Gottes mütterlicher Trost
Lernen, sich von Gott trösten zu lassen
Predigttext | Jesaja 66,10-14 |
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Kirche / Ort: | Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg |
Datum: | 22.03.2020 |
Kirchenjahr: | Laetare (4. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt |
Predigttext: Jesaja 66, 10-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.
Zur Sprache und Exegese des Predigttextes
Das Volk Israel lebt nach dem Babylonischen Exil wieder als Gemeinschaft im angestammten Land. Dem Volk wird die Hauptstadt Jerusalem als Mutter und Trösterin empfohlen. Der Textumfang der Perikope ist in sich schlüssig. Die zuvor stehenden Verse Jes 66, 7-9 thematisieren die zentrale mütterliche Perspektive mit den beiden Begriffen „Jerusalem“ und „Zion“, die für die „Mutter“ stehen, die ihr Volk gebiert. Diese Verse sind nicht so ohne Weiteres selbsterklärend, wie die folgenden Verse 10ff., in denen der Gegensatz zwischen der angekündigten Freude der „Knechte“ Gottes und dem schlimmen Ergehen der Gottesfeinde deutlich gemacht wird.
Der hymnische Charakter der Anfangszeilen muss beachtet werden: Freude verändert sich in der Gottesrede zu liebevoller, zärtlicher Tröstung, diese Grundstruktur des Textes kann auch in der Lesung des Predigttextes vielleicht im Wechsel von zwei Stimmen aufgenommen werden. Damit würden den Hörern auch Zuversicht und Freude der Botschaft des dritten Jesaja deutlich werden (Prophetenstimme V. 10-12a und 14ab, Gottesstimme V. 12b-13).
Der Text steht im letzten Kapitel des dritten Teils des Jesajabuches, der auch als „Tritojesaja“ bezeichnet wird und die Kapitel 55-66 umfasst. Er ist nach dem Babylonischen Exil entstanden (ca. 520 v. Chr.) und in einer Zeit anzusetzen, in der sich das Volk Israel nach den Jahrzehnten des Exils wieder im eigenen Land eingerichtet hat. Doch es handelt sich nicht mehr um einen eigenen Staat, sondern um die Glaubensgemeinschaft der Israeliten, die nun unter persischer Oberhoheit leben muss. Diese Zeit erfordert Ermutigung: Nach der zunächst begeistert vollzogenen Rückkehr aus dem Exil ist im Volk mittlerweile eine gewisse Ernüchterung eingetreten. So scheint die erwartete Heilszeit auch angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation des Landes in weite Ferne gerückt. Darum versucht der dritte Jesaja seine Mitbürger aufzumuntern, nicht zu verzagen, weil er davon ausgeht, dass diese Heilszeit auf alle Fälle kommen wird. Jerusalem und der Gottesberg Zion mit dem Tempel sind die Konstanten und das Zentrum dieser Verheißung.
Das Motiv der Freude über Jerusalem, das schon in den Kapiteln 60-62 thematisiert wird, wird in Kap. 66 wieder aufgenommen. Der Wechsel von Trauer zu Freude lässt Verbindungen zu Klagelieder 1 sichtbar werden. Denn auch in den Klageliedern 1 ist Jerusalem Frau und Mutter, allerdings durch das Exil verlassen und kinderlos geworden. Dagegen gebiert in Jes 66 „Mutter Zion“ ihr Volk, und die Trauernden werden zur Freude aufgerufen.
Die Bezüge zu Jesaja 40 lassen die Erinnerung an die Verheißungen wach werden, die bereits erfüllt sind, weil Israel aus dem Exil ins gelobte Land zurückgekehrt ist. Gleichzeitig wollen die Verse verdeutlichen, dass sich an Gottes mütterlicher Fürsorge nichts geändert hat. Diese Fürsorge Gottes kann das Volk Israel nunmehr, seit es wieder im Land ist, am „Zion“ erfahren. Mit bewegenden Worten wird das Volk mit Säuglingen und Kleinkindern verglichen, die von Gott genährt und umarmt werden. Es handelt sich um einen Vergleich, in Wirklichkeit sind Erwachsene gemeint (vgl. V. 13), denn in diesem Vers, wo es eben nicht um das Bild „Kleinkind“ geht, wird davon gesprochen, dass Gott sein Volk tröstet wie eine Mutter einen Mann.
Zur Liturgie
Eingangsgebet
Du, unser Gott, warum musste dein Sohn so viel leiden? Warum hast du ihm sein schweres Los nicht erspart, bist nicht dazwischengefahren, als er gequält wurde bis aufs Blut; hast nicht vor aller Augen verhindert, dass er ans Kreuz geschlagen wurde? Diese Fragen treiben uns immer wieder um und es fällt uns schwer zu begreifen, dass Liebe die Antwort ist. Aus Liebe bist du, lebendiger Gott, selbst mit Jesus in den Tod gegangen und hast dich, Allmächtiger, öffentlich an die Seite aller Opfer menschlicher Bosheit gestellt. Mit Liebe hast du, unser Heiland, den Kreislauf von Gewalt und Rache überwunden. Du hast das Kreuz von einem Ort des Sterbens zu einem Zeichen des Lebens gemacht, das uns deine Liebe eröffnet. Gott, hilf uns, dieses Geheimnis des Glaubens zu fassen und lass uns in allen Fragen und Zweifeln festhalten an dir!
Fürbittengebet
Wie leicht wird alles sein, wenn du uns ansiehst, Gott, dein Blick gewendet wieder auf unser flüchtiges Dasein, auf die Wahrheit des Todes und die größere Wahrheit des Lebens, das du ewig gibst. Du hast dich ein wenig verborgen, nun sieh auf Menschen, die im Lichte der Macht stehen, die auf Stärke setzen, von Großreichen träumen oder von Rache, die sich selbst in den Himmel heben, erbarme dich, mit ewiger Gnade, du, unser Erlöser. Du hast dich verborgen, nun sieh auf Menschen, die oft Arbeitsnomaden sind, mobil und haltlos, flexibel und fremd sich selbst im Tun und Lassen, erbarme dich, mit ewiger Gnade, du, unser Erlöser. Du hast dich ein wenig verborgen, nun sieh auf die zahllosen Opfer an der Front des Kapitalismus, auf die neuen Sklaven in Asien und Afrika und all diejenigen ohne Arbeit, auf die Näherinnen und Färber, auf die Lagerarbeiter und die abhängigen Kinder in Plantagen und Rodungen, kleine Rädchen, rotierend auf Verschleiß in der Profitmaschinerie globaler Konzerne, erbarme dich, mit ewiger Gnade, du, unser Erlöser. Du hast dich ein wenig verborgen, nun sieh auf alle, die gerade an diesen Tagen an Wendepunkten stehen, die ihr Leben ändern wollen, die neu anfangen, die Altes und Vertrautes hinter sich lassen müssen, sieh auf Kranke, Sterbende und Trauernde in ihren Abschieden, erbarme dich, mit ewiger Gnade, du, unser Erlöser. Du hast dich ein wenig verborgen, nun sammle dein Volk, führe deine Kirchen zusammen, hab keine Vorbehalte mehr gegen uns, sondern sprich zu uns, damit wir deine Wege erkennen, erbarme dich, mit ewiger Gnade, du, unser Erlöser. Wie leicht wird alles, wenn du uns ansiehst, Gott, und der Tod sich in Leben wandelt, wenn der Bund deines Friedens uns begleitet und trägt. Dir vertrauen wir uns an, auch in dieser von Corona geprägten Zeit und zu allen Zeiten unseres Lebens. Amen.
Texte der Gegenwart
Altes Rezept
Nimm das Dasein als Bewährungsfrist Ohne Klagen, ohne Fragen. Schweigend steig hinauf die dunklen Treppen, Weil es immerhin noch leichter ist, Sein Kreuz zu tragen, Als es zu schleppen. (In: Mascha Kaléko, Die paar leuchtenden Jahre, hg. v. Gisela Zoch-Westphal, München 2003, 58)
Das Kreuz des Jesus Christus
durchkreuzt was ist und macht alles neu Was keiner wagt, das sollt ihr wagen was keiner sagt, das sagt heraus was keiner denkt, das wagt zu denken was keiner anfängt, das führt aus Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen wenn keiner nein sagt, sagt doch nein wenn alle zweifeln, wagt zu glauben wenn alle mittun, steht allein Wo alle loben, habt Bedenken wo alle spotten, spottet nicht wo alle geizen, wagt zu schenken wo alles dunkel ist, macht Licht Das Kreuz des Jesus Christus durchkreuzt was ist und macht alles neu (In: Lothar Zenetti, Auf seiner Spur. Texte gläubiger Zuversicht, Mainz, 3. Auflage 2002, 125)
Du - weit und vielgesichtig
Brunnen und Brot, Milch und Honig, Ölzweig und Segen, Tempel und Senfkorn. Du, Sturm und Stern, Perle und Eckstein, Weg und Wort, Dornbusch und Weinstock. Du, Flügel und Flut, Arche und Zelt, Lamm und Zorn, Quelle und Wolke. Du, Kind und König, Wahrheit und Licht, Gebärende und Hauch, Erdbeben und Feuer. Du - weit und vielgesichtig. (Aus: Jacqueline Keune, Von Bedenken und Zusagen. Texte für liturgische Feiern, Mainz 2005, 81)
Meditation zu Psalm 34,8: Fürchtet euch nicht!
Der Engel Gottes lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.
Engel. Sie lagern um uns herum. Sie breiten ihre Flügel aus oder ihre Arme – je nach dem. Sie schützen nicht vor dem Virus. Aber vor der Angst. Das können sie: Uns die Angst nehmen. Und die Panik vor dem, was uns beunruhigt. Engel wiegen uns nicht in falscher Sicherheit. Aber sie können die verängstigte Seele wiegen. In ihren Armen oder Flügeln – je nach dem. (In: Gottesdienstinstitut der Nordkirche. Gottesdienstkultur in Corona-Zeiten. Gebete und Meditationen, 2020)
Literatur: Alexander Deeg, Andreas Schüle, Die neuen alttestamentliche Perikopentexte. Exegetische und homiletisch-liturgische Zugänge, Leipzig 2018, 203-209; Peter Höffken, Das Buch Jesaja. 2. Kapitel 40 - 66 (NSK.AT), Stuttgart 1998; Klaus Koenen, Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Studie (WMANT 62), Neukirchen-Vluyn 1990; Wolfgang Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56-66. Eine Untersuchung zu den literarischen Bezügen in den letzten elf Kapiteln des Jesajabuches (BZAW 225), Berlin / New York 1994; Leszek Ruszkowski, Volk und Gemeinde im Wandel. Eine Untersuchung zu Jesaja 56-66 (FRLANT 191), Göttingen 2000; Seizo Sekine, Die tritojesajanische Sammlung (Jes 56-66) redaktionsgeschichtlich untersucht (BZAW 175), Berlin / New York 1989; Odil Hannes Steck, Studien zu Tritojesaja (BZAW 203), Berlin / New York 1991.