JHWH

Gott ist für die Menschen da, für das Volk Israel zuerst und dann für alle anderen

Predigttext: 2. Mose / Exodus 3,1-14
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 27.01.2019
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphania
Autor/in: PD Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Exodus 3,1-14 (Auswahl)

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land (…). Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. (…) Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.“

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Die Gruppe von Schriftgelehrten und Theologen, die diese Geschichte mit mehreren Quellen in das zweite Buch Mose aufgenommen hat, wußte eines ganz genau: Irgendwann stellen die Menschen in ihrem Leben die Frage nach Gott. Kann ich ihn sehen, hören, spüren? Greift er in mein Leben ein? Greift er in das Leben des ganzen Volkes ein? Lenkt er die Weltgeschichte? Warum läßt er das eine zu und verhindert das andere? Die Geschichte von Moses‘ Gottesbegegnung im brennenden Dornbusch beantwortet genau diese Fragen, auf ganz raffinierte Weise. Gott ist für die Menschen da, für das Volk Israel zuerst und dann für alle anderen. 

Heute, in der Welt von selbststeuernden Autos, Stammzelltherapien und elektrischen Dosenöffnern bleibt die Frage nach Gott weiter aktuell. Aber gegenüber der biblischen Gesprächslage hat sich einiges geändert. Die antiken und vorantiken Menschen meinten klar zu sehen, daß die Welt von Göttern bevölkert war. Der Gott der Bibel setzte sich gegen die fremden Götter, Götzen genannt, durch. Den biblischen Schriftstellern war klar, daß Gott den Menschen regelmäßig erschien, in Träumen oder in Gestalt eines besuchenden Engels. Propheten sprachen zu Politikern und Bevölkerung, um kundzutun, was der Wille Gottes sei.

Heute wird jeder, der von einer Begegnung mit Gott berichtet, erst einmal als Spinner ausgegrenzt. Die meisten Menschen glauben nicht mehr, daß Gott plötzlich im Leben eines Menschen erscheinen kann wie ein Freund, der plötzlich zu einem Überraschungsbesuch an der Tür steht und klingelt. Gott greift nicht unmittelbar ein, weder in die Weltgeschichte noch in das Leben eines Menschen, so daß man diese göttlichen Eingriffe messen, registrieren und archivieren könnte. Die Menschen haben sich eingerichtet im Raum der Naturgesetze und des Normalen. Sie haben gelernt, diese Grenzen zu akzeptieren. Der kindliche Gott, der als bärtiger alter Mann unnahbar im Himmel thront und bei guter Laune einen der Wünsche von betenden Menschen erfüllt, hat schon lange ausgedient. 

Daß Gott nicht eingreift, hindert andere Menschen nicht, ihm genau das vorzuwerfen: Wieso hat Gott nicht eingegriffen, als Naturkatastrophen willkürlich ganze Landschaften zerstörten, als Verbrechen gegen die Menschheit Millionen von Menschenleben kosteten? Wieso greift Gott nicht ein, wenn ein Tumor das Leben und den Körper eines kleinen Jungen auffrißt? Wieso greift er nicht ein, wenn der Lastwagenfahrer beim Rechtsabbiegen das Mädchen auf dem Fahrrad übersieht? Gott ist kein Vergrößerungsspiegel für den toten Winkel.

Einige Theologen haben diese Fragen schlicht für unbeantwortbar erklärt. Wir können nicht mehr über den übernatürlichen, eingreifenden Gott reden, sagen sie. Konzentrieren wir uns statt dessen auf religiöse Gefühle. Viele Menschen haben das Gefühl, in Gott geborgen zu sein, trotz Naturgesetzen, Sachzwängen und der Gegenwart von Verbrechen, Katastrophe, Unglück. An die Stelle der Gottesbegegnungen in der Bibel setzen diese Theologen religiöse Gefühle. Die alte Welt des eingreifenden Gottes ist als Illusion entlarvt. 

Zwischen der technischen Moderne und den alten mythologischen Überzeugungen besteht ein garstig breiter Graben. Diesen Graben gilt es zu überwinden, wenn die alte Geschichte des brennenden Dornbuschs in der Gegenwart Trost und Hoffnung vermitteln soll.  Und in dieser Gewißheit will ich sie jetzt, nach der Verlesung am Anfang, durch die Geschichte begleiten.

Mose lebte bei seinem Volk Israel, das in Ägypten Sklavenarbeit leisten mußte. Weil er einen gewalttätigen ägyptischen Aufseher erschlagen hatte, mußte er fliehen. Er kam ins Land Midian, verheiratete sich dort und hütete die Schafe seines Schwiegervaters. In der Geschichte vom Auszug Israels aus Ägypten ist das eigentlich eine harmlose, überleitende Episode, jenseits von den Plagen, mit denen Gott die Ägypter zwang, das Volk Israel ziehen zu lassen, jenseits der Teilung der Wellen des Roten Meeres, jenseits von Manna- und Wasserwundern, jenseits auch des Goldenen Kalbes, des Götzen, den sich das Volk Israel baute. Eigentlich ganz unspektakulär.

Aber beim Schafehüten kommt Mose in die Nähe des Berg Horeb. Das ist derjenige Berg, auf dem er später als Anführer Israels von Gott zweimal die Tafeln mit den zehn Gebote empfangen sollte. Und dort, in der Nähe des Horeb, spricht Gott zum ersten Mal mit Mose. Zuerst heißt es im biblischen Text, der „Engel des Herrn“ spreche mit dem Schafhirten. Wir denken bei Engeln stets an geflügelte, halbnackte Wesen mit roten Bäckchen und blondem, lockigen Haar. Aber dieses Engelbild haben Künstler des Barock und des Rokoko vor die Bibel geschoben. Im Hebräischen bedeutet das Wort „Engel“ nichts anderes als Bote. Und der Engel Gottes, der Bote Gottes erscheint stets dann, wenn in der Begegnung mit den Menschen etwas Anstößiges, Gefährliches liegen könnte, etwas, das die persönliche Anwesenheit Gottes kompromittieren würde. Also: In der Geschichte vom Dornbusch redet zuerst der Engel Gottes und erst später Gott selbst. 

Der Engel erscheint in Flammen in den Ästen eines Dornbuschs. Und die Flammen verbrennen die Äste und Dornen nicht zu Asche. Schon dieses Feuer sagt etwas über Gott: Er ist nicht, sondern er wirkt. Er wirkt als Kraft, als Macht, welche die Welt bestimmt, aber nicht schädigt. Brennendes Feuer ist reine Gegenwart. Jeder, der schon einmal ein Lagerfeuer angefacht oder einen Grill angefeuert hat, weiß das. Auf Feuer muß man achtgeben, es kann sich ausbreiten, es kann Wellen schlagen, kann sich vergrößern. 

Mose sieht diesen brennenden Dornbusch aus der Ferne und kommt näher. Und da spricht Gott mit ihm. Auch das sagt etwas Elementares über Gott. Gott ist nicht im Bild, sondern in einer Stimme. Gott zeigt sich, indem er redet. Für den Menschen folgt daraus: Es ist viel wichtiger, Gott zu hören, auf Gott zu hören, als ihn zu sehen. In der gesamten Bibel wird das deutlich: Gott verbietet es den Menschen regelmäßig, sich ein Bild von ihm zu machen, etwa in der erwähnten Geschichte vom Goldenen Kalb. Trotzdem wendet Gott sich den Menschen zu. Und meistens redet er dabei. Bei den Propheten heißt es oft: Das Wort Gottes geschah zum Propheten Jesaja oder Amos oder Obadja.

Vor dem Dornbusch stellt sich heraus, daß Gott und Mose miteinander ein Gespräch führen. Aber Gott, der Gott ist, und Mose, der Mensch ist, reden nicht miteinander auf Augenhöhe. Zwischen Gott und Mensch besteht ein unendlicher qualitativer Unterschied. Deswegen muß Mose zwei Dinge tun. Er zieht seine Schuhe aus, und er verhüllt sein Gesicht. Daraus ist zu lernen, daß die Begegnung mit Gott auch für die Menschen der Bibel nicht so selbstverständlich war, wie man das heutzutage gerne unterstellt. 

Das Ausziehen der Schuhe hat auf mich immer ein wenig spießig gewirkt. Das erinnert an blankgewienerte gutbürgerliche Wohnungen, vor deren Haustür die Besucher aufgefordert werden, doch bitte die Schuhe auszuziehen, um durch Straßenschmutz die Sauberkeit der Wohnung nicht zu gefährden. Die Verfasser des zweiten Buches Mose hatten wohl eher Tempel im Sinn, deren Allerheiligstes auch nicht betreten werden durfte, wenn der Gläubige nicht vorher Waschungen und Riten vollzogen hatte. 

Mose verhüllt als zweites sein Gesicht: Er will Gott nicht sehen. Die Bibel betont häufiger, daß niemand je Gott gesehen hat. Einmal heißt es sogar, daß jeder sterben muß, wenn er Gott gesehen hat (Ex 33,20). Noch einmal: Die Stimme Gottes kann Mose hören, aber sein Gesicht sehen kann er nicht. Später im zweiten Buch Mose wird er Gott nach dem Blick auf dessen Gesicht fragen, aber selbst dann darf er nur Gottes Rücken sehen (Ex 33). Indem Mose sein Gesicht verhüllt, wird die unmittelbare Begegnung mit Gott relativiert. 

Sie sehen, die scheinbar nebensächlichen Details der Geschichte haben enorme Bedeutung. Das gilt genauso für das, was Gott dem Mose dann sagt, nach dem die Vorbereitungen getätigt sind. Zunächst einmal stellt Gott in seiner Rede eine Beziehung her zu dem Gott, der den Urvätern Abraham, Isaak und Jakob meistens im Traum erschien. Ich bin derselbe, sagt er. Es besteht Verläßlichkeit im Glauben und Nachhaltigkeit in der Treue Gottes. 

Noch sehr viel wichtiger und entscheidender an dieser Geschichte vom Dornbusch ist aber etwas Zweites. Die Stimme Gottes nennt einen Namen. Gott läßt sich mit Namen ansprechen. Daß Namen helfen, weiß jeder aus Alltagssituationen zwischen Menschen. Der Spaziergänger trifft auf der Straße einen Bekannten. Aber ihm will der Name nicht mehr in den Sinn kommen. Wer sein Gegenüber mit Namen begrüßen und ansprechen kann, ist in der Lage, eine bessere, emotionalere, persönlichere Beziehung herzustellen. Kommunikation wird leichter, wenn man sich kennt. Und genau das gilt auch für das Verhältnis von Gott und Mensch. Und genau in dieser Predigtgeschichte stellt Gott sich mit Namen vor.

Im Hebräisch der Bibel, das keine Vokale kennt, stellt sich Gott mit vier Konsonanten vor: JHWH. Bis heute sprechen fromme Juden diesen Gottesnamen nicht aus und benutzen nur Ersatztitel wie „der Heilige“ oder „der Allmächtige“. Das in der Exegese gebräuchliche Wort „Jahwe“ ist nur ein Hilfskonstrukt. Wichtiger ist, daß sich dieser Gottesname auf ein Verb, auf eine Tätigkeit, ein Handeln bezieht. Die Übersetzung ist nicht völlig eindeutig. Man könnte sagen: Ich bin. Oder: Ich werde sein. Oder: Ich werde dasein. Oder: Ich werde für euch dasein. Ich bin immer für euch da. Ich helfe euch. 

Das ist der entscheidende Punkt: Gott stellt sich vor als jemand, der nicht gesehen werden kann. Aber er gibt sich einen Namen. Er macht sich ansprechbar. Und er versichert Mose, daß er für ihn, für das Volk Israel und für die Menschen dasein wird. Er läßt niemanden allein. Das ist die ganze, die simple  biblische Metaphysik: Gott ist für die Menschen da. Ansonsten verliert die Bibel über Jenseitiges, Übernatürliches und Unterirdisches kein Wort. 

Darin zielt die uralte Geschichte vom brennenden Dornbusch direkt hinein in die aufgeregte, überdrehte und abgelenkte Gegenwart. Die genaue Lektüre zeigt, daß der unendliche Unterschied zwischen Gott und den Menschen auch bei den Alten nicht aufgehoben war. Sie haben dafür nur andere, sehr viel poetischere Bilder gebraucht. Der Glaube an den Gott der Bibel bedeutet nicht gleichzeitig die Übernahme einer bestimmten Metaphysik, einer Architektur des Übernatürlichen, die von den modernen Naturwissenschaften längst widerlegt. Der Glaube ruht auf der schlichten Gewißheit, daß dieser Gott für die Menschen, für uns da ist. In dieser Verheißung sehen wir die Urväter Abraham, Isaak und Jakob, die Propheten, die Jünger, die Apostel, die Briefeschreiber des Neuen Testaments und vor allem Jesus Christus, den Rabbi aus Nazareth, der den Tod überwunden hat.

Es ist nicht so, daß mit dieser Gewißheit des Glaubens alle Fragen der Gegenwart geklärt wären. Insbesondere sind die Fragen nicht geklärt, wieso Gott Krankheit, Katastrophen und Unmenschlichkeit zulassen kann. Der Zweifel, der daraus entsteht, ist der immerwährende Schatten des  Glaubens. Die Widersprüche der Gegenwart lassen sich schon lange nicht mehr in eine großartige, umfassende fromme Ordnung bringen. Gewißheit des Glaubens bleibt fragmentarisch, vorübergehend, gefährdet. Und trotzdem hören Menschen nicht auf, dieser Zusage Gottes zu vertrauen. Ich bin für euch da: So stellt er sich vor.

Der Friede Gottes, welche die Widersprüche der Wirklichkeit überwindet und unsere Zweifel immer wieder in die Gewißheit des Glaubens auflöst, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

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2 Kommentare on “JHWH

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Mit der Frage nach Gott und mit guten Eingangsfragen führt Pfarrer Dr Vögele aktuell wieder in den recht bekannten Text ein. Dann stellt er Fragen aus unserer Zeit: Begegnung mit Gott heute. wie sieht sie aus ? Greift Gott auch heute ein ? Die Geschichte von Mose will Gewißheit schenken. Schließlich hat sie sich damals mit dem Auszug aus Ägypten in großem Rahmen erfüllt. Sehr wichtig ist der Gedanke: Gott hat im Wesentlichen eine Stimme, mit der er Mose und uns anspricht im Inneren unserer Seele. Und Gottes Name ist : Ich bin ,der ich bin. Die wichtigste Botschaft ist für uns: Gott ist für uns Menschen da. – Aktuell und bewegend hat Pfarrer Dr Vögele für uns heute den Text erklärt und aktualisiert und nahegebracht.Ermutigt gehen wir weiter.

  2. Klaus großmann

    Den für mich sehr schwer erklärbaren Originaltext nun fast “verstanden”

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