„Ja, heißt das eine Wörtlein, das andre heißet nein; die beiden Wörtlein schließen die ganze Welt mir ein“, so stellt sich der sehnsüchtigen Liebe eines jungen Mannes die Frage von Sein oder Nichtsein. Vielleicht ist diese Frage aus Schuberts „Die schöner Müllerin“ überhaupt die Grundfrage unseres Lebens. Erfahre ich, was mir in der Begegnung mit der Welt Tag für Tag widerfährt, als eine Bejahung meiner Person: „Schön, dass du da bist“? Oder erfahre ich die Begegnungen mit der Welt als eine einzige Verwerfung: Nein, dich bräuchte es nicht zu geben? Ein Ja oder Nein in dieser Frage entscheidet mit, ob wir glückliche oder unglückliche Menschen sind.
I.
Zwischen Ja und Nein, zwischen Hoffen und Bangen lebten im 6. Jh. v. Chr. zahlreiche ins „Babylonische Exil“ verschleppte Israeliten. Sie schwankten zwischen Sehnsucht nach der Heimat und beginnender Apathie. Viele Jahre waren vergangen, ohne dass sich ein Silberstreif am Horizont gezeigt hätte. Die Zeit lief ihnen davon. Mehr und mehr bezweifelten sie, dass Gott mit ihnen noch etwas vorhaben könnte. Ihr Zweifeln steigerte sich, aus dem heutigen Predigttext zu erschließen, zunehmend zu einer Lebensverweigerung. Zu einem vierfachen Nein, wie es manche Menschen befällt, wenn sie am Rande einer Depression dahinstolpern. Vor einer solchen sind auch gläubige Menschen nicht sicher, heute wie damals. Darum dürfen auch wir hier im Gottesdienst Versammelte uns dem 4-fachen, aufmunternden Ja Gottes öffnen und es hören – das mehrmals unterstrichene Ja, das Israels Prophet damals den Exilierten ausrichtete.
Ich setz‘ den ersten Fall, eine schwarze Stunde der folgenden Art: Es rutschte uns in der Wut ein böses Wort heraus; wir ließen uns hinreißen; die Sache eskalierte, und allmählich dämmerte uns, dass wir einem Menschen Schaden oder gar Leid zugefügt haben. Nun droht Gefahr aus zwei entgegengesetzten Richtungen.
Von der einen Seite die Verdrängung: Ich schiebe die Schuld schnell wieder weg von mir. Ich rede mir allerlei Umstände ein, die mich entlasten, und ich schiebe die Hauptverantwortung für das, was passiert ist, doch wieder dem von mir Verletzten zu – alles, um irgendwie wieder mein inneres Gleichgewicht zu erlangen.
Oder Gefahr von der anderen Seite: Ich erschrecke bis ins Mark über mich selbst: Ich habe durch meine eigene Schuld alles kaputt gemacht. Es ist nicht wiedergutzumachen, was ich anrichtete. Es kann dann sein, dass ich die Selbstanklage noch vertiefe und bei einer bestürzenden Selbsterkenntnis ende: So gut, wie ich es mir immer einbildete, bin ich ja gar nicht. So altruistisch, wie man’s mir nachsagt, empfindet meine Seele gar nicht. Sie lässt sich kränken, man kann sie verletzen, und dann geht es auch mir um meine Ehre und möchte auch ich Recht bekommen, und manchmal hege ich dann ganz böse, feindselige Gedanken.
Auch ich rühre mit am Bösen, das in der Welt geschieht. Jetzt zweifle ich an meinem Charakter und Wert meiner Person. Dann kann es passieren, dass ich mich in einer totalitären und unversöhnlichen Weise selbst verdamme. Ich ergebe mich in die Schwärze des Schuldgefühls, in die erdrückende Schwermut. Ich schließe die Fenster nach draußen zu gegen jeden Sonnenstrahl, der mich noch anlachen könnte.
Aber Gottes Wille ist das nicht. Seine Gerichte sind nicht auf ewige Verdammnis angelegt, sondern auf Zeit. Sie geben, wo sie Einsicht und Sinneswandel bewirken, dem Leben eine neue Chance. Dem Schuld-bewusst-Gewordenen erneuert Gott sein Ja, mit den Worten des Propheten: „Suchet JHWH, da er sich finden lässt; ruft ihn an, da er nahe ist. Es verlasse der Schurke seinen Weg und, der Böses tat, lasse ab von seinen Plänen. Er kehre doch um zu JHWH, und Er wird sich über ihn erbarmen. Er kehre um zu unserem Gott, JA, Er zeigt sich groß im Vergeben“.
II.
Ich setz‘ einen zweiten Fall, auch er hat eine bestimmte Vorgeschichte. Sie hat mit einem Hang des menschlichen Herzens zu tun, sich die Dinge gefügig zu machen und die Welt nach den eigenen Vorstellungen so weit als möglich umzumodeln. Da setzen wir uns Ziele: So und so soll unsere Lebenslandschaft aussehen; dies und das wollen wir erreichen. Und meinen: Machbar, wenn wir nur richtig planen. Also nehmen wir z.B. den Terminkalender zur Hand und gegebenenfalls einen Lebensgefährten zur Brust und ‚planen durch‘: eine Woche, einen Monat, vielleicht Jahre. Und solange alles nach Plan verläuft und gelingt und solange alle mitspielen und solange sich die entgegenstellenden Probleme lösen lassen, so lange redet mancher auch gern von Gottes Führung und wie gut Er es wieder gefügt habe.
Aber wie, wenn Nicht-Eingeplantes unseren Plan erschüttert? Eine Krankheit, auf die wir nicht gefasst sein konnten; ein nicht gesuchter, aber Energien fressender Konflikt; ein Leid, bei dem wir gefragt werden, ob wir wohl beistehen wollen. Das hieße aber, den Tagesplan zu suspendieren; wir können dann nicht einfach weitermachen im Text! Oder: Ein Mensch, der bisher im Sinne unseres Plans funktioniert hatte, jetzt aber nicht mehr. Jetzt bräuchte er umgekehrt mich für sich. Nicht eingeplant!
Wenn wir dann nur vorübergehend unsicher sind und uns, flexibel genug, auf die neue Situation einstellen können, dann haben wir eine glückliche Natur. Aber geraten wir nicht oft in totale Verwirrung, wenn der Plan durchkreuzt ist? Und bekommen regelrecht Angst – Angst vor dem drohenden Chaos in meinem Leben. Angst, die Ansprüche an mich und die Aufgaben nicht mehr bewältigen zu können. Ich habe auch keine Energie und keine Zuversicht mehr, mir aufs Neue Ziele zu setzen und anzugehen. Stattdessen ‚lasse ich mich gehen‘. Und komme meinen Mitmenschen vor wie einer, der sich dem Leben verweigert.
Aber Gott bleibt bei seinem Ja. Sagt mir durch den Propheten: Viele deiner Pläne, und nicht nur die eigensüchtigen, werden durchkreuzt. Manches Ziel, das du dir setztest, wirst du niemals erreichen. Aber mein Plan für dich, er steht. Wo du einen deiner Pläne zerbrechen siehst, es könnte sein, dass ich dich gerade da im Sinne meines Plans mit dir ein erhebliches Stück weitergebracht habe. Und dereinst, am Ende wirst du es schauen und wirst meine Logik erkennen. Im Originalton des Propheten: „Ja, meine Pläne sind nicht eure Pläne, und eure Wege sind nicht meine Wege. Wie der Himmel hoch über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Pläne über euren Plänen“.
III.
Ein drittes Nein: Gerade unter uns, die wir noch zur Kirche halten, geht die Klage um: „Nichts richtet es aus, Gottes Wort. Schaut doch die leeren Bänke im Gottesdienst. In diesen heil‘gen Hallen kennt man die Fülle nicht, wenn nicht gerade ein außerordentliches Event wie Strohfeuer lodert und eine vorübergehende Aufmerksamkeit auf sich zieht. In Scharen wandern die Leute aus der Kirche aus; in den Diskussionen um die sog. Werte unserer Gesellschaft begegnen uns die Gebote und Leitlinien der Bibel nur noch als eine Stimme unter vielen. Das Wort Gottes, sonderlich viel Eindruck scheint es nicht mehr zu machen. Nein, wirklich nicht“, nagt der Zweifel. Gottes Wort setzt sich nicht durch, nicht einmal dort, wo es sonntags redlich gepredigt und gehört wird.
Wieder aber widerspricht Gott mit einem „Doch, ja!“, mitten hinein ins Herz des Zweiflers. Gottes Wort ist nämlich nicht einfach deckungsgleich mit dem Wort einer armseligen Sonntagspredigt. Es ist einiges mehr! Es ist sein Schöpferwort, mit dem Er Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn. Manchmal bekommen wir sogar so etwas wie ein Leuchtzeichen dafür, dass Er schöpferisch tätig ist, dass Er schöpferisch hineinredet ins Weltgeschehen, in den nicht mehr für möglich gehaltenen Wundern der Geschichte. Denken wir etwa an den Abbau der Apartheid in Südafrika, an den Fall der Berliner Mauer, an den Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten. Sollten wir also nicht doch weiter hoffen für das mörderisch bekriegte Nachbarvolk? Für Länder, wo inzwischen Dürren, „Feuer und Wasser“-Katastrophen (Jes 43,2! Ps 66,12!) gewaltigen Ausmaßes Menschen, Tiere und Pflanzen bedrohen?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das geflügelte Wort, wie es uns zu Ohren kommt, klingt meistens eher sarkastisch als wirklich zuversichtlich und von Gottvertrauen getragen. Der Prophet dagegen setzt auf das schöpferische Wort Gottes. Er erinnert uns an des Schöpfers unerschöpflichen Möglichkeiten, Menschen zu bewegen, Sinneswandel zu bewirken, Entwicklungen in Gang zu bringen, Ehrfurcht vor dem Leben zu wecken. Folgendes spricht der Ewige durch den Mund Jesajas:
„Ja, wie der Regen herabkommt und der Schnee vom Himmel und dorthin nicht zurückkehrt, es sei denn, er habe die Erde getränkt, sie schwanger gemacht und sie sprossen lassen und Samen dem Sämann gegeben und Brot dem, der essen möchte, so wirkt mein Wort, das von meinem Munde ausgeht: Es kehrt nicht unverrichteter Dinge zu mir zurück, sondern, ja, es vollbringt gewiss, was ich will, und bringt zustande, wozu ich es gesandt habe“.
IV.
Es gibt ein viertes Nein, mit dem wir uns dem Leben verweigern: das Nein der Untergangspropheten. Es hört sich so oder so ähnlich an: Der Countdown läuft. Schaut doch nur hin: so viele grausame Despoten in der Welt, die oppositionelle Stimmen in ihrem Land alsbald wegsperren; Gewaltherrscher, die kriegslüstern unsägliches Leid über Zigtausende und immer mehr Menschen bringen; unersättliche Gier der längst schon Reichen, welche die Armen noch ärmer macht. Gier, die nicht zu stoppen die Lebensgrundlagen auf der Erde zerstört. Ein unumkehrbarer Prozess, greifbar schon an vielen Ecken und Enden. Weshalb Schwarzseher schwarzsehen und – verschieden – darauf reagieren:
„Rette sich, wer kann!“ – sie versucht von dem zum Abgrund fahrenden Zug abzuspringen und ihre Haut in irgendeine Nische zu retten. Die Aussteigerin wird mit Bio-Zertifikat versehene Nahrungsmittel einkaufen. Sie wird sich aus manchen Spielchen unserer Gesellschaft mit Verachtung zurückziehen. Vielleicht ihr Auto verkaufen. Sich lieber mit Hartz IV / Bürgergeld abspeisen lassen, statt sich auf anstrengendem Weg fit zu machen für einen der dringend gebrauchten Pflegedienste oder für ein Handwerk. Sie wird mit Nordic-Walking, Gesundheitstee und Antiaging-Cremes ihren Körper pflegen – vielleicht hält ja die Welt doch noch bis zu ihrem 100. Geburtstag.
Ein anderer nimmt für sich mit, was noch mitzunehmen ist, nach dem Motto: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“. Wenn die Welt denn schon zum Teufel geht und ich mit ihr, so will ich doch bis dahin das Leben noch ausbeuten, und dabei nehme ich keine Rücksicht. Die nimmt er nicht einmal auf die eigenen Enkel.
Wieder anders die Selbst-Gerechten. Sie pochen womöglich auf eine Zahl in der Johannesoffenbarung: Zwar geht die Welt zum Teufel und alle Bösewichter fahren in die Hölle. Aber ich gehöre zu den 144 000 Gerechten (Offb 7,4; 14,1.3), deren Seele Gott retten und in sein ewiges Reich aufnehmen wird.
Der Prophet wendet sich in der besagten Stunde mit einem Gotteswort und vierten Ja gegen alle drei – gegen die Aussteiger, gegen die Ausbeuter und gegen die selbsternannten Auserwählten. Er bestreitet alle unsere Erlösungsträume, in denen nur wir vorkommen und nicht auch unsere Brüder und Schwestern: Menschen, Tiere und Pflanzen. Ja aber sagt er zu einer Sehnsucht, die diese alle einschließt und sich dementsprechend verhält:
„Ja, in Freude sollt ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden. Die Berge und Hügel sollen vor euch in Jubel ausbrechen, alle Bäume des Feldes sollen in die Hände klatschen. Statt des Dornbusches wächst Wacholder hoch, statt der Brennnessel wächst Myrte hoch. Und das wird JHWH zur Ehre geschehen, zum ewigen, untilgbaren Zeichen“. Mit diesem Bild im Herzen lasst uns unverdrossen hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die Gott für seine Geschöpfe will, und anbeten die einzige Macht, die Anbetung verdient: die Macht der Liebe.