Grenzüberschreitung(en)

Taufe - Der äthiopische Minister macht mehrere Grenzerfahrungen. Philippus hilft ihm, die Bibel zu verstehen und sich taufen zu lassen

Predigttext: Apostelgeschichte / Acta 8,26-39
Kirche / Ort: 21640 Bliedersdorf
Datum: 08.07.2018
Kirchenjahr: 6. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Manuela Handelsmann

Predigttext: Apostelgeschichte / Acta 8, 26-39

Philippus aber bekam von einem Engel des Herrn folgenden Auftrag: »Mach dich auf den Weg in Richtung Süden! Benutze die einsame Wüstenstraße, die von Jerusalem nach Gaza hinunterführt.« Philippus machte sich auf den Weg; und als er diese Straße entlangging, kam dort in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren, ein Eunuch. Es handelte sich um einen hohen Würdenträger, den Finanzminister der Kandake, der äthiopischen Königin. Der Mann war in Jerusalem gewesen, um ´den Gott Israels` anzubeten, und befand sich jetzt auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja. Der ´Heilige` Geist sagte zu Philippus: »Geh zu dem Wagen dort und halte dich dicht neben ihm!«  Philippus lief hin, und als er neben dem Wagen herging, hörte er den Mann laut aus dem Buch des Propheten Jesaja lesen. »Verstehst du denn, was du da liest?«, fragte er ihn. »Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?«, erwiderte der Mann. Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Abschnitt der Schrift, den er eben gelesen hatte, lautete: »Man hat ihn weggeführt wie ein Schaf, das geschlachtet werden soll. Und wie ein Lamm beim Scheren keinen Laut von sich gibt, so kam auch über seine Lippen kein Laut ´der Klage`. Er wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen von ihm berichten können, denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen.
Der Äthiopier wandte sich an Philippus: »Bitte sag mir, von wem ist hier die Rede? Spricht der Prophet von sich selbst, oder spricht er von jemand anders?« Da ergriff Philippus die Gelegenheit und erklärte ihm, von dieser Schriftstelle ausgehend, das Evangelium von Jesus. Als sie nun, ´ins Gespräch vertieft,` die Straße entlangfuhren, kamen sie an einer Wasserstelle vorbei. »Hier ist Wasser!«, rief der Äthiopier. »Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?« Und er befahl, den Wagen anzuhalten. Beide, Philippus und der Äthiopier, stiegen ins Wasser, und Philippus taufte den Mann.
Als sie wieder aus dem Wasser stiegen, wurde Philippus plötzlich vom Geist des Herrn ergriffen und an einen anderen Ort versetzt, und der Äthiopier sah ihn nicht mehr. Trotzdem erfüllte ihn eine tiefe Freude, als er nun seine Reise fortsetzte.

Vorüberlegungen zur Predigt

Beim ersten Lesen stelle ich fest: Ach, die Geschichte vom äthiopischen Kämmerer! Die habe ich schon oft erzählt, z.B. im Kindergottesdienst,  bei Familien- und Taufgottesdiensten und beim Taufevent an unserem kleinen Flüsschen. Im Gottesdienstplan steht keine Taufe, sondern Abendmahl. Schade. Oder:  genau richtig! Den Text nicht den immer gleichen Pfaden nach lesen, sondern einmal anders. Und siehe: die Predigtliteratur überrascht mich. Gottesdienst Praxis, Gütersloh, 2018, und Predigtstudien, Hamburg, 2018, weisen mich auf neue Wege. Aber das Wichtigste an dieser Perikope soll mir auf keinen Fall auf den neuen Wegen verloren gehen: „Er zog aber seine Straße fröhlich“!

Kontext:  Der Taufe eines gottesfürchtigen Ausländers   folgt die Umkehr des Pharisäers Paulus (Apg 9) und die Bekehrung des Heiden Cornelius (Apg 10)

An folgenden Stichworten möchte ich entlang wandern:

-   der Engel/ der Geist Gottes hat das Navi in der Hand, Philippus richtet sich danach
- es folgen Grenzüberschreitungen:
1) Fahrt vom bewohnbaren Gebiet in die Einsamkeit der Wüste -  Begegnung mit sich selbst, mit Gott - transzendentale Grenze
2)  es geht um einen Äthiopier  -  einen „schwarzgesichtigen Menschen“  - ethnische Grenze
3) ein Eunuch -  ein Mensch bei dem die geschlechtlichen Grenzen verschwimmen, durch eine Gewalterfahrung – nicht das, was heute  „queer“ heißt.
4) wäre noch möglich: Eunuch und Kämmerer – als Eunuch dem Spott preisgegeben und doch ganz oben in der Hierarchie seines Landes, soziale Grenze. (diesen Grenzgang lasse ich weg, damit die Predigt noch in erträglicher Länge bleibt)
5) Proselyt oder Gottesfürchtiger, der Kämmerer ist kein Jude und sucht doch den lebendigen Gott, religiöse Grenze – die mit Hilfe eines anderen Menschen überwunden werden kann
6) die Taufe:  Abbild von Tod und Auferstehung (siehe Epistel) die Grenze zwischen Tod und Leben verschwimmt
- zum Schluss : Er zog aber seine Straße fröhlich (Luther) oder „ihn erfüllte eine tiefe Freude“ Neue Genfer.

Zu den einzelnen Grenzgängen  möchte ich Infos zum Text einspielen und  das Heute durchscheinen lassen. Mein Aufhänger ist die Ferien- und Reisezeit. Hier werden die Grenzen des Alltags überschritten, Landesgrenzen überflogen und so weiter.

 

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Reisevorbereitungen

Endlich Urlaub. Endlich mal raus. Die ganze Familie geht auf Kreuzfahrt. „Ganz schön teuer“, fällt mir dazu ein. „Haben sie auch drei Jahre drauf gespart“, erzählt der Opa. Es wird ein tolles Gefühl sein, wenn die Leinen losgeworfen werden und die Familie an der Grenze zwischen Land und Meer dem Nordkap entgegen fährt. In jedem Hafen wird ihr Schiff anlegen dürfen. Es wird erwartet.

Eine Woche Mallorca mit beiden Kindern, beiden Schwiegerkindern und sechs Enkeln. Es wird was los sein, beim Familienurlaub. Die Schweizer und EU Bürger werden ihre Pässe zeigen und auf der Urlaubsinsel alles so finden wie geplant. Himmlisch. Ein älteres Ehepaar setzt sich in die Bahn und fährt in die italienischen Alpen. In ruhigen Gefilden geht es zum Bergwandern. Sie werden hoch aufsteigen, dorthin, wo  Erde und Himmel sich scheinbar berühren. Wo Gott ganz nah scheint. Endlich mal raus, Grenzen hinter sich lassen, Neues erfahren und Freude erleben. Jetzt ist Zeit dafür: Urlaubszeit – Reisezeit. Hören Sie eine alte Reisegeschichte voller Grenzgänge und mit einem tollen Happy End aus der Apostelgeschichte im 8 .Kapitel.

(Lesung des Predigttextes)

Himmlisches Navi

Abflugzeiten und Fahrpläne müssen notiert sein, wenn wir verreisen. Wer mit dem Auto fährt braucht auf unbekannten Strecken die Straßenkarte. Oder heute ein Navi. Philippus, ein Christ der ersten Stunde, bekommt seine Route nicht vom Navi vorgeschlagen, sondern von einem Engel. Gottes Geist bestimmt, wohin es geht. Philippus plant nicht und  widerspricht nicht. Er ist im Dienste Gottes und der Menschen unterwegs. Die Geschichte von Philippus und dem äthiopischen Finanzminister wird von Lukas kunstvoll erzählt.

Meiner Meinung nach hat sich diese Geschichte so nicht ereignet. Sie spielt mit zeichenhafter Rede. Am Anfang steht immer Gott. Nicht aus dem Vorhaben eines Menschen wird Geschichte gemacht, Gottes Geist ergreift die Initiative. Von mir könnte ich nicht sagen: An dem Datum hat Gott mich dorthin bestellt. Aber ich habe schon mehr als einmal gesagt: Dass mir der Mensch gerade dort und dann begegnet ist, das war kein Zufall.

„Mach dich auf den Weg in Richtung Süden! Benutze die einsame Wüstenstraße, die von Jerusalem nach Gaza hinunterführt.“ Alle, die in diesen Tagen vor den Autobahnbaustellen im Stau stehen, mögen sich nach einer einsamen Wüstenstraße sehnen. Kein Auto weit und breit, alles leer, immer nur geradeaus. In der Bibel ist die Wüste kein Testgelände für Klimaanlagen. Die Wüste ist in den alten Erzählungen der Ort, an dem der Mensch Gott begegnet. In der Einsamkeit ist jeder ganz bei sich selbst und ganz in Gottes Hand. Dort wo man ohne Kompass und Navi die Richtung nicht weiß, ohne Wasser im Nullkommanichts an die körperlichen Grenzen kommt, wird mehr als sonst klar: Der Mensch ist auf Gott angewiesen. Und: Gott zeigt sich in der Wüste  – in einem brennenden Dornbusch dem Mose. Dem Propheten Elia nach tagelanger Flucht.

Auf der einsamen Straße kommt ein Reisewagen gefahren. Wir ahnen schon: Der dort im Wagen sitzt, dem wird sich Gott zeigen. Der Reisende wird uns vorgestellt als ein Äthiopier. Ein Mensch mit einem schwarzen Gesicht. Wenn wir in ein schwarzes Gesicht blicken, dann assoziieren wir seit Kurzem: Flüchtling! Der Äthiopier ist kein Flüchtling. Er ist ein Mensch auf Reisen in einer einsamen Gegend. Der Geist Gottes hält sich nicht an Grenzen, die Menschen ziehen. Gott ist nicht nur ein Gott der Weißen oder welches Hauttyps auch immer. Gott macht nicht vor ethnischen Grenzen halt. Gut für uns. Wären wir sonst Christen in Europa?

Queer

Als Philippus die Straße entlanggeht, kommt dort in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren, ein Eunuch. Philippus trifft auf einen Mann, dem die Hoden entfernt worden sind. Das hört sich unspektakulär an. Das war durch Jahrhunderte hin eine gängige Praxis. Aber für die betroffenen Menschen muss es eine extreme Gewalterfahrung gewesen sein. Männer wurden Opfer von Gewalt und als Opfer wurden sie nicht einmal mehr als vollfertige Menschen geachtet. Im 5. Buch des Mose ist zu lesen, dass sie nicht am Gottesdienst teilnehmen durften. Wer verletzt ist an Körper und Seele, gehört nicht zu Gott!

Wie furchtbar! Wie gut, es beim Propheten Jesaja anders heißt: Der HERR sagt: »Wenn ein Kastrierter meinen heiligen Tag, den Sabbat, beachtet und mein Gesetz befolgt, dann bekommt er in meinem Haus einen Gedenkstein, auf dem sein Name steht. Das wird die Erinnerung an ihn besser bewahren als Söhne und Töchter. So sorge ich dafür, dass sein Name niemals in Vergessenheit gerät. (Jes 56, 4f). Wer hat hier seine Meinung geändert? Die Menschen oder Gott? Gottes Geist sucht auf einsamen Weg diesen einen Menschen. Diesen Menschen ohne eindeutiges Geschlecht. „Queer“ ist ein Wort, das heute dafür gebraucht wird.

Ich finde es gar nicht so leicht, in meinem Denken die Kategorien von männlich und weiblich zu verlassen. Ich habe immer in diesen Schablonen gedacht. Doch auch mir gingen bestimmte Festlegungen immer schon quer. Als ich in die Schule kam, gab es orange Kopfbedeckungen, damit wir Erstklässler auf der Straße gut sichtbar sein sollten. Kopftücher für die Mädchen, Schirmmützen für die Jungen. Ich wäre nie mit so einem bescheuerten Kopftuch rumgelaufen! Ich wollte eine Schirmmütze. Mir fallen noch mehrere so quere Sachen ein. Ihnen vielleicht auch? Vermutlich ist das Leben freier, passt besser zur Person, wenn Festlegungen entfallen. Sogar die von männlich oder weiblich, wenn es nicht zum eigenen Leben passt. Der Geist Gottes schickt Philippus zu einem Menschen, der quer zu den Geschlechtern lebt. In seinem Fall nicht einmal freiwillig „queer“.

Taufvorbereitungen

Überhaupt ist dieser Mensch quer zu allen Festlegungen. Ein Grenzgänger auch im religiösen Sinn. Wie kommt er dazu eine Pilgerreise zum Tempel nach Jerusalem zu machen? Vermutlich wegen der Worte Jesajas. Er will sich von Gott den Namen zusprechen lassen, der nicht in Vergessenheit gerät. Auch wenn er kinderlos bleiben wird, bei Gott hat er einen Namen.

Wie das war, für einen schwarzen, körperlich versehrten, Ausländer im Heiligtum Gottes anzubeten? Wir erfahren es nicht. Der Äthiopier hat jedenfalls die Buchrolle des Propheten Jesaja erworben und liest. Er liest laut, wie es üblich war und er liest auf Griechisch. Das verstanden damals viele, so etwa wie Englisch heute. Er versteht kein Wort, was nicht an seiner Bildung liegt. Lukas legt ihm sehr gebildete Worte in den Mund. Gott verstehen, die Bibel verstehen, das schafft kein Mensch einfach so. Manches verstehen wir nach und nach. Und immer braucht es einen Deuter oder eine ganze Gemeinde, Gott und seine Worte zu begreifen.

Der Äthiopier liest: „Man hat ihn weggeführt wie ein Schaf, das geschlachtet werden soll. Und wie ein Lamm beim Scheren keinen Laut von sich gibt, so kam auch über seine Lippen kein Laut ´der Klage`. Er wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen von ihm berichten können, denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen. Der Äthiopier wandte sich an Philippus: »Bitte sag mir, von wem ist hier die Rede? Spricht der Prophet von sich selbst, oder spricht er von jemand anders?«“ Gute Frage! Daran haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Die jüdischen Theologen wie die Christen. Die christlichen Leser waren geneigt, einen Hinweis auf Christus zu sehen. Wurde der nicht auch, wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt und ging ohne Gegenwehr ans Kreuz? Der Äthiopier konnte die Stelle lesen, als sei von ihm die Rede: „Er wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt.“

Das bedeutet für mich: Gottes Wort verstehen. Die alten Geschichten so lesen als seien sie für mich geschrieben. Nicht alles trifft, nicht alles will ich behalten. Aber was Christum treibet, was Jesus Christus im Sinne hatte, das soll bewahrt sein und neu sprechen. Philippus bringt dem Grenzgänger die Worte und das Leben des Jesus von Nazareth nahe. Und der will eine weitere Grenze überschreiten: Er will getauft werden. Er hat bei allen Grenzgängen die innere Heimat gefunden bei Christus. Oder finden ohnehin nur die Grenzgänger Zugang zu dem, der in sich die Grenze zwischen Mensch und Gott trägt? Wahr Mensch und wahrer Gott…

Philippus braucht keine Geburtsurkunde und keinen evangelischen Paten. Ein intensives Gespräch auf einem Reisewagen ist Konfirmandenunterricht, besser Taufunterricht, genug. Der Äthiopier wird getauft und überschreitet damit die Grenze vom Tod zum Leben.

„Bei unserer Taufe wurden wir förmlich in Christus Jesus hineingetaucht. So wurden wir bei derTaufe  in seinen Tod mit hineingenommen. Aber Christus  ist durch die Herrlichkeit  des Vaters vom Tod auferweckt worden. Und genauso sollen auch wir jetzt ein neues Leben führen.“ So haben wir es vorhin als Lesung gehört. Wir werden nicht sterben, sondern leben. Happyend! Jetzt schon ein Happyend für uns. Und für den äthiopischen Reisenden, der auf der Reise gefunden hat, was ihn mit tiefer Freude erfüllt. Ganz gleich, ob Sie sich in den nächsten Wochen noch aufmachen in den Urlaub oder nicht. Ich wünsche Ihnen gute neue Erfahrungen bei allen Grenzgängen. Gottes Geist erfülle Sie mit tiefer Freude.

 

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Ein Kommentar zu “Grenzüberschreitung(en)

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Auf neuen Wegen und mit einzelnen “Grenzgängen” möchte Pastorin Handelsmann die schon vom Kindergottesdienst her beliebte Geschichte vom farbigen Kämmerer heute verkündigen. Das gelingt ihr nach meiner Meinung interessant und gut. Die heutige Urlaubszeit bringt uns die alte Reise-Geschichte nahe. Philippus hat kein Navi für seinen Weg , sondern einen Engel. Er zeigt den Weg durch die einsame Wüste. In der Wüste oder Einsamkeit zeigt sich Gott ja noch heute besonders. Dort trifft er auf einen hohen , farbigen Beamten aus Äthiopien. Der ist zum Eunuchen gemacht worden, damit er im hohen Amt nicht durch attraktive Frauen verführt und betrügerisch werden kann. Über männlich-weibliche Polarität spricht die Pastorin recht ausführlich. Der gebildete Afrikaner liest das Alte Testament auf griechisch. und sucht den Gott der Bibel. Philippus erteilt konzentrierten Konfirmandeunterricht und tauft den Kämmerer. Der wird erfüllt mit Christi Geist und großer Freude. Mit diesem Gefühl werden auch die Leser oder Hörer sicher erfüllt sein nach der lebendigen und originellen Predigt.

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