Wunder gibt es immer wieder, auch heute in unserem Alltag. Der Predigttext enthält sogar zehn Wunder. (1) Ein Wunder ist schon die unglaubliche Energie des Paulus. Die Management-Experten F. Berger und H. Gleissner beschreiben in ihrem Buch „Das Paulus -Prinzip“ Paulus als den erfolgreichsten größten Werbefachmann der Geschichte. Innerlich getrieben durch seine Mission wanderte er zu den für die Jesus-Werbung wichtigsten Städten der Antike. Sein strategisches Ziel für die Mission war die Öffentlichkeit. Deswegen strebte er zur geistigen Hauptstadt Europas Athen und danach zur politischen Hauptstadt Rom. Unser Predigttext beginnt, dass Paulus nach seiner Mission in Kleinasien auf seiner zweiten Missionsreise auch die römisch beherrschten Völker Europas von Jesus, dem Messias, dem Christus, dem Heiland der Welt, jetzt von Gott überzeugen wollte. So wie Moses das jüdische Volk am Sinai durch den einen Gott vereint hatte, wollte er jetzt unter Christus das neue Gottesvolk aus Juden- und Heiden-Christen zusammenführen. Also setzte er mit dem Schiff damals über nach Griechenland. In Philippi geschah gleich das Wunder (2), dass die reiche Händlerin Lydia für den Glauben an Jesus Christus gewonnen werden konnte. Eine Wahrsagerin durchschaute wunderbarerweise (3) die weltgeschichtliche Bedeutung des Paulus und redete auf dem Markt unaufhörlich über Paulus. Paulus lehnte als Christ aber Wahrsagerei und Aberglauben öffentlich schroff ab. Wegen Störung der politischen Ordnung nahmen die römischen Behörden Paulus und seinen Freund Silas gefangen. Danach liegen Paulus und Silas im tiefsten Kerker und sind an den Händen und Füßen gefesselt. Verständlich wäre es, wenn sie nachts ein bitteres Klagelied anstimmten, warum Gott die Mission für Jesus nicht einfacher fördert.
Wie durch ein Wunder ( 4 ) haben Paulus und Silas die Kraft, an ihren Glaubenserfahrungen in der Krise festzuhalten, indem sie im dunklen Loch christliche Loblieder für Gott laut anstimmen. Ihre Gedanken gehen zu Gott, sie blicken auf Gottes wunderbare Möglichkeiten zu helfen. Vielleicht singen sie einen ähnlichen Psalm wie unser Lied: „ In wieviel Not, hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!“ Ich persönlich glaube, dass ihre Stimme aus der Tiefe damals zusammengeklungen hat mit dem ständigen Lobgesang der Engel, welcher das ganze Weltall zusammen mit vielen physikalischen Schwingungen durchdringt und durchklingt. Da geschieht das unglaubliche Wunder ( 5 ): Die Kerkertüren öffnen sich. Wunder sind Wunder, weil man sie nicht genau erklären kann oder wenn wir ein Geschehen plötzlich von Gott her verstehen können. Ein Erdbeben kurz nach dem Lobgesang befreit die Gefangenen. Jeder kennt wunderbare Zufälle, Schutzengel und Fügungen, die uns manchmal sogar unser Leben gerettet haben. Ein besonderes Wunder ist es, wenn sich die Türen vom Gefängnis unserer Sorgen und Ängste durch unseren Lobgesang auf Gott hin öffnen und wir neue Hoffnung schöpfen können.
Wie viele Menschen werden durch Musik getröstet! Wie oft erfahren wir und hören davon, dass Musik Menschen ermutigte, neue Wege für sich zu finden. Paulus und Silas fliehen ( 6 ) wunderbarerweise nicht aus dem Gefängnis, nachdem sich die Kerkertüren durch das Wunder geöffnet hatten. Der Kerkerwächter setzt ihre Flucht als selbstverständlich voraus. Weil er eine brutale römische Strafe für sich erwartet, will er sich das Leben nehmen. Ein Wunder (7) an Feindesliebe zeigt Paulus. Obgleich der Gefängniswärter ihn so gequält hatte, hält er ihn zurück und rettet so seinem Feind und Folterer das Leben. Darauf geschieht das nächste Wunder ( 8 ): Der Kerkermeister sieht sich befreit von seinen Ängsten und will ein Christ werden. Er ist so beeindruckt von diesem neuen Lebensweg, den er bei Paulus und Silas erlebt hat: Selbst eingekerkert noch Hoffnung zu haben und Loblieder singen zu können und auch im feindlichen Gefängniswärter noch den zu schützenden Menschen zu sehen! Diese Kraft, diese Hoffnung, diesen Umgang möchte der Wärter auch für sich und seine Familie und möchte deshalb getauft werden! Auch heute lassen sich Erwachsene oft taufen, wenn sie sehen, dass wir Christen trotz Not und Leid getrost sind und Gott trotz allem loben können und die Nächstenliebe nicht vergessen . Außerdem überzeugt bisher glaubensferne Menschen, wenn wir Christen besonders fair, ehrlich und aufrecht sind.
Das eigentliche Wunder (10) ist, dass Gott uns die Musik geschenkt hat, die uns wie Paulus und Silas in Not ermutigen kann! Wie arm wären wir, wenn es nur Geräusche und Sprache gäbe! Wir können singen und musizieren, und Mauern der Seele können sich öffnen. Darüber möchte ich am Singe-Sonntag Kantate erinnern. So war es von Anfang an. Kennen Sie Jubal? Nach der Bibel ist er der erste Musiker. Als Ur-Urenkel des Brudermörders Kain erfindet Jubal das Flöten- und Zitherspiel, um in dunkler Zeit nach dem Sündenfall sich und andere zu trösten (1.Mose 4,21). Aber es gibt nach der Bibel noch eine zweite Wurzel der Musik. Gott selbst befiehlt, silberne Trompeten anzufertigen, damit die Gottesdienste feierlicher werden ( 4.Mose 10, 1-10 ). Auch für die alten Griechen gab es zwei verschiedene Wurzeln der Musik: Der Gott Dionysos erfand die rauschhafte Musik, die wie heutige Rock- und Jazz-Musik und die meiste Unterhaltungsmusik uns das graue Leben vergessen lassen. Der Gott Apollo war dagegen zuständig für die Musik, welche die Seele zur göttlichen Welt und zum Engelgesang emporhebt. Niemand kann das wohl besser als Johann Sebastian Bach, der immer nur Musik zum Lobe Gottes komponierten wollte. Kirchenlieder und Psalm-Gesänge, wie die von Paulus und Silas gesungenen, können die Seele mit Gott verbinden. Martin Luther sagt es so: „Die Musik ist eine Gnade Gottes. Sie macht das Gemüt froh. Sie verjagt den Teufel. Sie bereitet unschuldige Freude. Darüber vergehen Zorn, Begierden und Hochmut. Der Musik gehört der erste Platz nach der Theologie!“
Heute bestätigt die moderne medizinische Forschung die positive Wirkung der Musik. Das Glückshormon Oxytoxin wird dabei ausgeschüttet. Dadurch werden wir friedfertiger und kontaktfreudiger und aufgeschlossener. Mehrstimmige Musik fördert komplexes Denken. Wie Untersuchungen bei Schülern zeigen, macht Musik intelligenter. Musik tröstet nach der Psychologie von Prof. Julius Kuhl (Der kalte Krieg im Kopf ) Menschen bei ihren Ängsten und Sorgen. Wer nachts über seine Probleme mit Vernunft-Argumenten grübelt, benutzt nur die rationale linke Gehirnhälfte. Da es auf jedes Argument ein Gegenargument gibt, kommt er aus dem angstvollen Kreislauf des Grübelns nicht heraus. Der Schlaf wird verhindert. Wer singt, betet oder an Gott denkt, benutzt seine intuitive und ganzheitlich denkende Gehirnhälfte. Die verkrampften Gedanken können sich leichter lösen und das Wunder kann geschehen, dass unsere Seele aus der Kerker der Angst befreit wird und wir getrost weiterschlafen können. Bei meiner Seelsorge haben mir sehr viele Christen erzählt, dass die Lieder unseres evangelischen Gesangbuchs sie unglaublich getröstet haben. Auch ich selbst beende nachts das endlose Grübeln der linken Gehirnhälfte. Ganz bewusst wende ich mich dem guten großen Gott zu, indem ich durch Selbst- Suggestion mich der rechten intuitiven Gehirnhälfte bediene. Ich mache eine Entspannungsübung nach Jacobsen, singe leise Kirchenlieder vor mir her und bete bekannte Gebete und Psalmen mehrfach hintereinander. Der liebe Gott schenkt mir gewöhnlich dann wieder guten Schlaf. Die Kerkermauern der Verkrampfungen und Sorgen öffnen sich und ich bin frei.
Am Sonntag Kantate könnten wir uns bedanken für unseren großen Schatz an Kirchenliedern. Vielleicht nehmen Sie zu Haus mal ihr Gesangbuch zur Hand und versehen alle Lieder mit Zensuren von eins bis sechs. Ich habe einmal mit unserem Organisten die Gesangbücher ausgetauscht und bewertet. Gerührt und verbindend stellten wir fest, dass alle Paul -Gerhardt- Lieder von uns beiden eine „Eins“ bekamen. Heute könnten wir auswendig gelernte Kirchenlieder erneut einüben und auch im Alltag vor uns her summen. Vielleicht nehmen Sie sich vor, demnächst im Kirchenchor mit zu singen? Auch wenn es nostalgisch anmutet: Besonders wichtig ist nach meiner Erfahrung, dass nicht nur Kindergottesdienst- Kinder und die Familien, sondern besonders die Konfirmanden recht viele Lieder auswendig singen können. Früher wurden zwar zur Gitarre in den Gemeinden viele moderne Kirchenlieder mit den Konfirmanden gesungen. Das Auswendig-Lernen von Kirchenliedern aber kam zu kurz. Es erschien als mühsam und zerstörte die lockere Jugendstunden-Atmosphäre. „Alle Lieder, die man singen will, stehen doch im Gesangbuch“, war die Devise. Aber später hat man es meistens nicht dabei, wenn man es unbedingt braucht . Wenn man spontan Gott loben will oder wenn man in irgendwelchen dunklen Kerkern des Lebens gerade gefangen ist. Paulus und Silas jedenfalls konnten ihre Lieder auswendig. Wenn wir unsere Glaubenslieder singen, können wir spüren, dass Gott dabei ist. Ich möchte den genialen, in mehrfacher Weise farbigen christlichen Jazzmusiker John Coltrane mit den poetischen Worten aus „love supreme“ zitieren: „Alles, was ist, hat mit Dir zu tun. Danke Dir, Gott! – Gott ist. Er war seit je. Er wird immer sein. Worte, Klänge, Sprache, Menschen, Erinnerung. Gedanken, Angst, Zeit: Es ist alles miteinander verwandt…Es ist alles durch Einen gemacht, es ist alles in Einem gemacht,- Gesegnet sei Dein Name. Gedankenwellen-Herzwellen-alle Schwingungen- alle Wege führen zu Gott. Danke Dir, Gott. – Die Tatsache schon, dass wir existieren, ist Beweis Deiner Gegenwart, oh Herr. Gott atmet durch uns so vollständig und doch so zart, dass wir es kaum fühlen. Er ist alles, was wir sind. Alles Lob sei Dir, oh Gott. Danke Dir, Gott“.