Hoffnungszeichen
Wer die Freiheit will, braucht einen langen Atem
Predigttext | 4. Mose / Numeri 21,4-9 |
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Kirche / Ort: | Christuskirche / Heidelberg |
Datum: | 25.02.2024 |
Kirchenjahr: | Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrer Dr. Hans-Christoph Meier |
Predigtttext: 4. Mose / Numeri 21,4-9 (Übersetzung nach Basisbibel)
Die Israeliten zogen vom Berg Hor weiter in Richtung Schilfmeer. Dabei nahmen sie einen Umweg um das Land Edom herum. Das Volk aber wurde auf dem langen Weg ungeduldig. Die Israeliten beklagten sich bei Gott und bei Mose: »Wozu hast du uns aus Ägypten herausgeführt? Sollen wir in der Wüste sterben? Nicht einmal Brot und Wasser gibt es hier. Wir ekeln uns vor dem schlechten Essen!« Darauf schickte der Herr Giftschlangen zum Volk. Viele Israeliten wurden gebissen und starben. Das Volk kam zu Mose und bat: »Wir haben Unrecht getan, als wir so mit dem Herrn und mit dir geredet haben. Bete zum Herrn, dass er die Schlangen von uns fortschafft!« Daraufhin betete Mose für das Volk. Der Herr antwortete Mose: »Fertige eine Schlange aus Bronze an und stecke sie auf ein Feldzeichen. Jeder, der gebissen wurde, soll sie ansehen. Dann wird er am Leben bleiben.« Da machte Mose eine Schlange aus Bronze und steckte sie auf ein Feldzeichen. Und tatsächlich:Wer gebissen worden war und die Bronzeschlange ansah, blieb am Leben. Lieder: EG 96 Du schöner Lebensbaum des Paradieses EG 296 Ich heb mein Augen sehnlich auf
Wer die Freiheit will, braucht einen langen Atem. Davon erzählen die biblischen Geschichten vom Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten.
I
Das Leben als Sklaven war unerträglich gewesen. Daher waren die Israeliten, Alte und Junge, voller Hoffnung und Euphorie aufgebrochen, um in Freiheit zu leben. Sie waren Mose gefolgt in der Hoffnung, dass alles gut wird.
Doch es kam anders als erwartet. Ein Land, wo Milch und Honig fließen, hatte Gott ihnen versprochen. So hatte es jedenfalls Mose gesagt. Aber wie sie dorthin gelangen sollten, wussten sie nicht. Auch Mose konnte nicht dorthin gelangen. So blieben sie in der Wüste, zogen am Rand des Kulturlandes hin und her, und waren vielen Gefahren ausgesetzt: Es gab dort nichts zu essen, sie waren abhängig vom Manna, das war so etwas wie eine himmlische Hilfslieferung. Wasser war knapp und oft ungenießbar. Wenn sie auf bewohntes Gebiet stießen, wurden sie feindselig empfangen, bekämpft und wieder in die Wüste zurück gedrängt.
Was nützte ihnen die Freiheit, wenn das Leben so schwer war? Die biblischen Erzähler berichten viele Male davon, dass das Volk murrte. Die Menschen waren mit Mose und Gott unzufrieden, und lehnte sich gegen sie auf. Immer wieder kippte die Stimmung und sie wünschten sich die Zeit in Ägypten zurück. Sie sehnten sich zurück nach den sprichwörtlichen Fleischtöpfen in Ägypten. Eine dieser Geschichten ist heute, am zweiten Sonntag der Passionszeit, der Predigttext für uns. Ich lese aus dem 4. Buch Mose im 21. Kapitel:
Die Israeliten zogen vom Berg Hor weiter in Richtung Schilfmeer. Dabei nahmen sie einen Umweg um das Land Edom herum. Das Volk aber wurde auf dem langen Weg ungeduldig. Die Israeliten beklagten sich bei Gott und bei Mose: »Wozu hast du uns aus Ägypten herausgeführt? Sollen wir in der Wüste sterben? Nicht einmal Brot und Wasser gibt es hier. Wir ekeln uns vor dem schlechten Essen!« Darauf schickte der Herr Giftschlangen zum Volk. Viele Israeliten wurden gebissen und starben. Das Volk kam zu Mose und bat: »Wir haben Unrecht getan, als wir so mit dem Herrn und mit dir geredet haben. Bete zum Herrn, dass er die Schlangen von uns fortschafft!« Daraufhin betete Mose für das Volk. Der Herr antwortete Mose: »Fertige eine Schlange aus Bronze an und stecke sie auf ein Feldzeichen. Jeder, der gebissen wurde, soll sie ansehen. Dann wird er am Leben bleiben.« Da machte Mose eine Schlange aus Bronze und steckte sie auf ein Feldzeichen. Und tatsächlich:Wer gebissen worden war und die Bronzeschlange ansah, blieb am Leben. (4. Mose 21,4-9, Basisbibel)
II
Die Schlange hat in der Bibel eigentlich keinen guten Ruf. Sie ist wird in der Paradiesgeschichte als Verführer dargestellt. Nach der Vertreibung aus dem Paradies besteht Feindschaft zwischen ihren Nachkommeen und den Nachkommen Evas, die sie in die Ferse beißen wird (1. Mos 3,15). So ist es bis heute in vielen Weltgegenden, wo gefährliche Schlangen leben. Die Menschen begegnen ihnen mit Angst, oder mindestens Respekt, weil sie unerwartet auftauchen und die Bisse mancher Schlange tödlich sein können. Einerseits...
Andererseits haben Schlangen die Menschen schon immer fasziniert. In der Paradiesgeschichte heißt es ja zunächst anerkennend: Die Schlange war klüger als die anderen Tiere des Feldes. Ihre Kraft, ihr lautloses und elegantes Dahingleiten, ihre schöne Haut, die sie durch regelmäßige Häutung erneuert, und nicht zuletzt das starke Gift der Giftschlangen haben Menschen immer wieder fasziniert. So wurde sie im vorderen Orient auch für ihre Heilkraft geehrt. Das bekanntestes Beispiel aus späterer Zeit ist Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst. Sein Zeichen war die Schlange, die sich um einen Stab windet.
Im zweiten Buch der Könige erfahren wir, dass bis in die Zeit des Königs Hiskia eine bronzene Schlange im Jeruslemer Tempel aufgestellt gewesen war. Menschen brachten diesem Kultbild ihre Rauchopfer (2. Kön 18,4), sicher in der Hoffnung, dass sie von Krankheiten geheilt werden. Unsere Geschichte von den Schlangen in der Wüste erklärt, warum im Tempel Jahwes, des Gottes Israel, ein solches Bild verehrt werden konnte. Wichtig ist, dass die eherne Schlange als ein Zeichen verstanden wurde, das Gott selbst eingesetzt hat. Die Schlange ist also keine eigene Gottheit und hat ihre Kraft nicht aus sich heraus: Sie vermittelt die Heilung, die von Gott kommt. Welch ein Kontrast zur Paradiesgeschichte, und zugleich ein Lehrstück, wie tiefgründig und vielschichtig biblische Symbole sein können. Der Evangelist Johannes hat im neuen Testament daran angeknüpft, darauf kommen wir später zurück.
III
Begeben wir uns in Gedanken wieder zu den Menschen in der Wüste. Sie sind nicht nur frustiert, sondern auch tief erschöpft. Wie lange soll diese Zeit in der Wüste noch gehen? Was sollen sie noch alles ertragen? Ihre Klagen sind nur zu verständlich. Kann Mose ihre Probleme lösen? Kann Gott ihre Probleme aus der Welt schaffen? Im Gegenteil, es kommt noch schlimmer. Ähnlich wie die Ägypter mit Plagen geschlagen waren, muss das Volk Israel jetzt eine Schlangenplage erleben. Entsetzen und Angst mischen sich mit Trauer über die Menschen, die durch die Schlangenbisse sterben.
Dürfen wir das auf unsere Situation heute übertragen? Heute ist vieles ganz anders als es in der Geschichte von Mose. Aber wie Menschen in schwierigen Situationen reagieren, ist durch die Zeiten sehr ähnlich geblieben. Nehmen wir die Unzufriedenheit: In Deutschland, wie in allen freien demokratischen Ländern ist die Unzufriedenheit in der öffentlichen Diskussion heute besonders groß und sie nimmt immer mehr zu. In einer Demokratie, in einem freien Land gehört das erst einmal dazu. Ich bin froh, in einem Land und in einer Zeit zu leben, wo ich ohne Scheu sagen kann, wenn ich mit etwas unzufrieden bin. Es ist ein Zeichen von Freiheit, dass ich sagen kann, was mir nicht passt. Unsere Demokratie lebt davon, dass unterschiedliche Menschen ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Meinungen sagen. Wenn darüber diskutiert wird, wenn fair darüber verhandelt wird, entstehen hoffentlich gute Lösungen für alle.
Wir erleben aber heute aber wie in den Medien und durch die Medien die Unzufriedenheit geschürt wird. Empörung und das Gefühl, zu kurz zu kommen, werden angeheizt. Entweder weil sich das medial vermarkten lässt, oder weil bestimmte politische Gruppierungen davon profitieren. Das Wohl aller gerät dabei aus dem Blick. Aus der Unzufriedenheit wird eine Stimmung geschürt, die sich gegen »die da oben«, oder gegen bestimmte Menschengruppen richtet, etwa gegen Zuwanderer oder gegen unsere Demokratie überhaupt. Die Demokratie wird ausgehöhlt, weil Unzufriedenheit und Empörung am Leben gehalten werden, ohne wirkliche Lösungen oder Ausgleich zu suchen.
Wie in der Mosegeschichte entlädt sich die Unzufriedenheit gegenüber den Oberen. Damals Mose und letztlich Gott. Heute sind es gewählte Vertreter und Vertreterinnen. Ich halte es für alarmierend, dass in unserem Land Politiker und Politikerinnen bedroht und beschimpft werden, an ihren Wohnorten bedrängt, ihre Veranstaltungen blockiert oder sie im Internet bedroht werden. Das sehe ich die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten. Darin sehe ich im Gegenteil eine große Bedrohung unserer Freiheit. In manchen Kommunen in Deutschland finden sich immer schwerer Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ämter. Zu unserer Freiheit gehört, dass gewählten Frauen und Männer ihre politischen Ämter ausüben. Dabei sind sie an ihr Gewissen und an das Gesetz gebunden und dürfen nicht persönlich angegriffen oder eingeschüchtert werden.
Wie reagieren die Führenden, Mose und mit ihm Gott? Erfüllen sie Forderungen und Wünsche des Volks? Könnte Mose nicht schnell ein Gebiet im Kulturland finden, wo sie Wasser und Nahrung genug haben? Oder könnte Gott nicht zumindest die Schlangen nicht so verschwinden lassen, wie er sie geschickt hatte? Oder wäre es nicht ohnehin besser, wieder nach Ägypten zurück zu ziehen, und zwar unfrei aber in Sicherheit zu leben? Die Geschichte im 4. Buch Mose geht anders aus. Die Probleme bleiben bestehen. Aber wer seinen Blick aufrichtet, wer sich auf das Zeichen ausrichtet, das Gott durch Mose setzt, der oder die kann bestehen.
Im antiken Weltbild des frühen Israel war das medizinisch verstanden worden. Das konkrete Schlangenbild war ein Mittel gegen die Schlangenplage. Diese war dann in den Gottesdienst am Jerusalemer Tempel integriert worden. Später wurde es verworfen. Man empfand es unvereinbar mit dem Gebot, nur Gott allein zu verehren. Aber in einer geistigen Bedeutung konnte dieses Bild weiter wirken und ganz unbefangen später wieder aufgegriffen werden. So spricht Jesus selbst im Johannesevangelium im Gespräch mit Nikodemus: *Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben*. (Joh 3,14)
Es braucht diesen Blickwechsel, diese neue Ausrichtung. Nicht von der Angst gebannt auf die gefährlichen Schlangen starren und sich davon lähmen lassen. Sondern auf darauf schauen, was uns stärkt. In unserer Gesellschaft sind das die gemeinsamen Ziele von Freiheit und Gerechtigkeit, die uns über Interessengegensätze und politische Lager hin verbinden. Im Glauben gesprochen ist das unser Blick auf Jesus von Nazareth, der für die Liebe gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. Auf ihn blicken wir als Christinnen und Christen, an ihm orientieren wir uns.
Warum gerade sein schmerzlicher Tod am Kreuz für uns als Christinnen und Christen zum Hoffnungszeichen werden konnte, darüber werden wir in den noch vor uns liegenden Wochen der Passionszeit weiter nachdenken. Für heute halten wir fest: Auf sein Leben und Sterben zu schauen, stärkt uns, die Nöte und Schwierigkeiten unseres Lebens zu bestehen. Es hilft uns zu einer Freiheit, die wir nur im Glauben erfahren können.