Predigt

"Gitarren statt Gewehre"

Advent - Zeichen der Hoffnung

PredigttextMatthäus 11, 1-6
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum:14.12.2014
Kirchenjahr:3. Sonntag im Advent
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Matthäus 11,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Und es begab sich, als Jesus diese Gebote an seine zwölf Jünger beendet hatte, dass er von dort weiterging, um in ihren Städten zu lehren und zu predigen. Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen:Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Exegetische-homiletische Impulse

Das 11. Kap. des Mt stellt mit Ulrich Luz so etwas wie einen „Übergang“ dar: nach der matthäischen Vorgeschichte 1,1-4,22 versucht Jesus im ersten Hauptteil des Evangeliums (Mt 4,23-11,30) die Einsicht der religiösen Führer zu gewinnen. Dagegen wird ab Kap 12 der Ton zwischen Jesus und seinen Gegnern schärfer, was schließlich zum Todesbeschluss führt. Es gilt mittlerweile in der Forschung als sicher, dass Mt das Material in Kap. 11, 2-11 aus der Spruchquelle Q entnommen hat, das dort bereits in ähnlicher Weise angeordnet war (vgl. dazu auch die Parallele in Lk 7, 18-35). Ob die Frage Johannes des Täufers an Jesus und die darauf gegebene Antwort tatsächlich historisch ist, bleibt weiterhin umstritten. Ist die ganze Szene nicht eher ein Produkt der urchristlichen Gemeinde, die sich mit der Gruppe der Johannesjünger auseinandersetzt? Oder steckt hinter dieser möglichen Überarbeitung doch ein historischer Kern, der auch auf Verbindungen zwischen der Jesus- und Johannesbewegung schließen lässt?

Die Predigtperikope Mt 11, 1-6 ist im Gesamtzusammenhang von Mt 11,2-11 zu sehen, dem die sogenannte Aussendungsrede an die Jünger (Mt 9,36-11,1) vorausgeht. Weil diese Rede ebenso wie die vier anderen großen Reden im Mt mit einer formelhaften Wendung „und (es geschah) als beendet hatte Jesus …“ abgeschlossen wird, dürfte auch Mt 11,2 als Beginn eines neuen Abschnitts anzusehen sein. Dem entspricht zudem, dass in Kap. 11,2 inhaltlich Neues mitgeteilt wird. Johannes der Täufer sendet seine Jünger mit der Frage aus, ob Jesus der Kommende sei. Jesus gibt in den Versen 3-6 seine Antwort. In Mt 11,7 beginnt ein weiterer Abschnitt, in dem ein Personen- und Themenwechsel die Zuhörer nicht weiter mit Jesu Überlegungen zu sich selbst befasst, sondern er vollzieht mit dem Volk einen Blick- und Richtungswechsel: es geht nicht mehr um seine Person, sondern um die des Johannes. Dieses Thema wird dann bis V. 14 fortgeführt und findet seinen Abschluss mit dem Logion in Vers 15: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“. Somit haben diese beiden Szenen in Kap. 11 folgende Gliederung: Mt 11, 1: Abschluss der zweiten Rede Jesu im Mt Mt 11,2-6: Über Jesus: Ist er der Kommende? Mt 11,7-15: Über Johannes: Wer ist eigentlich Johannes der Täufer?

In V. 2 finden sich einige Verweise auf Ereignisse, die in den früheren Kap. erzählt wurden. Demnach ist Johannes im Gefängnis (vgl. Mt 4,12), gleichzeitig soll aber auch an die Predigttätigkeit Johannes des Täufers erinnert werden (vgl. Mt 3, 1-6). Kernthema seiner Bußpredigt war die Ankündigung eines Stärkeren, der nach ihm kommt (vgl. Mt 3,7-10.11-12). Ebenso ist als Rückverweis die Bemerkung anzusehen, dass Johannes von den Taten Jesu gehört hat. Die Frage ist hier, ob er selbst Augen- und Ohrenzeuge bei den Predigten und Begegnungen Jesu mit den Menschen war, oder ob er von den Taten Jesu durch die Jünger Jesu gehört hat. Beides ließe auf eine irgendwie gelagerte Beziehung zwischen beiden Gruppen schließen.

In V. 3 folgt die Frage Johannes des Täufers, die er durch seine Anhänger an Jesus richtet. Es stellt sich die Frage: Warum fragt der Täufer überhaupt? Es fällt auf, das hier – einmalig im Mt – nur vom „Kommenden“ gesprochen wird. Frankemölle sieht in dieser Frage Johannes als eine Art „Pädagogen“, der die Leser auf Jesus hinlenken möchte und auch - im Blick auf Jesus - zu einer Entscheidung drängen möchte. Die Jünger des Johannes bekommen in V. 4 eine überraschende Antwort. Jesus sagt nicht „ich bin es“, sondern er spricht eine Einladung zum „hören und sehen“ aus. Mit dieser Antwort bietet die Stelle den Lesern Raum, sich in ihrer Zeit durch eigenes Sehen und Hören davon zu überzeugen, dass Jesus der erhoffte Messias und Christus ist.

V. 5 benennt die Wunder, die Jesus getan hat. Dieser Vers ist aus verschiedenen Zitaten aus Jes zusammengestellt, ohne dass ein bestimmter Vers ausgemacht werden kann (vgl. Jes 35,5f; Jes 42,18; Jes 29,18f; Jes 42,6f; Jes 35,8; Jes 61,1). Der Bezug zum Propheten Jes wird wohl auch deshalb gewählt, weil er als der „messianische Prophet“ (Gnilka) gilt. Die Entscheidungssituation wird in V. 6 durch Jesus selbst mit einer Seligpreisung ausgesprochen. Das in V. 6 stehende „an mir“ schließt den ersten Teil des Abschnitts ab und macht noch einmal deutlich: die Frage des Johannes, die Jesus in V. 5 mit Hinweis auf seine Taten (vgl. Mt 8 und 9) vollbracht hat, muss unmissverständlich in die Antwort münden: der kommende Messias bzw. Christus ist Jesus!

Die Frage des Johannes, ob Jesus tatsächlich „der Kommende“ ist, ist bei Mt weder rhetorisch noch apologetisch gebraucht. Vielmehr geht es darum, ob Johannes- und Jesusjünger künftig gemeinsam unter Jesu Wort und Wirken gehen können. Entfaltet sich also gerade in Jesu Niedrigkeit göttliche Macht; ist er der Herr oder auch nur ein Prophet? Was ist zu hören und zu sehen? Jesu packt das Elend an, er nennt es beim Namen, er heilt. Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube, Tote, Arme, alle, die vom Leben in der damaligen Gesellschaft ausgegrenzt wurden, werden von Jesus ins Leben und in die Gemeinschaft mit ihm zurückgeholt. Aber „was jetzt zu hören und zu sehen ist, Rettungswunder und Evangeliumsverkündigung, soll den Boten des Täufers die Antwort vermitteln, dass das endzeitliche Heil im Anbruch ist“ (Gnilka 408). Das Heil kommt vor dem Gericht, das ist der fundamentale Unterschied zwischen Jesus und Johannes.

Weihnachten steht vor der Tür – noch zehn Tage des Wartens stehen bevor. Das Fest der Erwartungen, manchmal der ausgesprochenen, aber ganz oft auch unausgesprochenen Erwartungen; für manche ist es auch das Fest der Befürchtungen. „Bereitet dem Herrn den Weg!“ So lautet der Wochenspruch aus Jesaja 40. Wer ist es, der da kommen soll? Ist er Retter oder Richter? Die, die ihm den Weg bereiteten, denen, sich seiner heilbringenden Botschaft öffneten, wurde Jesus zum Retter, zum Grund der Freude, die allem Volk widerfahren ist. Und die, die sich seiner Botschaft nicht öffnen konnten, die mit seiner Verkündigung von der Liebe Gottes nicht einverstanden waren, wurde Jesus zum Anstoß und zum Ärgernis. Wir haben mit dem heutigen Sonntag noch zehn Tage Zeit, uns einzustimmen bzw. einstimmen zu lassen auf den, der da kommt, und auf die Botschaft, die er uns verheißt.

Lieder

"Wie soll ich dich empfangen" (EG 11,1-4) "O Heiland, reiß die Himmel auf" (EG 7) "Wir sagen euch an den lieben Advent" (EG 17,1-3) "Seht die gute Zeit ist nah" (EG 18,1-2) "Die Nacht ist vorgedrungen" (EG 16)

Gebet im Advent

Dass du den Himmel zerrissest, Barmherziger, und in unser Leben kämest, das am Ersticken ist, weil wir es nicht frei bekommen aus der Enge seiner Verhältnisse. Dass du den Himmel zerrissest und dich unserer Lust entgegenstelltest, anderen unsere Worte und Gedanken, unseren Glauben und unsere Handlungsweisen aufzudrängen, anstatt sie nur sein und wirken zu lassen. Dass du den Himmel zerrissest und zu uns kämest, in diese Stadt, in diese Kirche, in jedes Haus, in jede Wohnung und ums die Augen und Ohren, Herzen und Köpfe auftätest und wir anfingen, endlich vom Leben Größeres zu glauben als das, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen. Dass du den Himmel zerrissest, Lebendiger, und wir dich nicht länger warten liessen, uns einzustellen am Haus deines Friedens und mitzubauen. (Aus: Arno Schmitt. Bind deinen Karren an die Sterne. Ein liturgisches Werkbuch, Gütersloh 2010, 28)

Advent vielleicht

Das wäre schön auf etwas hoffen zu können Was das Leben lichter macht und leichter das Herz Das gebrochene ängstliche Und dann den Mut haben die Türen weit aufzumachen Und die Ohren und die Augen und auch den Mund Nicht länger verschliessen Das wäre schön Wenn am Horizont Schiffe auftauchten Eins nach dem anderen Beladen mit Hoffnungsbrot bis an den Rand Das mehr wird immer mehr Durch Teilen Das wäre schön Wenn Gott nicht aufhörte zu träumen in uns Vom vollen Leben einer Zukunft für alle Und wenn dann der Himmel aufreissen würde ganz plötzlich Neue Wege sich auftun hinter dem Horizont Das wäre schön (Aus: Carola Moosbach, Lobet die Eine, Schweige- und Schreigebete, Mainz, 2000)

Fürbitten

Guter Gott, bereite uns auf dein Kommen vor, damit wir dich so empfangen, wie du uns willst.Erneuere uns und unsere Welt. Wir rufen: Kyrie (EG 178,9, Ukraine-Kyrie). Du Herr deiner Kirche, du kommst zu uns. Du schenkst uns Leben. Schenke uns Glauben, wo wir versagen. Schenke uns Geduld, wo wir manchmal zu kurz denken. Schenke uns Frieden, wo wir miteinander nicht gut umgehen. Schenke uns Versöhnung, wo wir miteinander streiten oder zanken. Komm mit deiner Liebe zu uns. Wir rufen: Kyrie.

Du Gott der Armen und Schwachen, du kommst zu den Menschen, die wenig oder gar nichts haben. Erfreue mit deinem Kommen all die Menschen, die ihren Kindern trotz finanzieller Not etwas von Herzen schenken wollen. Erfreue mit deinem Kommen all die, die die Ungerechtigkeit in dieser Stadt Berlin und in unserem Land kaum noch ertragen können. Erfreue mit deinem Kommen auch die Obdachlosen, die im Augenblick mit der Kälte kämpfen und dringend einen Raum in der Herberge benötigen. Komm mit deiner Güte, Wärme, Gerechtigkeit und Freude zu allen Menschen. Wir rufen: Kyrie.

Du Gott des Lebens, du kommst zu denen, die im Dunkel leben. Die Kranken brauchen Heilung, all die Menschen, die in Pflegediensten tätig sind, brauchen deine Hilfe und deinen Zuspruch, dass sie an ihrer Arbeit und Aufgabe nicht verzweifeln. Die Trauernden brauchen deinen Trost und die Verzweifelten brauchen ein Zeichen der Hoffnung. Wir vertrauen auf dich, dass du am Ende unseres Weges da bist, und uns in die Arme nimmst. Komm mit deinem Licht und deinem Leben. Wir rufen: Kyrie.

Du kennst unsere Gedanken und gibst uns nicht auf. Voller Freude erwarten wir dich. Wir sind zuversichtlich, dass du unsere Welt erneuerst durch Jesus Christus, der mit dir und dem heiligen Geist lebt und regiert in Zeit und Ewigkeit.

Texte der Gegenwart

Das ist das eigentliche Wunder: Den Armen wird das Evangelium gepredigt! Den Armen, das heißt denen, die an dieser sichtbaren Welt leiden, die da warten auf die kommende Welt…Diejenigen, die an ihn glauben, sind herausgehoben aus dem Fluss der Zeit in die Ewigkeit; sie haben die Wahrheit, die Reinheit, das Leben; wie Not und Tod sie nicht mehr in Verzweiflung bringen kann, so kann sie auch das Böse um uns und in uns nicht mehr schrecken. Es ist verschlungen in die Gnade Gottes. In: Rudolf Bultmann, Predigt über Mt 11, 2-6 am 11.12. 1938, in: Marburger Predigten, Tübingen 1956, 95f.

Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen rotgoldene Augen und siderische Stimmen haben, an dem ihre Hände begabt sein werden für die Liebe, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen sein (...)

(...) und ihre Hände werden begabt sein für die Güte, sie werden nach den höchsten aller Güter mit ihren schuldlosen Händen greifen, denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen (...) Ingeborg Bachmann

Bist du es, der da kommen soll? Als Johannes der Täufer im Gefängnis sass, sandte er zwei Jünger und liess Jesus fragen: „Bist du der, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?“ „Wie lange könnt ihr denn noch warten?“ fragte Jesus. Die Jünger des Johannes sahen ihn verdutzt an. „Wartet noch vier Tage,“ sagte Jesus schnell und wandte sich ab. „In drei Tagen werden sie ihn töten,“ sagte Jesus zu Petrus, der ihn fragte, was ihm fehle. - „Aber dann ...“ – sagte Petrus. „Ich bin nicht, der da kommen soll,“ sagte Jesus. „Ich bin der, der da ist. Johannes hat mich angefasst, er hat mich untergetaucht, er hat mich aufgehoben, aber gesehen hat er mich nicht. Er will es nicht erleben. Er will es nur erwarten“, sagte Jesus und weinte bitterlich. In: Adolf Muschg, in: Wolfgang Erk (Hrg.), Warten auf ihn, Stuttgart 1981.

Literatur

Günther Bornkamm, Studien zum Matthäus-Evangelium. Hg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn, 2009; Josef Ernst, Johannes der Täufer. Interpretation – Geschichte – Wirkungsgeschichte, Berlin – New York 1989, bes. 55-80; Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium (ThKNT 1), Stuttgart 2006; Hubert Frankemölle, Matthäus. Kommentar 2, Düsseldorf 1997; Marlies Gielen, Das Matthäusevangelium. Blick zurück nach vorn. Die Verflechtung des Geschicks Jesu und Jerusalem in ihrer Bedeutung für die matthäische Gemeinde, in: BiKi (2007), 152-159; Joachim Gnilka, Das Matthäusevangelium I: Mt 1,1-13,58 (HThK I/1), Freiburg 1993; U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 1: Mt 1-7 (EKK I/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 2002 (5. Aufl.); ders.; Das Evangelium nach Matthäus Bd. 2: Mt 8-17 (EKK I/2), Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 2007 (4. Aufl.); William Manson, Bist du, der da kommen soll? Das Zeugnios der drei ersten Evangelien von der Offenbarung Gottes in Christo unter Berücksichtigung der Formgeschichte, Zürich 1952; Ulrich B. Müller, Johannes der Täufer. Jüdischer Prophet und Wegbereiter Jesu, Leipzig 2002 (gut lesbare Darstellung der historischen Gestalt Johannes des Täufers sowie seine Überlieferung und Wirkung in der synoptischen Tradition, im johanneischen Kreis, in der außerkanonischen Literatur, bei den Kirchenvätern und in der Bildenden Kunst); Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus (ThHKNT 1), Leipzig 1998.

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