Gottes Projekt
Einsicht beginnt bei uns
Predigttext: Jesaja 2,1-5 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
1 Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem. 2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, 3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen auf den Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 4 Er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. 5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Exegetische Bemerkungen
Jes 2,1-5 reiht sich in die Zionstradition ein. Am Zion wird Jahwe sein Volk nach der Rückkehr aus dem Exil wieder sammeln und mit ihm einen neuen Anfang machen. Vom Zion wird Weisung ausgehen für alle Welt. Genau das entfaltet Jes 2,1-5. – Zudem gehört es in die Reihe der universalen Heilsworte bei Protojesaja (9,1-6; 11,1-10), die vom frühnachexilischen Endredaktor des Jesajabuches dankbar aufgegriffen und kerygmatisch (v 5) verwendet werden. Jes 2,1-5 hat eine Parallele in Mi 4,1-5. Jes 2,2-4 ist dem angenommenen Grundtext näher als Mi 4,1-3.
Die Vision des allgemeinen Völkerfriedens ist auf eine weltimmanente Endzeit bezogen, daher eine Realutopie. Dafür spricht die wörtliche Übersetzung von Jes 2,2: „Es wird auf der Rückseite der Tage der Berg, …“. O.Kaiser erklärt: Auf der Vorderseite ist, was ich sehe, also die Vergangenheit; auf der Rückseite das Verborgene, also die ferne
Zukunft (Der Prophet Jesaja, Kap. 1-12 (ATD 17), Göttingen 51981, S.64). Zudem ist die Korrespondenz von Lehre und Wandel nur innerweltlich sinnvoll, ebenso das Umrüsten der Waffen zu volkswirtschaftlich nützlichen Geräten.
Nichtsdestoweniger darf die Vision als eschatologisch bezeichnet werden; denn sie bezieht sich auf Endgültiges (der Völkersturm auf den Zion ist das Vorletzte, die Völkerwallfahrt das Letzte), und ihre Erfüllung ist Geschenk des Herrn (vgl. auch Jes 9,5a; 11,2).
Dennoch will Gott auch unsere Beteiligung am Weltfriedensprojekt. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen göttlicher Pädagogik und menschlicher Pragmatik, zwischen Lehre und Wandel (Jes 2,3), zwischen Unterrichtung und Tun (Jes 2,4). Gott will uns an sich ziehen (Jes 2,2b.3a.5).
Homiletische Bemerkungen
Der Friede in unserer Welt ist mehr denn je gefährdet. Wie können wir ihn retten? Einen Vorschlag hat schon Immanuel Kant gemacht auf der Grundlage der Vernunft und im Vertrauen auf die Stärke des Rechts. Zugleich stellt er die Friedensfähigkeit des Menschen in Frage, sieht aber in völkerrechtlich verbindlichen Verträgen die einzige Alternative zur ewigen Friedhofsruhe (Reclams Universal-Bibliothek Bd. 1501, S.6-8).
Die Frage: Wie können wir den Frieden retten? verführt zum Legalismus und verliert anthropologisch bedingte Defizite aus dem Auge. Daher darf die Predigt sich nicht im Sollen verrennen. Da Gott aber nicht ohne uns handelt, sind wir aufgefordert, in seinem Licht zu wandeln. Die Vorstellung, von ihm angezogen zu werden, beugt dem Vorwurf des Synergismus vor.
Allein schon die Zionstheologie ist eine Theologie der Hoffnung, die mit unserer christlichen Hoffnung kompatibel ist. Dennoch: Damit niemand meint, das Projekt begönne erst in ferner Zukunft: Es hat schon begonnen – im Kreuz Jesu Christi hat die Macht Gottes bereits die vernichtende Gewalt überwunden.
Wir haben in diesem Lutherjahr wieder einen beeindruckenden Kirchentag gefeiert: Eröffnungsgottesdienst in Berlin mit vielen weiteren Veranstaltungen, dann kam der „Kirchentag in Bewegung“ in die Städte Mitteldeutschlands, und schließlich das große Finale in Wittenberg auf den Elbwiesen mit evangelischen (und gewiss auch katholischen) Christen aus allen Landen und aus aller Welt. Aber auch Konfessionslose wurden in den Bann gezogen – warum auch nicht! Die Bilder leben wieder auf bei denen, die dabei waren, oder auch bei Ihnen, die Sie sich insbesondere auch die Abschlussveranstaltung im Fernsehen angeschaut haben. – Ich finde, gerade das große Finale hat immer etwas Beeindruckendes, Mitreißendes an sich. Es gibt Kraft und Schwung, gestärkt und mit guten Gedanken in die Zukunft zu gehen.
Ein großes Finale sieht auch der Prophet Jesaja vor seinem inneren Auge. Gott lässt es wie ein bewegtes Bild vor seinem geistigen Auge ablaufen. Das große Finale der Zeit, das große Finale der Welt. – Nun denken Sie bitte nicht: „Ach du liebe Zeit, Weltuntergang.“ Nein, es wäre wohl eine Freude, diese letzte Zeit, das große Finale, erleben zu können. Hören wir Jesajas Visionsbericht selbst:
(Lesung des Predigttextes)
Wahnsinn! Das große Finale der Zeit, das große Finale der Welt. Das Finale der Kirchentage übertrifft es bei weitem. Gar nicht damit zu vergleichen. Denn aus allen Himmelsrichtungen werden Völker herbeiströmen zum Tempelberg in Jerusalem, zum Zion: Juden aus aller Welt, aber natürlich auch Nichtjuden – die Bibel nennt sie ganz einfach „Heiden“. Sie alle strömen zum Zionsberg, angezogen von der Erhabenheit, bewegt vom Wunsch nach allgemeinem Weltfrieden, angetrieben von der Sehnsucht nach klarer Weisung. Denn klare Weisung kommt – das hat sich rumgesprochen – vom Zionsgott; Frieden ist – wenn überhaupt – nur mit ihm zu erwarten, nicht ohne ihn, nicht gegen ihn. Und die Erhabenheit Gottes auf dem Berg aller Berge lässt sie eins werden. Und ich stelle mir vor: Sie singen nach der Melodie „Großer Gott, wir loben dich“:
„Sieh dein Volk in Gnaden an. / Hilf uns, segne, Herr, dein Erbe; / leit es auf der rechten Bahn, / dass der Feind es nicht verderbe. / führ es durch die Zeit, / nimm es auf in Ewigkeit.“ Diesen großen Tag, dieses große Finale am Ende aller Zeiten nenne ich den „großen Zionstag“. Da wollen alle Völker wissen, wie es weitergehen soll mit ihnen, wie sie sich dieses Einheitsgefühl und diesen Frieden, der über dem Fest liegt, erhalten können. Sie wollen hinhören, sie wollen unterrichtet werden, wie es einen dauerhaften Frieden geben kann, sie suchen nach klaren Richtlinien des Verhaltens und wollen Gottes Wort dazu hören.
Jesaja sieht: Sie werden sich unterrichten lassen, alle Völker, auch die Heiden, von dem großen Zionsgott und werden Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln machen. Er, der Zionsgott, wird sie dazu bringen, nicht nur abzurüsten, sondern umzurüsten: todbringende Waffen zu lebensdienlichem Werkzeug. Niemand wird mehr gegen den anderen Krieg führen; niemand wird dieses Handwerk mehr lernen müssen. Das sieht Jesaja, das hören wir von ihm, und unwillkürlich bin ich mit hineingezogen in die große Sehnsucht und sage: Ja, so kann es werden, so soll es werden, so wird es werden – mit Gottes Hilfe.
Im Rausch des großen Finale bekomme ich ein Wort mit, das mich auf den beschwerlichen, aber doch verheißungsvollen Weg in den Alltag weist: „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ Das gilt wohl auch mir. Aufbruch! Sich nicht in Träumen verlieren! Komm! Der steinige Weg zur Gewaltfreiheit und zum Völkerfrieden beginnt. Geh ihn! Nicht ohne Gott, nicht gegen Gott, sondern mit Gott – im Licht des Herrn! Was Jesaja uns hier als seine Vision schildert, ist die Mutter aller Friedensbewegungen. Wie gut, dass uns so etwas in unserer Heiligen Schrift überliefert ist. Dschihadisten haben sich immer wieder auf die Mutter aller Schlachten berufen oder kündigen sie für die nahe Zukunft an. Amerika wirft die Mutter aller Bomben auf Afghanistan, um Syrien, Nordkorea oder wen auch immer zu warnen. Wir lesen in unserer Bibel – zusammen mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern – von der Mutter aller Friedensbewegungen: der großen Völkerbewegung hin zum Zion. Wir müssen unsere Bibel nicht verstecken!
Die Friedensbewegung der ehemaligen DDR hatte ja genau dieses Wort als Losung: „Schwerter zu Pflugscharen!“ Und es ist von den westlichen Friedensbewegungen gern übernommen worden. Seit den Ostermärschen der 1960er Jahre haben sich Menschen immer wieder neu mit großer Beharrlichkeit auf den Weg gemacht, eine Welt ohne Waffen und ohne Krieg zu schaffen. Es wird keiner Generation erspart bleiben, sich auf den Weg zu machen, immer wieder. Denn das Finale ist noch nicht sichtbar, hörbar, fühlbar. Aber das sollte man von Jesajas Vision lernen: Das Finale ist eine Veranstaltung Gottes, bei der wir zum Mitmachen aufgefordert sind. Die Welt ohne Krieg wird kommen, aber als Geschenk Gottes an uns – mit unserer Hilfe, sonst nicht! In diesem Licht sollten wir alle, die wir uns von Sehnsüchten und Hoffnungen bewegen lassen, wandeln. Treten wir aus diesem Licht heraus und wollen es selber packen, werden wir scheitern oder von Mächten missbraucht, denen am Frieden nicht viel liegt.
Ja, der ewige Friede ist Gottes Geschenk, aber wir sind zum Mitgestalten aufgefordert. Was bedeutet es, auf Gottes Wegen zu wandeln? Paulus sagt: „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden“ (Röm 12,18). Er weiß sehr wohl, dass wir unterwegs sind zum Finale; aber wir sind noch nicht angekommen. Trotzdem: Unterwegs bleiben dahin, das ist unsere Aufgabe. Paulus: „Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander“ (Röm 14,19). Streit anzetteln ist leicht, Versöhnung leben schwer; das Kriegshandwerk zu erlernen, ist nicht die Zumutung, sondern es zu verlernen!
Ewiger Friede unter allen Völkern: Illusion oder Realutopie? Illusion, wenn wir glauben, wir können das alles packen ohne Gottes Hilfe. Sein Friedenshandeln übersteigt all unsere Möglichkeiten: Wir werden nie alle Völker vom Frieden überzeugen. – Illusion bleibt der Traum vom ewigen Frieden auch, wenn wir glauben, wir kämen ohne die ständige Rückbindung an den Gott des Friedens aus. Er ist das notwendige Korrektiv unseres Handelns. Darum lassen wir uns hineinziehen in sein Licht! Dann allerdings ist der Traum vom ewigen Frieden Realutopie. Denn es ist Gottes Projekt. Und was er anfängt, das wird er auch vollenden.
Lassen wir uns hineinziehen in sein Friedensprojekt, so wie die Völker dereinst vom Zion angezogen werden. Den Herrn vor Augen, wissen wir, wo es lang geht auf dem langen Pilgerweg des Friedens. Lasst uns Wegmarken setzen, dass andere es leichter haben. Lasst uns auch einkalkulieren. dass wir uns verlaufen. Haben wir Kraft und Mut, dann umzukehren und Selbstkritik zu üben. Lasst uns auch rasten und beten. Denn wir werden es nicht schaffen ohne Gottes Hilfe. Das ist keine Schwäche, für die wir uns schämen müssten. Das ist eben so. Auch der große Philosoph Immanuel Kant hat in seiner berühmten Schrift „Zum ewigen Frieden“ die „Leichtigkeit, Krieg zu führen“, mit der natürlichen Neigung des Menschen verbunden, „durch Gewalt sein Recht zu behaupten“. Er setzt dagegen auf die Stärke des Rechts und hofft schon 1795 auf eine Art Völkerbund, der sich zu ewigem Frieden verpflichtet, weil man sonst „den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde.“
Einsicht beginnt bei uns. Lernen und Verlernen in unserem Kopf. Mitmachen bei Gottes Projekt beginnt bei uns im Kopf. Entscheiden wir uns und lassen wir uns in sein Projekt hineinziehen. Es hat schon längst begonnen. Am Kreuz. Denn da hat Christus den Sieg der Gewalt zunichte gemacht. Für alle Welt. Und als Sieger über die tödliche Gewalt kann er sagen: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker“ (Mt 28,18f). Lassen wir uns anziehen von seiner Macht. Er geht mit uns alle Tage bis ans Ende von Zeit und Welt.
Zu Beginn erinnert Pastor Dr Scholz an den großartigen Kirchentag in diesem Jahr zum Luther-Jubiläum mit großem Finale. Ein großes Finale der Weltgeschichte verkündigt auch Jesaja im Predogttext mit einer Vision: Eine Völkerversammlung in Jerusalem als Friedensfest. Im Alltag sollen wir heute schon im Licht des Herrn wandeln mit Gott ! Heute gibt es schon wieder Kriegsvisionen der Dschihadisten, den USA mit Trump , Nordkorea, Syrien. – Wir lesen von der Vollvrsammlung der Völker zum Frieden und machen uns auf den Weg. Die Friedensbewegung der ehemaligen DDR mit dem Motto von Jesaja: “Schwerter zu Pflugscharen” nehmen wir als Vorbild. Ewiger Friede ist uns durch Gott und Jesaja und Jesus verheißen. Es ist keine Illusion, sondern eine Realutopie und Gottes Projekt, wie schon Kant sagt. Vor allem gilt für uns: Jesus spricht: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. – Hinweisen möchte ich auf die naturwissenschaftliche und gleichzeitig heildsgeschichteliche Friedens-Vision von Pierre Teilhard de Chardin. Mit ihm konnte ich Atheisten, Moslems und distanzierte Christen als Primaner dreißig Jahre lang im Religionsunterricht am Johanneum, wo auch Willy Brandt mal Schüler war,überzeugen. – Eine wunderbare Visions-Predigt von Pastor Dr Scholz. Genau das, was wir heute brauchen !