Güte und Charme

Gott will nicht im Himmel bleiben

Predigttext: Jeremia 9,22-23
Kirche / Ort: Ammersbek-Hoisbüttel
Datum: 28.01.2018
Kirchenjahr: Septuagesimae (70 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Jeremia 9,22-23 (Übersetzung nach Martin Luther)

22 So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
23 Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Gedanken beim Lesen des Predigttextes

Der erste Satz leuchtet unmittelbar ein: Wer kann schon etwas für seine Weisheit oder auch für seinen Reichtum? Da spielt doch immer der Zufalle eine Rolle. Ich lese weiter und wundere mich über das „Rühmen“. Ich kenne dieses Wort von Paulus! Das einzige Wissen, das sich „lohnt“, ist das Wissen um Gott - das tiefste Geheimnis des gottesdienstlichen „Kyrie“. Der Text schließt ab mit einem Blick auf Gott, dem ein solches „Rühmen“ gut gefällt. Woher weiß der Autor dies? Ist Gott so einsehbar, berechenbar?

Anmerkungen zum Predigttext

Die Struktur des Textes zeigt

  1. eine Rüge des Fehlverhaltens der Weisen, Soldaten und Reichen; es folgt
  2. die adäquate Verhaltensweise: Liebe, Recht und Gerechtigkeit; und
  3. die Begründung für die Verhaltensänderung

Mit V23 wird das Verhaltensmuster geändert: Gott tritt ins Zentrum des Denkens. Die Erkenntnis von IHVH ist wichtig in der Verkündigung des Propheten Jeremia. Der Erkennende sucht Gott, will seine Wege erforschen; er schließt sich Gott an, wie ein Mann seiner Frau, wenn er sie „erkennt“.

Der Text ist eingebettet zwischen einem Klagelied Gottes über sein Volk („Lehrt eure Töchter klagen“) - Jer 9,16-21 - und einer Gerichtsankündigung über Israel, das ein „unbeschnittenes Herz“ habe - Jer 9,24+25. Der Text stellt ein Innehalten, eine Ermutigung, ein Nachdenken dar.

Zur Historie: Der Babylonische Großkönig Nebukadnezar beherrscht das Gebiet vom Zweistromland bis Ägypten. Da sich der König von Israel, Jojakin, von Babylon unabhängig machen will, deportiert Nebukadnezar den König mit allem Hofstaat und allen Facharbeitern nach Babylon. 589 marschiert der Babylonier erneut gegen Israel, zerstört Tempel und Königspalast und deportiert die Oberschicht mit König Zedekia (2. Wegführung). In dieser Zeit tritt der Prophet Jeremia auf. Ab Kap. 7 hält der Prophet im „Tor am Hause des Herrn“ in Jerusalem seine Tempelrede. Unsere Perikope ist möglicherweise der Abschluss seiner Rede. Vielleicht spielt Jeremia auch auf den König Jojakin (609-598) an.

Im NT beruft sich Paulus zweimal auf Jer 9,22f (1 Kor 1,31 und 2 Kor 10,17).  „Rühmen“ ist für den Apostel ein wichtiges Thema (kauchomai = gloriari) seiner  Rechtfertigungstheologie.

Literatur

Roland Gradwol, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen

Lieder

"Wohl denen" (EG 295)
"Lobet den Herren" (EG 316)
"In dir ist Freude" (EG 398)
"Ich glaube an den Vater" (Glaubenslied von M. Pytlik)

 

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Unser Predigttext aus uralten Zeiten, sicher über 2.500 Jahre alt, spricht vom Selbstlob verschiedener Eliten. Da sind die Politik- und Wirtschaftsweisen, die genau wissen, wohin die Politik hinsteuern soll. Da sind die Militärs, die „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ die Herrschaft übernehmen. Und da sind die Milliardäre, die die Regierungsgeschäfte übernehmen. Drei Möglichkeiten, die der (alte) Prophet Jeremia infrage stellt. Zur historischen Situation damals: Der Babylonische Herrscher Nebukadnezar will Israel ein 2. Mal deportieren. Was sollen wir tun, fragen sich die Israeliten. Und da stellen sich die erwähnten drei Gruppen vor: Sind wir nicht die richtigen für Euch, werben sie? Es ist, als ob sie ein Selfie ins Netz stellen: Sind wir nicht unwiderstehlich? Es ist wie im privaten Bereich: Alle möglichen (politischen) Gruppen stellen wie auch „Einzeltäter“ ihr Bild ins Netz: Wählt uns! Wir sind die Besseren, die Schöneren, die Schnelleren! Und wir, die Wähler – fallen wir drauf rein? Ich lese noch einmal unseren heutigen Predigttext (in eigener Übersetzung):

So hats DER HERR  gesagt: Nicht rühme sich ein (Regierungs-) Weiser seiner Weisheit, und nicht lobe sich ein (Berufs-) Soldat seiner kriegerischen Kraft, nicht rühme und lobe sich ein Reicher seines Reichtums! Wenn aber einer sich loben sollte, der lobe sich, Einsicht zu haben und MICH zu (er-) kennen, dass ich DER HERR bin, der Liebe, Recht und Gerechtigkeit auf Erden ausübt. Denn an diesen Dingen habe ich Gefallen – Raunung DES HERRN. (Und ich setze hinzu:) Halleluja – Lobt IHN !!

Wie ist das mit dem Selbstlob? Den Selbstdarstellungen? Den Selfies? Heute ist das normal: Nicht nur Jugendliche müssen sich selbst „loben“ dafür, dass sie so toll sind. Auch Erwachsene posten gerne, was sie leisten, was sie anziehen, wie sie aussehen. Wir suchen weltweit – www! – Anerkennung und sind erst zufrieden, wenn wir eine 5-stellige Zahl von Followers haben.

Glauben wir dem Propheten Jeremia, dann gibt es das nicht erst heute. Auch der Apostel Paulus kannte dieses Thema. Der fragte sich, wessen er sich „rühmen“ könne. Worauf kann ich als Christ stolz sein? Was bringt mir vor Gott und den Menschen Anerkennung? Als studierter Theologe hatte er natürlich seinen Thanach, also unser AT, gelesen und zielsicher unsere beiden Verse herausgepickt und mindestens zweimal zitiert (1 Kor 1,31 und 2 Kor 10,17).

Es scheint ein Grundbedürfnis von uns zu sein, sich zu rühmen, anzugeben, sich darzustellen. Und ist das schlecht? Wenn ich mich selber nicht lieben kann, kann ich mich auch nicht annehmen. Ich brauche ein Selbstverständnis, das mir hilft zu leben. Das Gefühl, geliebt zu sein, etwas wert zu sein, haben uns unsre Eltern mitgegeben. Man kann es auch „Urvertrauen“ nennen, das uns hilft, zunächst einmal die gute Absicht bei meinem (Gespräch-) Partner zu sehen. Der Andere bringt mir Neues entgehen. Er will mich bereichern, will sich mit mir auseinandersetzen. Er lässt mich nicht wie ich bin, sondern sieht in mir Seiten, die ich selber nicht erkennen kann oder will. Das ist das Charmante am „Anderen“.

Habe ich dieses Urvertrauen nicht, dann zweifele ich an mir, an der Welt. Ich tue dann alles, um Anerkennung zu bekommen. Und damit sind wir wieder bei der fragwürdigen Seite der Selfies, auch der politischen Selbstdarstellungen. Jeremia in seiner Rede:

Nicht rühme und sich ein (Regierungs-) Weiser seiner Weisheit, und nicht lobe sich ein (Berufs-) Soldat seiner kriegerischen Kraft, nicht rühme und lobe sich ein Reicher seines Reichtums!

Denn diese Art von Selbstlob hilft uns nicht, baut uns nicht auf, lässt uns nicht erwachsen werden. Sondern – und jetzt beginnt der zweite Teil seiner Rede:

Wenn sich aber einer loben sollte, dann der lobe sich: Einsicht zu haben und MICH zu (er-) kennen, dass ich DER HERR bin,

Worauf können wir also stolz sein? Darf ich Sie mit den beiden hebräischen Wörter konfrontieren, die Jeremia hier gebraucht?! Das eine ist sachal, das andere jada. Mit sachal lädt uns Jeremia ein zum Nach-Denken, Meditieren, zum Nachsinnen über das, was uns trägt. Und jada ist ein Erkennen, wie es in der intimsten Beziehung zwischen Menschen geschieht. Einen Menschen „erkennen“ heißt, ihn sehen, wie ihn Gott gemeint und geschaffen hat. Gott „erkennen“ heißt, sich auf ihn einlassen und seine Wege gehen. „Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit / nach seinem Worte handeln und leben allezeit!“ Gott ganz in mir, ich ganz in Gott. Und so zum Menschen werden. Mit seiner Würde, seinem Ansehen, seiner „Gott-Ebenbildlichkeit“. Bedeutet das nicht, diese Welt zu verlassen? Heißt das nicht, von jetzt an zölibatär zu leben? Sollten wir uns nicht wie Einsiedler in eine Höhle verkriechen und nur noch für Gott da sein?

Dies ist alles möglich. Aber Jeremia weist noch auf etwas anderes hin, das dieses Nachsinnen und Erkennen Gottes bewirkt. Er sagt, dass Gott auf Erden

Liebe („Charme“), Recht und Gerechtigkeit schafft.

Genau daran hat er seine Freude. Genau dies wünscht er sich. Gott will nicht im Himmel bleiben. Sein Himmelreich ist die Erde. Wer hätte dies nicht besser ausgedrückt wie Jesus? Sind seine Gleichnisse wundervolle Beispiele für das Reich Gottes auf der Erde?! Doch zurück zu den drei Wörtern: Liebe, Recht und Gerechtigkeit. Liebe leuchtet wohl am Ehesten ein. Ohne Liebe geschieht auf dieser Erde nichts. Güte und „Charme“ (wie man das hebräische Wort auch übersetzen kann) können Türen öffnen und Wüsten zu blühenden Paradiesen machen. Und genau dies ist der Wille Gottes und sein Wunsch an uns: dass wir diese Welt, seinen „Garten Eden“ „bebauen und bewahren“. Und dass wir „Liebe üben und demütig sind vor unserem Gott“ (Mi 6,8).

Die beiden anderen Begriffe sind Recht und Gerechtigkeit. Wenn die Bibel von Recht spricht, dann meint sie, dass Menschen zu ihrem (Menschen-) Recht verholfen werden muss. Es soll nicht sein, dass einer gebeugt durchs Leben geht. Vielleicht denken Sie jetzt an bestimmte Menschen, denen ihr Recht verweigert wird. Vielleicht sind auch Flüchtlinge darunter …

Und dann ist die Rede von Gerechtigkeit. Hier geht es nicht um ein Prinzip, das zu erfüllen ist, sondern um ein angemessenes Verhalten in einer zweitseitigen Beziehung. Gerechtigkeit ist hergestellt, wenns zwischenmenschlich stimmt. Mehr nicht und nicht weniger!

Wenn sich Gott also Liebe, Recht und Gerechtigkeit wünscht, dann lädt er uns zum Nachsinnen ein und dazu, sich auf die Menschen, auf den Anderen, einzulassen. Er will – nach Jeremia – „zur Welt kommen“ und unter den Menschen wirken. Und wenn sich Menschen verstehen und „erkennen“, dann hat die Schöpfung ihr Ziel erreicht. „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht und das Wort, das wir sprechen, als Lied erklingt, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut, dann wohnt er schon in unserer Welt …“

Und davon können wir ein Selfie machen, wie Menschen beginnen zu lachen, sich zu freuen. Wie Menschen sich begleiten in Zeiten der Trauer, des Abschieds. Wie Menschen stolz werden, sich aufrichten und neue Wege gehen. Und andere Menschen mitnehmen und eine Gemeinschaft bauen, in der Liebe, Recht und Gerechtigkeit blühen. Und Gott freut sich im Himmel. Und wir Menschen auf der Erde. Halleluja – Lobt und rühmt Gott!

 

 

 

 

 

 

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Ein Kommentar zu “Güte und Charme

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Das immer aktuelle Selbstlob besonders der Eliten und die Entscheidung für die angeberischen Anführer in schwieriger Lage ist das Thema der Predigt und des Predigttextes. Selbstlob spielt heute verstärkt durchs Internet eine wichtige Rolle schon unter Jugendlichen. Auch Paulus kannte das Thema und wir fragen uns auch, worauf kann ich als Christ stolz sein ? Es ist ein Grundbedürfnis anerkannt zu sein , ein Urvertrauen dass es gelingt. . Weise, Soldaten und Reiche wollen sich selbst loben. Aber wenn sich einer loben will, rühme er seine Gotteserkenntnis. Sehr treffend zitiert dazu Pastor Kühne das Kirchenlied: Wohl denen die da wandeln vor Gott in Heiligkeit…. EG 295 . Gott will Gerechtigkeit und Liebe und Recht auf Erden schaffen, wie es Jesus auch predigt. Mit einem schwungvollen modernen Kirchenlied und Gottes Freude endet diese schwungvolle moderne , verständliche Predigt, die moderne Psychologie mit einflicht.

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