Predigt

Gottes geliebte Kinder

Lebensförderliche "Entfeindung" - Anders leben ist möglich

PredigttextRömer 12, 1.9.14. 17-21 (mit exegetischen und homiletischen Hinweisen)
Kirche / Ort:Hamelner Münster St. Bonifatius / 31787 Hameln
Datum:13.07.2014
Kirchenjahr:4. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pastor i.R. Herbert Dieckmann

Predigttext: Römer 12,1.9.14.17-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Illusionäre Elite-Moral? Verfolger segnen, auf Vergeltung verzichten, Feinden zu essen und trinken geben? Wer kontextlos diesen rigorosen Forderungen im Gottesdienst begegnet, muss sich heillos überfordert fühlen und mit Kritikern des Christentums vermuten, hier werde bedenkliche Opfer-Schulung betrieben oder ethische Höchstleistung verlangt, die allenfalls Heroen wie Gandhi, Bonhoeffer, Mandela oder Mutter Theresa zuzutrauen ist. Um solche Fehlurteile zu verhindern, sollte die Predigt deutlich und am besten gleich zu Beginn den theologischen Zusammenhang aufzeigen, in dem Paulus seine Weisungen in Röm. 12,1.9.14.17-21 formuliert. (Ich habe das vorgeschlagene Predigtwort um V. 1.9 u.14 erweitert, damit schon beim ersten Hören diese thematische Zuordnung anklingt.)

Die paulinische Paränese als „nur eine andere Form des Evangeliums“ Röm. 12,9.14.17-21 ist Teil der Paränese in Röm. 12,1-15,13, die dem Evangelium in Röm. 1-11 genau entspricht. Mit dieser exakten Zuordnung beschreibt Paulus die für ihn unauflösliche Einheit von Gottes Zuspruch seiner „evangelischen“ Heilsgabe in Christus und Gottes Anspruch auf die christliche Lebensaufgabe. Aus Gottes Liebesgabe (Rechtfertigung von Juden und Nicht-Juden ohne des Gesetzes Werke um Christi willen, Geschenk des Geistes der Gotteskindschaft und des neuen Lebenswandels durch die Taufe) folgt für Paulus organisch notwendig als „nur eine andere Form des Evangeliums“ (G. Friedrich) die Liebesaufgabe von Christen, als „Gottes Geliebte“ (s. Röm. 1,7; 12,19) die ihnen von Gott geschenkte Liebe im Alltag zu leben und an andere weiterzugeben.

Diese präzise Übereinstimmung von Gottes Heilsgabe und christlicher Lebensaufgabe prägt auch unser Predigtwort mehrfach: In V. 9. u.19 verbinden die beiden Begriffe: „ungeheuchelte Liebe“ und „Geliebte“ die Liebeserweise Gottes an Juden und Nicht-Juden (Röm. 1-11) und die daraus entspringende Liebesaufgabe (12,1-15,13) eng miteinander. (Darum darf die Anrede agapeetoi hier nicht auf „meine Geliebten“ (Zürcher 2007), „meine Lieben“ (Luther-Bibel 1984 u .a.) oder „liebe Brüder“ (Einheitsübersetzung) verengt werden. Sie ist stattdessen wortgetreu und deshalb unbestimmt mit „Geliebte“ zu übersetzen (so Käsemann, Lohse, Michel), womit Paulus auch auf 1,7 verweist.) Die Ermahnung zur Feindesliebe (V.14 u.17-21) wurzelt in Gottes Feindesliebe, d. h. in seiner Bereitschaft, Menschen mit sich zu versöhnen, auch als sie noch Gottes Feinde waren (5,10). Christlicher Friedensdienst (V.18) gibt jenen Frieden weiter, den mit Gott mit seinen „Geliebten“ um Christi willen geschlossen hat (5,1).

Die Befreiung der Kinder Gottes tut allen gut. Wer bewusst auf Rache und Vergeltung verzichtet, freiwillig Feinden Gutes tut und mitten im Unfrieden Frieden anstrebt, der verlässt seine fremdbestimmte, deformierende Opferrolle und wird noch als Verfolgter wieder freier Akteure eines selbstbestimmten Daseins. Was bisher Privileg der Könige und Philosophen war, großherzig wie Gott auf eigenes Recht zu verzichten, das dürfen Christinnen und Christen, als Söhne und Töchter Gottes von der Herrschaft des Bösen befreit, nun souverän leben (G. Theißen, S. 348f.). Diese großherzige „Entfeindungsliebe“ (Lapide) vergrößert auch die Chance der Feinde, dem Sog des Bösen zu entkommen und ihr Leben noch einmal zum Guten zu wenden, was dem eigentlichen Rettungswillen Gottes entspricht. Somit verwandelt sich scheinbar lebensfremde oder gar lebensfeindliche Weisung in ein lebensförderliches Gottesgeschenk für verfolgte Christen und auch noch für deren Verfolger. Die offenkundige Schwierigkeit, diese königliche Freiheit zu Vergeltungsverzicht und Feindesliebe alltäglich auch wirklich zu leben, sollte die Predigt nicht zu erhöhtem Mahnungsdruck verleiten, sondern vielmehr zu liebevoller Vergegenwärtigung von Gottes Heilsgaben ermuntern.

Lieder „Mein erst Gefühl" (EG 451,1-3.7-10) „O Gott, du frommer Gott" (EG 495,1-5) "Ich ruf zu dir" (EG 343,1.3.5)

Lesungen: 1.Mose 50,15-21 Lukas 6,36-42

Literatur: David Alvarez Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die Paulinische Mission, HBS, Bd 19, Freiburg, 1999.- Ernst Käsemann, An die Römer, HBzNT, Tübingen, 1980.- Eduard Lohse,Der Brief an die Römer, KeK, Göttingen, 2003.- Otto Michel, Der Brief an die Römer, KeK, Göttingen, 1963.- G. Theißen/A. Merz, Der Historische Jesus, Göttingen, 1996.

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