibt eine wahre Begebenheit weiter und will, dass sie wiederum weitergetragen wird. Dass das Abendmahl mit Essen und Trinken zu einer leiblichen Erinnerung führt und keine Kopfgeschichtewird und bleibt.
Bleibt noch eine „persönliche“ Anmerkung des Apostels, und hier geht er in Konfrontation mit den Esoterikern in Ephesus und anderswo: Dieses Nachtmahl dient keiner gnostischen Erhöhung oder
göttlichen Qualifizierung. Das Abendmahl macht uns nicht „besser“ (als andere Menschen). Es
dient der Erinnerung an jenes Ereignis. Und es erinnert an den Tod Jesu. An sein Ende. Und dass
er sich in Brot und Kelch mitgeteilt, geteilt, weitergegeben hat. Mehr nicht. Dass alles, was danachkommt, nicht mehr in unserer Hand liegt. Wie hatte Jesus einmal in der Bergpredigt gesagt? „Wer
kann seinem Leben eine Spanne zusetzen und künstlich verlängern?“ (Mt 6,27) Eine erfrischende Demut mag uns überkommen! Was bleibt uns? Wir teilen Brot und Wein. Wir stillen den Hunger. Wir tun, was notwendig ist. Und sind bereit, wenn „der Herr“ kommt.
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus!
Nach den sehr gründlichen und erhellenden Predigtüberlegungen beginnt Pastor Kühne seine Predigt mit der Erinnerung an das historische Abendmahl Jesu. Dazu gehört, dass der Hunger damals der alltägliche Begleiter der Menschen war. Jesus war auch da, wo Menschen auf das tägliche Brot warteten. Auch beim Abendmahl teilt Jesus Brot aus und spricht ein Dankgebet. Der Text davon ist nicht bekannt, aber wird den Jüngern bekannt gewesen sein. Nun aber geschieht etwas Neues: Das ist mein Leib, sagt Jesus. Ihr habt mich, Jesus, in Euch aufgenommen. Ich bin nicht nur in eurem Kopf und in eurem Herzen und in euren Gedanken. Ich bin auch in eurem Körper. Ich gebe euch den Geschmack des Lebens. Nehmt diesen Geschmack als Erinnerung an mich auf. Ich möchte in euch lebendig sein. Danach reicht Jesus den Kelch mit Wein herum. Er ist ein Zeichen des blutigen Opfers, das Jesus stellvertretend für die Christen als Sühne für unvergebbare Schuld einsetzt. Paulus war beim ersten Abendmahl nicht dabei, aber will, dass das Abendmahl weitergegeben wird. Das Abendmahl führt zu einer leiblichen Erinnerung und bleibt keine Kopfgeschichte bis Jesus bei der Vollendung der Welt wiederkommt. Sehr schön erklärt Pastor Kühne das für Konfirmanden und die Gemeinde schwierige Thema Abendmahl. Den vorletzten Ansatz könnte man noch vertiefend diskutieren. Das Abendmahl ist – sehr schön formuliert – eine leibliche Erinnerung für alle am Abendmahl Teilnehmenden.