Predigt

Kennen wir Jesus noch nicht?

"Auf und macht die Herzen weit ..."

PredigttextMarkus 1,32-39 (mit Exegese)
Kirche / Ort:Aachen
Datum:22.10.2017
Kirchenjahr:19. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Markus 1,32-39 (Übersetzung nach Martin Luther)

Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus und ließ die Dämonen nicht reden; denn sie kannten ihn. Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort. Und Simon und die bei ihm waren, eilten ihm nach. Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Orte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen zum Predigttext

Der Predigttext zum 19. Sonntag nach Trinitatis – Thema „Heilung“ – ist aus dem 1. Kapitel des Markus-Evangeliums (heraus)geschnitten. Mit Mk. 1,1 („Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“) öffnet sich ein großes Tor in das Evangelium. Wir treffen auf Johannes den Täufer, sind bei der Taufe Jesu und – kaum angedeutet – seiner Versuchung dabei, um dann gleich in den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu hingenommen zu werden. Die ersten Jünger werden berufen und Menschen geheilt.

Unser Predigttext erzählt schon die dritte Heilung. Der Reigen beginnt in der Synagoge, in der Jesus lehrt (1,21) – es ist Sabbat! -, um dann am Abend („da die Sonne untergegangen war“ – Sabbat ist vorbei) vor einer uns nicht näher bezeichneten Tür einen Höhepunkt zu erreichen.

Man achte auf die Worte: alle Kranken und Besessenen – die ganze Stadt. 1,28 legt die Spur: „Und die Kunde von ihm erscholl alsbald überall in das ganze Land um Galiläa.“ Doch vorher schon sind alle entsetzt (1,27). In diesem „alle“ oder „ganz“ versteckt sich die Universalität des gerade angefangenen Evangeliums. Über diesen Geschichtenkranz, schnell und eilig erzählt, mit vielen „und“ verknüpft und zusammengehalten, steht in Kurzfassung die Verkündigung Jesu: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (1,15).

Im Evangelium wird Schritt für Schritt, aber auch immer steigernd, diese Botschaft entfaltet. Eine Beobachtung ist nicht unwichtig: In Mk. 1 reden die Dämonen –und verstummen. 1,23-26 lässt die Dämonen sogar – bevor Menschen es machen – ein Christusbekenntnis ablegen (Jesus von Nazareth – der Heilige Gottes), bevor sie vertrieben werden, um ihnen in 1,34 den Mund ganz zu verbieten, aber: weil sie ihn, Jesus, kennen! Warum muss das so betont werden?

Kennen wir Jesus noch nicht? Müssen uns die Dämonen sagen, wer er ist? Kennen sie ihn besser, besser als wir? Im Wissen und Bekennen des Heiligen Gottes, von ihm getroffen und aufgestöbert, stellt sich die Machtfrage. Die Dämonen wissen und bekennen jetzt, dass sie den Platz zu räumen haben. In unserem Predigttext müssen sie still von dannen ziehen. Wohin? Zu neuen Opfern? In den ersten Szenen des Evangeliums wird Jesus vorgestellt. Gibt Mk. 1,1 vor, dass wir das „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“ vor uns haben, hören wir in 1,11 die Stimme vom Himmel „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ und dann aus dem Mund der Dämonen in 1,24 „Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!“

Die Dämonen partizipieren an der Offenbarung Jesu, um dann, von ihm überwunden, das Feld zu räumen. Ein Herrschaftswechsel wird sichtbar (reden – schweigen). Auffällig ist, dass sich Jesus „am Morgen“ (1,35) entzieht und an einer einsamen Stelle betet. Spricht er das jüdische Morgengebet? Warum alleine? Jedenfalls findet er im Gebet an diesem Morgen seinen Weg. Danach sucht Jesus die nächsten Orte auf, um dort zu predigen und die Dämonen auszutreiben. Wir sehen die Geschichte aufbrechen und den Radius erweitert. Simons Einwand oder Rückfrage „Jedermann sucht dich“ (1,37) kann Jesus nicht halten und zum Ortsheiligen machen. Ob das je eine Versuchung, eine Möglichkeit war?

Mk. 1 gibt ein Thema vor, das unterschiedlich und vielfältig im Evangelium zu immer neuen Geschichten und Überlieferungen führt: Jesus predigt und treibt die Dämonen aus. Beides bedingt einander, muss aber differenzierend erzählt und bezeugt werden. Jede Predigt treibt die Dämonen aus, jede Dämonenaustreibung ist eine Predigt. Es geht um das Reich Gottes. Das Reich Gottes ist nahe! Dieser Satz am Anfang leuchtet das ganze Evangelium aus, kaum dass man es betritt. Kapernaum verlassen wir dann auch schnell.

Damit kommen wir mit unseren Vorüberlegungen homiletisch zu der Frage, was wir mit unserer Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis erreichen wollen oder können: welche Dämonen machen wir aus? Welche vertreiben wir? Was geschieht mit uns, wenn uns Dämonen sagen müssen, wer Jesus ist? Lassen wir das zu? Bringen wir sie deswegen zum Schweigen? Brauchen wir nicht ihr Zeugnis – das Zeugnis, überwunden zu sein? Mk. 1 hat hier einen Spannungsbogen geschaffen, den wir aushalten müssen. Spannend ist, was oder wer überhaupt Dämonen sind. Redaktionell treffen wir in den VV. 32-34 auf die Beziehung von Kranken und Besessenen, in den VV. 35-38 auf die Beziehung von Predigt und Exorzismus. V. 39 fasst zusammen: „Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.“ Die Zeitangaben sind wohl alles andere als zufällig. Die VV. 32-34 spielen am Abend, die VV. 35-38 beginnen am Morgen.

Maik Schwarz schlägt in seiner Predigtmeditation zu diesem Sonntag in den „Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext“ (Wernsbach 2016, S. 350-354) vor, den Beter Jesus und überhaupt das Gebet in den Vordergrund zu rücken. „Kennen wir Jesus noch nicht?Wann nehme ich mir im Alltag Zeit für das Gebet? Im stillen Gebet vor dem Aufstehen? … Wann nehme ich mir Zeit, über mich hinaus zu sehen, Gott zu loben mit Psalmen und auf seine Stimme zu hören …? … Jesus hat im Predigttext für sich einen Weg gefunden – das Morgengebet – und gibt uns damit einen Vorschlag, wo wir anfangen könnten auf unserem Weg zu einer ausgewogenen Work-Pray-Balance“ (S. 354).

Das Gebet Jesu – ohne nähere Spezifikation - ist auch Scharnier und Wendepunkt! (vgl. V. 35). Es verankert in diesem kunstvollen und grandios einfachen 1. Kapitel des Markusevangeliums unsere Auseinandersetzungen mit „bösen“ oder „unreinen Geistern“ (V 27). Im Gebet ist verortet, dass das Reich Gottes bezeugt und der Kampf mit den Dämonen aufgenommen wird. Predigtlied ist EG 482,1-4 „Der Mond ist aufgegangen“ In der Mitte der Predigt wird EG 444,1-3 gesungen: „Die güldene Sonne“ Die Predigt endet mit EG 454 „Auf und macht die Herzen weit“.

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