GOTT kommt

Ich höre eine Stimme, höre ich sie nur alleine?

Predigttext: Jesaja 40,1-11 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 11.12.2022
Kirchenjahr: 3. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Jesaja 40,1-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.
2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.
3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!
4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden;
5 denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet.
6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.
7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk!
8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott;
10 siehe, da ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen.
Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.
11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Kurze Einführung in die Predigt

Mit Jesaja 40 beginnt auch im Buch des Propheten Jesaja ein neuer Abschnitt und eine neue Zeitrechnung, der unbekannte Verfasser wird „Deuterojesaja“ genannt. Vorher gibt es einen Protojesaja, danach einen (inzwischen umstrittenen) Tritojesaja, allesamt Jesaja. So ist „sein“ Buch auch kanonisch als ein Buch überliefert. Es ist ein Text in dreifacher Konturierung, eine Geschichte in dreifacher Zeit, eine Schnur mit drei Knoten. Der Predigttext aus der Eröffnung des 2. Jesajabuches („Tröstet, tröstet“) ist eine Inszenierung des neuen Anfangs.

VV 1+2                Ein Predigt-Befehl
VV 3-5                 Die 1. Stimme
VV 6-8                 Die 2. Stimme
VV 9-10              „Seh“-Befehle
V 11                     Zu-Sage

Die Predigt versucht sich darin, die Inszenierung nachzuzeichnen.  Jes. 40,1-11 ist ein Evangelium, wortgewaltig und sprachlich schön. Der Predigttext wird vor der Predigt vorgetragen, dann aber auch in der Predigt vor jedem Abschnitt versweise. Die Zitate sollten von anderen Stimmen als der des Predigers, der Predigerin gesprochen werden. Vielleicht auch von einem anderen Ort in der Kirche. Von hinten? Von der Seite?

Am 11.12.1942 starb Jochen Klepper mit seiner Frau und seiner Stieftochter in Berlin. Sie sind in einer ausweglosen Situation gemeinsam in den Tod gegangen. Sein Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“  (EG 16) aus dem Jahr 1938 kann Teil der Predigt werden und Jes. 40,1-11 singen. Als Kirchenliederdichter ist J. Klepper bekannt geworden. Seine Lieder stehen im Evangelischen Gesangbuch und wurden auch in das (kath.) Gotteslob aufgenommen. Informationen über ihn finden sich unter: Jochen Klepper - Sein Leben, seine Lieder und sein Tod https://www.ekd.de/27209.htm

 

 

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Heute, vor 80 Jahren, starb Jochen Klepper. Ende 1942 scheiterte die Ausreise seiner jüdischen Stieftochter Renate ins rettende Ausland, ihre Deportation stand unmittelbar bevor. Überdies musste Klepper nach einer persönlich erteilten Auskunft des Reichsinnenministers Wilhelm Frick davon ausgehen, dass Mischehen zwangsweise geschieden werden sollten und auch seiner jüdischen Frau Johanna die Deportation drohte. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 nahmen sich die Kleppers gemeinsam das Leben. In sein Tagebuch  – später herausgegeben unter dem Titel „Unter dem Schatten deiner Flügel“ – schreibt Klepper als letzten Eintrag: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ Wir wollen während der Predigt fünfmal einhalten und sein Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ – es entstand 1938 – mit seinen 5 Strophen singen.

Den Predigttext für den 3. Advent finden wir im Buch des Propheten Jesaja, Jesaja 40,1-11. Das Volk Israel ist immer noch in Babylonien. Deportiert. Aus der Heimat vertrieben. Schlimme Erfahrungen, Traumata, Enttäuschungen kommen immer wieder hoch. Jesaja, es ist schon der 2. Jesaja, kommt zu den Menschen mit einer – Predigt. (Lesung des Predigttextes)

Befohlene Predigt

(VorleserIn:) Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist. –

Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Tröstet, tröstet! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. In Jerusalem? Wie weit ist die Heimat doch weg, die Stadt auf dem Berge! Eine Ruinenstadt, eine Geisterstadt. Der Traum, Stadt Gottes zu sein – ausgeträumt. Über den Brandspuren wächst das Unkraut. Gras auf Rus. Israel sitzt in Babylonien fest. Vor Jahr und Tag wurden die Menschen hierhin verbannt. Niemand nahm ihnen die Angst, von Gott verlassen zu sein. Sie wurden gar schuldig gesprochen. Ihr Los hätten sie verdient. Sagten die Deuter.

Babylonien hat Fakten geschaffen. Ein Weltreich tritt auf, fackelt nicht lange. Heute wird Geschichte geschrieben. Es blühen die Wissenschaften, die Kultur und die Macht. Aber auch die Fremdheit, die Einsamkeit. Inzwischen sind schon die Enkel an der Reihe. An der Reihe, noch einmal neu anzufangen. Es liegt etwas in der Luft. Jetzt wankt der Riese auf tönernen Füßen. Ihm droht der Garaus. Die Knechtschaft ist am Ende, die Schuld vergeben. Sagt Jesaja.

Wie schön es doch ist, eine freundliche Stimme zu hören! Der ausgestreckte Zeigefinger wärmt sich in der Hosentasche, die freche Zunge labt sich an einem feinen Bissen, das schlechte Gewissen aber wagt aufzuschauen. Tröstet, tröstet mein Volk! Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Wir singen „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16,1).

Die 1. Stimme – (VorleserIn:) Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet. –

Täler sind Täler, Berge Berge. Wie schön doch die Klüfte sind, bunt wie das Leben. Einst tobte hier das Urmeer. Aber unten soll nicht unten bleiben, oben nicht oben. Die „da unten“, die „da oben“ – Sie finden zueinander. Wenn ER kommt. In der Wüste gibt es einen Weg. Kein Sand wird sich über ihn legen. Meine Schritte holen weit aus. Wo Gestrüpp wuchert, wo Geröll zu Hause ist, tut sich eine Oase auf. ER kommt.

In Babel ist alles geebnet, geordnet, fein ausgerichtet. Auf Götterstatuen, auf Herrscherbilder. Wer hier zu sagen hat, hat sich ins Stadtbild gefressen. Mit den Sternen ist man  auf „Du“ und „Du“. Doch in den Häusern wächst der Staub. Hinter den Fassaden, in den Gassen  – Wüste. Steppe. ER wird kommen! Tröstet, tröstet mein Volk! Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Wir singen die zweite Strophe (des begonnenen Liedes), „ Dem alle Engel dienen“ (16,2).

Die 2. Stimme – (VorleserIn:) Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. –

Ich soll predigen. Ich? Die Worte gehen mir aus. Sie sind ausgezogen. Sie wehren sich. Ich war nicht gut zu ihnen. Gras, nichts als Gras. So schön grün! Heimat der Käfer und Mäuse. Ich lege mich hin und träume vom Himmel Blumen, nichts als Blumen. Wie schön sie duften! Welche Farbenpracht! Heimat der Bienen. Meine Augen – staunen. Verzaubert. Alles vergänglich. Über Gras möchte ich predigen. Über Blumen auch. Nur meine Worte sind trocken geworden, sie blühen nicht mehr. Habt ihr gehört? Ich soll predigen! Ich! Tröstet, tröstet mein Volk! Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Wir singen die dritte Strophe, „Die Nacht ist schon im Schwinden“ (16,3).

Schauen

(VorleserIn:) Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. –

Freudenbotin! Wo bist du? Ich frage in der Wüste. Der Sand verschluckt meine Stimme. In der Steppe huschen die Worte durchs Gestrüpp. Ich muss auf einen hohen Berg! Ich muss auf den höchsten Berg! Jetzt sehe ich weit in die Ebene. Und der Himmel ist mir nah. Ich sehe Menschen wandern. Füße, frohgemut aufgebrochen, sind müde geworden. In den Köpfen ist Leere. Ich sehe Häuser. Hinter den Türen wird gelacht und geweint, geschrien und geliebt. Die Angst hat sich irgendwo verkrochen.

Zion, du Freudenbotin! Sie ist nicht einmal ein Engel. Nur ein Berg, ein hoher. Unbeirrt ragt er in den Himmel. Unbeirrt trägt er die Stadt Jerusalem. Unbeirrt gewährt er Gott Raum und Heimat. Unbeirrt wohnt hier die Sehnsucht. Zion, du Freudenbotin! Weißt du, wer du bist? Gott kommt. Er kommt zurück. Er kommt wieder. Hier wollte er immer wohnen. Unter Menschen, die er liebt, die ihn lieben, die er sucht, die ihn finden. Jetzt sitzen wir mit ihm an einem Tisch. Die Furcht, die unter Menschen umgeht, verzieht sich. Die Demagogie, zu zweifelhaften Ehren gekommen, macht sich vom Acker. Und dem Hass, der immer nur neues Unheil schafft, werden die Zähne gezogen. Predigen soll ich. Von der Freudenbotin. Tröstet, tröstet mein Volk! Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Wir singen die vierte Strophe, „Noch manche Nacht wird fallen“ (EG 16,4).

Höre!

(VorleserIn:) Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen. –

Der gute Hirte! Die Schafe finden fette Weide. Den Wölfen vergeht Hören und Sehen. Lämmer ruhen auf der Schulter, sie werden getragen, sie werden ans Herz gedrückt. Er kommt! Der Ewige watet durch den Dreck, schlägt sich die Nacht um die Ohren, kriecht durchs Gebüsch. Im Gestrüpp geht niemand verloren. In Kiew,  Brüssel und Washington wälzen sich die Gedanken durch Dickichte. In Moskau wird die Geschichte neu erfunden. Mit Raketen, Kälte und Nacht. Menschen sind um Trost verlegen. In meinem Ort auch. Ich höre es auf der Straße, es rauscht durch die Nachrichten, es wabert durch Netze. Trost wird überall in der Welt gesucht. Händeringend. Der Handel mit Wahrheit ist ausgesetzt. Werte taumeln in den Keller. In harten, kalten Tagen ist die Sehnsucht groß. Sie wächst mit jedem Tag. Die Sehnsucht, getröstet, aufgerichtet, gehalten zu werden.

Zion, du Freudenbotin! Du hast keine Flügel, du spielst nicht einmal die erste Geige. Aber an dir bricht sich das Urmeer, die Chaosmächte müssen sich trollen, das Lachen der Kinder stürmt den Himmel. Tröstet, tröstet mein Volk! Ich höre eine Stimme. Höre ich sie nur alleine? Hört ihr sie auch? Wenigstens – ihr? Wir singen die fünfte Strophe, „Gott will im Dunkel wohnen“ (EG 16,5).

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk, dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht  unser Leben lang  in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. (Lukas 1)

 

 

 

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Ein Kommentar zu “GOTT kommt

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Seine originelle Predigt orientiert Pfarrer Wussow zum Jesaja-Text in fünf Stufen an dem Adventslied Die Nacht ist vorgedrungen, von Jochen Klepper, der 1942 zwangsweise verstarb. Tröstet mein Volk , bereitet den Weg in der Wüste, verkündet Deuterojesaja als Heilsprophet den verschleppten Juden damals in Babylon. Sehr ermutigend ist diese Botschaft auch heute 2022 in bedrückender Zeit wie bei einer Wüstenwanderung mit Corona, Krieg und Umwelterwärmung und -Vergiftung.Die zweite Stimme fordert :Predige, obgleich alles vergänglich ist.Die Freudenbotin Jerusalem soll ihre Stimme erheben.Gott wird sein Volk wie ein guter Hirte weiden und führen.In Kiew und Moskau ist das heute sehr nötig. – Wir stimmen mit dem Propheten in den Lobpreis und Jubel ein: Gott will im dunkel wohnen und hat es doch erhellt ! – Pfarrer Wussow überträgt einen der tröstlichsten Texte aus dem Alten Testament tröstlich auf unsere Zeit.

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