“Irgend jemand muss es doch machen”
Bereit sein, Verantwortung zu übernehmen
Predigttext: 1. Petrus 5,1-5 (Uebersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbar werden soll:
Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist;
achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt;
nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
Desgleichen, ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter.
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut;
denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
Exegetisches zum Predigttext (I.) und homiletische Zugänge (II.)
I. Unter dem Pseudonym des Apostels Petrus wendet sich ein anonymer Presbyter an seine Mit-Ältesten und bittet sie, die Gemeinden vorbildlich zu leiten und ihr Pastorenamt nicht als Herrschaft, sondern als Dienst zu verstehen. Dies ist besonders wichtig, weil die jungen Christengemeinden sich in heidnischem Umfeld behaupten müssen und mancherlei Anfeindungen ausgesetzt sind.
V 1: Wer verbirgt sich hinter dem „Ich“ in V 1? Wenn die Fiktion der petrinischen Verfasserschaft aufrecht erhalten bleiben soll, dann ist für den Vf. der Apostel als Zeuge der Passion und Teilhaber der Herrlichkeit ein Mit-Ältester. In welchem Verhältnis haben für ihn das Apostel- und das Presbyter-Amt gestanden? Denkbar ist auch, dass der Vf. hier die literarische Fiktion aufgibt und als der schreibt, der er tatsächlich ist: ein Gemeindeleiter und Ältester. Was bedeutet es, Zeuge des Leidens Christi zu sein? Ist damit eine tatsächliche Augenzeugenschaft gemeint (in letzter Konsequenz gilt das ja für Petrus nicht, denn er war bei der Kreuzigung nicht dabei)? Oder geht es eher um eine Teilhabe an diesem Leiden Christi durch eigenes Leiden, z. B. in einer Verfolgungssituation (4,13)? Was ist dann mit der Teilhabe an der künftigen Herrlichkeit gemeint: Die Erscheinung des Auferstandenen (vgl. Act 1,21f: Erscheinung des Auferstanden ist Voraussetzung für das Apostelamt) oder die Taufe im Sinne von Röm 6,5 oder ein Hinweis auf die Teilhabe bei der Verklärung (Mt 17,6)?
V 2: Die Aufgabe der Ältesten ist es jedenfalls, die Gemeinden so zu leiten, wie Hirten ihre Herden weiden. Der Vf. nimmt hier ein in der Bibel und im ganzen Orient weitverbreitetes Idealbild von Leitungsverantwortung auf. Der Hirte muss vollen Einsatz für seine Herde bringen – der gute Hirte gibt sogar sein Leben für die Schafe (Joh 10,11). Die Anweisungen selbst sind in einer dreifachen Antithese formuliert. Die Presbyter sollen ihr Amt freiwillig und nicht gezwungen ausüben, nicht gewinnsüchtig, sondern eifrig – die Profitgier im kirchlichen Amt scheint ein Thema gewesen sein, kommt es doch immer wieder in frühchristlichen Kirchenordnungen vor, z. B. 1 Tim 3, 3.8, Tit 1,7.
V 3 Vor allem aber soll das Amt keine Herrschaft, sondern Dienst sein (Barmen IV!!). Die Vorgesetzten in einer Gemeinde (kleros/Erbteil) sind also keine Herrscher, sondern Diener, es gibt wohl eine Hierarchie, aber die ist im Wesentlichen diakonisch orientiert. Durch dieses Verhalten werden die Ältesten zu Vorbildern, und auch „Petrus“ erteilt seine pastorale Paränese nicht von oben herab, sondern vorbildlich-partizipativ.
V 4: Eine große Verheißung liegt auf so einem Führungsstil: In Gottes Ewigkeit wird dieser Einsatz vergolten. Oberster Maßstab bleibt auf jeden Fall Christus selbst, der „Oberhirte“!
V 5: „Petrus“ wendet sich abschließend auch an die, die den Ältesten anbefohlen sind und bittet die Jüngeren, sich den Ältesten unterzuordnen. Das erinnert an das Schema der Haustafeln, mit denen „Petrus“ zu einem friedlichen, respektvollen Miteinander ermutigen will.
II. Ich möchte mich dem Predigttext über das Thema „Verantwortung“ nähern. Dabei denke ich an die vielen Menschen, die Verantwortung haben oder sie übernehmen müssen – für Kinder und alte Eltern, im Beruf sowieso, auch für private und öffentliche Ämter werden sie immer wieder angefragt. Manch einer spürt dabei auch die Last der Verantwortung: Bin ich dieser Aufgabe überhaupt gewachsen, kann ich das, bin ich gut genug? Reichen Zeit und Kraft? Vielleicht scheut sich auch deswegen so mancher, Verantwortung zu übernehmen und klar zu sagen, wo es langgeht. „Hirten“ machen sich schließlich angreifbar und manchmal auch unbeliebt. Ich denke daran, wie „die da oben“ oftmals kritisch beäugt werden, denke an die weitverbreitete Politikverdrossenheit einerseits und andererseits an die vielen Rücktritte der vergangenen Monate. Es wird immer schwieriger, Menschen für Führungsaufgaben zu gewinnen, so habe ich in einem Wirtschaftsteil gelesen. Hirte sein, wenn die Herde bockig ist und sowieso macht, was sie will – wer will sich das schon antun?
Literatur: Norbert Brox, Der erste Petrusbrief, EKK XXI.
„Irgendeiner muss es doch schließlich machen!“ So sagte es die junge Frau, als ich sie damals gefragt habe, warum sie sich für das Ältestenamt in unserer Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. Im Kirchencafé mithelfen, viermal im Jahr Gemeindebriefe austragen, zum Jahreskonzert des Musikvereins gehen, wenn das Pfarrehepaar nicht kann, da kommt schon einiges zusammen… „Irgendeiner muss es doch schließlich machen!“ Mir gefällt diese Einstellung. Da ist jemand bereit, hinzustehen und Verantwortung zu übernehmen und damit eigentlich genau das zu tun, was Petrus an die Ältesten in seinen Gemeinden geschrieben hat: „Weidet die Herde Gottes!“ Ein ansprechender Appell für Hirten, finde ich. Nicht nur für die Hirten, die wie mein Mann und ich als Pastoren eine Gemeinde leiten zusammen mit den Kirchenältesten, die so heißen, weil es dieses Amt schon zu biblischen Zeiten gegeben hat. Sondern auch für die Hirten, die Tag für Tag daheim ein kleines Familienunternehmen managen. Für die Hirten, die nach Feierabend aus einem Haufen bewegungslustiger Jungs eine Mannschaft formen, die samstags Tore schießt. Für die Hirten, die ihre Klassen durch die Wüsten von binomischen Formeln und unregelmäßigen Verben zu einem ordentlichen Zeugnis führen. Für die Hirten, die ihrer Belegschaft und ihren Mitarbeitern in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten die Arbeitsplätze erhalten. Ich finde das sehr ansprechend, wenn Leute, die für andere Verantwortung tragen und sagen, wos lang gehen soll, als Hirten bezeichnet werden. Denn für mich ist ein Hirte nahe dran, bodenständig, mitten drin im Geschehen und sich für nichts zu fein – ein Kümmerer eben.
„Irgendeiner muss es doch schließlich machen!“ Aber wie macht man das? Wie weidet man – die Herde Gottes und all die anderen, die einem anvertraut sind? „Die Ältesten unter euch ermahne ich…!“, lese ich bei Petrus, als hätte er genau gewusst, dass Hirten es gar nicht immer so leicht haben. Sie wissen ja, liebe Gemeinde, in jeder Herde gibt es bockige Schäfchen, zickige Schäfchen, die einen meckern unentwegt, die anderen blöken vor sich hin. Kein Wunder, dass da manche Mutterhirtin auch mal die Geduld verliert oder mancher Lehrerhirte auch mal ausrastet. Kein Wunder reicht manchmal einfach die Kraft nicht mehr, um immer wieder konsequent und stark und durchsetzungsfähig zu sagen: Auf, weiter, hier gehts lang! Wir müssen jetzt auch mal durchs dunkle Tal. Schade, werfen da manche die Brocken hin, weil sie den Druck einfach nicht mehr aushalten können. Das kann alles passieren. Sogar einem wie Petrus ist das passiert. Ich finde es sehr tröstlich, dass der Petrusbrief selber daran erinnert. So verstehe ich es zumindest, wenn er sich als Mitältesten und Zeuge der Leiden Christi vorstellt. Ja, Petrus hat die Passion Jesu miterlebt – bis er weggelaufen ist und sich versteckt hat. „Ich kenne diesen Jesus gar nicht!“ hat er zu der Magd gesagt. Versagt hat er, als Jünger, als Apostel, als Mensch, als Freund – und Jesus hat ihn trotzdem als Leiter über seine Gemeinde gesetzt.
So geht er mit seinen schwarzen Schafen um, Jesus, der Gute Hirte, denke ich. Und hoffe, dass er auch den schwarzen Schäfchen in seinem Führungspersonal immer wieder eine Chance gibt, den allzu ehrgeizigen, den allzu eitlen … Ich kann mir also vorstellen, dass Petrus sehr genau gewusst hat, wovon er spricht, wenn er die Hirten dazu ermahnt, dass sie freiwillig und wirklich von Herzen ihre Verantwortung wahrnehmen und nicht aus Zwang, Druck, Eitelkeit, Selbstverwirklichung. „Tut das nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund!“ mahnt er weiter. Ich denke an unsere Bundeskanzlerin, die als Vorstandsvorsitzende einer Bank sicherlich ein Vielfaches als in ihrem Staatsamt verdienen könnte. Ich habe großen Respekt vor den Menschen in unserem Land, die nicht nur gucken, wo sie das meiste Geld verdienen können, sondern wo sie am meisten mit ihren Gaben gebraucht werden und bewegen können für andere, fürs Gemeinwohl. Dann denke ich an die Menschen, die für eine Weile erst mal „nur“ für ihre Kinder da sein wollen oder ihre alten Eltern pflegen – und für diese Verantwortung sogar noch auf Geld verzichten.
„Nicht als Herrn über die Gemeinde, sondern als Vorbilder“, so, lese ich weiter bei Petrus, sollen die Hirten sich aufführen. Ich finde es großartig, wenn Schafe eines Tages selber Hirten werden wollen, weil sie sagen: Meine Lehrerin, die hat sich damals total für uns eingesetzt. Oder: Ich will so ein Chef werden wie mein Vater. Oder wenn sich junge Männer voller Zärtlichkeit an die schöne Zeit bei ihrer Omi erinnern… Voller Dankbarkeit denke ich an die beiden Männer, die daran „Schuld“ sind, dass ich heute gerne Pfarrerin bin – meinen alten Konfirmator und meinen Relilehrer in der Oberstufe. Ich glaube, Liebe, Hochachtung, Respekt und ein weites, großes Herz sind die wichtigsten Kompetenzen, wenn man Kinder erzieht, eine Firma leitet, oder sogar ein ganzes Land regiert. Wenn das nur endlich auch die Herrscher kapieren würden, die immer noch nicht einsehe wollen, dass ihre Zeit abgelaufen ist… Gott sei Dank, wird zu guter Letzt erst entschieden, wers recht gemacht hat und was das alle gebracht hat. Davon ist jedenfalls Petrus überzeugt gewesen: „So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen”, schreibt er an die Ältesten, die in seinen Gemeinden die Verantwortung tragen. Diese Vorstellung kann unheimlich tröstlich sein, glaube ich. Gerade für die, die oft den Eindruck haben, dass es nicht recht ist, was sie machen, sie nicht gut genug sind für ihr Amt, die sich mit ganz vielen Selbstzweifeln plagen und sich Kritik sehr zu Herzen nehmen.
Gott wird das alles letztlich beurteilen – und nicht das, was andere sagen und meinen. Diese Vorstellung kann aber auch sehr ernüchternd sein. Und zwar für die, die am liebsten schon jetzt und hier auf Applaus aus sind für das, was sie tun. Dazu das Bonmot eines Mitarbeiters aus dem Bundesfinanzministerium: „Wer sich als Finanzminister beliebt machen möchte, der ist morgen pleite.“ So nüchtern kann Demut sein. Und so humorvoll. Wie hatte es die junge Frau damals gesagt: „Irgendjemand muss es ja machen”. Sagen, wos lang geht, auch wenn die anderen vielleicht darüber was zu meckern haben. Wieder ein paar Stunden von der Freizeit abknöpfen, die man eigentlich gar nicht hat, um sich dann von Leuten, die noch nicht so drin sind in der Gemeinde, sagen zu lassen: Warum tust du dir das an, hast du eigentlich nichts Besseres vor? Kaffee kochen und Gemeindebriefe austragen. Und dann und wann das gute Gefühl: Es hat sich ja doch etwas bewegt. Es geht voran. Den Demütigen gibt Gott Gnade, lese ich bei Petrus und denke, wie schön – für die Kümmerer.
“Hirte sein, wenn die Herde bockig ist- wer will sich das schon antun?”, fragt Dekanin Wellhöner. Alle “Kümmerer”, Hirten, Kirchenälteste und Gemeindekreis leitende Mitarbeiter in der Gemeinde machen sich angreifbar und manchmal unbeliebt. Deswegen ist es heute schwer, sie für die Gemeindearbeit zu begeistern. Vor diesem Hintergrund werden in dieser Predigt alle Hirten und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen alle Selbstzweifel sehr einfühlsam ermutigt. “Einer muß es ja schließlich machen”, wird eine ehrenamtliche Mitarbeiterin zitiert. Sie folgt damit der Aufforderung Jesu im Predigttext: “Weide meine Schafe!” Die schwarzen Schafe in jeder Gemeinde werden nicht verschwiegen. Es wird aber daran erinnert, dass Jesus gerade ein Herz für schwarze Schafe hatte. Sie hat er trotz Kritik zutiefst akzeptiert. Liebe, Hochachtung und Respekt übertragen sich von Jesu auf die Hirten. Dankbar erinnert die Dekanin an Hirten auf ihrem Lebensweg, die sie zum Pfarramt geführt haben. Der zu Gott auferstandene Jesus wird schließlich alle beurteilen. Eine ermutigende Predigt für alle Hirten.