Gottes Freundlichkeit
Gott schenkt überreichlich
Predigttext: Titus 3,4-7 (Übersetzung nach Martin Luther)
4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes,
5 machte er uns selig – nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist,
6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,
7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.
Exegetische Bemerkungen
Die Verse, die unseren Predigttext bilden, sind ein Zitat innerhalb des Titusbriefes. Deshalb muten uns diese Worte in ihrer feierlichen Hochsprache fremd an. Sie sind nicht einfach ein Teil des Briefes, sondern vermutlich eine Strophe aus einem christlichen Loblied, das hier zitiert (Tit 8a!) wird.
Wir predigen also über ein Zitat in einem Brief. Hört sich schwierig an, hat aber einen ganz besonderen Reiz: Es ist interessant, dass gerade die hier verwendeten Worte eine Brücke schlagen sollen zwischen der Botschaft des Evangeliums und der damals noch blutjungen Missionsgemeinde in Kreta (Ti 1,5), die viel eher mit der hellenistischen Sprache vertraut war als mit der der christlichen Missionare.
Also bedient sich der Paulusschüler, der diesen Brief geschrieben hat, einer Lobliedstrophe, die Begriffe enthält, die die Menschen in Kreta bereits kannten: Die „Freundlichkeit“ ist der Ausdrucksweise des Hofstils entnommen – kaum eine andere Tugend wird an hellenistischen Herrschern so oft gerühmt wie diese Freundlichkeit. Und die „Wiedergeburt“ (Palingenesia) war innerhalb der griechischen Philosophie wohlbekannt als die Erneuerung des Kosmos (Stoa) oder gar als die Wanderung und Reinkarnation der Seelen (Pythagoräer). Somit wird dieser in der hellenistischen Welt wohlbekannte Begriff neu und christlich gedeutet.
Genau das wird auch Aufgabe der Predigt sein. Einer Predigt über ein Zitat in einem Brief, der selbst auch schon wieder 1.944 Jahre alt ist … Attempto!
Kollektengebet
Die Stunde ist da, Jesus Christus, jetzt lässt du dich finden: Nimm an unsern Dank und das Loblied aus allen vier Winden. Noch halten uns Kleinmut und nagender Zweifel danieder. Du stiftest Gemeinschaft und lässt auch Verräter eintreten. Du löst uns die Zunge. Du hilfst uns, für andre zu beten. Nimm an unsern Dank und das Loblied aus allen vier Winden. Die Stunde des Wunders ist da, Herr. Jetzt lässt du dich finden. (Svein Ellingsen/Jürgen Henkys)
Oder:
Du füllst mein Herz mit Freude, denn Freude ist von dir. Du gibst sie ganz am liebsten, so wohnt sie nun in mir! Du hebst den tiefen Schmerz auf, so ist der Schmerz bei dir. Du weißt von meinen Sorgen und teilst sie ganz mit mir. Du füllst mein Herz mit Wundern, Gott, du bist wunderbar. Du öffnest einen Ausweg, wo keine Hoffnung war. Du hebst mir die Gedanken zum Frieden auf, zu dir. Du bleibst, auch wenn es aussiehst, als ließest Du von mir. Du trägst mich, wo im Leben es allen bangt, auch mir. Gott, lass mich immer wissen, wem ich gehöre – dir. Amen. (Verfasser/in unbekannt.)
Praefationsgebet
Wahrhaft würdig und recht ist es, dass wir Dir danksagen für Deine Liebe und Deine Freundlichkeit, großer Gott. Du bist Dir nicht zu gering gewesen, menschliche Gestalt anzunehmen, um uns nahe zu sein. Du bist Dir nicht zu gering gewesen, unter uns Menschen als Mensch zu leben, zu helfen, zu trösten und nicht zuletzt zu leiden. Für Deine Liebe danken wir dir und preisen und loben dich und stimmen ein mit der ganzen Kreatur in den Lobgesang deiner Herrlichkeit: SANCTUS (Dorothea Zager)
Dankgebet nach dem Abendmahl
Hab Dank, Herr, für die Gemeinschaft, die wir eben mit Dir und untereinander erleben durften. Du bist nun ganz in unserer Mitte, nicht nur verkündigt durch das Wort, nicht nur dargestellt in dem Bilder unserer Krippe. Du bist unter uns in Brot und Wein und in der Liebe die uns verbindet. Bleibe bei uns, wenn wir nun auseinandergehen, lass das Licht Deiner Liebe nicht erlöschen, das wir jetzt in unseren Herzen tragen. (Dorothea Zager)
Die Geschichte vom Sohn
„Der alte Mann war Millionär. Sein unermesslicher Reichtum bestand in all seinen Originalen an Bildern und Skulpturen. Er war ein leidenschaftlicher Sammler gewesen und jetzt unermesslich reich. Es hätte alles so problemlos laufen können, wenn da nicht die Sache mit dem Sohn gewesen wäre. Dieser war in jungen Jahren tödlich verunglückt und hatte eine unausgefüllte Lücke im Leben des alten Mannes hinterlassen. Als der Mann starb, hinterließ er ein Testament, das besagte, dass der ganze Besitz versteigert werden sollte, da er keine Erben hatte. Die Händler, Kunstkenner und Millionäre kamen von überall her um an der Versteigerung teilzunehmen. Der riesige Raum war brechend voll, denn alle wollten sich diese Gelegenheit, eins der Kunstwerke zu ersteigern, nicht entgehen lassen.
„Ehe die Versteigerung beginnt“, fing der Auktionator an, „wäre da noch eine Bedingung des Verstorbenen, nämlich der erste Satz im Testament.“ Und während er das sagte, nahm er ein Bild des früh verstorbenen Sohnes aus seiner Mappe. „Dieses Bild muss zuerst versteigert werden.“ Natürlich war keiner der Anwesenden an diesem minderwertigen Gemälde von dem Sohn interessiert. Irgendein unbekannter Maler musste es vor Jahren angefertigt haben. Nein, alle warteten auf die wirklich wertvollen Stücke der Versteigerung. Aber Testament ist nun einmal Testament und so beharrte der Auktionator auf seiner Forderung.
Dann schließlich erhob sich hinten in der Ecke der alte Diener des Millionärs und sagte: „Ich habe den Jungen gut gekannt, als er noch klein war. Ich möchte das Bild ersteigern.“ Da es keinerlei Konkurrenzangebote gab, erstand er das Bild für ein paar Dollar, also praktisch für nichts. „Damit, meine Damen und Herren“, ließ der Auktionator sich wieder hören, „ist die Versteigerung beendet.“ Ein eisiges Schweigen legte sich über den Raum.
„Wie! Beendet?“, hört man eine Stimme. „Sie hat doch noch gar nicht richtig angefangen.“ „Meine Damen und Herren“, fuhr der Auktionator fort. „Der zweite Satz im Testament des Verstorbenen lautet: Wer den Sohn hat, der hat alles.“ Alles Klagen, Bedauern, Beschweren nützte nichts mehr. Die Gelegenheit war endgültig verpasst. Der Satz stand unerschütterlich im Raum: Wer den Sohn hat, hat alles. Genauso verschenkt Gott den Reichtum seiner Liebe: Wer den Sohn hat, der hat das Leben.“
Erbschaftsangelegenheiten
Diese Geschichte berührt uns. Sie bringt ganz verschiedene Saiten unserer Seele zum Klingen. Einmal tut uns der alte, reiche Mann leid. Seinen einzigen Sohn durch einen Unglücksfall zu verlieren. Wie schrecklich. Sicher hat er das sein ganzes Leben lang nicht verwunden. Und jetzt ist niemand da, dem er seinen unermesslichen Reichtum vererben kann. Wahrhaft ein trauriges Ende.
Was das große Publikum anbelangt, das da gekommen ist, um sich das eine oder andere berühmte und kostbare Gemälde unter den Nagel zu reißen – da erfüllt uns eine gewisse Häme. Das geschieht denen Recht. Jetzt müssen sie mit leeren Händen wieder gehen, weil sie das Andenken an den Sohn nicht bewahren wollten – so denken wir nicht ohne eine gewisse Genugtuung!
Dagegen erfüllt uns warme Freude, wenn wir an den alten Diener denken. Vielleicht ist es Mitleid gewesen mit dem minderwertigen Bild, das niemand haben wollte, vielleicht aber auch echte, liebevolle Erinnerung an den Sohn, den er in seinen ersten Dienstjahren gekannt und gemocht hat – jedenfalls gibt er sich einen Ruck und nimmt das Bild, das keiner haben will. Und genau in diesem Moment ist er reicher als alle, die den Raum füllen. Wir gönnen es ihm von Herzen, ihm dem Überraschten, dem Überrumpelten – gönnen ihm seine fassungslose Freude.
Und eine gewisse Bewunderung erfüllt uns für den alten Mann. Pfiffig hat er das gemacht. Alle Reichen und Neureichen, alle Kunstinteressierten und Kunstbeflissenen hat er düpiert. Und den treuen alten Diener für sein ganzes Leben lang belohnt. Wer den Sohn hat, der hat alles. Der braucht sich keine Sorgen mehr machen. Sein ganzes Leben lang nicht.
Ist das eine Weihnachtsgeschichte?
Auf den ersten Blick vielleicht nicht, aber ganz sicher auf den zweiten. Was haben wir nicht alles angestellt in den letzten Wochen, um ein rundherum gelungenes und schönes Christfest zustande zu bringen. Als fleißige Hausfrauen waren wir fast Tag und Nacht auf den Beinen, emsig bemüht, die Wohnung auf Hochglanz zu bringen, die Plätzchensorten rechtzeitig in ihre Dosen, die Weihnachtspäckchen rechtzeitig aufs Postamt, und das Festtagsessen pünktlich auf den Tisch zu bringen.
Als Firmenchefs oder Sekretärinnen, als Verkäuferinnen oder Substituten galt unsere ganze Anstrengung, Jahresgeschäfte noch zum Abschluss und alle Bilanzen noch in Ordnung zu bringen. Jeder Geschäftspartner sollte noch einen persönlichen Festtagsgruß bekommen und jeder Kunde eine kleine Aufmerksamkeit. Ja selbst die Handwerker und Lehrlinge mussten in diesen Wochen sogar samstags arbeiten, um noch vor dem Fest die Bauabnahme über die Bühne zu bringen.
Als gläubige Christen waren wir auch fleißig: haben – vielleicht auf andere Weise – „Den anderen Advent“ gelesen, haben Adventsandachten und Konzerte besucht, haben Advents- und Weihnachtsfeiern organisiert, vom Chor über den Kindergarten bis hin zur Frauenhilfe, waren aktiv dabei beim Adventskonzert und Krippenspiel, Adventsfenster und Weihnachtsfeiern, Christbaumstellen und Mitarbeiterbriefe. Wir Christen bemühen uns zwar redlich, dem kommerziellen Rummel aus dem Weg zu gehen und einen anderen, besinnlichen Advent zu feiern – und doch sind wir mit bei den Fleißigsten im Planen und Vorbereiten des Festes.
Und dann saßen wir gespannt in der Weihnachtsstube – freudig erwartend, ob sich denn die echte Weihnachtsfreude einstellt. Aber bei manchem kam sie nicht so recht. Weil wir so müde waren und so ausgezehrt von den langen Wochen der weihnachtlichen Vorbereitungszeit. Das Glitzern der Kerzen ist matt und der Klang der Weihnachtslieder irgendwie wehmütig. Haben wir etwas versäumt? Haben wir uns selbst zu sehr erschöpft?
Der Reichtum von Weihnachten
Und darum sind wir heute hier. Wir wollen uns verdeutlichen – ja verinnerlichen: Was ist der eigentliche Reichtum des Christfestes? Was heißt: den Sohn haben? Und damit das Leben haben? Die vier Verse aus dem Titusbrief, die heute unser Predigttext umfasst, geben darauf eine Antwort:
– Was wir suchen, was wir uns herbeisehnen – auch und gerade an Weihnachten – das ist Freundlichkeit und Menschenliebe unseres Gottes. Wenn Gott uns nicht mehr freundlich und liebevoll ansieht, dann wird es dunkel und kalt in unserer Welt. Das wissen wir. Darum ist diese Freundlichkeit und Menschenliebe der eigentliche Reichtum unseres Lebens und der eigentliche Reichtum unseres Glaubens.
– Wenn wir diese Freundlichkeit und Menschenliebe suchen und uns ersehnen, dann gibt es nur einen, der sie uns geben kann: den Heiland Jesus Christus. „Durch das Bad der Wiedergeburt im heiligen Geist“ – so schreibt es der Paulusschüler an Titus in einer ein bisschen altertümlichen Art. Die Menschen damals wussten sofort, was gemeint ist. Wiedergeburt heißt: Alles wird neu. Alles ändert sich. Für uns heute gesagt, hört sich das so an: Wenn wir umkehren, wenn wir uns klar werden, was in unserem Leben wirklich zählt, und was unser Leben wirklich reich und glücklich macht, dann gibt es nur eines: die Einkehr. Die Umkehr. Die Heimkehr zu Christus.
– Kaufen können wir die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes nicht. Auch nicht Ersteigern. Das alles wäre eigene Gerechtigkeit, eigene Leistung, die wir Gott sozusagen als Preis für seine Liebe anbieten würden – und das lehnt Paulus ins seinem Brief an Titus rundweg ab. Nein, Gott schenkt uns seine Liebe ohne jede Vorleistung nur aus Gnade, genauso überraschend und genauso unfassbar anders, wie es dem alten Diener ergangen ist. Nichts hatte er zu bringen. Nichts hatte er anzubieten. Nur seine Liebe. Und genau die war’s: Wer liebt, der hat Gottes Herz gewonnen. Und wird von Gott beschenkt mit einem unermesslich großem Reichtum an Kraft und Segen und Hoffnung.
Beschenkt mit Freundlichkeit und Nächstenliebe
Das ist ein so wunderbar tröstliches Wort für alle, die sich rund um das Weihnachtsfest so angestrengt und so abgemüht haben. Gerade dann, wenn etwas nicht so perfekt gelaufen ist, wie man es sich vielleicht gewünscht hat. Wenn an Weihnachten vielleicht doch gestritten wurde, Tränen geflossen sind oder Enttäuschungen zum Vorschein kamen. Wenn Trauer immer noch weh tat oder ein Streit nicht überwunden werden konnte, wir uns aber so sehr gesehnt haben nach Herzenswärme, nach Glaubensstärke und nach Liebeskraft, dann dürfen wir wissen: Jesus kommt genau zu diesen Menschen – zu uns – die wir trotz allem Lichterglanz und Weihnachtsflitter so oft mit leeren Händen vor Gott stehen. Und er sagt uns zu: Wenn Du mich lieb hast, dann schenke auch ich Dir meine Freundlichkeit und Liebe – und zwar überreichlich.
Wer den Sohn hat, liebe Gemeinde, wer den Sohn erkannt hat, der hat begriffen, was das wirkliche Weihnachtsgeschenk ist: Dass Gott uns auf dieser Erde, die uns so viel Sorgen und Kummer macht, nicht allein gelassen hat, sondern uns seinen Sohn an die Seite gestellt hat, der uns den Himmel auf die Erde bringt. Das Licht in unsere Dunkelheit. Das Verzeihen in unsere Schuld. Die Hoffnung in unsere Verzagtheit. Die Ewigkeit in unsere Vergänglichkeit.
Lassen Sie uns heute einmal einfach nur der Diener sein. Einer, der arm und ohne jede Absicht zur Versteigerung gekommen war – und ganz hinten stand im Kreis der Kunstinteressierten und Kunstbeflissenen, der Reichen und Neureichen – und der auf einmal so reich beschenkt wurde, dass er es gar nicht fassen konnte.
Das Bild des Sohnes. Das sollte uns an einem Tag wie heute das Wichtigste sein. Und das Wertvollste. Dann werden auch wir beschenkt.
Beschenkt mit Freundlichkeit und Menschenliebe.
Beschenkt mit Freiheit und Vergebung.
Beschenkt mit dem Glück, geliebt zu sein.
So reich beschenkt, dass wir es gar nicht fassen können.