Im Spiegel des Jona

Auch ungewöhnliche und riskante Dinge zu tun, wenn Gott es will

Predigttext: Jona 1
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 06.06.2021
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Ellen Naß

Predigttext: Jona 1 (2,1), Übersetzung nach Martin Luther

Es geschah das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn Amittais: 2 Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. 3 Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem HERRN nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom HERRN. 4 Da ließ der HERR einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. 5 Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. 6 Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. 7 Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf's Jona. 8 Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? 9 Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. 10 Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem HERRN floh; denn er hatte es ihnen gesagt. 11 Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. 12 Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. 13 Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. 14 Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach, HERR, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, HERR, tust, wie dir's gefällt. 15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. 16 Und die Leute fürchteten den HERRN sehr und brachten dem HERRN Opfer dar und taten Gelübde.

2,1 Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches 11 Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Zum Predigttext

Bisher war dieses Kapitel des Jonabuches nur ein Marginaltext. Kaum jemand von uns wird darüber gepredigt haben. Trotzdem gehört die Erzählung von Jona, der von dem großen Fisch verschluckt wurde, zu den bekanntesten Erzählungen der Bibel. Es gibt unzählige Darstellungen von Jona im Fischbauch, und für Kinder ist es eine der beliebtesten biblischen Erzählungen. Deshalb halte ich es für wichtig, diese Kapitel nun für Erwachsene neu zu entdecken.

Bei der Jonaerzählung handelt es sich nicht um prophetische Worte, sondern um eine Novelle. Der Psalm in Kapitel 2 ist wahrscheinlich nachträglich eingefügt. Das Gottvertrauen Jonas in diesem Psalm wird in Kapitel 3 nicht fortgesetzt, dort ist er wieder wie vorher, störrisch und missmutig. Deshalb berücksichtige ich ihn nicht.

Das Buch steht im Kanon zwischen Obadja und Micha, wahrscheinlich, weil in 2 Kön 14; 23-25 ein Prophet Jona zur Zeit des Königs Jerobeam vorkommt. Tatsächlich ist das Jonabuch wahrscheinlich nicht vor der Mitte des 4. Jahrhunderts entstanden. Darauf weist der Wortschatz hin,  aber auch die thematischen Bezüge.

In der gegenwärtigen Situation liegt es nahe, über stürmische Wellen zu predigen, die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer zumindest zu erwähnen. Meines Erachtens ist das aber nicht vergleichbar, denn Jona flieht ja nicht in eine bessere Zukunft, sondern vor der Gegenwart Gottes.

Er ist das Abbild eines „frommen“ Menschen, der, wenn es ernst wird, feststellt, dass er selbst es so ernst gar nicht gemeint hat. Alle anderen, die heidnischen Seeleute, die bösen Menschen in Ninive in Kapitel 3 + 4, hören auf Gottes Wort – nur der Hebräer nicht, der es doch eigentlich tun sollte. Am besten erscheint mir eine narrative Predigt, damit auch unbekanntere Erzählelemente zur Geltung kommen.

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Die Erzählung von Jona, Ninive und dem großen Fisch kennen wir wahrscheinlich alle. Sie hat uns durch Kindergottesdienst, Kindergarten, Kinderbibeln, bis hin zu unzähligen Darstellungen in der Kunstgeschichte begleitet. Der große Fisch hat Menschen fasziniert – und ich erinnere mich, dass meine erste große Enttäuschung mit der Bibel in der Aufklärung bestand, dass es einen solchen Fisch gar nicht gibt, der einen Menschen ganz verschlucken kann. Ich wollte es als Kind nicht glauben, dass etwas in der Bibel nicht stimmen sollte.

I.

Wahrscheinlich sind wir von der Erzählung auch so fasziniert, weil sie  im neuen Testament als Zeichen für Tod und Auferstehung Jesu gesehen wurde. Wobei auch ein wenig Rechnen hilft, das zu widerlegen – Jesus starb Freitag und wurde am Sonntag auferweckt – Jona war 3 Tage und 3 Nächte  im Bauch des  Fisches – also viel länger. Weniger bekannt ist der Abschnitt, den ich heute vorgelesen habe. Den möchte ich mit Ihnen einmal näher anschauen.

Da ist Jona, der Sohn Amittais, mehr wissen wir nicht über ihn.  Er ist ein Jude, ein Hebräer, einer vom Volk Gottes, das ist deutlich, aber es wird nicht erzählt, ob er besonders fromm war, ob Gott ihn zum Propheten berufen hat. Nichts. Dieser Jona wird berufen – und das erste Ungewöhnliche an dieser Berufung ist, dass er nicht zum Volk Israel, zu Gottes und zu seinem eigenen Volk geschickt wird, sondern dass er nach Ninive gehen soll. Ninive war die Hauptstadt Babylons, und dahin zu gehen, um das Wort Gottes zu verkünden, das muss ungefähr so gewesen sein, wie das in mitten in Istanbul oder Kabul zu tun, nur schlimmer, Niinive war Ausland, war mächtiges Ausland, die Menschen dort glaubten an andere Götter als das kleine und hilflose Israel.

Es scheint ein völlig sinnloses Unterfangen zu sein: Dieser kleine und unwichtige Israelit gegen die vielen – auch noch bösen! – Menschen in dem großen und mächtigen Ninive. Jedenfalls sieht Jona das so. Einige andere Propheten haben ja auch bei Gott Widerspruch eingelegt, als sie berufen wurden, Jeremia z.B. hat gemeint, er wäre zu jung, aber Jona versucht nicht einmal, mit Gott über Sinn und Unsinn dieser Aufgabe zu reden. Er geht los und flieht – Tarsis im heutigen Spanien ist der Ort, den man kannte, der am weitesten von Israel entfernt war. Er bucht eine Schiffspassage und legt sich schlafen – vielleicht auch deshalb in einer Kabine, damit Gott ihn nicht sieht.

II.

Natürlich sieht Gott ihn trotzdem. Jona musste das auch wissen – „Nähme ich die Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen“, heißt es in Psalm 139 – aber Jona versucht es. Wie nicht anders zu erwarten, geht der Versuch schief. Gott schickt einen Sturm, das Schiff gerät in Seenot. Die heidnischen Seeleute fangen an zu beten – natürlich ohne Erfolg, denn ihre jeweiligen Götter sind ja gar nicht für den Sturm verantwortlich. Ob es sie überhaupt gibt, bleibt offen, helfen können sie jedenfalls nicht. Als ihnen einfällt, dass da ja noch jemand ist und man noch einen Gott mehr anrufen könnte, wecken sie Jona. Sie würfeln, wer von ihnen am Unglück schuld ist.

Jona weiß sofort, dass er verantwortlich ist, und er bietet eine Lösung an. Er sagt ihnen, dass er Hebräer ist, dass sein Gott verantwortlich ist für dieses Unwetter.  Deshalb sollen sie ihn ins Meer werfen, dann lässt Gott sie in Ruhe. Wir erleben heute, wie gefährlich das Mittelmeer ist, viele Menschen ertrinken darin, weil andere, anders als die Seeleute damals, keine Hemmungen haben, Menschen der Gefahr, dem Ertrinken auszusetzen. Die heidnischen Seeleute handeln menschlicher als viele heute, das sollte uns zu denken geben. Sie rudern, was das Zeug hält, aber gegen Gottes Gewalt haben sie keine Chance, der Sturm wird stärker.

Da sehen sie, dass sie gegen diesen Sturm, gegen die Macht dieses Gottes nicht kämpfen können. Sie bitten Gott um Verzeihung, dass sie Jonas Ratschlag folgen wollen und ihn ins Meer werfen wollen. Sie wissen, selbst als Heiden, dass sie Menschenleben nicht einfach so gefährden sollten, niemandem dem – scheinbar – sicheren Tod überantworten sollten. Sie bitten Gott um Verzeihung, und sie folgen Seinen Anweisungen und werfen Jona ins Meer. Sofort hört der Sturm auf, das Meer wird ruhig. Und es geschieht ein kleines Wunder: Die Besatzung des Schiffes erkennt, dass Jonas Gott Gott ist, sie opfern ihm, sie beten zu ihm, sie legen zu seinen Gunsten ein Gelübde ab. Sie haben durch Jonas Flucht, durch den Sturm und das Ende des Sturms erkannt, dass ihre jeweiligen Götter nichts sind im Vergleich zu dem Gott der Hebräer.

III.

Jona aber stirbt nicht dort im Meer, sondern wird von einem großen Fisch verschluckt, der ihn nach 3 Tagen und 3 Nächten sicher an Land wieder ausspuckt. Solchen Fisch, ich sagte es schon, gibt es gar nicht, aber das Buch Jona ist auch kein Tatsachenbericht, keine Videoaufzeichnung, mit der den Hebräern, den Israeliten  seiner Zeit ein Spiegel vorgehalten wird. Und das, was man in diesem Spiegel sieht, das ist wahr, das gilt heute auch noch für uns als christliche Kirche. Denn dieser Spiegel ist alles andere als schmeichelhaft. In Kapitel 3 und 4 wird erzählt, dass Jona tatsächlich nach Ninive geht – etwas anderes bleibt ihm ja auch gar nicht übrig – und als Gott seinen Auftrag wiederholt, geht er tatsächlich nach Ninive. Eine Tagesreise weit geht er hinein in die Stadt – sie muss also für damalige Verhältnisse riesengroß gewesen sein, bestimmt 30 km im Durchmesser, und er droht ihnen in 40 Tagen den Untergang an.

Wieder kommt es anders: Die Menschen in Ninive bekehren sich sofort, fasten und beten, und so gehen sie nicht unter. Jona aber sitzt alleine draußen vor der Stadt, streitet mit Gott, weil der – wieder einmal – gnädig war, seine Prophetenworte nicht wahr gemacht hat. Jona ist ein Missionar wider Willen, wo immer er auch hingeht, die Menschen fangen an, an seinen Gott zu glauben. Nur Jona selbst traut Gott nichts zu, will eigene Wege gehen und nicht die, die Gott ihm aufträgt. Vielleicht ist die Erzählung bei Kindern und für Kinder so beliebt – weil er sich letztendlich benimmt wie ein störrisches Kleinkind, mitten in der Trotzphase, und das sagt der Spiegel, den die Geschichte von Jona uns vorhält.

Der Spiegel für das Volk Gottes ist nicht schmeichelhaft – sie zeigen sich als  ungehorsam und störrisch. Auch als Kirche müssen wir aufpassen, dass wir nicht so sind, immer neu nach Gottes Willen fragen und ihn dann auch tun. Ich frage mich häufig, wie viele von unseren Zukunftsplänen und Konzepten  störrische eigene Wege sind, statt dass wir auf Gott hören und Seine Wege gehen – auch wenn sie am Anfang waghalsig zu sein schienen.  Jona – das heißt, nicht er selbst, aber der Bericht über ihn – ermutigt uns, auch ungewöhnliche und riskante Dinge zu tun, wenn Gott es will. Aber selbst, wenn wir, wie Jona,  fliehen oder Gott nur widerwillig folgen – Menschen werden glauben, weil Gott mächtig ist. Das kann uns Hoffnung geben, auch als Kirche.

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