Gottes Interesse am Leben
Brot des Lebens
Predigttext | Johannes 6,47-51 |
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Kirche / Ort: | Schriesheim b. Heidelberg |
Datum: | 30.03.2025 |
Kirchenjahr: | Laetare (4. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrer Dr. Klaus Müller |
Predigttext: Johannes 6,47-51 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
47 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.
Die biblische Geschichte ist von A bis Z eine einzige Geschichte von Gottes Interesse am Leben. Wie Gott Partei nimmt für das Leben seiner ganzen Kreatur, davon erzählt die Bibel vom ersten bis zum letzten Blatt.
I
Auf den ersten Seiten haben wir die Erzählung von der Schöpfung allen Lebens. Was wüst und leer ist, soll belebt werden; über der dunklen Tiefe soll Leben einziehen – nach und nach: Helle, Licht, fruchtbare Erde, Luft und Wasser, Lebensraum für Gottes Geschöpfe, Pflanzen, Tiere, Menschen. Es soll das Leben pulsieren im Gegenüber zum lebendigen Gott. Gott will nicht lebendig sein ohne lebendige Partnerinnen und Partner um sich herum. Ohne die lebendige Beziehung zu seinen Geschöpfen will er nicht Gott sein. Gottes Interesse am Leben erst setzt das ganze Schöpfungswerk in Gang.
Auf den letzten Seiten erzählt die Bibel von der umfassenden Erneuerung des Lebens durch Gottes lebensspendenden Geist. Alles, was das Leben hindert und beeinträchtigt, wird vergehen. Das Leben soll ungeschmälert zum Zuge kommen: „Siehe, ich mache alles neu“, sagt das Wort der Offenbarung Johannes’. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein... Ich will dem Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst.“ Die Bibel schließt mit dieser Aussicht, dass sich Gottes Interesse am Leben durchsetzen wird gegen alle lebensverneinenden Kräfte und Mächte. Gottes Ja zum Leben wird eingelöst werden und die Oberhand behalten gegen alle Defizite und Mängel und Entbehrungen der Zeit.
Die biblische Geschichte ist von A bis Z eine einzige Geschichte von Gottes Interesse am Leben aller seiner Kreaturen. Davon erzählt die Bibel. Darum ist sie von A bis Z ein Lebensbuch. Sie erzählt davon, dass Gott PRO VITA ist, für das Leben auf ganzer Linie. Wenn es so etwas gibt wie eine Überschrift über die biblische Geschichte, dann etwa so: „Ich will, dass sie das Leben und volle Genüge haben.“ Oder: „Ich habe kein Gefallen am Tod des Menschen – nicht des schwachen und auch nicht des gottlosen – sondern dass er das Leben habe.“ Wenn wir das schwierige Wort „Gnade“ gebrauchen, dann meinen wir genau dies: Gott ist ganz und gar an unserem Leben interessiert – und das wird letztlich den Ausschlag geben.
Leben – das ist die große Klammer, in die hinein Gott den Weltenlauf gestellt hat, Leben ist die Klammer, innerhalb derer sich Gottes Geschichte mit uns Menschen abspielt – seit den ersten forschen, aber dann auch irrenden Schritten im Garten Eden, seit den Tagen Noahs, Abrahams und Saras, Israels, der Gemeinde Jesu bis zu uns heute. Alles, was wir dazwischen hören an Gottesgeschichte gibt Kunde davon, wie Gottes Lebenswille für uns aktiv und wirksam wird. Überall, wo Leben geschmälert, beeinträchtigt und genommen wird, wird etwas vom Leben Gottes geschmälert, beeinträchtigt und genommen. Denn ohne unser Leben will Gott nicht der lebendige Gott sein. Überall, wo Leben gestärkt, gefördert und aufgebaut wird, wird Gottes Leben selbst unter uns gestärkt, gefördert und aufgebaut.
Wenn „Gnade“ bedeutet: Gottes grenzenloses Interesse an unserem Leben, dann bedeutet „Sünde“: Widerspruch gegen diesen Lebenswillen Gottes. So lesen sich die Armutsberichte dieser Welt wie ein Beichtspiegel, wie ein Sündenspiegel, in dem sich der Widerspruch gegen Gottes Lebenswillen manifestiert: Jeder fünfte Mensch dieser Erde lebt in Armut, jeder zehnte in Hunger, weltweit jeder vierte ohne sicheren Zugang zu sauberem Wasser.
II
„Ich will, dass sie das Leben und volle Genüge haben“, spricht das göttliche Wort. Der lebendige Gott hat seinen Lebenswillen konkret und leibhaftig werden lassen in einer einzigartigen Person der Weltgeschichte, in einer Person, die bis heute und über den Tag hinaus Menschen beglückt, nährt und zum Teilen herausfordert. Jesus Christus ist das leibgewordene Interesse Gottes am Leben. Dass Gott PRO VITA ist, demonstriert er mit Mund und Händen, mit Herz, Mut und Sinn jenes Mannes aus Nazareth. Jesus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Dass Gott Leben will, bleibt keine These nur, keine bloße Behauptung. Nur wer Lebensmittel gibt, zeigt, dass er das Leben will. Nur wer Brot gibt, zeigt, dass er den Hunger verabscheut. Nur wer das Leben schenkt, zeigt, dass er das Leben unendlich hoch schätzt.
Jesus kommt mit diesem einfachen und ungeheuren Satz auf den Lippen: „Ich bin das Brot des Lebens“. Und er bringt mit, wovon er spricht. Brot des Lebens, Brot zum Leben, das Lebensnotwendige. Das bringt er, in jeder Hinsicht, nicht nur im übertragenen Sinne; nein, zunächst einmal macht er Hungrige satt, ganz real, leibhaftig. In Jesu Verkündigung hat beides immer zusammengehört: Brot für den Leib und für die Seele. Die Botschaft vom Interesse Gottes für das Leben, ja die Gottes Liebe selbst soll auch durch den Magen gehen. Für uns heute im reichen Westeuropa mag das kaum mehr etwas sagen – Brot? „Was meinen Sie, bitte? Jogging- oder Roggen-Misch, Dreikorn- oder Kümmel-, Kürbiskern oder Holzofenbrot? Oder vielleicht Baguette, Pumpernickel oder Schweizer Brot?“ – aber für die Menschen um Jesus wie für viele Arme und Hungernde in allen Teilen der Welt heute hat das durchaus Lebensnotwendiges zu bedeuten: Brot des Lebens, Brot zum Leben und zum Überleben. Er will es geben. Und wir sollen es in seiner Nachfolge niemandem vorenthalten.
Von diesem – leiblichen Brot – allein lebt der Mensch aber nicht. Das gibt es, dass Menschen trotz Überreichtum an Kohlehydraten innerlich aushungern und ausbrennen. „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus an anderer Stelle im Johannesevangelium: „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Christus kommt und gibt dem gefallenen Menschen die Würde des Lebens zurück.
Im Evangelium wird erzählt, wie sie eine Frau zu Jesus bringen, im Ehebruch ertappt, behaupten sie. In den Augen der Öffentlichkeit hat diese Frau ihre Ehre und Würde verloren. Für die Hüter der bürgerlichen Moral und des gesunden Volksempfindens ist diese Frau gestorben. Sie steht stellvertretend für alle Geächteten, Diffamierten, Ausgestoßenen.
„Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus und eröffnet diesem gefallenen, gesellschaftlich toten Menschen einen neuen Lebensweg aufgrund der Vergebung. „Ich verdamme dich nicht“, sagt er, „geh und sündige hinfort nicht mehr.“ Das Leben kann noch einmal beginnen. Der die Vergebungsbereitschaft Gottes in Person ist, Jesus Christus, kann zurecht sagen: „Ich bin das Brot des Lebens“.
III
Aber mehr noch! Jesus ist von den Toten auferstanden und hat das neue Leben begonnen an der Hand Gottes. Und was für uns das Entscheidende ist: Er will dieses Leben nicht für sich behalten, sondern ausströmen lassen auf alle Menschen. Der Auferstandene, der lebendige Herr Jesus Christus, grüßt seine Jüngerschar mit den Worten: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ Ihr sollt Anteil gewinnen am Ostermorgen. Was da geschehen ist in den Stunden, bevor die Frauen zum Grab gekommen sind, das soll nicht irgendein obskures Ereignis in der Weltgeschichte bleiben, sondern die entscheidende Realität für alle, die sich darauf einlassen.
„Ich bin das Brot des Lebens“, das kann mit Recht nur der sagen, der den Tod besiegt hat und ein unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat. Er ist das Brot des Lebens. Ein Leben mit Christus bringt mir die Gewissheit: Ziel meines Lebens ist das Leben und nicht die Verfallenheit an den Tod und die Mächte des Verderbens. Laetare! Freuet Euch! Feiert Ostern schon jetzt, da das Leiden noch Wirklichkeit ist!
Nun brauchen wir noch einen Gedanken, damit wir ehrlich bleiben in unserem Glauben. Achten wir noch einmal genau auf das, was Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. … Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit“. „Wer zu ihm kommt, den wird nicht hungern; und wer an ihn glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Das ist die Sprache der Verheißung, nicht der religiösen Sicherheit. Es heißt nicht: In Christus bin ich satt, jetzt schon „papp satt“, sondern es heißt: den wird nicht hungern und nimmermehr dürsten – „mir wird nichts mangeln“, so sagt es Psalm 23. Im Glauben an Christus ist uns das Suchen zugestanden, ja sogar zugemutet. Da sind offene Fragen und Wünsche und Sehnsüchte auch im Glauben nicht einfach übersprungen. Wir sind noch nicht im Himmel. Die Glaubenden dürfen und sollen ihre Grenzen ernstnehmen, ihre Unvollkommenheiten annehmen. Das ist ehrlicher Glaube.
Lätare 2025. Auch in einem Jahr voller Irrungen und Wirrungen, voller Rückschläge und Ernüchterungen – Lätare steht für das trotzige Dennoch der sich anbahnenden Osterfreude inmitten allen irdischen Leidens. Denn Christus spricht: Ich bin das Brot des Lebens.