Predigt

Gottes bewahrender Blick

Hinter jedem Namen sind viele Auseinandersetzungen, Träume und Hoffnungen verborgen

PredigttextJesaja 65,17-25
Kirche / Ort:Christuskirche / Aachen
Datum:25.11.2012
Kirchenjahr:Letzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor:Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Jesaja 65,17-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Exegetisch-homiletische Überlegungen

Die vorgeschlagene Stückelung zerreißt den vorgeschlagenen Predigttext. Sprachlich wie inhaltlich ist er ein Kleinod. Es wird ein neuer Himmel, eine neue Erde geschaffen (werden) – und eine alte Zeit wird nicht mehr zu Herzen gehen. Die Menschen werden zur Freude aufgerufen „über das, was ich schaffe“. Jerusalem wird angesprochen und zur Wonne erklärt. Die bizarre Besonderheit: Jerusalem ist nicht nur weit weg, Jerusalem ist ganz unten. Tritojesaja – schade, dass wir ihn so nennen müssen – hat die Ruinen Jerusalems womöglich nicht einmal gesehen – als Nachgeborener, dafür hat er ganz viel mitbekommen von Babylon, seiner Kultur und seinem Machtanspruch. Trotzig hält er aber als Prophet des Ewigen – sein Name ist unaussprechlich – fest an der Verheißung des Gottes Israels – und sagt sie (noch einmal) ganz neu: Siehe (!), ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen… Das ist die erste Feststellung: Die Geschichte Israels geht nicht einfach weiter. Sie lässt sich auch nicht entwickeln. Sollte es so etwas wie eine Exilregierung Israels gegeben haben, wird die über diesen – auf dem ersten Blick so zuversichtlichen – Satz nicht glücklich gewesen sein. Politik ließ sich mit ihm nicht machen. Politik war auch früher schon die Kunst, mit Realitäten angemessen umzugehen.

Jes. 65 beschreibt in einem weiten Blick die „neue Erde“ und setzt den „neuen Himmel“ davor (oder darüber?). Erde und Himmel werden zusammengeschaut, nicht separiert, sie werden als Einheit gesehen, nicht als getrennte Räume. Es gibt (nur noch) erfülltes, abgeschlossenes Leben: keine Kindersterblichkeit, kein vorzeitiger Tod – mehr noch: jeder Mensch hat ein Zuhause und kann von dem leben, was er erarbeitet. „Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen“. Die verschiedenen Perspektiven laufen aufeinander zu: Sie – die Deportierten – sind das Geschlecht der Gesegneten Jahwes. In dem großen Frieden – wir schauen auf eine geheilte Welt - fressen sich nicht einmal mehr die Tiere gegenseitig. Spätestens hier merken wir als Leser und Hörer, dass die „neue Erde“ den „neuen Himmel braucht“: Dass der Wolf das Schaf frisst, ist natürlich, dass der Löwe kein Vegetarier ist, auch – aber hier bekommen wir mit (oder wird uns zugemutet), dass auch das, was natürlich ist, als „Bosheit“ erscheint – und ein Ende hat. Die Vision vom Tierfrieden, künstlerisch aufregend bis zum Tage, lässt noch einmal deutlicher hervortreten, wie zerstörerisch Menschen leben und miteinander umgehen. Dass der Mensch des Menschen Wolf sei, haben nicht nur die Humanisten aus dem Lateinischen übersetzt.

Homiletisch ist es nicht einfach, den großen und unheimlichen Spannungsbogen zu inszenieren. Aber es wäre schade, ihn der Gemeinde vorzuenthalten. Einmal erlaubt uns der Predigttext, auch klagend, von unvollendeten, abgebrochenen, misslungenen Lebensentwürfen – vor Gott und den Menschen - zu erzählen, dann aber auch von der Verheißung einer geheilten Welt. Am Toten- oder Ewigkeitssonntag, dem letzten Sonntag im Kirchenjahr, ist das wohl die größte Spannung, die es auch auszuhalten gilt. Tritojesaja hat übrigens die „neue Erde, den neuen Himmel“ auch noch nicht erlebt. Stellvertretend hält er jedoch die Zukunft wach – nicht die Vergangenheit. Seelsorgerlich steht die Frage im Raum, was wir uns zu Herzen nehmen – und: was wir uns zu Herzen nehmen können. In einer Großwetterlage, die arm ist an U-topien, reich aber Desastern, schenkt uns Tritojesaja einen weiten Blick, gesättigt von Geschichte(n), fokussiert aber auf eine neue Erde, einen neuen Himmel. Die adventliche Frage, worauf wir warten, schleicht sich in unsere Tagesordnungen.

Im Gottesdienst haben wir mehr, anderes zu erzählen als das, was wir längst wissen, immer schon befürchtet haben, nie vorauszusagen wagten. Tatsächlich: die Kindersterblichkeit ist in vielen Ländern hoch, die Lebenserwartung ist bei vielen Menschen gering, umsonst wird an vielen Stellen gearbeitet – auch bei uns, ein Zuhause haben viele nicht – auch bei uns. Die Menschen, deren Namen und Gesichter wir weltweit nicht kennen, haben ein Recht darauf, dass wir die Vision von Jes. 65 nicht aus unseren Augen verlieren. Der Gottesdienst am letzten Sonntag im Kirchenjahr beschließt auch ein ganzes Jahr mit Leidens- und Glücksgeschichten, mit Abstiegen in die Hölle und Auffahrten in den Himmel. Was haben wir alles gesehen? Übersehen? Vorgesehen? Nennen wir den letzten Sonntag im Kirchenjahr „Totensonntag“, werden wir im Leben der Menschen, derer wir noch einmal gedenken, jene Spuren finden. Die kath. Kirche hat sich, in sehr spannungsvoller Zeit, dafür entschieden, den letzten Sonntag im Kirchenjahr „Christkönigsonntag“ zu nennen. Der Name ist Programm: Herr ist Jesus, Herr über Leben und Tod. Wo sich schon so viele als Herren aufspielten über Tod und Leben – und immer noch aufspielen -, ist der Weg frei – für Jes. 65,17-25. Wer Jes. 65,17-25 liest, sollte weiter blättern: Offenbarung 21!

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