Wenn wir heute morgen einmal träumen dürfen… Wie träumen wir uns die Welt? Alle Menschen leben in Frieden und haben genug zum leben. Wir finden einen Weg die großen Krisen der Welt zu bewältigen? Der Hunger wird besiegt und die Natur wird nicht mehr ausgebeutet? Was erträumen wir uns für uns selbst? Ein langes und gesundes Leben, ein sicheres Einkommen, eine glückliche Familie? Wahrscheinlich haben wir noch andere viel persönlichere Träume und Wünsche, für uns und für die Menschen, mit denen wir leben.
Im 1. Königsbuch wird ein Traum berichtet, den König Salomo am Beginn seiner Königsherrschaft geträumt haben soll. Ein nächtlicher Traum im Schlaf, und doch offenbart er die Wünsche und Hoffnungen, die diesen jungen König auch bei Tag bewegten. Ich lese aus dem 3. Kapitel dieses Buches:
(Lesung des Predigttextes, 1. Könige 3,5-15)
I.
»Was immer du bittest, ich will es dir geben«, das kennen wir auch aus den Märchen. Und tatsächlich klingt es fast wie im Märchen – eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Salomos Vater, König David, hatte keineswegs sein ganzes Leben so gottgefällig gelebt, wie es hier heißt. Er hatte seine Konkurrenten gewaltsam beseitigt. Um seine Affäre mit Batseba zu vertuschen, hatte er ihren Mann Urija in den Tod geschickt. Ebenso hatte sein Sohn Salomo seinen Anspruch auf den Königsthron nur gewaltsam durchsetzen können. Das wird in den Kapiteln vor unserem Abschnitt genau geschildert.
Doch mitten hinein in die Höhen und Tiefen der Machtpolitik im Alten Israel wird diese Geschichte erzählt. Sie antwortet auf die Frage: Was wäre wohl ein idealer König? Die Antwort: Ein Machthaber, der klug und gerecht regiert! Wir können zweifeln, ob Salomo zu seiner Zeit bereits dieser ideale König gesehen wurde. Aber spätere Generationen sahen ihn so. Und sie erzählten die Geschichte von seinem Traum, in dem er um Einsicht bat.
Im Rückblick wurde Salomo als Beispiel für einen Herrscher gesehen, der seine Herrschaft auf Weisheit und Gerechtigkeit gebaut hatte. Aber der Grundsatz stimmt bis heute: Nur eine gerechte und kluge Politik ist erfolgreich. Nur sie kann Wohlstand und Frieden für die Menschen im Land schaffen.
Dann, so heißt es, erwacht Salomo und merkt, dass er nur geträumt hat. Wäre Salomo nur ein Träumer gewesen, er wäre bald vom Thron verdrängt worden und niemand hätte später Geschichten über ihn erzählt. Aber er verschaffte sich Respekt bei den Mächtigen und im Volk und verstand es dann offenbar tatsächlich, klug zu regieren. Er hatte nicht nur einen Machtwillen, sondern auch ein Gespür für kluge Entscheidungen. Diese Fähigkeit hat ihm Gott geschenkt. Seine Begabung – sie ist eine von Gott verliehene Gabe. Ein zutiefst biblischer Gedanke: Die wahre Einsicht stammt nicht aus uns selbst, sondern wird uns geschenkt. Ein Beispiel dafür, wie Salomo als guter und gerechter König handelt, wird im 1. Königsbuch gleich angehängt. Ich lese weiter aus dem 3. Kapitel (1. Kön 3,16-28, Basisbibel):
II.
“Einmal hielt der König Gericht ab. Da traten zwei Huren vor ihn. Die eine Frau fing an: »Bitte, mein Herr! Ich und diese Frau hier wohnen im selben Haus, und in diesem Haus habe ich ein Kind geboren. Diese Frau war bei der Geburt dabei. Drei Tage nach meiner Entbindung hat auch sie ein Kind geboren. Wir waren beide allein. Keiner sonst war mit uns in dem Haus. Nur wir beide waren dort. Doch in der Nacht starb der Sohn dieser Frau, weil sie sich auf ihn gelegt hatte. Da stand sie mitten in der Nacht auf. Sie nahm mir meinen Sohn weg, während ich, deine Magd, noch schlief. Ihren toten Sohn aber legte sie mir in den Arm. Am Morgen stand ich auf, um meinen Sohn zu stillen, da war er tot! Als ich ihn mir bei Tagesanbruch genauer ansah, merkte ich: Das war gar nicht mein Sohn, den ich geboren hatte!« Daraufhin rief die andere Frau: »Nein! Mein Sohn lebt und dein Sohn ist tot!« Doch die erste Frau erwiderte: »Nein! Dein Sohn ist tot und mein Sohn lebt!« So stritten sie sich vor dem König.
Schließlich sprach der König: »Die eine behauptet: Mein Sohn lebt und dein Sohn ist tot! Und die andere behauptet: Nein! Dein Sohn ist tot und mein Sohn lebt!« Also ordnete er an: »Holt mir ein Schwert!« Als man ihm das Schwert brachte, befahl der König: »Zerschneidet das lebende Kind in zwei Teile! Gebt die eine Hälfte der einen Frauund die andere Hälfte der anderen Frau!« Da gab die Mutter des lebenden Kindes nach. Denn sie liebte ihr Kind über alles und rief: »Bitte, mein Herr! Gebt ihr das lebende Kind! Tötet es auf gar keinen Fall!« Die andere aber sagte: »Weder mir noch dir soll es gehören. Zerschneidet es!« Daraufhin entschied der König: »Gebt das lebende Kind der ersten Frau und tötet es ja nicht! Sie ist seine Mutter.«
Ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte. Sie hatten große Achtung vor dem König. Denn sie merkten, dass Gott ihm Weisheit geschenkt hatte”.
Zunächst sieht es so aus, als sei es für den König unmöglich, hier Recht zu sprechen. Bei den Frauen steht Aussage gegen Aussage, Zeugen gibt es nicht. Eine unlösbare Situation. Im Traum hatte Salomo gebeten: »Gib mir ein hörendes Herz«. Wir verbinden mit dem Herz Liebe und unsere Gefühle. Und Salomo löst diesen Fall genau dadurch, dass er die Liebe der Frauen auf die Probe stellt. Das Herz entscheidet! Und das liebende Herz der echten Mutter entscheidet sich dafür, dass das Kind leben soll.
Es ist spannend erzählt, wie Salomo das Schwert herbeiholen lässt, das den Tod bringen könnte. Aber sein wirkliches Ziel ist es, das Leben zu erhalten. In dieser Geschichte ist übrigens nicht nur Salomo weise. Auch die Mutter zeigt ihre Weisheit, indem sie das Leben des Kindes rettet. Und ihre Gegenspielerin zeigt ihre Torheit. Sie hätte das Kindes töten lassen, nur um selbst gut darzustehen.
III.
In der hebräischen Bibel ist das Herz übrigens nicht nur Sitz der Gefühle und der Liebe, sondern vor allem der Sitz des Verstandes. Nachdenken und verstehen, sich mit anderen austauschen und die richtigen Entscheidungen treffen, das alles vollzieht sich im Herzen.
Die beiden Geschichten über Salomo erzählen typisch Menschliches. In Variationen sind ihre Motive in Märchen und in der Literatur durch die Zeiten immer wieder aufgegriffen worden. Ihre Lehren gelten bis heute. Ich will versuchen, sie noch einmal zusammen zu fassen:
– Unsere Wünsche und Träume können viel bewirken. Sie können weit reichen, wenn sie nicht zu kurzsichtig und egoistisch sind.
– Unsere Begabungen sind uns von Gott geschenkt. Wir sollen sie entdecken und entfalten. Auch wenn wir keine Könige oder Königinnen sind wie Salomo, sollen wir sie nutzen, um unser eigenes Leben zu gestalten.
– Manchmal ist es schwer zu erkennen, was gerecht ist. Es gibt so viele Konflikte in unserem Leben, für die wir keine gerechte Lösung sehen. Wie Salomo brauchen wir dafür ein hörendes Herz, damit wir vernehmen, wie wir dem Leben dienen können. Möge uns Gott ein solches hörendes Herz schenken.