Heiliger Geist für alle
An Pfingsten lernen, wie der Heilige Geist allen Menschen in ihrer Sprache hilft
Predigttext: Johannes 14,15-27 (Übersetzung nach Martin Luther)
15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.
16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit:
17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
(20 An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.
21 Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist's, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
22 Spricht zu ihm Judas, nicht der Iskariot: Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?
23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: )
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
27 Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Homiletische Überlegungen
Die Predigt konzentriert sich auf die VV 24-27. Thematisch soll das Wort „alle“ bzw. „alles“ bedacht und gewürdigt werden. „Alles lehren“ – „alles erinnern“ (V.26). Vorausgesetzt ist, dass die Pfingsterzählung aus Apg. 2 im Gottesdienst vorgetragen wurde. Auch hier spielt das Wort „alle“ eine Hauptrolle, vielfältig unterstrichen und weltweit ausgeweitet.
Alle hören, alle verstehen. Alle verstehen alles. Um dem Geheimnis, das sich um „alle“ rankt, noch näher zu kommen, bezieht die Predigt auch 1 Kor 12, 3b–7.12–13 ein. Gott bewirkt alles in allem. Dass eine Pfingstpredigt mit den vielen Ungeistern kämpft, gehört zu der Verheißung des Heiligen Geistes. Das Wort „alle“ wehrt aller Kleingeisterei, Borniertheit und Verdummung.
Versteckspiel
Das ist doch ein traumhaftes Bild! Alle sind an einem Ort versammelt. Erwartungsvoll. Und einträchtig. Worüber sie reden? Streiten? Wie lange sie hier schon sitzen? Worauf sie warten? Entschuldigung, Sie wissen gerade nicht, worüber ich rede? Ich möchte von den Jüngern Jesu erzählen, die auf Gottes Geist warten, der ihnen versprochen worden war. Ich möchte von uns erzählen, die wir Trost, Wegweisung und Fürsprache brauchen. Jesus sagt:
Ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
Eine kleine Zeit. Und eine große Verheißung. Wir sollen leben! So groß das Wort auch ist, es birgt tausende Träume, tausende Hoffnungen, tausende Schmerzen. Und die eine Sehnsucht, geliebt und angenommen zu sein, den Stürmen zu trotzen und ein Zuhause zu haben. Wir sollen nicht als Waisen zurückgelassen werden – ich, sagt Jesus, komme zu euch. Mit dem Geist Gottes!
Lukas erzählt davon in der Apostelgeschichte, seinem zweiten großen Werk neben dem Evangelium. Wartet, hatte Jesus gesagt, bevor er seine Jünger, bevor er uns verließ. Wartet auf die Kraft, die euch von oben geschenkt wird. Wartet darauf, dass sich die Verheißung erfüllt. Warten ist eine große Kunst, besonders, wenn gar nicht klar ist, was der Geist Gottes alles kann, alles will, alles bewegt. Es gehört schon ein großes Vertrauen dazu, sich auf eine solche Geschichte einzulassen. Im wahrsten Sinn des Wortes: auf eine offene Geschichte mit vielen Unbekannten und noch mehr Überraschungen. Wo das hinführen soll? Jetzt sind die Jünger an einem Ort versammelt. Alle!
Ich lade Sie heute ein, mit mir ein Wort zu suchen, das dem Geheimnis des Geistes Gottes nahezukommen versucht. Ein Wort? Es können auch mehrere sein, wenn sie einfach zusammengehören. Ein kleines Versteckspiel?
Alle
Lesen wir noch einmal in der Apostelgeschichte des Lukas. Gleich im ersten Satz heißt es: „Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort.“ Das macht schon neugierig! Alle an einem Ort? Wie das? Die Geschichte nimmt dann eine unerwartete Wendung: „und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Schon wieder: „alle“! Nichts Handverlesenes! Keine Bedingungen! Keine Einschränkungen! Einfach: „alle“. Fast schon spiegelbildlich wird von einem großen Staunen berichtet.
„Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamíter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadókien… und so weiter“. Ist „jeder“ hier nicht: „wir alle“? Eine wundersame Wendung. Die ganze Welt scheint hier zu sein – und alle werden in eine Geschichte hineingenommen, die sie sich nicht hätten träumen lassen. Alle verstehen! „Wie bitte“ sagt hier keiner. Wir – alle – hören in unseren Sprachen Gottes große Taten. Alles klingt so selbstverständlich. Alles!
Alles wissen
Im Evangelium finden wir tatsächlich das Wort „alle“ auch wieder. Eine Überraschung? Oder weil es pfingstlich ist? Womöglich eine „Geistesart“? Die Art des Geistes? Jesus sagt: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“
„Alles lehren“ – „alles erinnern“! Was Jesus gesagt hat. Alles! Hier laufen alle Fäden zusammen, alle unsere Gedanken finden ihre Mitte, alles bekommt seine Kraft. Eine neue Perspektive tut sich hier auf. Wir werden – haben Sie das gemerkt – zu „Alleswissern“! Eine gewagte Sache: Jesus hat vor so langer Zeit gepredigt, vor so langer Zeit Zeichen gesetzt. Die Distanz ist kaum zu überbrücken. Sie reicht über Jahrhunderte. Doch uns wird alles gelehrt, alles erinnert? Ein bisschen ratlos bin ich schon. Ich sehe viele Puzzleteile, höre auseinandergehende Meinungen, werde von Ansprüchen, auch von Wahrheitsansprüchen, ständig herausgefordert. Was soll ich glauben? Alles? Von wem? Wenn ich etwas nicht bin, dann „Alleswisser“!
Doch Jesus verspricht uns einen Advokaten, einen, der dem Wortsinn nach für uns spricht, für uns eintritt, uns verteidigt. Luther übersetzt: „Tröster“. Ein schönes Wort! Ich bin nicht allein, wenn ich angeklagt werde, auch nicht, wenn ich mich anklage und vor dem Tribunal meines Lebens nicht bestehen kann. Wenn ich nichts mehr verstehe. Wenn mir nichts mehr bleibt. Ein größeres Geschenk als einen Fürsprecher kann es nicht geben. Aber er ist dann doch mehr als ein „Tröster“. Er sagt, was ich nicht sagen kann. Er weiß, was ich nicht verstehe. Er hört, was im Himmel beschlossen wird. Der Heilige Geist – von ihm ist die Rede – ist ein Meister, allen Dingen ihren Grund zu geben, Größenwahn klein zu machen und Verstummten den Mund zu öffnen.
Der Heilige Geist ist der Fürsprecher, der, der für uns eintritt. Er vertritt uns sozusagen anwaltlich bei Gott. Der höchsten Instanz. Das griechische Wort ist eine Fundgrube: Tröster, Beistand, Anwalt, Fürsprecher. Das Besondere daran ist: Ich kann mir in meinem Leben, ich kann auch im Gespräch mit anderen Menschen, wählen – oder geschenkt sein lassen –, was der Geist Gottes gerade tut: trösten, einfach da sein, vertreten, für mich, für uns zu sprechen
Was Jesus uns verheißt, ist eigentlich eine Zumutung. Wir sollen alles wissen! Was alles? Was er gesagt, was er getan hat! Das Wissen ist nicht das, was im Internet aufbewahrt, vermehrt und verschlüsselt wird. In diesem „alles“ versteckt sich die Fülle des Lebens, das größer ist, weiter geht, tiefer reicht als alle Daten, Fakten, Gerüchte, Bücher, Filme und Rätsel. Kann es so etwas geben? Wissen ist doch darauf aus, sich ständig zu vermehren – und das immer schneller. Neue Computer werden entwickelt, optimiert, immer leistungsfähiger. Mit schier unendlichen Speicherkapazitäten und Geschwindigkeiten, die den Atem rauben. Ob Jesus das im Blick hat? Ist das „alles“? Doch in dem „alles“ offenbart sich die – Liebe.
Die Liebe Gottes. Sie schenkt dem Wissen eine Bescheidenheit, eine Weisheit, eine Klarheit, die allen Dingen, auch den einfachen und verletzlichen, einen Glanz schenkt, der nur aus dem Himmel kommen kann. Nicht die Menge macht es, nicht, was gezählt und gesammelt werden kann –alles wird an der Liebe gemessen. Alles zu wissen heißt: zu sehen, zu verstehen, wie die Liebe alles wägt, was wir zu wissen glauben. Alles zu wissen heißt: aus dem Bann der Dinge herauszutreten, die nur sich selbst sehen können, sich vermehren, sich im Unendlichen verlieren. Alles zu wissen heißt: im Streit, im Widerstreit der Wissenden Frieden zu finden und zu gewähren. Jesus sagt: Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Wir werden, wie es im Evangelium heißt, an alles erinnert, wofür Jesus lebte und starb. Eine neue Welt wurde sichtbar, nein, die Welt, wie sie von Anfang an gedacht und geliebt war. Der „Tröster“, der „Anwalt“, der „Fürsprecher“ hat die Akte noch nicht geschlossen, die wir mit tausenden von Seiten ständig neu füllen. Er hat es auch noch nicht aufgegeben, Menschen im Streit zu vertreten und Gottes Recht einzufordern.
Wo Menschen Grenzen brauchen, kommt der Geist Gottes zu allen Menschen! Pfingsten ist zwar auch der Geburtstag der Kirche – wie oft und gerne gesagt wird -, aber er ist vor allem der Geburtstag aller Menschen. Auch der fremden, auch der missliebigen, auch der verstoßenen. Haben Sie die vielen Völkernamen noch im Ohr? Alle Menschen – die ganze Welt wird mit Gottes Geist beschenkt. Wir hören die Vielfalt – wir sehen die Einheit – wir verstehen alle.
Alles in allen
Sollen wir noch ein wenig weiter suchen? In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus: Es gibt zwar viele Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott! Und: Er bewirkt alles in allen. Ist das ein Zufall? Alles in allen! Gemeint sind die vielen Gnadengaben, die Charismen – oder einfacher gesagt: Jedem Menschen ist etwas Besonderes, Schönes, Einmaliges geschenkt. Wenn die Menschen, alle, wir alle, das teilen, sind alle reich. Paulus hat sogar den Mut, Bruder Leib als Zeugen anzurufen: alle Glieder, vom Kopf bis zu den Füßen, tragen, halten und bewegen uns. Ich kann sagen: Mir tun heute die Füße weh. Oder: mein Bauch knurrt. Oder: Meine Kehle ist ganz trocken. Aber ich bin ein einzigartiger Mensch, Ebenbild Gottes. Paulus zieht Konsequenzen daraus: „So ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“ Da ist es wieder, schon wieder: alle in Christus aufgenommen – alle mit dem einen Geist getränkt. Die Taufe wird zum Schlüssel für eine riesige Erfahrung: alle sind geliebt, begabt, beauftragt. Alle!
Ein Leib! Christus! Ich kann von meinen müden Füßen reden. Sie gehören zu mir. Mein Körper. Aber jetzt gerät der andere Mensch in den Blick. Er kann auf verlorenem Posten stehen, sich hinter einer Maske verschanzen, sich vor jedem Tag fürchten. Er kann in sein Unglück rennen, mit dem Kopf durch die Wand wollen, alles verspielen. Und: er gehört zu mir. So, wie ich zu ihm. In Christus. Wir sind sein Leib. Alle! Wir können auch nur zusammen funktionieren, zusammen gehen, zusammen leben. Paulus spricht davon, dass wir alle mit dem einen Geist beschenkt wurden. Wieder: keine Bedingungen, keine Einschränkungen, keine Bedenken.
Der „Tröster“, der „Anwalt“, der „Fürsprecher“ ist unabhängig. Unabhängig von meiner Meinung, meiner Wahrheit, meinen Träumen. Er vertritt – und spätestens jetzt fallen die Vergleiche mit unseren Anwälten einfach weg – uns gemeinsam. Die Fremden bekommen eine Stimme, die Verlorenen werden gefunden, die Ewiggestrigen entdecken eine neue Welt. Paulus schreibt: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“ Das Zauberwort von Pfingsten ist: „alle“. „Alles“. So einen Geist zu haben, löst viele Versteckspiele auf! Das ist doch ein traumhaftes Bild! Alle sind an einem Ort versammelt. Erwartungsvoll. Und einträchtig. Worüber sie reden? Streiten? Wie lange sie hier schon sitzen? Worauf sie warten? Ich setze mich zu ihnen: Komm, Heiliger Geist!