Himmelfahrt – was fangen wir mit diesem Tag an?
Himmelfahrt ist ein Fest, das deshalb vom Himmel redet, weil es um die Erde geht
Predigttext: Epheser 1,20-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Rev. 1984)
20 Durch die Kraft seiner Stärke hat Gott Christus von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel 21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. 22 Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, 23 welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.
Exegetische und homiletische Vorüberlegungen
Der Epheserbrief ist wahrscheinlich nicht von Paulus, sondern von einem Schüler in dessen Geist geschrieben. Die liturgische Sprache, die in kosmische Dimensionen hineinreichende Gemeinde Christi sprechen dafür. Der Verfasser geht nicht auf die Verhältnisse in der Gemeinde ein, er scheint keine persönliche Beziehung zu der Gemeinde zu haben. Ihm geht es darum, dass die Gemeinde die Herrlichkeit Christi erkennt und welche Bedeutung diese für eine christliche Gemeinde hat. Als Christinnen und Christen sind sie nicht mehr wie die Heiden, sie sind Kinder des Lichts und als solche neue Menschen, von Gott geschaffen in Gerechtigkeit und Heiligkeit. Der Epheserbrief kennt nicht die Historisierung des Himmelfahrtfestes. Für ihn ist die Himmelfahrt die andere Seite der Medaille der Auferweckung von den Toten.
Nach dem Epheserbrief ist Himmelfahrt kein Abschiedsfest, sondern ein Fest des Erhöhten und seiner Gegenwart. Nach der Apostelgeschichte zeigt sich der Auferstandene noch 40 Tage den Jüngerinnen und Jüngern, bevor er endgültig in den Himmel entrückt wird. Hier wird Himmelfahrt zu einem Abschied auf Erden, zum Gedenken an die Erhöhung und Gegenwart des Auferweckten. Die Dialektik zwischen Nähe und Ferne des auferstandenen Christus, zwischen Erfahrbarkeit auf Erden und Sitzen zur Rechten der Kraft im Himmel lässt sich nicht auflösen. Der Verfasser des Epheserbriefes legt das Schwergewicht auf die Herrschaft Christi, die mit Himmelfahrt schon jetzt ist, während Paulus mehr das „noch nicht“ betont. Christus erfüllt alles in allem. Christinnen und Christen leben in der Hoffnung auf das Reich Gottes hin und richten von daher ihr Leben aus. Am Himmelfahrtstag werden bevorzugt Gemeinschaftsgottesdienste an schönen Plätzen im Grünen unter freiem Himmel gefeiert. Es entspricht dem Charakter des Festes, unter freiem Himmel, mitten in der wunderbaren Schöpfung, Gottes Herrschaft zu preisen.
Himmelfahrt, was fangen wir mit diesem Tag an? Wie sollen wir uns die Himmelfahrt Jesu vorstellen? Kein Mensch kann in den Himmel auffahren. In den Himmel fliegen allenfalls Flugzeuge und Raketen. Christus aufgefahren gen Himmel. Auf vielen bildlichen Darstellungen von Himmelfahrt schwebt der auferstandene Christus über dem Erdboden himmelwärts. Der auferstandene Christus hängt buchstäblich in der Luft. Die Jünger, die dabeistehen, blicken ihm verwundert nach. Wir moderne aufgeklärte Menschen haben höchstens ein mitleidig überlegenes Lächeln für solche Szenen übrig. Die Himmelfahrt ist vielfach zu einer großen Verlegenheit geworden, da ist der Vatertag konkreter. Und was sagt der Epheserbrief, der heutige Predigttext, zu alledem? Nichts über die Himmelfahrt, wohl aber zu dem, der im Himmel zur Rechten Gottes sitzt (V 21) und zwischen Himmel und Erde alles in allem erfüllt (V 30). Von einer großen Kraft Gottes (dynamis) ist die Rede, die in Christus wirksam ist. Anhand von zwei Bildern wird die große Kraft Gottes verdeutlicht: der himmlische Thron mit Christus zur Rechten Gottes und das Bild von Christus als Haupt der Gemeinde, die sein Leib ist.
Der Epheserbrief verbindet die Auferweckung von den Toten eng mit der Himmelsherrschaft. Das eine ist ohne das andere nicht zu denken. Von den vierzig Tagen, die nach der Apostelgeschichte zwischen Ostern und Himmelfahrt liegen, ist in diesem Brief keine Rede. Christus tritt mit seiner Himmelfahrt die Herrschaft an über alle Reiche, Gewalten, Mächte und alle Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, in dieser und in der zukünftigen Welt. Dem Epheserbrief liegt ein Weltbild zugrunde, das die Erde kennt und verschiedene Himmelsbereiche. Es gibt nicht nur einen Himmel. Er tritt die Herrschaft über die Himmel aller Himmel an. Es gibt Himmel in verschiedenen Höhen und Stufen. Nach alter Vorstellung sind die Himmel nicht leer und wesenlos. Die himmlischen Bereiche sind bevölkert mit Engeln und gefährlichen Zwischenwesen. Nach dem Verständnis des Epheserbriefes wirken in den Himmeln sowohl Gott als auch böse Mächte und Gewalten. Aber Gott sitzt höher als die bösen Mächte und Gewalten; er regiert über alle in allen Himmelsbereichen. Wenn der Epheserbrief davon spricht, dass Christus über alle Reiche (arche), Gewalten (exousia), Mächte (dynamis) und alle Herrschaft (kyristos) regiert, dann sind damit alle mächtigen Wesen in allen himmlischen Bereichen gemeint.
Christi Kraft, Macht, Herrschaft, und Gewalt beziehen den Himmel mit ein. In den Begriffen „Reich“ und „Gewalten“ sind auch irdische Mächte und Obrigkeiten angesprochen. Christi Herrschaft erstreckt sich auf alle himmlischen und irdischen Bereiche. Überall …wie im Himmel so auf Erden… ist er mächtig. Das gilt für diese Welt und auch für die zukünftige. Am Himmelfahrtstag feiern wir die Macht Christi, die er von Gott verliehen bekommen hat, über den ganzen Erdkreis und über aller Himmel Himmel, über die jetzige Welt und über die zukünftige. Eine größere Macht kann man sich nicht vorstellen. Verstärkt wird das Bild von der Macht Christi durch die Worte: „Alles hat er (Gott) unter seine Füße getan.“ Hier klingt der 8. Psalm des Ersten Testaments an. „Was ist der Mensch, das du seiner gedenkst und des Menschen Kind, das du dich seiner annimmst. Du hast ihn … mit Ehre und Glanz gekrönt….., und alles unter seine Füße getan (Ps 8,5,6b,7b).“ Die Herrschaft Christi ist umfassend. Größer lässt sich seine Macht kaum beschreiben. Christus sitzt zur Rechten der Kraft auf dem Thron im Himmel, seine Füße ruhen auf dem Schemel seiner Erde. Daneben befinden sich die entmachteten Reiche und Gewalten, die allerdings noch nicht verschwunden sind, weder die himmlischen noch die irdischen, aber sie sind untergeordnet.
Gott hat Christus der Gemeinde, die sein Leib ist, zum Haupt über alles gesetzt. Das Bild von Christus als Haupt der Gemeinde ist uns bekannt aus der Theologie des Paulus. Christus ist das Haupt und wir die Glieder. Nach dem Epheserbrief ist der himmlisch thronende Christus gleichzeitig der auferweckte Herrscher, der mitten in der Welt gegenwärtig ist und alles in allem erfüllt. Christus selbst ist die Fülle und wir als Gemeinde haben Anteil an dieser Fülle. Der himmlisch thronende Christus, Herrscher über alle Himmel und über die ganze Erde, ist mitten in der Welt. Er ist das Haupt der Gemeinde und durchzieht alle Sphären. Die Gemeinde kommt mit in den Blick. Plötzlich werden wir mit in das Bild von dem thronenden Christus im Himmel, der das Haupt der Gemeinde ist, dessen Glieder wir sind, einbezogen. Der, der ganz oben thront, ist zugleich ganz unten bei uns. Dass er aufgefahren ist, heißt nichts anderes, als er hinabgestiegen ist in die Tiefen der Erde (vgl. Eph 4,9). Der Raum Gottes bleibt unermesslich. Der Ort, an dem Christus gegenwärtig ist und herrscht, lässt sich nicht fixieren. Es gibt kein Entweder….. Oder. Er ist im Himmel und auf Erden.
Nach dem Epheserbrief ist Himmelfahrt kein Abschiedsfest, an dem die Jünger verlassen und allein zurückbleiben. Himmelfahrt ist ein Fest, das deshalb vom Himmel redet, weil es um die Erde geht. Himmelfahrt bringt die Strukturen, in denen wir üblicherweise denken, heilsam durcheinander. Himmelfahrt ist das Fest Christi, der die allumfassende Herrschaft angetreten hat. Er ist der Gegenwärtige, der ist, war und kommt. Himmelfahrt bleibt ein Fest, das sich nur in Widersprüchen denken lässt. Christus wird der Sichtbarkeit endgültig entzogen. Als Auferstandener war er ja noch den Jüngern erschienen, wenn auch in anderer Gestalt. Als Auferstandener ist er in der Gemeinde gegenwärtig. Gleichzeitig führt Himmelfahrt hinein in das Warten auf seine künftige Erscheinung. In der Gemeinde bleibt die Hoffnung auf ihn, der ihnen Kraft in der Gegenwart schenkt und einst in Ewigkeit mit ihnen im Reich Gottes das himmlische Hochzeitsfest feiert.
Die Himmelfahrtsbilder, nach denen Christus zwischen Himmel und Erde in der Luft hängt und die wir ein wenig belächeln, sind tiefgründiger als sie auf den ersten Blick scheinen. Himmelfahrt tritt Jesus die Herrschaft an. Wieder einer, der herrschen will? Nein danke, von Herrschern haben wir genug. Wieder einer, der klein hält? Wieder einer, der unterdrückt? Wieder einer, der etwas zu sagen haben will? Die Begriffe „Herrschaft“, „Reiche“, „Mächte“ und „Gewalten“ sind bei uns so negativ besetzt, dass wir sie kaum im einem guten Sinne denken können. Das liegt daran, dass weltliche Herrscher oder Menschen, die Macht haben, ihre Macht oft genug als ein Instrument einsetzen, das andere klein hält und sie nicht zum Zuge kommen lässt. Dabei müssen wir gar nicht an die sogenannten großen Machthaber denken, das geht im Kleinen schon los. Weltliche Macht nutzt ihre Macht oft genug nicht zum Wohl der Gemeinschaft, sie nutzt jene oft genug aus. Bei der Vorstellung von Macht steht uns der Machtmissbrauch eher vor Augen als die Kraft, die Gutes bewirken kann. Gottes Herrschaft ist eine mächtige, gewaltige Kraft, die bewirkt, dass das Leben sich durchsetzen wird. Alle zerstörerischen Mächte und Gewalten müssen sich dem fügen und werden daran zerbrechen.
Gottes Reich, Gewalt, Macht und Herrschaft ist ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Himmelfahrt ist die Einübung in eine andere Perspektive, die die irdischen Mächte und Gewalten nicht ausblendet, sie durchaus ernst nimmt, weil es so viel Unheil ganz real in der Welt gibt. Auf manchen bildlichen Darstellungen der Himmelfahrt hängt Christus in der Luft, zwischen Himmel und Erde mit durchbohrten Füßen. Der Himmelfahrer trägt Kreuzeswunden. Schreckliche Wunden werden Menschen zugefügt. In Syrien wird geschossen, die unsichere explosive Situation in der Ukraine verursachen Angst und große Sorgen, Afrikanern wird der Zugang zu Europa verwehrt. Himmelfahrt bringt uns den Himmel auf die Erde. Die Gemeinde als Leib Christi, dessen Haupt Christus ist, der im Himmel und auf Erden herrscht, sorgt sich mit Christus um die, die auf der Erde im Dunkeln sind. Im Epheserbrief geht es nicht um fromme Glaubenssätze, die sich der Wirklichkeit der Welt entziehen und Gewalt und üble Machenschaften in der Welt ignorieren, es geht um eine andere Perspektive: um Hoffnung, Kraft und Zuversicht.
Christus regiert. Die Welt führt uns etwas anderes vor, als dass das Reich Gottes unter uns wirksam sei. Sie macht uns glauben, dass nicht Gott und Christus, sondern andere Herrscher das Sagen haben. „Wir leben im Vorletzten und nicht im Letzten“, sagt Diedrich Bonhoefer. Das sagt er im Angesicht von Terror und Gewalt, die im Dritten Reich ausgeübt wurden. Die Mächte und Gewalten, die in der Welt herrschen, dürfen nicht bagatellisiert und verharmlost werden, aber sie sind nicht alles, was bleibt. Himmelfahrt hat Auswirkung auf die Erde. Christus, der auf Himmelfahrtsbildern zwischen Himmel und Erde hängt, hat oben und unten, Himmel und Erde verbunden. Unser Eintreten für eine gerechte Welt wird gesegnet sein. Amen.