“Ihr seid ein Brief Christi…”
Miteinander auf dem Weg
Predigttext: 2.Korinther 3,3-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
3 Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unseren Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.
4 Solches Vertrauen haben wir durch Christus zu Gott.
5 Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott,
6 der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchtstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
7 Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herrlichkeit hatte, sodass die Israeliten das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte,
8 wie sollte nicht vielmehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit haben?
9 Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wie viel mehr hat das Amt das zur Gerechtigkeit führt, überschwängliche Herrlichkeit.
Zur Exegese des Predigttextes
Der Predigttext ist ungemein komplex mit vielfältigen biblischen Bezügen. Zur Orientierung stelle ich einige Sätze von Adolf Schlatter und von Eberhard Jüngel voran. Adolf Schlatter schreibt zu 2. Kor 3,3-6 (in: Paulus, der Bote Jesu. Eine Deutung seiner Briefe an die Korinther, 3.Aufl., Stuttgart 1962, S.506f.): "Wenn Gottes Schrift nur die Tafeln oder das Pergament beschreibt, bleibt der Mensch sich selbst überlassen. Er vernimmt auf diese Weise nur den Anspruch Gottes, der ihn zum Wollen beruft und zum Wirken verpflichtet, wodurch er erfährt, dass er den Willen Gottes nicht will und mit dem, was er tut, nicht Gottes Werk wirkt. ‚Das Geschriebene‘ ist das, was Gott für den Sünder schreibt, und darum spricht es über ihn das Todesurteil. Dieses Urteil ist aber kein leeres Wort; es ist die uns tötende Macht. Dagegen tritt durch den Geist Gottes Wirken in das inwendige Leben des Menschen hinein. Damit ist Gottes Wort nicht gegen ihn, sondern in ihn hinein gesprochen mit schöpferischer Gnade. Nun verkündet es nicht unsere Trennung von Gott, sondern wirkt unsere Einigung mit ihm. ‚Gottes Liebe ist durch den Geist in unseren Herzen ausgeschüttet.‘ (Röm 5,5)“
Bei Eberhard Jüngel finden wir zu dem Verhältnis von „Geist und Buchstabe“ (in: Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung der Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, 5.Aufl., Tübingen 2006, S.115f.): „Der christliche Verrat an der Wahrheit des Glaubens ist die Domestizierung derselben, ist ihre Unschädlichmachung durch Umarmung. … Es ist nicht weniger der Unglaube derer, die die Wahrheit des Glaubens nur noch überliefern, aber nicht mehr glauben können. Und es ist der Aberglaube derer, die Geist und Buchstabe verwechseln, die die Erkenntnis der lebendigen Wahrheit in das Rezitieren toter Richtigkeiten verfälschen und Gottes Wort mit dem menschlichen Wort der Heiligen Schrift, der Bekenntnisse und der dogmatischen Tradition unmittelbar identifizieren.“
Zitate in der Predigt: Das Zitat von Papst Franziskus ist am 14.10.2014 aus den Nachrichten der ARD genommen. Er greift dabei auf Formulierungen aus dem Referat von Walter Kardinal Kasper zur Bischofssynode zurück. - Das Zitat von Aurelius Augustin stammt aus: Gerhard Lohfink, Auf der Erde, wo sonst?, Bad Tölz 2003, S.67. - Das Bild vom Schluss der Predigt habe ich in dem Kommentar von Matthias Drobinski mit dem Titel: „Verwirrender Lichtstrahl“ in der „Süddeutschen Zeitung“ v. 21.10.2014 gelesen.
Als ich anfing, über diese Briefworte des Apostels Paulus nachzudenken, las ich aus dem Zwischenbericht der katholischen Bischofssynode in Rom. Papst Franziskus fasste den Stand der Diskussion so zusammen: „Die katholische Lehre ist kein ideologisches System, das in Stein gemeißelt ist. Sie ist ein lebendiges Evangelium, das sich entwickeln, das konkret werden muss und das vor allem zum Heil und Wohl der Menschen ausgelegt werden muss”. Hierbei griff er auf Wendungen von Kardinal Walter Kasper zurück. Was Gott uns heute zu sagen hat, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern durch seinen Geist in die Herzen der Menschen geschrieben. Jeder von uns darf für sich und wir alle dürfen miteinander erfahren, wie Gott so zu uns redet.
Um den Predigttext zu verstehen, müssten wir uns viel Zeit nehmen. Wir hätten in der Apostelgeschichte nachzulesen, wie Christus, der Lebendige, Paulus auf der Straße nach Damaskus angerufen, wie er ihn aus seiner Bahn geworfen und wie er ihn zu seinem Mitarbeiter gemacht hat. Wir könnten weiter blättern und uns vor Augen führen lassen, wie Paulus auf seiner zweiten Missionsreise in die griechische Hafenstadt Korinth kam. Er fand hier einige wenige Christen. 18 Monate lebte er mit ihnen zusammen. Und dann hinterließ er dort eine quicklebendige Gemeinde. Gott hatte das Erzählen, die Gespräche von Mensch zu Mensch und das Predigen des Paulus benutzt, um viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Schichten in ihrem Innersten zu erfassen. Wir hätten im 2.Buch Mose nachzulesen, wie Mose, der Führer des Volkes Israel, auf dem Berg Sinai die steinernen Gesetzestafeln bekam, wie Gott so seinen Bund mit seinem Volk schloss und wie dramatisch es war, als Mose mit den Geboten Gottes zu seinem Volk zurückkehrte und ihm diese Gesetzestafeln übergeben wollte. Wir hätten im Buch des Propheten Jeremia zu lesen, wie Gott verspricht, einen Neuen Bund zu schließen. Eigenart dieses Neuen Bundes wird es sein, dass Gott selbst das Innerste der Menschen berührt: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben”. Der Wille Gottes wird euch in eurem Herzen bewegen. Ihr werdet gerne nach Gottes Weisungen fragen. Es wird euch eine Freude sein, so zu leben, dass es Gott gefällt.
Was der Prophet Jeremia verheißen hat, wird in dem Kommen Jesu erfüllt. In seinem Namen wird der Neue Bund geschlossen. Paulus weiß sich als Diener dieses Neuen Bundes berufen. Was er an seine Gemeinde in Korinth und damit an die gesamte Christenheit schreibt, ist an Menschen geschrieben, die ihr Vertrauen auf Jesus setzen. Hier horchen Menschen auf, die bewusst in dem Gebet Jesu mitsprechen: „Vater unser im Himmel!“ und dann in der 3.Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden”. Sie horchen nicht nur in sich hinein und versuchen nicht nur in sich zu erfassen, was ihr Wünschen ist. Nein, sie richten sich vor allem aus auf das, was Gott ihnen als Lebensmöglichkeit eröffnet. Dazu gehört das suchende Lesen, das Studieren der Heiligen Schrift. Gottes Wille ist nicht bloß in Stein gemeißelt wie damals auf dem Berg Sinai. Wir haben den Willen Gottes nicht “lapidar”. Hinter diesem Wort steht das lateinische „lapis”, was “der Stein“ bedeutet. Auf Steintafeln müssen die Inschriften kurz und knapp sein. Wir haben Gottes Weisungen in der Bibel „vielfach und auf vielerlei Weise“.
Jeder Mensch braucht seinen eigenen Weg, nach dem Willen Gottes zu fragen, ihn zu erkennen, Gott zu vertrauen und ihm zu gehorchen. Von einem meiner Lehrer habe ich die drei Worte: hören – gehören – gehorchen. Diese Drei dürfen nicht voneinander getrennt werden. Nur der Mensch, der ein Hörender wird, wird jemand, der Gott gehört. Nur jemand, der Gott gehört, wird jemand, der es dann lernt, im Gehorsam gegen Gott sein Leben zu führen. Dabei zeigt sich der gute Wille Gottes in seiner langen Geschichte mit seinem Volk immer wieder neu. Gott bleibt sich treu. Gottes Barmherzigkeit und Gottes Gerechtigkeit sind eins. Oft erleben wir Gottes Freispruch erst, wenn wir seinen Urteilsspruch über uns vernommen haben. Von Pastor Fritz von Bodelschwingh stammt der Liedtext (EG 93): „Nun in heilgem Stilleschweigen Stehen wir auf Golgatha. Tief und tiefer wir uns neigen Vor dem Wunder, das geschah, als der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering, als für Sünder der Gerechte in des Todes Rachen ging.“ (EG 93,2). In Jesus ging Gott an unserer Stelle in den Rachen des Todes. Gott liebt uns, so wie wir sind. Aber er lässt uns nicht so, wie wir sind. Er richtet uns auf; er erneuert uns; er vergibt uns unsere Sünde und lässt uns neu anfangen. Menschen finden Gottes guten Weg für sich erst, wenn sie sich von Gottes Geboten und von Gottes Geist ihren falschen Weg haben aufdecken lassen.
Ich habe es noch vor Augen: In der Kirche meiner Kindheit, in der Kirche in Hagen-Haspe, in der ich Kindergottesdienst erlebte, waren vorne, auf der Wand links und rechts neben dem Altarraum, überlebensgroß Mose und Jesus, diese beiden biblischen Gestalten, gemalt. Ich bin dankbar, dass ich Lehrerinnen und Lehrer hatte, die uns das Alte Testament lieb und wert gemacht und gründlich ausgelegt haben. Aber natürlich bin ich auch dankbar dafür, dass ich viele Frauen und Männer erlebt habe, die mir Jesus vor Augen gemalt haben. Von dem Kirchenvater Augustin ist der Satz überliefert: „Das Neue Testament ist im Alten versteckt, und das Alte im Neuen aufgedeckt”. Es gilt in der katholischen Kirche: „Die katholische Lehre ist kein ideologisches System, das in Stein gemeißelt ist”. Und es gilt in der evangelischen Kirche. Der Protestantismus ist kein System, das in Stein gemeißelt ist. Über alles, was so lange zwischen unseren Kirchen kontrovers war, möchte ich noch einmal mit katholischen Schwestern und Brüdern neu nachdenken. Voller innerer Erwartung bin ich mit den Christen aller Konfessionen auf dem Weg und schaue ich auf die nächsten Wegbiegungen. Dabei möchte ich grundlegenden Erkenntnissen der Reformatoren treu bleiben. Gott redet zu mir als der Barmherzige und als der Gerechte. Paulus schreibt seiner Gemeinde in Korinth: „Ihr seid ein Brief Christi, durch unseren Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen”.
Den komplexen Predigttext mit den kritischen Worten des Paulus gegenüber den steinernen Tafeln des Alten Testaments schließt Pfarrer Frische einleuchtend auf. Das Wort Gottes ist nach Paulus in die Herzen der Menschen durch Jesus im Heiligen Geist geschrieben. Pfarrer Frische beginnt aktuell und ökumenisch mit Worten von Papst Franziskus, dass das Evangelium durch Gottes Geist in die Herzen der Menschen geschrieben werden muss. Er erzählt dazu von dem Bekehrungserlebnis des Paulus vor Damaskus durch den auferstandenen Christus. Später hat Paulus die Gemeinde in Korinth gegründet. Nach dem Propheten Jeremia wird Gott einen neuen Bund schließen und seinen Geist in ihre Herzen geben. In Jesus ist das erfüllt. Jeder Mensch, so der Autor, muss seinen Weg gehen, um Gott zu finden. Die Predigt schließt mit der Erfahrung, wie wichtig Kindergottesdienst ist. Nach 35 Jahren Kindergottesdienst teile ich die Erfahrung, dass Kinder die Geschichten des AT besonders verstehen und lieben. Es geht dann darum, Jesus den Kindern ins Herz zu legen. Der Prediger zitiert Kirchenvater Augustin: “Das Neue Testament ist im Alten versteckt, und das Alte im Neuen aufgedeckt”. Ziel der Predigt ist, dass wir alle als Christen Briefe Gottes heute für die Zeitgenossen sind, welche Christus nachfolgen und unseren Glauben nicht verschweigen oder verhüllen.