Gottes Liebeserklärung
Heiligabend - Die Welt gerät in ein neues Licht
Predigttext | Johannes 3,16-21 |
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Kirche / Ort: | Aachen |
Datum: | 24.12.2016 |
Kirchenjahr: | Christvesper |
Autor: | Pfarrer Manfred Wussow |
Predigttext: Johannes 3,16-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Liebeserklärung
Vielleicht freut sich die Welt heute Abend! Ihr wird eine Liebeserklärung gemacht. Regungslos lässt sie auch das über sich ergehen. Ich formuliere darum sehr vorsichtig, fast schon ein wenig ängstlich: vielleicht freut sich die Welt heute Abend. Die Welt ist zerschunden, zerrissen, ausgebeutet. Spielball mächtiger Interessen, die sich oft nicht einmal mehr tarnen. Menschen sind auf der Flucht. Weltweit. Mit dem Mut der Verzweifelten. Komm, was Besseres als den Tod finden wir überall – sagten die Bremer Stadtmusikanten. Sie waren weise. Aber die Räuber nehmen heute nicht reiß aus. Ein LKW fährt in einen Weihnachtsmarkt. Viele Menschen sterben, viele sind verletzt. Wir sind ratlos, entsetzt. Hört es denn nie auf? Und warum muss ich jetzt davon reden?
Die Welt ist geliebt, die Welt wird gerettet! Der Evangelist Johannes, berühmt für steile Sätze und große Gedanken, lenkt unsere Blicke auf den Sohn Gottes, der hingegeben wurde. Auch in den Tod. In die Verlorenheit. In die Hölle. Einer von uns. Erfahrungen von heute. Aber die Welt gerät in ein neues Licht. Von Liebe ist die Rede, vom Glauben, vom ewigen Leben. Ich stehe ein wenig hilflos dabei. Schaue ich zu? Suche ich die sichere Distanz? Habe ich auch etwas zu sagen? Zu tun? Johannes hat sich viele und weitreichende Gedanken über die Welt gemacht. Oft erscheint sie ihm als widergöttliche Macht, die alles daran setzt, Menschen ins Unheil zu stürzen.
Aber der Blick heute Abend ist ein liebevoller, fast schon zärtlicher. Wenn Gott, der doch die Welt gut geschaffen hat und sich über sein Werk freute, aus Liebe Mensch wird – Johannes formuliert sogar bombastischer: Fleisch – dann beschert er uns heute eine Lebens-, eine Schicksalsgemeinschaft mit sich. Nicht von ferne betrachtet Gott die Welt – wie ein Künstler sein Meisterwerk – , sondern als einer von uns. Nah, verletzlich, an den Rand gedrängt. Sogar unsichtbar. Unsichtbar gemacht. Da ist sie wieder: die Welt, die selbst nicht mehr an Liebe glauben kann. Es gibt zu viele Enttäuschungsgeschichten, zu viele bittere Erfahrungen. Anstecken lassen wir uns alle davon. Die große Hoffnung ist kurzatmig. Heute Abend aber klingt alles anders. Nein, es kommt ein Ton in die Welt, der alles verzaubert:
“Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Jetzt dürfen wir die Geschichte Jesu erzählen. Sie wurde im Weihnachtsevangelium schon laut. Lukas hat sie meisterhaft in Worte gefasst. Und es geschah zu der Zeit …
Ein erster Blick
Wohin wollen wir zuerst hinschauen? Aber haben wir überhaupt eine Wahl? Der Evangelist Lukas erzählt, dass die Klarheit des Herrn, seine Freundlichkeit und Schönheit die Nacht zerreißt. Wie geblendet bleiben wir stehen. Kann es so etwas geben? Bei Lukas überschlägt sich die Geschichte förmlich. Engel loben Gott, erfüllen den Raum, heben die Herzen der Hirten auf, machen der Nacht ein Ende. Wenn ein Weg, der sich um Dunkeln verlor, auf einmal wieder hell ist, wenn eine Sorge, die sich in das Leben fraß, auf einmal in sich zusammenfällt, wenn Worte, die keine Kraft mehr hatten, auf einmal wieder verstanden werden – dann ist eine Nacht zu Ende. Plötzlich. Aufgebrochen. Aufgehellt.
Manchmal begegnen uns Engel. Sie sind – wie das Art der Engel ist – auf einmal da. Sie lassen sich nicht bitten, nicht betteln, aber auch nicht wegschicken. Sie füllen einen Raum ganz aus. Sie öffnen den Himmel. Sie halten keine Standpauke, verharmlosen aber auch nicht, sie reden nicht über den Kopf hinweg, aber verletzen auch keine Gefühle.
Aufbruch
Was machen die Hirten? Sie brechen auf. Ohne großes Palaver. In der Nacht gibt es keine Tagesordnungspunkte. Protokolliert wird auch nichts. Aber sie haben etwas zu erzählen, die Hirten – auf deren Wort niemand etwas gibt, führen das große Wort. Ja, selbst der Lukas weiß von der Geschichte nur, weil er sich Mühe gab, ihnen zuzuhören. Oder hätten wir sonst das Weihnachtsevangelium? Es sind zwei Dinge. Sie fallen auf. Sie bewegen uns. Gehen – und hören. Wer in der Nacht verbleiben will, wird nichts zu erzählen haben. Wer sich zurückzieht und bleibt, wo er ist – wird nicht gehört. Die Engel haben mit ihrem Lob einen Weg gewiesen. Menschen sollen die Geschichte sehen, die geschehen ist. Bevor man die Augen aufmachen kann, muss man sich auf den Weg machen. Wenn man gefunden hat, was zu suchen war, darf der Mund voll sein. Es gibt viele Menschen, die sich danach sehnen, ein gutes Wort zu hören. Ein Wort, dass ihnen die Herzen leicht macht.
Wo sind die Engel geblieben? Lukas erzählt von ihnen nichts mehr. Ist die Nacht zurückgekehrt? Sie war nie weg. Aber sie ist nicht mehr, was sie vorher war. Sie klingt, sie singt. Das Lob der Engel macht sie leicht. Sie lastet nicht mehr auf den Gefühlen, bedrückt die Seelen nicht.
Wiedersehen
Am Ende treffen wir die Hirten wieder. Sie sind nach Bethlehem gekommen. In diesem gottverlassenen Nest in Juda gab es zwar kaum Herbergen, aber Ställe. In einem ist ein Kind zur Welt gekommen. Maria wird ihn Jesus nennen. In seinem Namen sind die größten Hoffnungen, die größten Verheißungen aufgehoben, bewahrt und weitergereicht. Dass Gott rettet, dass Gott redet – und die Welt mit seinem Wort verwandelt. Neu schafft. Einen neuen Anfang macht. Mit einem Kind. Die Enttäuschung ist groß. Es werden Machtworte erwartet. Die Welt kann nicht so bleiben wie sie ist. Sagen die Menschen. Im Dunst des Stammtisches ist auch alles ganz klar. Man müsse nur …. das machen. Jeder ein Held, ein Maulheld. Aber das Ergebnis ist – Nacht.
Menschen machen einander Angst, überziehen einander mit Forderungen, sprechen über einander – schlecht. Ein Himmel tut sich nicht auf. Im Gegenteil. Menschen arbeiten verbissen daran, ihn zu schließen. Immer mit dem wohlklingenden Argument: wir stünden schließlich mit beiden Beinen auf der Erde. Die Hirten haben den Stall gefunden. Ihnen ist aufgegangen, dass Gott die Welt liebt, so sehr liebt, dass er sich selbst unter die Menschen mischt. Mit den Schmerzen einer Mutter, den Augen eines Kindes, mit der Gottverlassenheit des Gekreuzigten. Dass es die Hirten sind, da dahinter kommen – das hat Lukas, ohne auch nur ein Wort zu viel zu sagen, so schön erzählt, dass Menschen noch heute ganz hingerissen sind, wenn sie vor einer Krippe stehen.
Der Blick auf das Kind sagt mehr über die Hoffnungen der Menschen, als Aktienkurse, Werbeprospekte und Parlamentsdebatten je sagen könnten. Es sind nur wenige Worte, die alles sagen: “Ehre sei Gott in der Höhe – und auf Erden Frieden den Menschen seines Wohlgefallens“.
Heilige Nacht
Wir haben von der einen Nacht – und den vielen Nächten geredet. Uns sind Engel begegnet, die den Himmel öffneten. Für den Augenblick, in dem wir uns aufmachen. Wir sehen ein Kind. Und Lukas hat seine Geschichte so angefangen, dass selbst der Kaiser Augustus nur vollstrecken kann, was an einem anderen Ort vor langer Zeit entschieden wurde: “Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ (Micha 5) Wir nennen diese Nacht die „heilige“. Gibt es das – eine „heilige“ Nacht? Ja, es gibt sie.
Wenn Menschen Dunkelheiten miteinander teilen und aushalten, wenn sie für einander Wege wissen und zu Engeln werden, wenn sie dem Lob, nicht der Klage das letzte Wort zutrauen. Jetzt spielt Lukas den Ball wieder zu Johannes. Das ist der vierte Evangelist, der letzte in dieser Riege. Johannes erzählt keine Weihnachtsgeschichte. Es gibt weder Hirten noch Engel. Aber das Kind, das wir in der Krippe sehen, zeigt er uns als den Sohn, als den Sohn Gottes. Wir sehen Gottes Liebe, die es mit Tod und Teufeln aufnimmt – und die Welt in ein neues Licht stellen. Mit den Augen der Liebe sieht die Welt anders aus – als mit den Augen des Hasses, der Vorurteile, der Ängste. Wenn etwas nicht objektiv ist, dann die Welt. Ich brauche Augen für sie – liebevolle. In der Heiligen Nacht werden die Werke Gottes offenbar – so sagt es Johannes. Ein Weihnachtswunsch in der Heiligen Nacht: “Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind”.
Der Friede Gottes, der Nächte hell macht, der gebe unserem Leben Klarheit. In Christus Jesus, unserem Herrn.