Predigt
„Die beste Krankheit taugt nicht viel!“ So sagen viele, und wir werden sicherlich alle zustimmen. In dieser Predigt will ich zeigen, dass die „beste Krankheit“ sehr wohl zu etwas taugen kann. Wir werden sehn … Uns liegt heute eine Geschichte vor, die uns nur Lukas, der Evangelist, der auch als Arzt bekannt ist, erzählt hat. Es ist die Geschichte von der Begegnung Jesu mit zehn Aussätzigen – nach dem Urtext: leprösen Kranken. Wer eine solche Krankheit hatte, der wurde „ausgesetzt“ aus der menschlichen Gemeinschaft, damit er die Andern nicht anstecken kann. Mit Glöckchen hat man sie versehen, damit sich die Kranken vernehmbar machen konnten. Und mindestens brüllen sollten sie, um den Abstand zu wahren.
Ausgesetzte gibt es in jeder Gesellschaft, also Menschen, die in unseren Reihen nichts zu suchen haben. Sie könnten uns infizieren – mit Krankheiten, Gedanken, Verhalten, das nicht zu uns passt. Deshalb brauchen wir auch nicht so genau hinzusehen, wer da ruft, wer sich da meldet – wir bleiben im Abstand. Denn wir haben ein gutes Gespür dafür, ob wir erwünscht sind oder nicht. Dann bleib ich lieber am Rand stehen … und will mich ja nicht aufdrängen. Es sind dies ungeschriebene Gesetze, die jede Gesellschaft praktiziert – und die von den „Ausgesetzten“ auch akzeptiert werden. Manchmal ergeben sich daraus Parallelgesellschaften, die zu Störungen führen. Hier könnte man das Stigma einer anderen Sprache oder auch Kultur anführen, das eine Menschengruppe zu “Aussätzigen“ macht. Aber auch Kranke, chronisch Kranke, Behinderte, die sich in unser Leben trauen mit ihren Rollstühlen, können „Aussätzige“ sein, die wir gerne auf Abstand halten – gerade und obwohl wir ihnen in den Bus helfen oder sie „freundlich“ grüßen. Aber eine Nähe suchen zu ihnen? Mit ihnen sprechen? Sie mit oder ohne Worte begleiten zu ihrem Ziel? So hören wir sie oftmals „von ferne rufen“ mit ihren Blicken, Gesten oder ihrer stummen Gegenwart, die die Stille der eigenen Comfort-Zone durchbricht: Hilf uns! Mach uns gesund!
Szenenwechsel: Der Evangelist Lukas erzählt uns von Jesu Gang nach Jerusalem. Ob er weiß, was dort geschehen wird? In den Gesprächen auf dem Wege geht es um grundlegende Themen wie Vergebung, Glaube und was einen trägt und hält. Es geht um das Reich Gottes und wo wir Gott denn spüren können. Lukas erzählt, wie Jesus seine Jünger vorbereitet auf ein Leben nach Tod und Auferstehung. Und da kommt ihm die Begegnung mit jenen Kranken gerade recht. Was ist hier zu tun? Was zu sagen? Wie sollen Christen reagieren, wenn sie mit „Aussätzigen“ zusammenkommen? Wir wissen, dass wir in seinem Namen heilen und predigen sollen, sollen das Reich Gottes verkündigen und ansagen, sollen so leben, als ob wir IN CHRISTUS seien. Jesus macht ihnen hier vor, wie es geht: er heilt die zehn Aussätzigen – ohne weiteres. Ja, er arbeitet wie ein richtiger Arzt, der den Patienten zu einem Kontrollbesuch bei Fachleuten schickt. Jesus folgt dem israelitischen Gesetz und den Vorschriften im 3. Buch Mose, wo in zwei Kapiteln von der furchtbaren Krankheit der Lepra gesprochen wird (Kap. 13 und 14). Dort werden die Priester zu den Fachleuten der Begutachtung erklärt. Vielleicht sollten wir noch erwähnen, dass die Kranken Jesus gekannt haben – also ihm großes Vertrauen entgegengebracht haben: Hilf uns! Mach uns gesund! Sollten wir hier schon vom Glauben der Aussätzigen sprechen? Jedenfalls laufen diese umgehend Richtung Jerusalem, um ihre Gesundung von den priesterlichen Fachleuten feststellen zu lassen. Damit ist diese Heilungsgeschichte zu Ende.
Noch ein Schnitt: Wie ist es, wenn wir krank werden, vielleicht sogar schwer krank. Die Ärzte, das Krankenhaus, tun alles, damit wir wieder gesund werden. Ich weiß noch von einer eigenen risikoreichen Erkrankung. Und ich weiß noch von vielen Gedanken über mein Leben, meine Vergangenheit aber auch meine Zukunft. Ich weiß noch von Plänen, was ich jetzt anders machen wollte. Und dabei hatte ich oft das Gefühl einer großen Ruhe. Es war eine Auszeit im Krankenhaus. Ich war auch nicht für alle Menschen ansprechbar. Es war wie eine Pilgerreise, auf der einem Menschen der eigene Ballast deutlich wird, das Überflüssige. Aber auch ein Nachdenken über das, was trägt und hält. Bibel- und Gesangverse sind mir durch den Kopf gegangen. Ich habe sie mir auswendig vorgesagt, und sie bekamen eine andere, eine neue, tiefere Bedeutung. Die Krankenhauszeit war auch eine sehr meditative Zeit für mich, eine Zeit des Innehaltens – ohne Zeitdruck, ohne Termine, ohne (Zeit-) Planung. Und dabei war ich versorgt und braucht mich um nichts zu kümmern. „Die beste Krankheit taugt nicht viel“!?? Und dann war ich wieder gesund, konnte meinen Beruf wieder aufnehmen und spürte auch, wie ich wieder in die Tretmühle geriet. Ich war wieder fit. Doch war ich gesund, „heil“? Mit diesem Gefühl endet auch der erste „physische“ Teil der Heilungsgeschichte, die uns Lukas erzählt: die ehemals Aussätzigen sind wieder gesund. Kann das Leben nun einfach so weiter gehen? Krankheit zeigt ja oft eine seelisch-geistige Dysbalance im Menschen auf, die behoben werden will…
Wieder zurück zu unsrer Geschichte! Und was geschieht weiter? Vielleicht werden die Jünger die Heilung von den zehn (!) Menschen wieder vergessen haben: Das ist eben das Geschäft ihres Meisters. Sie haben ja schon etliche Heilungen miterlebt. Ihr Meister ist nicht nur ein Erzähler und Prediger, sondern auch ein Arzt und Heiler. Da werden sie in ihren Gedanken unterbrochen: vielleicht schwer atmend, weil schnell gelaufen, steht einer der zehn Männer vor ihnen. Gott sei Dank! ruft er. Dann wirft er sich Jesus zu Füßen und dankt ihm. Die Jünger haben so etwas noch nie erlebt. Auch Jesus ist angerührt. Doch dann: Wo sind die anderen neun Männer? Haben die aus ihrer Krankheit nichts gelernt? Es ist so etwas wie ein heiliger Zorn, der Jesus bewegt. Spüren die Menschen nicht, wie sie wirklich gesund werden können? Es mag ihm an der überschäumenden Dankbarkeit deutlich geworden sein, was zur Gesundung letztlich fehlt: die Dankbarkeit! In keiner anderen Heilungsgeschichte wird von einem derartigen „Rücklauf“ berichtet, dass jemand Jesus, dem Arzt, und Gott dankt. Meist verschwindet die Spur der Geheilten … Dankbarkeit! Vielleicht taugt die beste Krankheit doch ein wenig …
Kehren wir noch einmal zum Anfang zurück, zu den „Ausgesetzten“ unserer Gesellschaft, die mit ihren Glöckchen oder Rufen oder Gesten anzeigen: Berührt uns nicht! Kommt uns nicht zu nahe! Und doch: Helft uns! Macht uns gesund! Nehmt uns auf und an! Dieses „Kyrie eleison“, das zum Bestandteil jedes Gottesdienstes geworden ist, steht am Anfang. Es ist wie ein Aufbruch aus dem Elend, aus dem „Tal der Tränen“. Es ist eine erste Aktion, meinetwegen auch eine Projektion auf den Helfer: Du kannst mir helfen! Das weiß ich! Das gilt damals bei Jesus, den die Aussätzigen kannten, wie auch heute bei Kranken, die alle Hoffnung auf den Arzt oder Therapeut setzen. Und Jesus nutzt die Welle des Vertrauens. Er heilt sie und schickt sie zu den Priestern. Also keine Abhängigkeit vom Heiler, von der Person. Wieder stehen wir am Ende des 1. Teils der Geschichte. Damals wie heute stellt sich die Frage nach der Dankbarkeit: Bin ich dem dankbar, der alle seine Mittel eingesetzt hat, mich zu behandeln? Und finde ich den Schritt, „Gott mit lauter Stimme zu preisen“ dafür, gesund und „heil“ zu sein? Daher ist diese Geschichte von den 10 Aussätzigen eine gute Erinnerung, dankbar zu sein. Denn ich verdanke doch, was ich bin und habe, nicht nur mir und meiner Leistung, meiner Konstitution und Lebensführung! Dies kann mir mit der „besten Krankheit“ deutlich werden. Das 2. Wort Jesu, das er an den einen Kranken richtet, ist Neuanfang und Anbruch in ein neues Leben: Steh auf und geh! Dein Glaube, deine Dankbarkeit, hat dich gerettet. Amen.