Gott Raum geben

Jeremia - Berufung zum Prophten

Predigttext: Jeremia 1,4-10 (mit exegetischen und homiletischen Hinweisen)
Kirche / Ort: Magdeburg
Datum: 29.07.2018
Kirchenjahr: 9. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor em. Dr. habil. theol. Günter Scholz

Predigttext: Jeremia 1,4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

4 Und des HERRN Wort geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Bemerkungen zum Predigttext

I.   Der Berufungsbericht enthält einige Spezifika, die auf Jeremias Prophetie und Biographie bereits hindeuten. Inhaltlich sagt das: Hier wird nicht irgendjemand berufen, sondern Jeremia. Entstehungsgeschichtlich könnte man die These wagen: Der Berufungsbericht wurde im Lauf der Traditionsgeschichte des Buches fast zuletzt formuliert, nachdem sich das Profil Jeremias geformt hatte.

II.   Die ureigene Berufungsgeschichte Jeremias drängt zu einer Vorstellung seiner Person. Wie sie synchronisch betrachtet schon auf den inneren Konflikt zwischen dem göttlichen Ruf und dem menschlichen Widerstand hindeutet, können die biographischen Notizen und prophetischen Worte aus dem Jeremiabuch auch umgekehrt genutzt werden, die Berufungselemente zu veranschaulichen.

Das Wirken Jeremias und seine Botschaft sind allerdings von grundsätzlicher Art: Wird die „Verantwortung vor Gott“ zur hohlen Phrase oder besitzt und entfaltet sie bindende Kraft? Hier liegt die Brücke zu jedem Heute, also auch zu unserer Zeit. So können zunächst zwei Intentionen der Predigt benannt werden: die Vorstellung der Person Jeremias und die Aktualität der jeremianischen Verkündigung heute.

Das Jeremiabuch als Ganzes entgeht einem Bild Jeremias als Moralprediger u.a. dadurch, dass es die Trostschrift (in 30 – 35) einfügt. Diese zeigt, dass eine Besserung des Menschengeschlechts nur durch eine Erneuerung des Herzens möglich ist, die allein von Gott her zu erwarten ist. Hierin zeigt sich der Apostel Paulus als bekennender „Jeremia-Schüler“. Denn er singt den Hymnus vom neuen Menschen Jesus Christus (Phil 2,6-11) und ermutigt uns, mit Christus in eine Sinnes- und Herzensgemeinschaft einzutreten (Phil 2,5). So hallt das Echo Jeremias, verstärkt durch Paulus, zu uns herüber und führt zur dritten Intention der Predigt: Ermutigung zur Sinnes- und Herzensgemeinschaft mit Jesus Christus.

 

 

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Manchmal höre ich in Gesprächen: „Herr Pastor, zu Ihrem Beruf muss man wirklich berufen sein!“ In der Tat, dem kann ich nicht widersprechen. Ich könnte noch ein paar andere Berufe aufzählen, zu denen bestimmt „berufen“ sein muss: Lehrer oder Altenpflegerin beispielsweise. Da kommt es nicht nur auf erlernte Kompetenzen an, sondern auf das Herz – oder die innere Stimme, die mir sagt: Mach das! Heute hören wir von einem, der auch eine Stimme in sich hörte, die ihm sagte: Mach das! Er heißt Jeremia. Wir kennen ihn als Propheten. Hören wir aus dem gleichnamigen Buch, wie er zum Propheten wurde, wie er berufen wurde:

(Lesung des Predigttextes)

Gott Raum geben in sich – am Beispiel Jeremias

Die innere Stimme, die Jeremia hört, identifiziert er als Gottes Stimme. Das war nicht ungewöhnlich. Das tat man damals so. Aber die Stimme war ihm durchaus nicht angenehm. Am liebsten hätte er sie überhört. Aber das ging nicht. Dafür war sie zu eindringlich. „Predige!“ – „Nein, das kann ich nicht! Einem jungen Mann wie mir nimmt man doch keine Moralpredigt ab! Und wie soll ich dem Volk und den Oberen die Leviten lesen und dich, Herr, dabei ins Spiel bringen, wenn sie von dir nichts halten und nichts wissen wollen?“ Das ist Jeremia äußerst unangenehm. Das will er nicht. Aber Gott spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich retten. Und wenn dir die Worte im Hals stecken bleiben, ich werde meine Worte in deinen Mund legen!“

Vielleicht hätte Jeremia gar nicht erst in eine solche Lage zu kommen brauchen, wenn er gewusst hätte, wozu er Lust hat und was er mal werden will. Er stammte schließlich aus gutem Hause, sein Vater war Priester, und Landbesitz gab es auch innerhalb der Verwandtschaft. Da hätte er wohl Möglichkeiten gehabt, das zu tun, wozu er Lust hat. Aber vielleicht hat er’s nicht gewusst. Da ist es dann eben so: Du musst was machen, und da wirst du dahin gestellt, wo du offenbar arbeiten und zum Segen anderer wirken sollst. Der religiös ausgerichtete Mensch sagt: „Gott stellt dich dahin, wo du sein sollst.“ Vielleicht war es bei Jeremia auch so. So könnte ich mir die widerwillig angenommene Berufung bei Jeremia erklären.

Gott Raum geben in der Gesellschaft – am Beispiel des Gottesvolkes  

Was er nun von Gott her der Regierung und dem Volk zu sagen hat, ist sperrig und kantig – man kann sich daran stoßen. Was er zu sagen hat, ist vernichtend – wer kann und will sich das anhören? Er ist das wandelnde Wort Gottes; er steigert sich da nicht etwa hinein, sondern er leidet darunter. Er sagt: Überall Lug und Trug, Unrecht und Gewalt, Verehrung falscher Götter, aber nur nichts von Gott hören und sehen! So muss er landauf, landab reden, und er klagt: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich …“.

Jeremia, das wandelnde Wort Gottes, unangenehm für ihn, der es verkündigen muss, sperrig für den, der es hören muss. Es ist das Wort, das dem gott-losen Tun widerspricht, das Wort, das das Leben schützt vor Frevel und Gewalt, das die Ehe schützt vor Ehebruch, das Freiheit und Menschenwürde schützt vor Unfreiheit, die die Götter des Marktes bringen. Gott verspricht, mit Jeremia zu sein. Aber wie wird das aussehen?

Die Geschichte lehrt: Der Mensch will Gottes kritisches Wort – und das meint: urteilendes und verurteilendes Wort – nicht hören. Er will den Überbringer des Wortes ausschalten und damit das Wort selbst, mehr noch: Gott selbst. Der Mensch will Gott ausschalten und verdrängen. Aber klingt das nicht ein bisschen zu radikal? Wollen wir das wirklich? Man kann doch auch den lieben Gott einen guten Mann sein lassen … In der Tat! Aber ist das nicht auch eine Form von Ausschaltung und Verdrängung?

Mahner, mutige Bekenner, Märtyrer

Wir wissen, wie es Jeremia, dem wandelnden Wort Gottes, erging. Immer wieder hat er versucht, die Menschen an Gottes Gebot zu erinnern, an die Verantwortung vor Gott in all ihrem Tun; aber all das wollten sie nicht hören, weil es sie ärgerte. Jeremia treibt es auf die Spitze und sagt: „Wenn ihr Böses tut, seid ihr noch guter Dinge und freut euch darüber“. Was ist die Folge? Die Leute aus seiner Heimatregion Anatot kommen konspirativ zusammen und planen ein Attentat auf ihn. Eine letzte Warnung an ihn: „Weissage nicht im Namen des Herrn, wenn du nicht von unseren Händen sterben willst!“

Offenbar entgeht Jeremia dem Attentat, aber es bleibt nicht der einzige Versuch, ihn mundtot zu machen. Man will ihn physisch und psychisch fertigmachen. Aber er muss reden, was der Herr ihm eingibt. In den Vorhof des Tempels stellt er sich und redet zu Priestern, festangestellten Propheten und dem Volk: „Wenn ihr so weitermacht, liegt kein Segen mehr auf der Stadt Jerusalem, sie wird dem Erdboden gleich werden und zum Fluch für alle Welt.“ Wer das Selbstverständnis der Herrschenden derart in Frage stellt, der ist – wie sie befinden – „ein Mann des Todes“. Das Todesurteil kann aber nicht vollstreckt werden, weil ein Teil des Volkes sich für Jeremia einsetzt. Dafür aber wird ein anderer Prophet ergriffen und getötet. Ob sich so Gottes Versprechen einlöst: Ich will mit dir sein?

Jeremia aber hört nicht auf, an die verantwortungslose und gott-lose Politik nach innen und außen anzuprangern. Er kommt ins Gefängnis und wird schließlich wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung in einen Brunnen geworfen. Wäre er nicht von einem Afrikaner heimlich gerettet worden, wäre er darin umgekommen. So verbringt er seine letzten Jahre zwischen Unheilsverkündigung und Gefängnis und wird schließlich nach Ägypten verschleppt. So ergeht es dem wandelnden Wort Gottes in der Welt. So ergeht es Gott in der Welt. Der Mensch, so sagt die Bibel, begehrt immer wieder auf gegen ihn, will ihn verdrängen und tötet ihn schließlich. Werden wir beim Schicksal des Jeremia nicht immer wieder an das Geschick Jesu erinnert? Verfolgung, Konspiration, Kreuz. Die Verdrängung und Tötung Gottes wiederholt sich in einem teuflischen Kreislauf.

Wer Augen hat zu sehen, entdeckt die Verdrängungs- und Tötungsversuche des wandelnden Gotteswortes auch in der Geschichte. Ab 1517 geht der Augustinermönch Dr. Martin Luther den Papst hart an. Er fürchtet, dass dieser in wohlwollender Neutralität mit ansieht, wie Gottes Gnade käuflich gemacht wird. Wegen seiner 95 Thesen wird er nach Rom zitiert. Dort droht dem Ketzer der Scheiterhaufen. Aber Friedrich der Weise interveniert und erreicht, dass Luther in Augsburg verhört wird. Auf dem Weg dahin entgeht Luther knapp einem Attentat in Halle. Der Schuss eines Landsknechts verfehlt sein Ziel …

Leben, Wirken und Ermordung von Martin Luther King sind hinlänglich bekannt. Am Sonntag, dem 7. April 1968 will er eine Predigt halten zu dem Thema: „Warum Amerika verderben könnte“: Am 4. April wird er erschossen. Ich nenne einen weiteren Namen. Er war kein Prophet, aber ein Philosoph, Zoran Đjinđjić. Er war Ministerpräsident von Serbien nach Slobodan Milošević und wollte das, was er als Philosoph für gut und richtig erkannt hatte, auch durchsetzen. Dazu gehört die Auslieferung von Milošević an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und die Aussöhnung der politisch verfeindeten Lager in seinem Land. 2003 wird er von zwei Scharfschützen ermordet.

Gott nimmt Raum – in uns und in der Welt

Wäre das nun das Einzige, was man über den Menschen sagen könnte: „Er verdrängt und tötet Gott“, es wäre deprimierend. Die Bibel sagt aber mehr. Sie sagt auch Hoffnungsvolles. Sie sagt: In uns überlagern sich zwei Wesen, das alte Wesen und das neue Wesen, der alte Mensch und der neue Mensch, das Wesen Adams und das Wesen Christi. Das Wesen Adams in uns kennen wir. Ich habe es zur Genüge beschrieben. Es ist in uns, und die Frage, wie es in uns hineinkommt, erübrigt sich.

Aber was ist das Wesen Christi, und wie kommt es in uns hinein? Darauf versucht der Apostel Paulus eine Antwort. Er greift ein altes christliches Lied auf, in dem das Wesen Christi besungen wird: Christus – so heißt es dort – hatte göttliche Macht, aber er hat nie diese Macht zum persönlichen Vorteil oder zum Nachteil anderer ausgenutzt. Auf Gewalt verzichtete er und wurde solidarisch mit denen, die versklavt waren in Sünde und Tod. Er lebte nicht wie Gott, sondern ganz aus Gott bis zu seinem Tod. Das ist das Wesen Christi. Und wie kommt es in uns hinein? Paulus sagt an dieser Stelle: Indem wir unseren Sinn und unser Herz öffnen – für ihn. Dann hat er nicht umsonst gelebt und ist nicht umsonst gestorben – für uns.

Sind wir jetzt bessere Menschen? Nein! Der alte Adam ist ja noch wirksam und will Gott verdrängen – nach wie vor. Aber Christus ist auch schon wirksam und gibt Gott in uns Raum, wenn wir ihn nur lassen. Schade, dass das Jeremia noch nicht wusste – oder? In das Buch des Propheten Jeremia ist ein sog. Trostbüchlein eingeflochten. Da spricht Gott: Es wird eine Zeit kommen, da will ich Herz und Sinn des Menschen neu machen. Alles Böse soll gelöscht sein, und sie werden nach ihrem neuen Herzen und ihrem neuen Sinn handeln. Ob Jeremia das Trostbüchlein kannte? Es hätte ihm Hoffnung gegeben. Gut dass wir heute nicht nur aus der Hoffnung leben, sondern aus der Gewissheit. Aus der Gewissheit, dass der neue Mensch schon in uns ist. Lasst uns ihm Raum geben und damit auch der Stimme Gottes in der Welt!

 

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