Gott schenkt uns Heilung

Über Blindheit, Gottvertrauen und Sehenkönnen

Predigttext: Johannes 9,1-7
Kirche / Ort: 69226 Nußloch
Datum: 2.08.2020
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrin Alexandra Mager

Predigttext: Johannes 9, 1-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden 7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Gedanken zum Predigttext

Es geht hier um Licht und Dunkel, um Sehen, Erkennen, Wahrnehmen und Begreifen. Das ganze Kapitel 9 des Johannesevangeliums beschäftigt sich mit dem Thema Sehen und Nicht-Sehen-können. In seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern am Ende des Kapitels kehrt Jesus die Verknüpfung von Leid (Nicht-Sehen-Können) und Sünde um.

Durch seine Heilung wird dem Blinden die Teilhabe am Licht auf verschiedenen Ebenen ermöglicht. (Licht des Glaubens, Licht als Lebensperspektive, Licht als Zuwendung…)

Ferner wird die Frage aufgeworfen, was wir heute als Wunder erwarten dürfen? Auch die anderen Texte, die zu diesem Sonntag gehören, enthalten Lichtsymbolik. Es wäre daher ein schöner Gedanke, diese Lichtsymbolik auch im ganzen Gottesdienst aufzunehmen und umzusetzen.

 

zurück zum Textanfang

Auf die Augen angewiesen

Wie sehr ich selbst auf meine Augen angewiesen bin, wird mir jedes Mal auf‘s Neue bewusst, wenn ich mich mit meiner Freundin Karin unterhalte. Karin ist blind – und das von Geburt an. Sie nimmt die Welt um uns herum völlig anders wahr als ich. Sie achtet auf ganz andere Dinge. Das einzige, das sie sehen kann, ist ein kleiner Unterschied zwischen Hell und Dunkel.

Um Hell und Dunkel, Licht und Finsternis und um das Sehen- beziehungsweise Wahrnehmen-können, geht es auch in unserem heutigen Predigttext zum 8. Sonntag nach Trinitatis. Wir lesen in Joh 9, 1-7: (Predigttext) 

Die Geschichte des Blinden

Wir haben hier einen Blinden. Seit seiner Geburt kann er nicht sehen. Er wird jedoch – vermutlich sogar von allen um ihn herum – gesehen, doch wahrgenommen wurde er bisher nicht. Er ist in den Augen der anderen unwichtig – ja seine Familie steht sogar im Verdacht, durch sündiges Verhalten die Blindheit selbst verschuldet zu haben. Er ist ausgegrenzt und muss vom Betteln leben. Auch Jesus geht an ihm vorüber. Jesus sieht ihn, aber er nimmt ihn auch wahr.

Mich befremdet, dass die Jünger Jesu als erstes fragen, ob der Blinde oder seine Familie gesündigt hätten; ob seine Blindheit also eine Strafe Gottes sein könnte. 

Sinn von Leid?

Die Frage nach dem Grund für das Leid scheint wichtiger zu sein als das Leid zu lindern. Die Frage nach dem Sinn von Leid beschäftigt uns oft mehr als die Frage danach, wie wir mit dem Leid umgehen können. Hat Leid aber überhaupt einen Sinn? Muss denn alles, auch das Schlimme in unserem Leben, einen Sinn haben oder dürfen Dinge nicht auch einfach nur so sein?

Ich vermute, dass unsere eigene Sehnsucht nach Sinn uns bei dieser Frage leitet. Vermutlich zeigt sich genau an dieser Frage, dass wir uns manchmal als Menschen wünschen, wir wären die Verantwortung in unserem Leben los und dürften diese an Gott abgeben. Doch Jesus schließt das aus. „Niemand hat gesündigt! Die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.“

Wunder?

Sind das die Wunder, auf die wir in der Not gerne warten? Wunder, wo Unmögliches möglich wird? Ich frage mich, was mit all den Menschen ist, die im Leid leben und vergeblich auf das Wunder warten, das sie sich erhoffen? 

Oder greift Gott vielleicht doch auf vielfältigste Weise ein, aber wir erkennen es nicht, da wir eine festgelegte Erwartungshaltung haben, wie Gott einzugreifen hat? 

Jesus rettet Blinde

Bei Johanne jedenfalls handelt Jesus – und das völlig unaufgefordert. Nicht der Blinde muss um Heilung bitten. Bevor Jesus jedoch handelt, sagt er zu seinen Jüngern einen entscheidenden Satz: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh 9, 4f).

Wir müssen handeln – unverzüglich! Wir dürfen uns nicht herausreden und alles auf morgen verschieben. Wir dürfen uns nicht vor der Verantwortung drücken, sondern sollen handeln, solange es Tag ist. 

Jesus unterscheidet sich von den anderen, denen der Blinde bislang begegnet ist. Sie haben ihn verurteilt, indem sie sich nur danach gefragt haben, wie schlimm wohl die Sünden waren, denen er sein Leid zu verdanken hatte. Der Blinde war in ihren Augen ein Sünder – oder zumindest ein Kind von Sündern – und daher ohne jede Chance auf Heilung. „Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht erhört; sondern den, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er.“ (Joh 9, 31) Wieso sollten sie daher handeln? Es war klar: Für den Blinden gibt es keinen Platz in der Gemeinschaft, denn Gott hat sich vom Blinden abgewandt. Warum sollten sie sich ihm dann zuwenden?

Jesu durchbricht dieses Muster, denn er sieht den Blinden und er sieht in ihm keinen Sünder, sondern einen Menschen, der Zuwendung braucht. 

Leid hat nichts mit Sünde zu tun. Leid ist keine Strafe. Leid ist Leid. Leid bedeutet für die, die es wahrnehmen, dass wir handeln müssen und nicht erst lange drum herum reden und nach den Verantwortlichen suchen. – All das macht Jesus durch sein ganzes Verhalten deutlich.

Jesus macht den Blind sehend. Damit schenkt er ihm nicht nur das Augenlicht. Er ermöglicht ihm eine neue Lebensperspektive. Er schenkt ihm das Licht des Glaubens an einen Gott, der ihm Heil wünscht und ihn nicht verwirft. Der Blinde sieht das Licht und er sieht sogar mehr. Er sieht, wer Jesus ist. Er begreift ihn im Glauben. 

Und die Pharisäer?

Wenn wir einige Verse weiter lesen, dann erfahren wir, dass die Pharisäer Jesus so nicht sehen können, obwohl sie nicht blind sind. Sie regen sich vielmehr über Jesus auf, da er dieses Wunder am Sabbat gewirkt hat. Die Pharisäer wollen nicht akzeptieren, dass Gott nicht aburteilen will, sondern sich für alle seine Kinder nur ein heilvolles Leben wünscht. Sie sehen nur ihre Regeln und Gesetze und das verstellt ihnen den Blick darauf, das Licht zu sehen, das durch Jesus in die Welt kommt. 

Der Blinde hingegen konnte das Licht bereits als Blinder wahrnehmen und annehmen: Warm und zärtlich wie die Sonnenstrahlen ist die Zuwendung Jesu. Es muss ein alles erhellendes Gefühl sein, dass da einer ist, der ohne viel Fragen einfach nur hilft.

Wenn es jemandem schlecht geht, dann helfen Sprüche nicht, wie: „Das hast Du Dir selbst zuzuschreiben.“ oder „Wie konntest Du denn in dieses Elend geraten?“ Vielmehr sind wir aufgerufen unmittelbar etwas dagegen zu tun.

Einfach ohne große Fragen helfen – das ist ein Wunder, das auch wir wirken können und so kann sich auf ganz einfache Weise Gottes Werk offenbaren.

Vielleicht sind diese Wunder, auf die wir manchmal warten, wenn wir im tiefsten Leid sitzen, gar nicht so tiefgreifend wie bei dem Blinden. Vielleicht fühlen wir uns schon viel „heiler“, wenn einfach mal einer wahrnimmt, wie schlimm gerade alles für uns ist; wenn überhaupt mal unser ganzes Leid wahrgenommen wird.

Vielleicht ist es auch schon ein echtes Wunder, wenn durch Gottvertrauen ein Perspektivwechsel möglich ist: Plötzlich können wir viel mehr sehen, als vorher. Wir sehen mehr als das Leid, das unseren Blick verengt und uns nur auf uns selbst fixiert.

Die blinde Freundin im Konfirmandenunterricht

Meine Freundin Karin ist jedes Jahr Gast im Konfirmandenunterricht. Wir haben bei der Gelegenheit auch schon über diese Bibelstelle gesprochen. Faszinierend für die Konfirmanden ist dann immer, dass Karin sich nie von Jesus wünschen würde, dass sie sehend gemacht würde. Sie wünscht sich eher eine Umwelt, in der sie wahrgenommen und respektvoll behandelt wird.

Karin ist ein fröhlicher und frommer Mensch. Sie ist eine herzliche und liebevolle Frau – voller Zuversicht. Sie fühlt sich nicht von Gott gestraft mit ihrer Blindheit. Wo andere für sie Grenzen sehen, sieht sie Möglichkeiten. Mit ihrem ebenfalls blinden Mann hat sie Kinder. Bereits beim zweiten Kind, riet ihr ein Arzt davon ab, dieses zu bekommen. Zwei sehende Kinder, das könne sie nicht schaffen. Sie ist jedoch inzwischen sogar Mutter von drei sehenden Kindern. Sie hat geschafft, was ihr keiner zugetraut hätte.

Karin gibt den Menschen um sie herum mit ihrem Gottvertrauen und ihrer Zuversicht Mut. Ihre Behinderung empfindet sie nie als Einschränkung. Mit ihren Erfahrungen begleitet sie nicht nur jedes Jahr meine Konfirmanden, sondern arbeitet als Blindenbeauftragte für unseren Kirchenbezirk und gibt Seminare für Menschen, die ein freiwilliges Soziales Jahr machen.

Gott hat hier kein Wunder vollbracht, wie wir uns ein Wunder vielleicht gerne vorstellen würden. Und doch ist es ein Wunder. 

Das Wunder des Gottvertrauens

Es ist ein Wunder, wie eine Frau, die ihr Leben lang mit Vorurteilen und Einschränkungen leben musste, so ein gesundes und freies Leben führt. Sie hat sich von dem gängige Bild einer behinderten und hilfsbedürftigen Frau befreit: Sie lebt selbstbewusst und selbstbestimmt ihr Leben. Ihr Glaube und ihr Gottvertrauen strahlten wie ein helles Licht in die Leben vieler Menschen.

Das wunderbare Eingreifen Gottes, das Offenbaren seines Wirkens, nimmt nicht zwingend das Leid oder Einschränkung aus unserem Leben. Doch wenn wir uns auf den Glauben an Jesus Christus einlassen, dann wirft das ein neues Licht auf unser Leben oder auf die Situationen, die uns das Leben schwer machen. Vieles das uns zunächst dunkel und bedrohlich erscheint, wirkt im Licht, das Jesus Christus in unsere Welt bringt, nicht mehr so beängstigend. In diesem Licht tun sich Perspektiven auf. Wir sehen die Dinge in diesem Licht anders, als vorher. 

Noch etwas anderes passiert in diesem Licht. Durch dieses Licht sind wir – alle Menschen – aufgerufen, die Augen aufzumachen. Es gibt viel Leid auf dieser Welt zu sehen. Und es nützt nichts, wenn wir uns hinstellen und erst einmal nach den Verantwortlichen fragen und damit unnötig Zeit verstreichen lassen. Zeit, in der schon längst hätte geholfen werden können. 

Gott schenkt uns Heilung. Diese Heilung sieht nicht immer so aus, wie wir sie uns wünschen. Manchmal reicht es, den Blick nicht zu verengen, neue Betrachtungsweisen zu erkennen. Im Licht Gottes sind Perspektivwechsel möglich. Im Licht Gottes tun sich neue Blickrichtungen auf. Im Licht Gottes verschwindet die Finsternis zwar nicht aus unserem Leben, aber sie ist längst nicht mehr so dunkel und bedrohlich, wie sie uns sonst erscheinen würden. Daher: Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Eph 5, 8b-9)

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Gott schenkt uns Heilung

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Hintergrund der Heilung ist die Anschauung im Alten Testament, der Pharisäer und der Jünger, dass Leiden und Blindheit durch Sünde verursacht wurde. Prof Klaus Koch HH sprach vom Tun-Ergehen -Zusammenhang und der schicksalswirkenden Tatsphäre im AT.Jesus lehnt das ab und verurteilt nicht, sondern er ist das Licht der Welt und vergibt.Pfarrerin Mager erzählt anschaulich von einer blind geborenen Freundin. Auch heute gibt es die Frage der Jünger, ob Blindheit durch ein sündiges Verhaltn in der Familie die Ursache ist und eine Strafe Gottes. Sehr ausführlich predigt Pfarrerin Mager über Jesu Vergebung und dsss er das Licht der Welt ist. Auch das getröstete Schicksal der blinden Freundin vom Anfang der Predigt wird vor Augen geführt. Gott schenkt uns durch Jesus Licht und Heilungen. Sehr ausführlich und anrührend und verständlich wird Jesus zum Licht der Welt auch heute.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.