“Grund ewiger Freude”
Freude hilft uns zu leben. lässt uns wachsen
Predigttext: Lukas 18,9-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Erste Gedanken beim Lesen
Diese Geschichte vom „Pharisäer und Zöllner“ berührt mich in der Tiefe. Ich finde mich in beiden Gestalten wieder, kann den Pharisäer nicht verurteilen und bin auch dem Zöllner nahe. Was mich erschüttert, ist das „Urteil“, die Bewertung Jesu. Hat der Pharisäer keine Chance (verdient)? Was wird das Nachdenken über den Text noch erbringen?
(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)
9 Er sagte aber auch zu denen, die bei sich überzeugt waren, dass sie gerecht (M. Luther: fromm) seien und die die Übrigen verachteten, folgendes Gleichnis (gr: Parabel):
10 Zwei Menschen gingen hinauf zum Heiligtum (Tempel), um zu beten, der eine ein Pharisäer und der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer, hingestellt, betete folgendes bei sich:
O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die Übrigen (Menschen), räuberische, ungerechte, Ehebrecher/Hurer, oder auch wie dieser Zöllner da;
12 ich faste zweimal des Sabbats (in der Woche), ich gebe den 10. von allem, was ich besitze.
13 Aber der Zöllner, von Ferne stehend, wollte nicht die Augen aufhe ben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust sagend: O Gott, sei gnädig mir dem Sünder (Ps51,3).
14 Ich sage euch, hinab ging dieser gerechtfertigt in sein Haus gegenüber jenem.Denn jeder der erhöhend sich wird erniedrigt, aber der sich erniedrigende wird erhöht.
Lieder
"Danke" (EG 334)
"Gott ist gegenwärtig" (165)
"Jesus ist kommen Grund ewiger Freude" (66)
Literatur
Eugen Drewermann, Wenn der Himmel die Erde berührt, 1992 (zu Lk 18,9-14).- Byung-Chul
Han, Die Austreibung des Anderen, 2. Aufl. 2016 (bes. „Terror der Authentizität“).- Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 20. Aufl. 1967.- Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, hg. von Lothar Coenen, 3. Aufl. 1973: „gerecht“, „Versöhnung“.
“Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ Ein altes Kindergebet, das heute sicherlich nicht mehr beigebracht wird. Denn „fromm“ ist heute eher ein Fremdwort für uns. Manchmal auch ein Schimpfwort für allzu enge Gläubige.
I.
Aber wie sollen wir unser Verhältnis zu Gott sonst beschreiben? Was ist heute „fromm“? Wie würden wir heute „fromm“ übersetzen? Ist einer fromm, der jeden Sonntag „in die Kirche rennt“? Oder zeigt sich Frömmigkeit nicht eher im Dienst an Armen, Kranken, an den Zurückgelassenen, an den Einsamen? Ersetzt heute soziales Engagement, was früher mit fromm bezeichnet wurde?
Der Maßstab für gute kirchliche Arbeit ist für viele ihr Einsatz für Flüchtlinge, für Obdachlose, für „Gerechtigkeit“. Fromm gleich gerecht. Das trifft sich gut mit einer Geschichte im Neuen Testament, in der Jesus über die richtige Frömmigkeit spricht. Es ist die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner.
Der Evangelist Lukas berichtet von einem Gespräch Jesu mit „einigen, die sich anmaßten fromm zu sein“. Im griechischen Urtext steht für fromm „gerecht“. Wir können davon ausgehen, dass es sich nicht um ein gemütliches Gespräch bei einem Glas Wein gehandelt hat sondern eher um eine Auseinandersetzung. Dieser Jesus hat sich auf einen Streit eingelassen mit „Gerechten“, die „die Anderen verachteten“. (Im griechischen Text steht statt der Anderen die „übrige (Menschheit)“.) Doch – was ist fromm oder gerecht?
II.
Sehen wir uns zuerst den Pharisäer an! Der scheint alles richtig zu machen. Es ist Danke-Lied, das er singt: Ich danke dir, Gott! (Freilich singt er im Stillen, für sich.) Ist nicht ein Mensch schon fromm, wenn er weiss und bekennt, wem er sich und sein Leben verdankt? Jener Pharisäer nennt nun, wovor ihn Gott (bislang) bewahrt hat. Es sind Abgründe, die sich auftun – und denen er sich stellt. Er analysiert sein Leben und Verhalten – vor Gott, legt offen, was sein Leben ausmacht: Er ist nicht so wie die Anderen, also: kein Räuber, kein Verbrecher, keiner, der aus der Ehe ausbricht. Er hält die Gebote Gottes, die Regeln, die eine Gemeinschaft zusammenhalten.
Erkennen wir uns in dem Pharisäer wieder? Aber erkennen wir auch die Versuchungen, denen wir – wie der Pharisäer – ausgesetzt sind? Und dann kommt in diesem inneren Dankgebet der bekannte Vergleich mit dem Zöllner „dort“. Als ob es auch Gottes Gabe sei, dass er kein Zöllner geworden ist. Er ist von IHM bewahrt worden. Danke! Überhaupt gehört der Vergleich oft zur Stabilisierung des eigenen Selbstwerts: Ich bin nicht so krank wie der Nachbar, habe nicht so chaotische Kinder wie meine Schwester, habe Glück gehabt mit meiner Kinderstube – und auch mit meinem Beruf. Gott sei Dank!
Doch das innere Dankgebet geht weiter: Immerhin tu ich auch einiges für mein Seelenheil! Der Pharisäer fastet zweimal in der Woche. Und er gibt 10% von allem, was er einnimmt, in eine Kasse, aus der Bedürftige unterstützt werden. Das sind unsere Kirchensteuern, unsere Kollekten und Gaben für „Brot für die Welt“. Der aufrechte Beter wird noch viel mehr (innerlich) gesagt haben. Es ist eine Bilanz, die er vor Gott darlegt. So viel Ehrlichkeit ist bewundernswürdig.
III.
Doch Jesus schwenkt die Kamera auf jenen Zöllner, der da in einiger Entfernung – vielleicht auf dem Tempelvorplatz steht. Wieso ist er überhaupt in den Tempel gekommen? Er hat doch sein Auskommen, ist versorgt von der Obrigkeit und kann den Leuten dann und wann noch ein wenig Geld aus dem Beutel ziehen. Was hat der mit Gott zu tun? Auch er wendet sich zu Gott. Seine ersten Worte stammen aus dem Psalm 51: Gott, sei mir Sünder gnädig! Sein Blick ist gesenkt. Er schlägt an seine Brust. Nehmen wir hier an einer Beichte teil?
Der Psalm wird David zugeschrieben, „als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war“. Erinnern wir uns: Der große König David nimmt sich Batseba, die schöne Frau des Hethiters Uria, und sie wird schwanger von ihm. Was soll David machen? Er stellt Uria an die Kriegsfront, „wo der Kampf am härtesten ist“ (2S11,15a) und Uria fällt. Und nach Batsebas Trauerzeit nimmt David sie zur Frau … Doch erst der Prophet Nathan macht dem König bewusst, was er getan hat. Das Gespräch zwischen David und Nathan gehört zu dem Anrührendsten in der Bibel (2S12). David: Ich habe gesündigt gegen den Herrn! Gott sei mir gnädig!
Wir können nur mutmaßen, was der Steuereintreiber auf dem Kerbholz hat. Vielleicht hat er all das getan, was dem Pharisäer erspart geblieben ist. Vielleicht hat er nicht so viel Selbstdisziplin oder „Glauben“ gehabt wie der „Fromme“. Vielleicht war ein „Nathan“ bei ihm, der ihm die Beichte abgenommen hat, sodass er bekennen konnte, was ihn beschwert hat. Wir kennen solche hilfreichen Gespräche, bei denen uns einer zuhört und wir bekennen und klagen können. Und manchmal wird es uns leichter ums Herz, wenn wir ausgesprochen haben, was uns belastet und beschwert, kränkt und vergiftet.
Lapidar sagt Jesus, dass der Zöllner vom Tempelberg hinab geht und wieder nach Hause kommt – im Gegensatz zu jenem, gemeint ist der Pharisäer. Bleibt dieser im Tempel? Wie lange? „Muss ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?“ hat der 12-jährige Jesus seinerzeit zu seinen Eltern gesagt, die ihn mit nach Hause nehmen wollten. Der Pharisäer – der wahre Fromme und Gerechte, der weiss, wo er hingehört?
Doch Jesus spricht den Zöllner gerecht, fromm. Was tut der, was der Pharisäer nicht tut? Eins wird aus der Eingangsfrage deutlich: Kann ich fromm sein und mich mit anderen, ja, der übrigen Menschheit vergleichen? Was geschieht, wenn ich mich vergleiche? Das Zielwort unserer Geschichte gibt die Antwort: Wer sich erhöht, wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht. In unserer Geschichte messen sich beide Menschen in ihrer Stellung vor Gott.
Der Pharisäer misst sich selbst und vergleicht sich nach unter hin: Ich bin nicht wie die übrigen Menschen – oder auch wie ein Zöllner: Der Unterschied ist nicht zu übersehen. Zwar hat auch der Pharisäer seine Fehler, aber er hat an seiner Gottesbeziehung hart gearbeitet. Und das hat der Zöllner eben nicht getan. Also fühlt sich der Pharisäer dem Zöllner moralisch überlegen.
IV.
Vielleicht hätte der Pharisäer sich auch nach oben hin messen können, also fragen, was er von Gott her gesehen eigentlich sein sollte. Für den Zöllner sieht das ganz anders aus. Er hat Gott gegenüber nichts vorzuweisen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit Ps 51 zu sprechen: Gott, sei mir Sünder gnädig! Da ist kein großer Glaube. Aber es ist der Glaube, dass nur Gott ihn retten kann – und das rettet ihn: Jesus spricht IHN gerecht, ER ist wahrhaftig fromm.
Was wäre, wenn der Pharisäer dem Zöllner begegnet wäre? Können wir uns ein Gespräch zwischen den beiden vorstellen – also dem, der seine inneren Abgründe im Zaum zu halten weiss und dem anderen, der schuldig geworden ist und z.B. dem Pharisäer seine Schuld bekennt. Was wäre geschehen? Der eine wäre dem Anderen zum Propheten Nathan geworden. Und vielleicht hätten beide mit den Worten des 51. Psalms gesprochen: „Schaffe in mir Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist! … Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe …!“ Und wir würden BEIDE den Tempelberg herabgehen sehen, beide „gerecht gesprochen“, beide „fromm“, beide erfüllt mit Freude.
„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ Frommsein ist mit Freude erfüllt. Das ist die Botschaft des Evangelisten Lukas. Und Freude hilft uns zu leben. Freude lässt uns wachsen. Freude hilft uns, dass wir nach Hause kommen, wo wir auch wohnen oder arbeiten oder leben. Und Freude hilft uns, um Gottes Willen, mit all unserem Versagen, aber auch unseren Guttaten umzugehen. Das lasst uns an dem Zöllner lernen!