Diesen Text von der Heilung der 10 Aussätzigen kennen viele Menschen gut.
I.
Jedes Mal, wenn ich den Text lese oder höre, denke ich: Also das geht ja gar nicht! Nach so einem Geschenk von Jesus dankt nur ein einziger! Unmöglich. Der moralische Zeigefinger schnellt in die Höhe. Danke sagen, das gehört sich. Schon kleinen Kindern bringen wir es bei“ Wie sagt man?“ oder „Nun sag mal schön Danke“. Wer von uns kennt diese Sätze nicht und hat sie vielleicht auch schon bei kleinen Kindern angewandt. Danke sagen gehört zu den Grundregeln der Höflichkeit. Auf den ersten Blick sind sich da viele Menschen einig. Aber wie ist das mit der Dankbarkeit?
Ich erinnere mich an wenige, aber doch eindrückliche Geschenke, über die ich mich nicht gefreut habe, bei denen es mir gar nicht leicht fiel Danke zu sagen. Das Bügeleisen von meiner Schwiegermutter zu Weihnachten, die 14. Chromaganplatte zur Hochzeit, die Tasse, die auch beim besten Willen nicht als schön anzusehen war, das x-te Erbauungsbuch, das mir als Pfarrerin geschenkt wurde. Klar, ich habe Danke gesagt, aber den Dank gefühlt habe ich nicht. Sicher kennen Sie auch solche Situationen. Oft geht uns das bei Geschenken so, um die wir gar nicht gebeten haben. Hier sind wir bei unserem Text.
Die 10 Aussätzigen jedoch hatten Jesus um Gnade, um Erbarmen gebeten, was auch immer das genau beinhalten sollte. Beides, Gnade und Erbarmen, sind Worte, die im normalen Sprachgebrauch heute kaum mehr auftauchen. Gnade gehört in die Rechtsprechung und Erbarmen ist fast ausschließlich in den religiösen Bereich verbannt. Was also wollten die 10 Menschen, die aus gebührender Entfernung Jesus um sein Erbarmen, sein Mitleid und sein Handeln baten? Sie waren krank, vielleicht hatten sie Lepra, die sehr ansteckend war und die Haut, Gewebe und Knochen zerstörte. Jedenfalls waren sie Außenseiter, im wahrsten Sinn des Wortes Ausgestoßene. Sobald erste Zeichen der Krankheit auftraten, mussten sie ihre Familien, ihre Dörfer, ihre Arbeit verlassen. Die Aussätzigen taten sich oft zusammen und kämpften gemeinsam ums Überleben. Gütige Verwandte stellten ihnen Essen und anderes zum Leben Notwenige an verabredete Plätze. Treffen durfte man sich nicht.
Übrigens gibt es einen sehr ergreifenden Roman von Victoria Hislop Insel der Vergessenen über die Insel Spinalonga in Griechenland, wohin bis Anfang der 60iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Leprakranke geschickt wurden. Einsamkeit, Verzweiflung, Existenznot waren der tägliche Begleiter der Menschen mit dieser Krankheit, zur Zeit Jesu bis in die jüngste Vergangenheit als Lepra endlich geheilt werden konnte. Die Krankheit war ein großer Gleichmacher. Geschlecht, sozialer Status, nationale Herkunft spielten keine Rolle mehr. Ausgegrenzt waren alle. Am „normalen“ Alltagsleben konnten, durften sie nicht teilnehmen. Auch als Jesus auf seiner Reise in ein Grenzdorf zwischen Samaria und Galiläa kam, durften sie sich ihm selbstverständlich nicht nähern, sondern nahmen aus der Ferne, mit Abstand, Kontakt zu ihm auf.
II.
Schrecklich ist es, ausgegrenzt zu sein. Ausgrenzung wegen einer Behinderung, wegen eines anderen Aussehens, wegen einer anderen Religion oder Kultur, wegen einer anderen Sprache oder eines anderen Lebensstils. Auch Mobbingopfer wissen leider sehr genau, was es heißt, nicht dazu gehören zu dürfen. Dieses Leben kann unerträglich sein. So bitten diese Aussätzigen Jesus, dass er ihre Lage erkennt, dass er Mitleid mit ihnen hat, sie bitten in letzter Konsequenz darum, dass sie anerkannte, selbstverständliche Mitglieder der Gesellschaft sein dürfen. Und dazu bedurfte es der Heilung der Krankheit.
Jesus sieht ihr Leid, spürt ihren Schmerz und ihre Verzweiflung, er hört sie, hat offene Augen und ein offenes Herz für sie. Er spricht sie an. Er sagt aber nicht „Ihr seid geheilt“ oder fragt „was wollt Ihr genau?“ denn das war eindeutig. Wie es damals rechtlich und religiös nötig war, schickt er sie zu den Priestern. Die Priester waren so etwas wie das Gesundheitsamt. Sie allein konnten den Aussatz für geheilt erklären. Alle zehn, noch aussätzig, drehen sich auf das Wort Jesu um und machen sich auf den Weg zum Priester. Während sie sich auf den Weg machen, tritt die Heilung ein. Sie alle hatten geglaubt, dass der Weg zu den Priestern, der Weg in die Normalität möglich war. Das ist doch eigentlich schon so etwas wie ein Wunder. Sie trauten diesem Jesu etwas zu. Sie glaubten daran, dass er ihnen Gutes tun konnte, dass sein Wort ihnen neues Leben schenken konnte. Sie ließen sich durch Worte Jesu bewegen, weil sie darauf vertrauten, dass sie von Gott kamen, dass sie, jeder Einzelne gemeint war. Hier ist doch schon ein ein Gipfel der Geschichte erreicht. Glaube hilft dabei, einen neuen Weg einzuschlagen, schenkt auf dem Weg Heilung, gibt die Möglichkeit für einen neuen Anfang. Das haben alle geglaubt und erfahren. Aber nur einer kommt nach seiner Heilung zurück und dankt Jesus. Die anderen sind wahrscheinlich so überwältigt von ihrer Heilung, dass sie sofort zu ihren Familien laufen, dass sie ganz schnell eingefangen werden von der Normalität, die ihnen so lange Zeit vorenthalten war. Wem sie diese neue Integration verdanken, vergessen sie vor lauter Freude und Aufregung.
Aber einer dreht um. Er ist überwältigt von Dankbarkeit. Vor Jesu fällt er nieder und dankt ihm. Dieser Mann, das wird besonders erwähnt, ist ein Samariter, ein Mann, der in Israel wegen seines anderen Gottesglaubens gemieden wurde. Nur während der Krankheit war er wie alle anderen auch gleichgestellt mit den anderen Aussätzigen. Ein Fremder ist sich des Wunders seiner Heiling bewusst und dankt Jesus und Gott. In heutigem Statistikdenken kein schlechtes Ergebnis. Wenn 10% all unserer Gemeindeglieder in der Gemeinde aktiv wären, wäre das hervorragend. Wenn 10% von Umfragebögen beantwortet werden, sind Statistiker glücklich.
III.
In dieser Geschichte aber bleibt die, wie ich denke, verständliche Enttäuschung. Wo sind die anderen, die auch geheilt wurden? Warum haben sie sich nicht die Zeit genommen, wenigstens kurz Danke zu sagen für dieses Leben verändernde Geschenk? Spekulieren können wir darüber, aber die Tatsache bleibt. Ein einziger weiß, wem gegenüber er zu Dank verpflichtet ist und wem er das neue Leben zu verdanken hat. Von sich aus kommt er zu Jesus zurück. Der Dank ist überschwänglich, er wirft sich Jesus zu Füßen. Er ist erfüllt von Freude, von der Erkenntnis, dass ihm etwas ganz Großes widerfahren ist, geschenkt wurde. Und Jesus sagt „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Er schickt ihn mit seinem Segen in sein geändertes Leben. Er geht mit Gnade.
Der Samariter hat mit seinem Dank an Jesus Gott die Ehre gegeben. Die Anerkennung der Gnade und des Erbarmens, um diese Worte bewusst zu nutzen, war für ihn wichtig, und das sofort. Dankbarkeit, das ist inzwischen wissenschaftlich anerkannt, hilft zur Zufriedenheit. Wer dankbar ist, erkennt, dass nicht alles selbstverständlich ist. Er, sie weiß um die heilende Kraft von Beziehungen, sei sie zu Gott oder anderen Menschen. Dankbarkeit und Wertschätzung gehen miteinander einher und das für den Beschenkten und die Schenkende.
Was das Verhältnis zu Gott anbetrifft, so wird hier dafür geworben, auch den Dank nicht zu vergessen. In jedem Gottesdienst gibt es deshalb neben den Gebeten auch einen Teil, in dem Gott gelobt wird, in dem ihm die Ehre gegeben wird. Bei allem, was uns bedrückt, gibt es doch auch viel, wofür wir danken können: Freundschaften, die Geburt eines gesunden Kindes, nettes gemeinsames Beisammensein, ein Spaziergang in der Natur, bei dem Vögel uns ihre Lieder schenken und wir den Duft von Gras, Heu oder Blumen wahrnehmen können. Jede hat da ihre eigenen Glücksmomente.
Wer Dankbarkeit einübt, denn das kann man ganz bewusst tun, lernt, Kleinigkeiten zu schätzen und das Leben mit den Sonnentagen zu genießen. Nicht nur Dankbarkeit und Wertschätzung gehören zusammen, auch Dankbarkeit und Glaube. Wer sich in Beziehung zu Gott sieht, weiß die eigenen Wege begleitet, in Traurigkeit und Freude. Der Samariter dankte Gott für diese Begleitung und die Möglichkeit, neue Wege zu gehen, dazu zu gehören, nicht mehr ausgestoßen zu sein. Sicher hat es auch ihm das Herz geöffnet für die, die auf Unterstützung du Hilfe angeboten waren. Dankbarkeit weitet das Herz. Vielleicht üben auch Sie es einmal ein und danken jemandem, der Ihnen wichtig ist.