„Hefata“
Das Wunder des Hörens
Predigttext: Markus 7,31-37 (Übersetzung nach Martin Luther)
31 Und als er (Jesus) wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge 34 und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus.37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.
Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Wundergeschichten haben ihren Ort, ihre Protagonisten und ihre Auswirkungen. Dabei ist die Charakterisierung „Wundergeschichte“ alles andere als geklärt. Wundergeschichten sind, unabhängig von dem Außergewöhnlichen ihrer Erzählstränge, Welterklärungen, die sich rational erschließen lassen. Jede Predigt ist – eigentlich – eine Wundergeschichte, die den Anspruch erhebt, die Welt „anders“ darzustellen als sie ist und gefügt erscheint. Wundergeschichten sind wirkmächtige Alternativgeschichten, die Geschichten aufbrechen und neu erzählen.
In unserem Predigttext geht es um das Wunder des Hörens. Das ist keine Frage des Akustikers, der Ohren ausmisst. Hören ist – neben dem Sehen, Reden, Fühlen – die Kunst des Wahrnehmens und des Verstehens, des sich Öffnens und des Bewahrens. Das Ohr wird zum Bild für die Gebärmutter, in der Leben wächst. Mittelalterliche Denker und zuletzt Sigmund Freud haben von der „Empfängnis durch das Ohr“ gesprochen und konnten so die Jungfrauengeburt denken.
Der Predigttext führt uns in das Gebiet der Zehnstädte, östlich des Jordan. Jesus „überschreitet“ Grenzen und geht ins Ausland. Hier hat sich seit dem 1. vorchristl. Jahrhundert ein „eigener“ Kulturraum etabliert. Wollten wir ihn Missionsland nennen, wäre es nicht verkehrt. Infos dazu: https://www.wissenschaft.de/magazin/weitere-themen/mitten-in-das-gebiet-der-zehn-staedte/
Erzählt wird die Geschichte eines Menschen, der taub ist und nur stammeln kann. Weder er noch seine Begleiter sind bekannt oder benannt. Die Anonymität macht diese Geschichte zu einer von biografischen Einzelheiten abgelösten und verallgemeinerungsfähigen. Die Geschichte ist auf Wiederholung angelegt, ohne erst in der Wiederholung ihr Ziel zu erreichen.
Die Erzählung ist dicht, der Heilungsvorgang archaisch, aber auch in seiner Körperlichkeit schon ein „Hören“. Wir können die Schwingungen, die Resonanzen im Erzählfluss wahrnehmen. Der heilenden Kraft von Speichel – durchaus gegeben – sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit geschuldet werden. Homiletisch ist hier mit Abwehrreaktionen zu rechnen, die die Ohren eher verschließen als öffnen. Entscheidend ist, dass sich „sogleich“, also unmittelbar und eindeutig, die Ohren des Tauben auftun, die Fesseln seiner Zunge gelöst sind und er richtig redet.
Der Dreiklang von geöffneten Ohren, gelöster Zunge und richtigem Reden (V. 35) macht das Wunder aus, deutet aber auch darauf hin, dass der Taube nicht nur taub war. Er konnte auch nur stammeln – jetzt redet er richtig, verständlich und mit der einer eigenen Stimme. Das Wunder ist für die Ohren der anderen. Jetzt ist Kommunikation möglich im Zusammenspiel von Hören und Reden. Es ist ein Wunder der Sprachfähigkeit.
Doch: Jesus gebietet Schweigen. Ob und wieweit das mit dem berühmten Messiasgeheimnis zu tun hat, können wir hier offenlassen. Augenfällig, hörfällig ist, dass das Wunder des Hörens und Redens in Schweigen gehüllt wird. Die Leute halten sich nicht daran – und halten sich doch daran! Von einer großen Verwunderung ist die Rede. „Sie wunderten sich über die Maßen.“
Sie reden aber nicht „über“ dieses Wunder, dieses Wunder gibt ihnen eine neue Sprache, ein neues Hören, ein neues Reden: „Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden“ (V. 37). Es ist ein doxologischer Schluss, ein Chorschluss. Im Gebiet der Zehnstädte, jenseits des Jordan. Im Ausland. Da, wo es keine Schrifterkenntnis gibt. Aber: die Schrift erfüllt sich jetzt hier (Jes. 35,5)
Ein besonderes Wort im Predigttext ist „Hephata“, „Tu dich auf“ (V. 34), von aramäisch hephatach, „Öffne dich!“ Was soll sich öffnen? Auftun? Was verschließt die Ohren, was fesselt die Zunge? Homiletisch wird es wichtig sein, darüber zu reden, was uns die Ohren verschließt, was unsere Zungen fesselt. Wir hören und hören doch nicht. Wir hören selektiv. Wir hören (aktiv) weg. Wir reden viel, ohne Punkt und ohne Komma, reden aber aneinander vorbei, übereinander, wir reden gar, ohne etwas zu sagen oder schlimmer noch, wir verschweigen mehr als wir sagen. Ohren und Zungen schließen die Welt nicht auf, sondern machen sie zu, schließen sie ein. Wir machen uns die Worte gefügig. Wir verlieren sie. Wir suchen sie. Anklänge an ein Märchen sind mit „Sesam. Öffne dich“ gegeben. Drei Beispiele: Zu erinnern ist an Helmut Thielicke, Auf der Suche nach dem verlorenen Wort (1988).
In der Taufe gibt es (rk.) den Effata-Ritus: Der Zelebrant berührt Ohren und Mund des/der zu Taufenden und spricht: Effata. Tu dich auf. Darin kommt zum Ausdruck, dass der/die zu Taufende nicht von sich aus Gottes Wort hören und bezeugen kann – Ohr und Zunge werden geöffnet. Dieser Ritus ist auf ev. Seite nicht gebräuchlich, könnte aber entdeckt werden.
Schließlich, um ein drittes Beispiel zu nennen, sind mit Hephata im ev. Raum Diakonische Einrichtungen benannt, z.B. Hephata bei Mönchengladbach. Hier wird die heilsame Erfahrung des „Geöffnetwerden“ ausgedehnt und mit neuen Lebensperspektiven verbunden. https://hephata-mg.de/unternehmen
Die alttestamentliche Lesung dieses Sonntags ist Jes. 29,17-24, hier 18-21: „Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.“ Dieser weite Horizont ist auch der Horizont der Predigt.
Sprachlos
Er hörte nichts. Und wenn er etwas sagen wollte, konnte er nur stammeln. Laute, die aus seiner Kehle zu kommen schienen. Dabei wollte er so viel sagen! Dabei hatte er so viel zu sagen! Kopf und Herz waren voll. Worte versuchte er, von den Lippen zu lesen. Er versuchte, in einem Gesicht zu lesen. Die Augen waren groß. Neugierig. Doch seine Welt war schweigsam geworden. Das bunte Treiben um ihn herum, das Wortgeschwirr, selbst das Lachen – weit weg. Obwohl er mitten drin war. Sie möchten gerne wissen, von wem ich gerade erzähle? Entschuldigen Sie, ich kenne nicht einmal seinen Namen. Mein Freund Markus erzählt von ihm. Die Geschichte eines Taubstummen. Eines Menschen, dem die Welt still geworden ist. Vielleicht auch von Anfang an still war.
(Lesung des Predigttextes)
Am Schluss ist ein großes Staunen in der Welt. Laut und vernehmlich. Kaum zu überhören. So viele Stimmen! In einem Satz, komprimiert: „Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.“ Genau genommen, es ist ein Zitat. Ein geprägtes Wort mit Geschichte und Flair. Markus hat es eingesetzt, wenn auch ein wenig gekürzt, um die vielen Stimmen zusammenzufassen. Die Formulierung ist von keinem Geringeren als vom Propheten Jesaja: „Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken.“ (Jes.35, 4-6).
Wenn Gott kommt, dann …
Sprachlos sind auch heute viele Menschen. Auch, wenn sie ganz viel sagen, ständig reden, nicht einmal mehr zuhören können. Wenn Menschen die Welt nicht mehr verstehen, wenn ihnen ihr Leben fremd wird, wenn ihnen Gott verschwunden ist, ziehen auch die Worte aus. Markus erzählt von einem Menschen. Der taub war und stammelte. Von anderen Menschen zu erzählen, überlässt er uns.
Hören und Verstehen
Ich bin in einem kleinen Ort. Idyllisch gelegen. Vor ein paar Wochen hat hier ein kleines Flüsschen gewütet. Rechts und links – in den Erdgeschossen stehen die Fenster offen, die Zimmer leer geräumt, Bauschutt auf den Gehwegen. Ich habe meine eigene Sprachlosigkeit gespürt. Sie ist mit jedem Meter gewachsen. Dann traf ich dien Menschen, die ich besuchen wollte …
Ich sehe die Bilder aus Afghanistan. Ich bin ganz kleinlaut. Am Hindukusch wollten wir doch sogar unsere Sicherheit verteidigen. Jetzt lassen wir viele Menschen alleine zurück, die einmal große Hoffnungen auf uns gesetzt haben. Sie fürchten um ihre Zukunft, bangen um ihr Leben. Quasi über Nacht bricht alles zusammen. Es ist nichts gut in Afghanistan! Wir wussten es eigentlich von Anfang an. Jetzt sind wir in eine Schuld verstrickt, für die es kaum Worte gibt. Die Sprachlosigkeit hat sich sogar der Politik bemächtigt. Die, die immer so gut reden können, verheddern sich mit ihren Zungen. Was werden wir den Flüchtlingen sagen? Dass sich 2015 nicht wiederholen soll?
In Deutschland geht der Wahlkampf in eine heiße Phase. Es sei so spannend wie seit Jahrzehnten nicht mehr, heißt es unisono. Menschen, die sich zur Wahl stellen, müssen sagen, wofür sie stehen, was sie wollen – nur sagen, was sie nicht können, dürfen sie nicht. Es wird viel geredet, aber so wenig gesagt. Und gehört wird nur, was gehört werden will. Die Fähigkeit, zuzuhören, geht zeitgleich bei Stich- und Reizworten unter. Im Internet werden Worte millionenfach in Hass verwandelt. Im Mittelalter haben Menschen die bösen Geister in der Luft gesehen. Wir spielen die Ahnungslosen. Ich höre, verstehe aber nicht. Eigentlich höre ich nicht einmal mehr hin. Eigentlich sind meine Ohren voll. Ich rede, zerfleddere aber die Worte Eigentlich habe ich nichts gesagt. Eigentlich habe ich nichts zu sagen.
Jenseits vom Jordan
Da schenkt uns die Geschichte, die Markus uns erzählt, jenseits vom Jordan, ein offenes Ohr. Wir hören, wir träumen von dem Wunder, von dem Wunder, hören zu können, dem Wunder, reden zu können.
Die Geschichte spielt im Gebiet der Zehnstädte, griechisch Dekapolis, östlich vom Jordan. Die Gegend reicht von Damaskus bis nach Amman, heute Syrien und Jordanien. Markus findet, dass die Information wichtig ist. Wir sind nicht mehr in Israel, auch nicht mehr im Volk Gottes. Jenseits des Jordan … das ist Heidenland, Ausland, vielleicht auch Niemandsland. Was hat Jesus da zu suchen? Seit dem 1. Jahrhundert vor Christus sind die Zehnstädte ein eigener Kulturraum mit griechischen und orientalischen Einflüssen, ein Netzwerk der besonderen Art. Hier wird die Welt groß! Doch – je nach Auffassung – ist hier die Sünde zu Hause. Gott könne man da nicht finden. Weil Gott da nicht sei. Was hat Jesus da zu suchen? Jenseits vom Jordan.
Jesus hat die Grenzen überschritten. Gott kennt keine Grenzen. Schon gar keine Grenzen für seine Wunder. Wo er ist, geschehen Wunder! „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken.“ Sogar in der Fremde!
Eine aufgelegte Hand
Wir sehen jetzt den Menschen, der taub ist und nur stammeln kann. Was möchte er uns erzählen, wenn seine Zunge nur mitspielen würde? Was könnte er hören, wenn seine Ohren unsere Stimmen einfangen? Wir wissen nicht, was er gesehen hat, auch nicht, was er fühlte. Das Schweigen kommt uns ganz nah. Dann sehen wir auch die Menschen, die ihn zu Jesus bringen.
Was erwarten die uns unbekannten Gefährten? Was erhoffen sie? Ein großes Staunen liegt in einer kleinen Szene! Jesus solle ihm seine Hand auflegen. Mehr nicht. Was kann aber eine Hand schon ausrichten? Wenn die Ohren nicht hören, die Zunge gefesselt ist? Doch: Die Hand kann segnen. Sie kann einen Menschen behüten. Sie kann Nähe schenken. Alles, was jetzt geschieht, ist von einer intimen Vertrautheit gekennzeichnet. Speichel eingeschlossen. Jesus holt diesen Menschen aus der Menge heraus und wendet sich ihm zu. Die beiden sind ganz allein, so, als gäbe es die anderen nicht. Noch mehr Nähe, noch mehr Vertrauen geht nicht. Bevor auch nur ein Wort gesagt wird!
Viele Worte verliert Markus sowieso nicht. Unter den Evangelisten ist er eigentlich der Verschwiegenste und Schweigsamste. Sprachlos ist er nicht – oder vielleicht doch? Andeutungen von ihm sind oft so kostbar, dass sogar der Speichel zu sprechen beginnt – und von Liebe erzählt. Während ich, stirnrunzelnd, leicht angeekelt, wegschaue, geschieht ein Wunder: das Wunder einer Berührung, die zärtlicher nicht sein kann. Was dann geschieht, ist eigentlich nicht einmal neu. Haben Sie etwas Anderes erwartet? „… sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig.“ Worte wachsen, wenn sie aus Vertrauen kommen. Zungen werden gelöst, wenn sie Vertrauen finden.
Hephata!
Es klingt wie ein Zauberwort, ist aber keins. Hephata! Tu dich auf! Hier, jenseits vom Jordan, spricht Jesus das wichtigste und schönste Wort in seiner aramäischen Muttersprache! Tu dich auf! Es gibt nicht viele Stellen wie diese! Wie sich das anhört? Komm, lockt die Mutter ihr Kind, als es die ersten Schritte wagt. Komm, sagt der Opa, als seine Enkelin Radfahren lernt. Komm, tröstet der Vater seine Tochter, als er sie ins Krankenhaus bringt. Hephata! Tu dich auf! Das Kind läuft in die Arme der Mutter. Die Enkelin schmiegt sich an die Schulter ihres Opas. Die Tochter spürt die Hand ihres Vaters, als sie alleine in ihrem Bett liegt. Im Krankenhaus. Hephata! Du tust dich auf! So viel Gewissheit in einem Wort. In dieser Geschichte schließt der Ruf Hephata einen Menschen auf! Die Ohren öffnen sich, die Zunge löst sich.
Wundergeschichten müssen sich immer rechtfertigen. Bist du auch wahr, Geschichte? Doch: der unbekannte Mensch, den ich längst in mein Herz geschlossen habe, redet richtig! Er kann, er hat etwas zu sagen. Neugierig wie ich bin, wüsste ich gerne, was er denn „richtig“ gesagt hat. Die Grammatik ist jetzt wohl nicht gemeint, auch nicht der Wortschatz. Gemeint ist die Offenheit, zuzuhören – und zu antworten. Die Wahrheit zu sagen. Für andere Menschen einzustehen. Ein offenes Ohr zu haben. Ein offenes Herz. Hephata! Tu dich auf! Dieses kleine Wort „Hephata“ klingt selbst nach einer zärtlichen Berührung, nach Nähe, nach Neuanfang. Was verschlossen ist – auf einmal sind da Worte. Die Sprachlosigkeit löst sich – mein Mund ist frei.
Hohes Lied auf die Sinne
Er hört alles. Und wenn er etwas sagen will, findet er die richtigen Worte. Worte, die aus seinen Herzen kommen. Dabei hat er so viel zu sagen! Worte liest er immer noch von den Lippen ab. Er versucht, in einem Gesicht zu lesen. Die Augen sind groß. Neugierig. Seine Welt ist aus dem Schweigen erwacht. Das bunte Treiben um ihn herum, das Wortgeschwirr, selbst das Lachen – ein Glück. Er ist jetzt mitten drin. Ich gehe mit ihm in das von der Flut zerstörte Dorf. Er hört zu, wenn die Leute ihr Leid klagen. Er kann sogar zwischen den Zeilen lesen. Er hört die Flöhe husten. Ich schaue mit ihm nach Afghanistan. Er nennt die Dinge beim Namen. Er redet nicht drumherum. Er bricht Worthülsen auf. Ich blättere mit ihm die Wahlprospekte durch. Er nimmt die Worte in seine Hand. Er putzt die Worte. Er geht den Dingen auf den Grund.
Sie möchten gerne wissen, von wem ich gerade erzähle? Entschuldigen Sie, ich kenne nicht einmal seinen Namen. Aber ich bin glücklich, von ihm zu wissen. Mein Freund Markus erzählt von ihm. Die Geschichte eines Menschen, der in der Stille nicht mehr zu Hause sein konnte. Die Sprachlosigkeit hat ein Ende. Jenseits des Jordan geht uns eine neue Welt auf. Der Prophet Jesaja hat das kommen sehen (Jes. 29,18-21):
„Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.“
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Die Wundergeschichten im NT zu predigen, ist besonders anspruchsvoll. In 30 Jahren als Oberstufen-Religionslehrer haben die Primaner die theologischen Erklärungen meist nicht akzeptiert. Nur die psychosomatischen Erklärungen von Eugen Drewermann in “Und legte ihnen die Hände auf” überzeugte viele. – Pfarrer Wussow überzeugt durch eine lebendige Sprache und durch interessante aktuelle Aspekte. Aktuell ist, dass wir mit vielen Worten aneinander vorbeireden. Jesaja hat schon Jesu segensreiche Worte vorausgesagt. Die Predigt beschreibt zu Beginn die Sprachlosigkeit und Kommunikationsleere des später von Jesus Geheilten. Sprachlos sind heute viele Mitbürger, welche ihr Leben nicht mehr verstehen. Im Wahlkampf und durch Corona überflutet uns viel Unverständliches. Jesus hat liebevoll die Grenze zu Jordanien überschritten und nimmt sich des Jordaniers an. Er findet die rechten Worte und spricht das warmherzige Zauberwort: Öffne dich! Diese Heilung ist ein Vorzeichen auf die Heilsgeschichte auf die wir warten.