Palmsonntag – Hosianna

Stadtgespräch mit Folgen

Predigttext: Johannes 12, 12-19 (mit szenischer Gestaltung)
Kirche / Ort: Marienkirche / 32139 Spenge - Wallenbrück
Datum: 29.03.2015
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Pfarrerin Brigitte Janssens

Predigttext: Johannes 12, 12-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Szenisch gestaltet nach Jochen Arnold/Fritz Baltruweit

Einleitung mit Gesang: Hosianna (Kanon)

Erähler/in:
Als am nächsten Tag die große Menge,
die aufs Fest gekommen war, hörte,
dass Jesus nach Jerusalem käme,
nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen:

Alle: Hosianna!
Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

Alle singen das Hosianna

Erzähler/in:
Jesus aber fand einen jungen Esel
und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9):

Stimme:
»Fürchte dich nicht, du Tochter Zion!
Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«

Alle singen das Hosianna

Erzähler/in:
Das verstanden seine Jünger zuerst nicht;
doch als Jesus verherrlicht war,
da dachten sie daran,
dass dies von ihm geschrieben stand
und man so mit ihm getan hatte.
Das Volk aber, das bei ihm war,
als er Lazarus aus dem Grabe rief
und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.
Darum ging ihm auch die Menge entgegen,
weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

Alle singen das Hosianna

Erzähler/in: Die Pharisäer aber sprachen untereinander:

Pharisäer (boshaft und aufgebracht):
Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Literatur:
Jochen Arnold/Fritz Baltruweit, Lesungen und Psalmen lebendig gestalten, gemeinsam gottesdienst gestalten 2, S. 92f, hrsg. v. Jochen Arnold, Michaeliskloster Hildesheim, Evangelisches Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik 2004

Eugen Drewermann, Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil: Joh 11-21, S.74ff, Düsseldorf 2003

Exegetische und homiletische Überlegungen

Anders als in den synoptischen Evangelien begegnet uns die Erzählung von Jesu Einzug in Jerusalem bei Johannes in einer nahezu dramatischen Inszenierung. Erwartet wird Jesus von allen, von Freunden und von Feinden, von Bewunderern und von Skeptikern. Hohe Erwartungen sind mit seiner Ankunft verknüpft. Und diese werden laut in der Stimme des Volkes, in der Stimme der Propheten, in der Stimme der Gegner und in der Stimme des Herzens derer, die ihm eng verbunden sind. Sie, die Jünger, und wir, als christliche Gemeinde, nehmen zwar lebendigen und wachen Anteil an der Dramaturgie des Geschehens, am Austausch der Meinungen, am Nebeneinander und Gegeneinander der großen Hoffnungen und massiven Befürchtungen, die sich mit Jesus als neuem König von Israel verbinden. Doch mag es ihnen und uns erst nach seiner Verherrlichung gelingen zu begreifen, was geschehen ist und wie Jesus zu verstehen ist. Erst im Nachhinein gelingt es ihnen und uns, die Missverständnisse, die in der Ambivalenz der Begriffe und Erwartungen liegen, zu klären und zu dem tiefen Verständnis zu gelangen, wer Jesus Christus bis heute für alle Menschen ist: ein Gerechter und ein Helfer, der die gewohnten und tradierten, die politischen und theologischen Begriffe und Bilder von Macht und Königtum sprengt, indem er sich in den Dienst Gottes und der Menschen stellt. So verstanden wandelt sich die aufgebrachte Feststellung der Pharisäer „Alle Welt läuft ihm nach“ am Ende der Perikope zum Anfang des Weges, auf den die Jünger und die christliche Gemeinde in seine Nachfolge gerufen sind.
Die Dramaturgie des Predigttextes soll bereits in der szenischen Gestaltung der Lesung anklingen und dann als Widerstreit der Meinungen in der Predigt aufgenommen werden. Der gemeinsame Hosianna-Ruf lädt die Gemeinde ein, aktiv am Geschehen des Einzugs teilzunehmen und die eigenen Erwartungen an Jesus zu reflektieren.

Lieder

Während der Lesung:
Hosianna (Kanon) Musik: Fritz Baltruweit, aus Baltruweit, Meine Lieder, S. 55, tvd-Verlag Düsseldorf 1996
Nach der Predigt:
Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun (EG RWL 658)

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Er kommt

Von überall her sind die Menschen nach Jerusalem gekommen, um hier das Passahfest miteinander zu feiern. Ein Höhepunkt in jedem Jahr. Die Häuser der Einheimischen öffnen sich, um den einreisenden Pilgern Räume zu bieten für das Passahmahl, das sie alljährlich an die Befreiung und den Auszug aus der ägyptischen Gefangenschaft erinnert. So alt die Geschichte, jedes Jahr wird sie neu gefeiert, neu erlebt. Doch etwas ist anders in diesem Jahr. Die befreienden Taten Gottes bleiben nicht Vergangenheit. Ganz aktuell und hochbrisant verknüpfen sie sich mit dem, der erwartet wird, mit dem, der kommen soll.

Er ist in aller Munde

Noch ist nichts von ihm zu sehen, und doch ist er schon in aller Munde. Seit Tagen wird erzählt, dass er und seine Jünger schon ganz in der Nähe sind, in Bethanien, nur wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt, zu Gast im Hause des Lazarus und seiner Schwestern, Maria und Martha. Der, der so lebendig von Gott zu erzählen weiß, der, der Wasser zu Wein verwandelt – wie in Kana, der, der dem Gesetz mit Schuld und Vergebung begegnet wie gegenüber der Ehebrecherin, der, der sich den leidenden Menschen zuwendet und ihr Leben wieder heil macht, hatte sich dort nicht allein als Herr über das Leben, sogar auch über den Tod erwiesen. Den toten Lazarus hatte er auferweckt und damit ihm und seinen Schwestern neues Leben geschenkt. Welche Vollmacht! Welche Allmacht! Wo er nur bleibt? Wir sollten ihm entgegen gehen!

Welche Vollmacht! Welche Allmacht! – So müssen auch die Pharisäer und Hohenpriester feststellen, denen die Ereignisse und das Gerede um Jesus Mann nicht verborgen geblieben sind. Sich öffentlich zu äußern, wäre politisch und strategisch unklug, zumal die Anhängerschaft aus Einheimischen und Pilgernden täglich zu wachsen scheint. Aber intern gilt es zu beratschlagen, die Situation zu analysieren und die Konsequenzen zu ziehen und umzusetzen. Sollte dieser Mann tatsächlich zu einer Führungspersönlichkeit des jüdischen Volkes werden, dem die Menschen zujubeln, dessen Autorität sie anerkennen, dann würden sie selbst an Autorität einbüßen, die Kontrolle verlieren. Dann wäre der Konflikt mit der römischen Besatzungsmacht vorprogrammiert.

Und dann … Und dann? Es liegt in unserer Verantwortung zum Wohle aller zu entscheiden und zu handeln, zwischen größerem und kleinerem Übel abzuwägen. So überlegen sie. So kommen sie überein und folgen der Einschätzung des Kaiphas: „Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.“(Joh 11, 50) Damit ist der Entschluss zur Tötung gefasst, und je schneller man ihn findet und ergreifen kann, desto besser ist es. Wo er nur bleibt? Wir sollten ihm entgegen gehen!

Der Entgegenkommende

Nach wie vor sind viele Menschen unterwegs in die Stadt, zum Passahfest. Aber gleichzeitig brechen Menschen auf in die entgegengesetzte Richtung. Sie verlassen die Stadt, dem entgegen, der kommen soll; dem entgegen, der ihnen entgegen kommt. Palmzweige legen sie auf den Weg und rufen voller Begeisterung: „Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“

Der König von Israel? Im Namen des Herrn? Welche Allmacht, welche Vollmacht schwingt mit in diesem Bild! Welche Traditionen werden lebendig! Welche Hoffnungen werden wach! Welche Befürchtungen werden bestätigt! Ohne selbst auch nur ein Wort zu sprechen stellt Jesus denen, die ihm entgegen gehen, sein so ganz anderes Königtum vor Augen. Ein König, der auf einem Esel kommt und gerade nicht auf einem Pferd, dem Symbol königlicher Macht, erinnert die Menschen an die alten Verheißungen der Propheten.

Der König im Namen Gottes – er wird ein Knecht Gottes sein und ein Diener der Menschen werden, so hatte es Jeremia prophezeit. Nicht mir Macht und Gesetz würde der König im Namen Gottes herrschen, sondern als ein Gerechter und ein Helfer mit Frömmigkeit und Milde – werden die Worte des Propheten Sacharja lebendig. Und: „Hosianna“ rufen sie, jeder und jede – alle gemeinsam, wie auch wir es eben mit dem Kanon getan haben: Hosianna- das heißt: errette mich! Denn schließlich: der im Namen Gottes kommt, will alle Menschen erreichen, jeden und jede. Er überwindet die Grenzen zwischen Völkern und Nationen, Rassen und Klassen, Einflussreichen und vermeintlich Bedeutungslosen. Auf einem jungen Esel reitend begegnet er denen, die ihm entgegen kommen und ihn um Hilfe und Rettung bitten auf Augenhöhe. Wer hier nur von weitem zuschaut, wird sich wundern, wie dieser Mann so viel Freude auslösen, so große Hoffnungen wecken kann. Denn äußerlich ist nichts Königliches, nichts Besonderes an ihm zu erkennen. Fast demütig wirkt er. Seine Gesten sind zurückhaltend. Nur sein Blick, sein Blick ruht immer wieder auf Einzelnen, lange, wohlwollend, manchmal auch fragend, aber immer auf Augenhöhe.

Der, der den Menschen entgegen kommt – er kennt sie, er kennt sie alle: die Kinder, die ihm vorauslaufen und die Langsamen, die am Ende folgen, die Menschen, die unter Krankheit, Tod und Trauer leiden wie auch die Fragenden oder Verachteten. Wenn er in ihre Gesichter sieht, dann fallen ihm ihre Geschichten ein. Und einem jeden und einer jeder wurde er gerecht, ganz so wie es Not tat, wie es gut tat. In seiner Nähe wurde ihr Leben heil, sie fanden Frieden, mit sich, miteinander und mit Gott. „Siehe, dein König kommt zu dir“ hören sie; „als ein Gerechter und ein Helfer“– erfahren sie. Nicht neuer König in Israel wird er sein, König in den Herzen aller will er sein.

Der Vorausgehende

Doch wie soll das gehen? Wie kann das sein? Wie wird ein so ganz anderer König seine Macht, seine Allmacht und Vollmacht, unter Beweis stellen und zum Durchbruch bringen? Neugierig und gespannt vollziehen die Menschen einen Richtungswechsel. Sie folgen dem, der ihnen entgegenkam, durch die Tore der Stadt: seine Vertrauten, die Jünger; seine Gegner, die Pharisäer und Schriftgelehrten; seine Bewunderer und die Skeptiker. Es ist kein Königsweg, auf dem sie ihm folgen, kein Durchstarten zur Macht, sondern ein Leidensweg in Ohnmacht, der die Stationen Verrat, Folter und Kreuzestod nicht scheut, sondern durch-schreitet im wahrsten Sinne des Wortes.

Nichts, worunter Menschen leiden, bleibt Jesus fremd. Aber alles, worunter Menschen leiden, überwindet er – selbst den Tod. Denn Gott, sein Vater, der unser aller Vater ist, erweckt ihn aus dem Tod zum Beginn eines neuen Leben, einer neuen Welt, die seit Ostern ihren Anfang genommen hat, und in der Jesus König ist. Das ist das Ziel, auf das wir in seiner Nachfolge zugehen. Das ist die Hoffnung, aus der wir leben und das Leben in unserer Welt, im Großen wie im Kleinen, gestalten sollen und können. Wenn wir ihn als König, als Gerechten und als Helfer, in unseren Herzen regieren lassen, wird er uns bei der Hand nehmen und hinweg führen über alle Barrieren des „Ich-habe-Angst, des Das-kann-ich-nicht, des So-hab‘-ich’s-noch-nie-getan, des So-kenn-ich-mich-noch-gar-nicht“ (Drewermann, a.a.O. S. 89). Wenn das keine Perspektive eröffnet, wenn das keine Ermutigung ist! „Alle Welt läuft ihm nach“ – stellen die Pharisäer damals am Ende boshaft und aufgebracht fest.

„Alle Welt läuft ihm nach“ – lassen Sie uns heute hören als Aufforderung und Ermutigung zum Neuanfang in seiner Nachfolge um Gottes und um der Menschen willen, ganz so, wie es tschechische Reformator Jan Hus in einem seiner Gebete formuliert hat: Treuer Christus, ziehe uns schwache Menschen dir nach. Wenn du uns nicht ziehst, können wir nicht folgen. Gib einen tapferen und willigen Geist, ein furchtloses Herz, rechten Glauben und feste Hoffnung; und wenn wir schwach sind, so gehe uns deine Gnade voraus.

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Ein Kommentar zu “Palmsonntag – Hosianna

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Zum Geheimnis einer gelungenen Predigt gehört erfahrungsgemäß besonders ein gelungener Predigtaufbau. Die Erzählpredigt von Pfarrerin Janssens ist dadurch besonders zu empfehlen, weil sie die verschiedenen Stationen vom Einzug Jesu in Jerusalem lebendig mit prägnanten Worten erzählt und interessant kommentiert. Dazu gehört eine schöne Steigerung der Predigt und ein tröstlicher Schluß. – Zu Beginn wird man ins Verständnis hineingenommen, warum dem Jesus so viele Erwartungen in Jerussalem entgegenschlugen. Ein König der Herzen im Namen Gottes. Alte Weissagungen wurden wach.- Sehr ergreifend sind immer wieder die Kommentierungen der Predigerin bei den verschiedenen Stufen der Erzählpredigt. Zum Beispiel: “Der,der den Menschen entgegenkommt, er kennt sie, kennt sie alle. In seiner Nähe wurde ihr Leben heil, sie fanden Frieden mit sich, miteinander und mit Gott.” Zum spannenden Aufbau der Predigt gehört die Steigerung des Einzugs bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Nichts worunter Menschen leiden, bleibt Jesus fremd. Er überwindet alles, selbst den Tod in einer Welt, die dann Ostern ihren neuen Anfang gewonnen hat. Darauf gehen wir in Jesu Nachfolge zu.- Der Hörer wird im Gefühl und Verstand mit der Perspektive der Ermutigung und einem Gebet von Jan Hus gestärkt und getröstet entlassen. Dieses Gefühl ist ja gewöhnlich das Wichtigste für den Hörer am Schluss, nachdem er durch den Predgtaufbau nicht ausgestiegen ist, sondern gespannt zuhören konnte.

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