“Kelch der Bitternis…”

Jesus - uns ganz nahe

Predigttext: Lukas 22,39-46 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 06.04.2023
Kirchenjahr: Gründonnerstag
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Lukas 22,39-46

Eigene Übersetzung (Christoph Kühne)

39 Und Jesus ging hinaus und wanderte nach seiner Gewohnheit zum Ölberg; es folgten ihm auch seine Jünger.
40 Als sie an der Stelle (Mt, Mk: Gethsemane) angekommen waren, sprach er zu ihnen: Betet, damit ihr nicht in die Versuchung hineinkommt!
41 Und er riss sich von ihnen los etwa einen Steinwurf weit. Dort er warf sich auf die Knie und betete:
42 Vater, wenn du willst, sei dieser Kelch von mir weggetragen, aber nicht mein Wille sondern deiner geschehe!
43 Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44 Und in großer Not betete er; und sein Schweiss fiel wie Blutstropfen in die Erde.
45 Dann stand er auf vom Gebet, ging zu den Jüngern und fand sie vor Verzweiflung schlafend. 46 Er sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf, betet, damit ihr nicht ihr in die Anfechtung hineingeratet!

Gedanken beim ersten Lesen des Predigttextes

Mir wird klar, dass Jesus als frommer Jude seine Tageszeitengebete verrichtet hat (s. J.J. Petuchowski 45ff). „Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!“ sagt er zu seinen Jüngern. Dann wäre Beten ein Widerstand, ja eine Einübung in Widerstand. Aber wogegen? Wer „ficht“ uns an?

Jesus reißt sich von seinen Jüngern los. Die Entfernung war so groß, dass man die Worte, das Weinen oder das Schreien nur noch undeutlich gehört hat. Dieses Gebet war kein „Allgemeines Kirchengebet“. Es war ein Hilfeschrei. Gibt es Gebete, die wir nur mit Gott und nicht mit einem Menschen oder mit der Gemeinde teilen wollen? Gibt es eine Anfechtung, die so persönlich ist, dass sie nur mich und Gott etwas angeht?

Beim Weiterlesen unseres Predigttextes erleben wir einen Menschen im Ringen mit Gott. Ist dies ein Ringen wie Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32, 23ff)? Ein Ringen um Tod und Leben? Ein „Engel“ kommt und hilft Jesus. Womit stärkt er ihn? Auch der Prophet Elia wurde von einem Engel gestärkt, als er auf der Flucht vor dem König Ahab unter einem Wacholder sterben wollte (1 Kön 19,5ff). Das Gethesemanegebet ist sehr intim. Woher weiss Lukas dies? Ist einer der Jünger doch hinter Jesus hergegangen und hat dieses erschütternde Gebet miterlebt?

Ist es dann die Kraft des Engels, die Jesus schließlich aufstehen und zu den Jüngern gehen lässt? Und was geschieht? Jakobs Kampf hat ihm einen neuen Namen beschert. Elia wird auf dem Berg Horeb Gott schauen. Und Jesus? Er ermutigt seine Jünger aufzustehen und gegen die Anfechtung anzubeten. Liegt im Schlafen eine Anfechtung? Gibt es eine „Erholung“ von etwas Bösem, die wir nicht zulassen sollten?

Zur Perikope

Lukas komponiert den Beginn der Passion etwas anders als Matthäus und Markus. Nach gemeinsamem Beginn: Ratsbeschluss von Jesu Tod, Judas´ Pakt mit dem Hohen Rat, Vorbereitung des Passamahls, Bezeichnung des Verräters und Abendmahls erzählt nur Lukas vom Rangstreit der Jünger (Lk 22, 24-30), von der Vorhersage der Verleugnung des Petrus (Lk 22, 31-34) und gibt einen Rückblick in die Vergangenheit und einen Ausblick in die Zukunft (Lk 22, 35-38). Danach folgt unsere Perikope, in der Lk die Ölberg / Gethsemane-Szene mit anderen Pointen berichtet als die synoptischen Kollegen.

Gedanken zur Predigt

Wie Elia ist Jesus allein „unterwegs“. Er ist in einem „Garten“ (Joh 18,1b), Gethsemane (Mt, Mk). Im Gegensatz zu Elia - „Es ist genug, so nimm nun HERR meine Seele!“ - will Jesus nicht sterben - aber „Dein Wille geschehe!“ Die Szene ist stark gezeichnet und betont die Menschlichkeit Jesu. Mt, Mk und Joh beschreiben nicht diese „Todesfurchtszene“ eines Helden. Vgl. Heinr. von Kleist, Prinz von Homburg.

Was sind Versuchungen? Das AT erzählt im Hiobbuch von Versuchungen Gottes, denen der Mensch nicht erliegt. Im NT weigert sich Jesus, Gott zu versuchen. Gehören nicht Versuchungen und Versuche zum Leben des Menschen dazu? Dienen sie nicht der Grenzerweiterung? Gibt es Versuchungen / Versuche, die schädlich sind? Ist der Dekalog ein Wall gegen Versuchungen?

„Betet, damit ihr nicht in die Versuchung hineingeratet!“ Wie sieht ein solches Gebet aus? Kann es als gemeinsames Kirchengebet im Gottesdienst gesprochen werden? Oder gehört es in die Einsamkeit, in einen „Garten Gethsemane“? Was ist in dem Kelch, der „weggebracht“ werden soll? Gibt es einen „Wein“, der nicht getrunken werden sollte?

Weitere wertvolle Anregungen finden sich in dem Buch von Schalom Ben-Chorin, Bruder Jesus.

Literatur

Schalom Ben-Chorin: Bruder Jesus, München 14. Aufl. 1992. - Hg. von M. Bocke, J.J. Petuchowski, Walter Strolz, Das Vaterunser, Freiburg 1974. - Christian Ottemann, Der überraschende Jesus, Neuendettelsau 2021 (Informationen zur Todah). - religionen-entdecken.de (Informationen zum Passahmahl).

Lieder

EG 65 Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten
Christian Ottemann, Christus geht uns voraus in jenen Garten (auch der Titel), Neuendettelsau 2023
Georg Schmid, Du gehst bedrückt zum Tor hinaus - in: singen und sein, München 2021
Wilhelm Wilms, Wir teilen die Äpfel aus - in: Mein Liederbuch - für heute und morgen 1997

 

 

 

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„Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Ein Schrei, ein Seufzen, ein Stöhnen von Menschen – aus der Ukraine? Aus dem Erdbebengebiet in Syrien? Aus den vielen Ländern, in denen Menschen verfolgt werden und aus ihrer Heimat fliehen müssen?

I.

„Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Dieser Kelch wird uns gereicht in einer Lage, in der wir lieber süßen Wein genießen würden, ein Festmahl mit Freunden mit Essen und Trinken. Voller Freude, Zuversicht und Hoffnung. Aber uns wird der Fünfte Kelch gereicht, der Kelch Elias. Doch diesen Kelch der Bitternis wollen wir vermeiden. Wir mögen ahnen, dass von diesem Kelch abhängt, ob unser Leben gelingt oder nicht. „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Das ist die sehnsüchtige Bitte, die Jesus im Garten Gethsemane herausschreit. Dieser Bitte ist der heutige Gründonnerstag gewidmet. Hören wir die Geschichte, die uns der Evangelist Lukas erzählt hat.

(Lesung des Predigttextes, Lukas 22,39-46)

In dieser Geschichte ist uns Jesus so nahe wie sonst nirgends im Neuen Testament. Hier liegt einer am Boden. Hier steht niemand aufrecht, trotzig, ein Held. Jesus ist der Mensch, der weiß, wohin sein Weg führt. Und er nimmt seine Jünger mit. Nach dem „Abendmahl“, das Jesus als Dankopfer-Mahlzeit (messianische Todah) feiert, sind die Jünger nachdenklich und niedergeschlagen. Ahnen sie die Gedanken ihres Meisters? Sie kennen es anders: Sonst sind die Menschen nach dem „Abendmahl“ ausgelassen, fröhlich. Sie tanzen durch die Straßen voller Freude und denken daran, dass Gott sie aus Not und Sklaverei herausgeführt hat. Doch jetzt geht die kleine Gruppe um Jesus bedrückt durch die Gassen Jerusalems in Richtung Ölberg. Sie kennen den Weg. Doch als sie in dem kleinen Park ankommen, „Gethsemane“ genannt, reißt sich Jesus von ihnen los. Er geht einen Steinwurf weit weg. Was jetzt kommt, werden die Jünger nur undeutlich verstanden haben.

Der Hebräerbrief aus dem Neuen Testament erinnert an diese furchtbare Szene (Hebr 5,7): „Jesus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte.“ Hier wird ein Mensch auf die Probe gestellt, „versucht“, wie so viele vor Jesus und nach ihm – bis heute. Warum macht Gott das? Warum hat er mit Jakob am Bach Jabboq gerungen und ihn schwer verletzt? Warum musste Elia, der Prophet, vor dem König Ahab fliehen und schließlich todmüde unter einem Wacholder liegen? Warum musste Hiob, der Gerechte, „versucht“ werden? Und jetzt steht der Fünfte Becher der Bitternis vor Jesus. Warum?

Alle diese Menschen waren nach dem Propheten Jesaja „Gottesknechte“ oder sollten es werden. In seiner tiefsten Krise bekam der Kämpfer Jakob einen neuen Namen: Israel. Als es mit dem Propheten Elia zu Ende war, schaute er schließlich auf dem Berg Horeb Gott. Als Hiob alles und alle verloren hatte, bekam er „doppelt so viel, wie er gehabt hatte“ (Hi 42,10b).

II.

„Versuchungen“ stehen an Wendepunkten unseres Lebens. Es sind Krisen, die zu etwas Neuem führen wollen. Darum steht auf jedem (jüdischen) Festtagstisch auch der Fünfte Kelch der Bitternis. Bei seinem Mahl hat Jesus mit seinen Jüngern vier Kelche getrunken: den Kelch des Auszugs aus Not und Elend, den Kelch der Errettung aus dem Roten Meer, den Kelch der Erlösung und den der Erinnerung, dass wir von Gott angenommen und geliebt sind. Vor dem Fünften Kelch scheuen wir: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ schreit Jesus in Gethsemane. Muss ein „Gottesknecht“, ein „Kind Gottes“, wirklich diesen Becher trinken? Der Prophet Jesaja singt in seinem Lied vom Gehorsam des Gottesknechts (Jes 53,7). Jesus ringt um diesen Gehorsam. Wer von uns würde das nicht tun? Wir fragen heute: Was bringt uns das?

Jesus ringt um den Gehorsam. Die Versuchung ist groß, die kommende Passion abzuschütteln. Er weiß, was ihn als Gottesknecht erwartet. Sein Leben war geprägt von Versuchungen: von der Versuchung der Macht über die Welt, der Versuchung, aus Steinen Brot zu zaubern, sowie der Versuchung, Menschen von sich abhängig zu machen. Und jetzt die letzte Versuchung, 12 Legionen Engeln zu befehlen, ihn aus dieser grauenvollen Situation herauszureißen (Mt 26,53).

Doch ist das der Wille Gottes? Aber was will Gott von uns? Was meinen wir, wenn wir mit dem Vaterunser beten: „Dein Wille geschehe!“ Und wie beten Menschen in der Ukraine, in Russland, im syrischen Erdbebengebiet oder in den zahllosen Krisengebieten dieser Welt diese Bitte: „Dein Wille geschehe – und nicht meiner!“ Und das schreien Menschen in großer Angst und Ausweglosigkeit heraus. Hören wir, die Jünger, diese Schreie der Verzweiflung?

III.

Vielleicht sind vor dem inneren Auge Jesu jene Gottesknechte aufgetreten, die Gott Widerstand geleistet haben: Jakob mit seinem neuen Namen „Israel“. Aber auch Hiob. Oder Menschen in der Not, die merken, dass ihr Wille und ihr Wollen sie nicht aufrichten kann und ins Leben entlässt. Sondern dass Gott, der so fern und doch ganz nahe ist, immer bei ihnen war. Lukas erzählt, dass ein Engel zu Jesus kommt und ihn stärkt. Vielleicht ist es der Engel, der dem zu Tode  verzweifelten Propheten Elia ein „geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser“ hinstellt. Damals musste Gott zweimal kommen! Jesus spürt die Kraft Gottes schon beim ersten Mal. Vielleicht ist der Engel ein Mensch, der zu uns kommt oder ein Blick, der uns erreicht, ein Wort, das uns berührt. Vielleicht ist Gott ganz leise und kommt unverhofft zu uns und rührt uns an. So hat es der Prophet Elia erlebt.

Lukas erzählt „Gethsemane“ wie eine Auferstehung: Jesus, der am Boden lag und mit Gott gerungen hat, steht auf. Als sei die Passion vorbei. Was jetzt an Schrecklichem kommt, ist unumgänglich und muss ein Gottesknecht durchmachen. Aber Gott hat ihn jetzt schon „auferweckt“, sodass er seine Jünger – und damit uns – aufrichten kann. Er geht seinen Weg, gewaltlos und frei. Es ist ein Weg „über den Jordan“ in das „gelobte und verheißene Land“.

Gehen wir mit ihm? Trinken wir den Fünften Kelch der Bitternis: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“? Vielleicht spüren wir dann die Bitternis in unserer Welt stärker, gegen die es kein einfaches Heilmittel gibt und reihen uns ein in die Gruppe derer, die mit Gott ringen. Und spüren die Erfahrung der „Gottesknechte“, dass sie aufgerichtet werden. Und dann gehen  wir unseren Weg. Dann blicken wir durch und sehen, was notwendig ist. Dann öffnen wie die Hände und teilen, was wir haben. Dadurch sind schon einmal „fünftausend Menschen“ (Lk 9,10ff) satt geworden. Und wir feiern ein Abendmahl des Lebens: Freude für die Welt. Zum Wohl!

 

 

 

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Ein Kommentar zu ““Kelch der Bitternis…”

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Lass diesen bitteren Kelch vorübergehen !” Das wird in schlimmen Zeiten wie heute seit je von Christen gebetet. Mein alter Freund Pastor Kühne, auch Mitglied des Lübecker Exegese-Kreises, stellt heraus, dass Lukas etwas anders als Mt und Mk Jesu Todesfurcht herausstellt.Jesus kommt uns so nahe wie sonst kaum noch im Neuen Testament. Auch im Hebräer-Brief wird erinnert an diese Szene. Sehr eindringlich erinnert die Predigt, dass für uns alle Versuchungen zu unserem religiösen Leben gerade an Wendepunkten unseres Leben dazugehören. Dein Wille geschehe beten wir mit dem Vaterunser, aber was bedeutet diese Bitte heute in der Ukraine ? Lukas erzählt Gethsemane wie eine Auferstehung Jesu . Jesus geht seinen Weg gewaltfrei und ins gelobte Land. Wir sollen deshalb beten wie im Vater unser: Gott Dein Wille geschehe auch in unserem Leben! Er richte uns so auf, dass wir nicht bitter werden. Eine originelle und aufbauende Predigt. –

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