Grundhaltungen im Leben
Glaube als eine Beziehung zu Gott, die gelebt und gestaltet werden will
Predigttext | Markus 4,35-41 |
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Kirche / Ort: | Wiesoppenheim und Worms-Horchheim / Darmstadt |
Datum: | 09.02.2025 |
Kirchenjahr: | |
Autor: | Pfarrer Dr. Raphael Zager, Wiss. Mitarb. |
Predigttext: Markus 4,35-41 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
35Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. 36Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? 41Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Predigt zu Markus 4,31-45
zum 4. Sonntag vor der Passionszeit am 9, Februar 2025
„Achtung, Achtung! Eine Durchsage an alle Fahrgäste: Sollte sich ein Arzt oder Sanitäter unter den Fahrgästen befinden: Bitte kommen Sie dringend in Wagen 4. Wir haben dort einen Notfall!“ So oder so ähnlich stelle ich mir eine Durchsage bei der Bahn vor, wenn jemand Hilfe braucht. Das ist doch eine ganz normale Reaktion: In einem Notfall ruft man nach Hilfe. Wenn es brennt, rufe ich die 112 an. Unter der 110 erreiche ich die Polizei. So weit so gut.
I
Wir haben gerade in der Lesung die Geschichte gehört, in der Jesus den Sturm stillt (Mk 4,35-41). Was ich mich bei dieser bekannten Erzählung immer wieder frage: Warum wirft Jesus seinen Jüngern Feigheit vor und mangelnden Glauben? Sie haben ihn doch um Hilfe gerufen, als sie in Not waren? Wenn es irgendwo brennt, und ich die Feuerwehr rufe, dann macht sie mir doch keine Vorwürfe? Dann kommt sie, und löscht den Brand. Und ich bin froh, dass es Feuerwehrleute gibt, die in so einer Notsituation helfen!
Wie kommt Jesus zu diesen Vorwürfen? Fangen wir von vorne an. Uns wird in der Bibel erzählt, die Jünger waren zusammen mit Jesus auf einem Schiff unterwegs. Ein langer Tag liegt hinter ihnen. Eigentlich sind sie müde. Aber Jesus hat sie überredet, an diesem Abend noch zum anderen Seeufer zu fahren. Ganz ungefährlich ist das nicht. Und es kommt, wie es kommen muss: Ein ordentlicher Sturm zieht auf. Sie kämpfen gemeinsam gegen die Wellen an. Einige Jünger kannten sich ja gut aus mit dem Schifffahren. Petrus und sein Bruder Andreas zum Beispiel, oder auch Jakobus und Johannes waren Fischer. Sie waren also oft genug mit dem Boot auf dem See unterwegs gewesen. Doch selbst sie sahen: Das Boot wird immer voller mit Wasser! Dieser Sturm, diese Wellen! Da kommen wir nicht gegen an!
Die Jünger haben Todesangst. Also wecken sie Jesus, der bis dahin geschlafen hat, und rufen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?“ Da steht Jesus auf und stillt den Sturm. Er schreit den Sturm und die tobende See an! – Schweig! Verstumme! Plötzlich ist alles wieder ganz still. Der Wind und die Wellen haben sich gelegt. Doch es bleibt nicht lange so still. Jesus durchbricht die Stille. Er spricht zu den Jüngern. Er macht ihnen Vorwürfe. Voller Angst seien sie gewesen und ohne Glauben.
Dass die Jünger Furcht hatten, ist doch verständlich. Erst wütete der Sturm, und sie waren in Lebensgefahr. Und dann steht Jesus auf und schreit Wind und Wellen an. Er bedroht sie und sie gehorchen ihm! Ein bisschen unheimlich ist das ja schon. Zum Fürchten. Die Jünger fürchten sich zum zweiten Mal in dieser Nacht. Sie fragen sich: Was ist das eigentlich für ein Mensch, mit dem wir da unterwegs sind? Doch wie kommt Jesus darauf, die Jünger hätten keinen Glauben? Sie haben doch genau das gemacht, was man im Notfall tut: Man ruft jemanden, der vielleicht helfen kann. Und als das Schiff drohte, unterzugehen, haben sie Jesus gerufen. Den Mann, der vorher so viele Menschen geheilt hat. Vielleicht kann er ja auch gegen den Sturm und die Wellen etwas tun? Und er konnte es ja ganz offensichtlich! Der See liegt wieder ruhig und still.
II
Jesus wirft seinen Jüngern vor: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Ich stelle mir vor, den Jüngern hätte es in dem Moment nicht vor Angst die Sprache verschlagen. Ich stelle mir vor, jemand hätte Jesus widersprochen und gesagt: „Natürlich haben wir einen Glauben, Jesus! Deswegen haben wir dich doch geweckt. Wir glauben an dich! Wir haben geglaubt, dass du uns hilfst!“ Ich frage mich, was die Jünger anderes hätten tun sollen. Selbst wenn sie Jesus nicht zugetraut hätten, dass er den Sturm stillen kann. Auch dann weckt man doch einen schlafenden Menschen auf, wenn man merkt, dass das Boot sinkt.
Ganz normal ist die Reaktion von Jesus ja auch nicht: Erst kümmert es ihn gar nicht, dass das Schiff sinkt. Er schläft selig weiter. Und dann wirft er den Jüngern vor, sie seien so voller Angst und hätten keinen Glauben. Dabei ist es doch nur menschlich, sich zu fürchten – zumal auf einem sinkenden Schiff. Wir können es drehen und wenden: So ganz logisch ist diese Geschichte nicht. Hier scheint es um mehr zu gehen als eine schwierige Bootsfahrt auf dem See Genezareth. Jesus hat seinen Jüngern ja viele Gleichnisse erzählt. Vielleicht hilft es weiter, auch diese Geschichte von der Sturmstillung als Gleichnis zu verstehen.
Jesus wirft den Jüngern vor: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Was ist das also für ein Glaube, der den Jüngern angeblich fehlt? Die Jünger Jesu waren doch gläubig? Und es muss ein sehr fester Glaube gewesen sein! Warum sonst sollten sie ihre Familien verlassen, ihren Beruf aufgeben, nur um diesem Jesus nachzufolgen?
Jesus stellt die Angst, ja die Feigheit dem Glauben gegenüber. Wörtlich steht hier im Griechischen τί δειλοί ἐστε; – „Warum seid ihr so feige?“ Vielleicht geht es Jesus hier gar nicht so sehr um die akute Furcht der Jünger. Wer vom Tod bedroht ist, der fürchtet sich. Wer auf einem sinkenden Boot ist, fürchtet sich davor, zu ertrinken.
Angst ist wie der Glaube kein akutes Gefühl. Es ist eine Art zu leben. Angst und Glaube sind zwei verschiedene Weisen, durchs Leben zu gehen. Wenn ich glaube, dann sehe ich die Welt mit anderen Augen. Wenn ich glaube, sehe ich in der Welt Gottes Schöpfung. Ich vertraue darauf, dass er alles wunderbar gemacht hat. Der Wochenspruch aus Psalm 66 weist uns genau auf diese Art zu glauben hin: „Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern.“
III
Es geht bei Angst und Glaube also um Grundhaltungen im Leben. So wie es Albert Einstein einmal gesagt hat: „Es gibt nur zwei Arten zu leben. Entweder so als wäre nichts ein Wunder oder so als wäre alles ein Wunder.“ Heißt das jetzt, dass Albert Einstein sich nie gefürchtet hat, weil er an Gott geglaubt hat? Natürlich nicht. Wir leben doch alle auf derselben Welt – Gläubige und die, die nicht glauben. Und wir werden alle in gleicher Weise von den Nöten betroffen, vor denen wir uns fürchten: Unfälle, schwere Krankheiten, Naturkatastrophen, Kriege. Die Haltung der Angst rechnet in all diesen Nöten überhaupt nicht mit Gott. Sie vertraut erstmal nur auf sich selbst. So wie die Jünger: Sie versuchen, ihr Boot allein durch den Sturm zu steuern. Jesus, den lassen wir mal weiterschlafen. Man könnte sagen: „Wir lassen Gott einen lieben Mann sein.“ Und erst, wenn es schon fast zu spät ist, das Boot schon voll mit Wasser, dann schreien wir nach Hilfe.
Doch mit dem Glauben ist es anders als mit der Feuerwehr. Der Glaube ist nicht nur für den Notfall da! Der Glaube ist eine Beziehung zu Gott, die ein Leben lang hält. Der Glaube ist eine Beziehung zu Gott, die gelebt und gestaltet werden will. Mein Glaube lebt davon, dass ich mich immer wieder mit Gott beschäftige. Mein Glaube wächst dadurch, dass ich mit anderen zusammen Gottesdienst feiere, Worte aus der Bibel höre, gemeinsam bete. Mein Glaube an Gott ist auch eine Beziehung mit Höhen und Tiefen.
Ich lobe und danke Gott für all das, was mir geschenkt ist. Ich kann Gott aber auch all mein Leid klagen, meine Ängste anvertrauen. Im Choral „Lobe den Herren“, den wir gleich singen, loben wir Gott, der uns dieses wunderbare Leben geschenkt hat. Gott segnet unser ganzes Leben, schenkt uns alle Gaben der Schöpfung. Pflanzen, Tiere und Menschen, die uns im Leben begleiten. Zugleich ist unsere Bootsfahrt auf dem See des Lebens nicht ohne Stürme. In der dritten Strophe heißt es: „In wie viel Not, hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!“ Auch wenn wir uns mal fürchten, auch wenn wir in Not sind, wissen wir: Gott ist da, er bleibt bei uns, auch über dieses Leben hinaus.