Gottvertrauen
Nicht aufgeben
Predigttext: Johannes 11,1.3.17-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.
3 Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. ….
17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt.
19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.
20 Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.
21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt;
26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Exegetische und homiletische Hinweise zum Predigttext
Die Namen
Lazarus, hebr. el-azar „Gott hilft“, ezaer wird in der Schöpfunsgeschichte Gen 2,18 die Frau genannt, die dem Menschen als Gegenüber, zu ihm passend, von Gott geschaffen wird. Die Frau, die Frauen, die Lazarusse der Geschichte? Der Name Lazarus kommt in den Evangelien noch Lk 16,20 vor (der Reiche und der arme Lazarus), beiden wird geholfen – nach ihrem Tod.
Wie ist das als Evangelium weiterzugeben in einer Zeit, die nur das Diesseits als Wahrheitsbeweis gelten lässt. Ungeachtet der Fantasy-Literatur, Filme etc., die die Ängste vor Tod und Sterben, vor einem eventuellen Jenseits aufgreifen. Dass wir nach dem Tod für hier erlittene Unbill entschädigt werden, wird doch weithin verstanden als Vertröstung, denn „...den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“(Heinrich Heine, Deutschland – ein Wintermärchen, 1843).
Dass der Name Lazarus in Joh 11,1ff aus Lk 16,19-31 stamme, um zu zeigen, die Juden glaubten auch dann nicht, wenn Lazarus von den Toten auferstünde, ist eine oft geäußerte Vermutung. (R. Bultmann, 302). Bemerkenswert ist die Singularität der Namensnennung in Wundergeschichten: Lk 10,46 Bartimäus, der Blinde, Lk 8,41 die Tochter des Jairus.
Die Schwestern: Marjam oder Mirjam = die herbe und Martha = die Herrin. Martha hat auch in dieser Geschichte wie Lk 10,38ff das Heft des Handelns in der Hand.
Für die Auferweckungsgeschichte Joh 11,1ff gibt es keine synoptische Parallele.
Das Bekenntnis der Martha
Das Bekenntnis der Martha Joh 11,27 steht gleichberechtigt neben dem Bekenntnis des Petrus bei Cäsarea Philippi Mt16,16. Vielleicht übte Martha (die Herrin) ein Amt, Tischdienst mit Verkündigungscharakter, aus.
Der Evangelist Lukas lässt Jesus sagen: „Maria, (die zuhört, ohne zu Tisch zu dienen) hat das gute Teil erwählt“. Man muss eine Konkurrenz unter den Ämtern und zwischen Männern und Frauen annehmen, die nun mit höchstem Autoritätsanspruch entschieden wird. Hier, Joh 11,27, spricht Martha das Bekenntnis zu Christus als dem Gottesssohn, wie sie ja überhaupt die Aktive ist – läuft Jesus entgegen, „Maria aber blieb daheim sitzen“.
Martha richtet weiterhin ihre Hoffnung auf Jesus, obwohl ihr Bruder Lazarus inzwischen gestorben ist, für sie eigentlich das Ende aller Hoffnung.
Zum Wunderverständnis
„Die Wundergeschichten sind immer auch „von unten“ als ein Protest gegen menschliches Leid zu lesen. Wie dieses Aufbegehren gegen Leid, gegen die Zerstörung durch Hunger, Krankheit und Not sich dazu verhält, daß wir auch in unvermeidliches Leid und nicht aufhebbare Behinderung einwilligen müssen, ist ein Problem.
Neben den Wundergeschichten steht im Neuen Testament nicht umsonst Paulus – ein „Wundercharismatiker“, dessen Charisma nicht einmal ausreichte, sich selbst zu heilen! Er verkörpert die andere Seite: Trotz allen Protestes gegen sein Leid wurde er nicht von ihm befreit, sondern mußte sich mit der Auskunft begnügen: ‚Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig‘ (2Kor 12,9)“ (Theissen/Merz, 282f.).
In Joh 11 wird der Protest gegen Sterben und Tod formuliert, und Jesus fordert Martha auf, sich dazu zu äußern. Zunächst kommt das formelhafte Bekenntnis zur Auferstehung am Jüngsten Tage, aber Jesus meint das Bekenntnis zu ihm. Darauf lässt sich Martha ein.
Die Rettung für Martha, ihre Schwester und Lazarus kann ihren Gang nehmen. Das will doch wohl diese Geschichte mahnend verkünden: Niemals aufhören mit dem Gottvertrauen! Auch an der Todesgrenze nicht. Jesus und Gott kommen nie zu spät. Leider hört da bei manchen Menschen die Gottesbeziehung auf. Diese Geschichte will den Hörenden Mut machen, nicht aus der Gottesbeziehung auszusteigen, sondern aktiv zu bleiben. Ist das nicht die Grundlage jeder christlichen Diakonie: Niemanden aufgeben.
Würdigung
Gerade in dieser Auferweckungsgeschichte wird die johanneische sog. präsentische Eschatologie ausgebreitet. Wer an Jesus Christus glaubt, jetzt, hat schon das ewige Leben. Und: Das Wort richtet, unterscheidet zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden, nicht die mirakulöse Tat. Man braucht keinen religiösen Event, die Glaubensentscheidung fällt schon vorher.
Literatur: G. Theissen / A. Merz: Der historische Jesus, 2.Aufl., Göttingen 1997.- R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, 18.Auf., Göttingen 1968.- W. Marxsen, Einleitung in das NT, 3.Aufl., Gütersloh 1964
Einer Familie aus Leid und Trauer um den verstorbenen Bruder wird geholfen. Jesus erweckt einen bereits verwesenden Toten wieder zum Leben. Lazarus heißt der, dem geholfen wird. Sein Name ist schon Programm. Lazarus bedeutet: Gott hilft / hat geholfen. Er ist aber nicht der einzige, dem geholfen wird. Und es gibt auch schlimme Verzögerungen.
Warum kommt Jesus nicht gleich, als Lazarus nach menschlichem Ermessen noch zu helfen war? Nun ist er tot, begraben. Was bleibt außer Trauer und Klage? Sicher wunderten sich schon alle darüber, dass Jesus nicht zu dem Schwerkranken eilt. Was hat er vor? Wenn jemand gestorben ist, kommt selbst Jesus zu spät. Aber der Evangelist will darstellen, wie selbst der Tod gegenüber Jesus keine Chance hat. Dem Lazarus hier im Johannesevangelium und dem andern im Lukasevangelium wird erst nach ihrem Tod geholfen – das lässt Menschen aller Zeiten an Gottes Allmacht zweifeln und die Verkündigung davon als Vertröstung aufs Jenseits empfinden.
Andererseits haben gerade die Wundergeschichten der Bibel mit ihrem „Trotzdem“ immer wieder Menschen beflügelt, selbst in ausweglosen Situationen nicht aufzugeben. Sie haben ihren Geist angestrengt, bewegt vom Vertrauen auf den Gott, der hilft, Menschen zu helfen, (wieder) in menschliche Gemeinschaft zu kommen – das ist christliche Diakonie.
Trotz des Todes des Bruders vertraut Martha weiterhin Jesus. Und sie wird zur Bekennerin – das ist das erste Wunder dieser Lazarusgeschichte. Denn oft brechen Menschen die Beziehung zu Gott ab, wenn ihnen in einer schwierigen Situation nicht geholfen wurde.
Lazarus ist begraben. Tot ist tot. Was sollte da noch kommen? Schauen wir auf Martha, ihr Name bedeutet „Herrin“. Zuerst spricht sie ihr Glaubensbekenntnis, wie wir es auch immer im sonntäglichen Gottesdienst tun. „Ich glaube an die Auferstehung der Toten.“ Da verweist sie Jesus auf sich. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?“ Martha erwartet jetzt nicht, dass ihr Bruder wieder aus dem Grab kommt. Sie spricht ihr ganz persönliches Christusbekenntnis, wie Petrus in Cäsarea Philippi (Mt16,16). Es ist nicht die wundersame Auferweckung ihres Bruders, die Martha zu ihrem Bekenntnis veranlasst (die Auferweckung wird erst später erzählt), sondern die persönliche Begegnung mit Jesus Christus. Dann wird ein Wunder möglich. Nicht umgekehrt.
Der Evangelist Johannes will wohl sagen: Nicht aufhören mit dem Vertrauen auf Jesus Christus, auch an der Todesgrenze nicht. Jesus und Gott kommen nie zu spät. Und wie steht es mit der Hoffnung für die Lazarusse unserer Zeit? Menschen, krank, halb verhungert an Leib und Seele, traumatisiert, trost- und heimatlos, das lässt uns Christinnen und Christen nicht kalt. Unsere Kirchen und Gemeinden machen sich Gedanken darüber, wie und wo Hilfe nötig ist, und sie tun das Mögliche. Wenn wir dann doch wie Martha unser ganzes Vertrauen auf Jesus setzen könnten und ihm entgegen laufen!
Konzentriert und klar predigt Pfarrerin Bürger über die Totenauferweckung des Lazarus durch Jesus. Sie fragt: Warum kommt Jesus nicht früher? Der Evangelist will darstellen, dass bei Jesus auch der totale Tod keine Chance hat. Dieses Trotzdem bei Tod und Leid hat Menschen immer geholfen, selbst in ausweglosen Situationen nicht aufzugeben. Martha vertraut Jesus durch ihr ausführliches Bekenntnis als Lazarus nur krank war und dann als er ganz tot war. Sie wird dadurch ähnlich wie Petrus zur herausragenden Bekennerin von Jesus. Erst glaubt sie an Jesus, dann wird Lazarus auferweckt, hier und jetzt und nicht erst bei der Vollendung der Welt. Es geht abschließend darum, mit dem Vertrauen auf Jesus und seine Möglichkeiten nie aufzuhören. Das ist die Hoffnung für die Lazarusse der Welt heute. Zum Schluss spricht die Pfarrerin über die aktuelle Hoffnung heute. Beim Flüchtlingselend tun Christen das Mögliche im Namen Jesu, um zu helfen. — In diesem Sinne hat Kanzlerin Merkel gesagt: wir schaffen das schon. — Erwähnt wird auch von der Pfarrerin, dass Martha durchsetzungsfähige “Herrin” ist und Maria die liebevoll Dienende. Eine schöne, klare und glaubensstärkende Predigt.
In einer psychologischen Predigt zum Text las ich, dass der gutmütige Lazarus wohl durch die unerträgliche Spannung zwischen den beiden Schwestern erledigt wurde. Jesus heilt tödliche Spannung der drei durch seine Heilkraft und integrierende Persönlichkeit als Gottessohn, welcher auch den Tod besiegen kann.