Kleiner Glaube – große Wirkung

Glaube - Verantwortung - Gebet

Predigttext: Lukas 17,5-6
Kirche / Ort: Friedrichsgemeinde / 67547 Worms
Datum: 12.09.2021
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: Lukas 17,5+6 (Übersetzung nach Martin Luther)

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn Ihr einen Glauben habt, so groß wie ein Senfkorn, dann könnt Ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß Dich aus und versetze Dich ins Meer! Und er wird Euch gehorchen.

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Da liegt ein Mädchen Abend für Abend in seinem Bett und betet. Und seit Wochen schon hat das Abendgebet den gleichen Inhalt: Gott soll doch bitte das ersehnte Fahrrad morgen früh ans Bett stellen.

Eines Tages wird das Mädchen aufhören, zu bitten. Denn es wird merken: morgen für morgen bleibt der Platz neben dem Bett leer. Auch wenn sein kindliches Vertrauen noch so groß war.

„Bitte, lass es wenigstens eine Vier werden!“ – wie viele solche Stoßgebete wurden schon vor der Rückgabe von Klassenarbeiten gebetet. Von Schülern, die genau wissen: Du bist faul gewesen. Und wenn sie wirklich faul waren, dann wird es eben auch keine Vier – sondern eine Fünf. Da hilft auch kein Stoßgebet mehr.

Gott muss sich ja entscheiden, das muss er. Wenn ein Junge für die Sommerferien um sechs Wochen Sonnenschein betet, damit er mit seinen Freunden ins Schwimmbad gehen kann, am selben Tag und am selben Ort aber eine Landwirt um Regen fleht für seine Felder – dann muss Gott einen der beiden enttäuschen. Wie groß das Vertrauen und der Glaube der beiden auch gewesen sein mag.

Da fleht ein unheilbar Kranker um Gesundheit. Gemeinsam mit seiner Familie bittet er: Gib uns wieder Zukunft! Wenigstens noch ein paar Jahre gemeinsame Zeit. Aber wie oft werden diese Gebete erhört nicht. Oft folgen Leid und Trennung und Tod.

Als der Hurrikan „Ida“ auf New York zusteuerte, rief Bill de Blasio den Menschen in der Welt zu: Betet für unsere Stadt. Liebe Gemeinde, ich bin mir sicher, dass dieser Bitte viele gefolgt sind. Tausende werden die Hände gefaltet haben für diese Stadt – für die Küste. Aber „Ida“ kam mit ungehinderter Gewalt, tötete 44 Menschen, und richtete mit den sechs Tornados, die ihm folgten, Schäden in Milliardenhöhe an.

Als Jesus Gott anflehte, den toten Lazarus wieder lebendig zu machen, da erhörte er ihn, und Lazarus kam aus seinem Grab. Wenige Monate später flehte Jesus um sein eigenes Leben – im Garten Getsemane – aber er wurde nicht erhört. Trotz allen Glaubens, allen Vertrauens, aller Demut. Jesus musste sterben.

Hören sich dann nicht solche Worte an wie Hohn? „Wenn Ihr Glauben habt so groß wie ein Senfkorn, könnt Ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß Dich aus und versetze Dich ins Meer. Er wird Euch gehorchen.“

Mag ja sein, dass das eine traumhafte Vorstellung ist: Mit nur einem winziges Fünkchen Hoffnung und Glaube könnten wir uns alle Wünsche erfüllen, sogar die skurrilsten wie zum Beispiel einen Baum zu entwurzeln und ins Meer zu versenken. Traumhaft vielleicht? Aber: Erstens wünscht sich so was keiner. Und zweitens geht so was nicht. Weder mit noch ohne Glauben.

Warum erzählt Jesus so etwas? Wir wissen es selbst, auch ein felsenfester Glaube kann nicht zaubern. Auch das innigste Gebet kann nicht die Welt aus den Angeln heben – die Welt, die in die Gesetze der Naturwissenschaft und der Logik eingebunden ist.

Warum erzählt Jesus so etwas? Die Bitte der Jünger war doch ganz sicher ernstgemeint. Sie kannten das sehr gut, was wir empfinden, wenn wir beten, wenn wir hoffen. Diese Unsicherheit, dieses Doch-Nicht-Ganz-Vertrauen-Können, diese Zweifel und das Fehlen einer letzten, ganz sicheren Gewissheit.

Und Jesus antwortet mit einer – verzeihen Sie diesen Ausdruck – mit einer Naivität, die unsereins nur ein bedauerndes Lächeln und ein Kopfschütteln abringt. Bäume versetzen nur Kraft des Glaubens – das kann niemand. Versuchen wir zu verstehen, warum Jesus so antwortet.

I. Kleiner Glaube in Not

Jesus hatte seine Jünger überzeugt – mit seinen Predigten, mit seinen Taten. Sie sind ihm gefolgt. Sie hatten zum Glauben gefunden und folgen nun diesem Jesus durch Galiläa und machen die bittere Erfahrung: Ihr junger Glaube ist noch ganz schön wacklig. Vieles, was Jesus sagt, verstehen sie nicht. Sie fragen ihn, und seine Antworten helfen oft nicht richtig. Sie verstehen Jesus nicht und können auch nicht so glauben wie er:

Beim Sturm auf dem See Genezareth schreien sie vor Angst, weil Jesus schläft. Selbst Petrus verliert angesichts von Sturm und Wellen das Vertrauen auf Jesus und versinkt in den Wellen. Die Jünger versuchen ein epileptisches Kind zu heilen und schaffen es nicht. Jesus muss kommen, um das Kind gesund zu machen. Er hat mehr Glauben. Mehr Kraft. Und deshalb bitten sie ihn: Gib uns auch mehr Kraft. Wir wollen das alles auch können, was Du kannst.

Diese Bitte um mehr Kraft ist uns sehr vertraut. Da sind noch so viele Fragen, so viele Dinge, die wir nicht verstehen, so viele Bitten, die nicht in Erfüllung gegangen sind. Wie soll da ein Glaube unangefochten bleiben?

Dietrich Bonhoeffer, schreibt in Gedanken zu seinem Tauftag 1944: “Wir stehen dauernd wieder am Anfang des Verstehens … was Versöhnung und Erlösung ist, was Feindesliebe und Heiliger Geist, was Kreuz und Auferstehung bedeuten, das ist alles so schwer und so fern, dass wir kaum wagen, davon zu sprechen.“ Wie wahr, lieber Dietrich Bonhoeffer, Du sprichst uns aus der Seele! Ob zur Zeit der Jünger, ob zur Zeit der Gefangenschaft und Dietrich Bonhoeffers, oder ob zu unserer Zeit: Unsere Bitte ist die gleiche: Herr, beantworte unsere Fragen! Herr stärke unseren Glauben!

II. Senfkorn und Maulbeerbaum

Jesus antwortet mit einem Bild, das erklärt werden muss:

Das Senfkorn war das Aller-Allerkleinste, was ein Mensch sich damals vorstellen konnte. Ein Senfkorn war so winzig, dass man es in der bloßen Hand nicht erkennen konnte. Hier also als Symbol für einen ganz schwachen, ganz wackligen und ganz fragwürdigen Glauben.

Der Maulbeerbaum war das Gegenteil. Es war einer der Bäume, der so tiefe und starke Wurzeln hatte, dass er von Menschenkraft nicht ausgegraben werden konnte. Hier von Jesus als Symbol genannt für das, was ein Mensch erreichen kann, wenn er glaubt. Das Größte. Das Stärkste. Das Unglaublichste.

Es ist nicht naiv, was Jesus sagt, sondern er widerlegt die Bitte der Jünger. Die wünschen sich einen Riesenglauben. Unerschütterlich und stark. Jesus sagt: Ich braucht doch gar keinen Riesenglauben, um in Eurem Leben etwas Gutes zu erreichen! Es reicht schon ein ganz kleiner, ganz schwacher Glaube, und Ihr findet darin Kraft, unmögliches zu vollbringen.

Für uns heißt das: Wir brauchen keinen Riesenglauben, damit alle unsere Wünsche und Gebetsbitten in Erfüllung gehen. Sondern es reicht schon ein kleiner, noch wachsender, noch fragender Glaube, um uns die Kraft zu verleihen, Großes im Namen Jesu zu tun.

Als Albert Schweitzer geboren wurde, war er so winzig und so schwach, dass die Hebamme seiner Mutter sagte: der Kleine wird kein Jahr alt. Als Albert Schweitzer, war er neunzig Jahr alt und er hatte ein Lebenswerk geschaffen, das seinesgleichen suchte.

Nicht weil sein Glaube so riesig war, sondern weil der Glauben, den er in sich trug und der ganz sicher nicht immer unangefochten war, ihm eine tiefe Geborgenheit geschenkt hat und Kraft verliehen hat, ihn immer wieder angetrieben hat, Gottes Willen zu tun.

Das ist die Antwort, die Jesus uns in diesem Wort sagen will, dem Wort der großen Gegensätze zwischen Glaubensgröße und Glaubensfrucht: Wenn Du weißt – ja wenn Du nur im tiefsten Winkel Deines Herzens ahnst, wie sehr Gott Dich liebt, dann gehst Du in Deinem Leben von einer Kraft zur anderen.

Du kannst Dinge tun, die Du ohne Gottes Liebe nicht geschafft hättest. Du kannst Dinge ertragen, die Dir ohne Gottes Geborgenheit unerträglich gewesen wären. Du bist zu Taten fähig, die Dir niemand zugetraut hätte, allein deshalb weiß Du weißt: Gott umgibt Dich mit all seiner Liebe. Und letztlich trägt unser Glaube auch dann nur Früchte, wenn er uns zur Tat treibt.

III. Kleiner Glaube – große Früchte

Wir Erwachsene sagen dem kleinen Mädchen am Bett: Der liebe Gott kann doch nicht zaubern. Du aber kannst doch schon mal anfangen zu sparen – und vielleicht geben Mama und Papa Dir auch etwas dazu.

Sehen Sie: Wir Erwachsene sagen dem Fünferkandidat: Stoßgebete helfen nicht, wenn Du nichts tust. Lerne, dann werden Deine Noten auch besser. Selbst der kleinen Wasserratte sagen wir Erwachsene: Der liebe Gott kann nicht den ganzen Sommer die Sonne scheinen lassen, denn die Weinberge und die Felder brauchen den Regen.

Das selbe gilt doch auch für uns. Bernhard von Clairvaux hat das eindrückliche Wort geprägt: „Gott hört Deine Gebete nicht, es sei denn, dass Du sie zuerst selbst erhörst!“ Dass so viele Menschen auf der Welt Not leiden und verhungern, können wir nicht allein mit Gebeten verhindern, sondern unser Gebet muss durch unser eigenes Tun nach Kräften unterstützt werden.

Dass immer häufigere und immer stärkere Hurrikans und Naturkatastrophen uns bedrohen, ist zum großen Teil eine Folge menschlichen Versagens. Wir wissen es – mittlerweile geben es nicht nur Wissenschaftler zu, sondern auch Politiker. Das hilft kein Beten mehr, wenn es zu spät ist. Sondern es hilft nur Glaube und Verantwortungsgefühl vor unserem Schöpfer, um selbst zum Umdenken zu kommen und zu einem behutsameren Umgang mit Natur und Energie.

Wenn der Mensch, den wir lieben, krank wird – auf den Tod krank wird, brauchen wir Kraft. Und selbst wenn unser Glaube winzig klein ist – wenn wir nur ahnen, dass der große, kraftvolle Gott an unserer Seite ist und uns stärkt, dann finden wir allein darin Kraft, Kraft genug, den Kranken liebevoll zu begleiten, ja auch die Kraft ihn gehen zu lassen, wenn es an der Zeit ist.

Jesus traut es jedem von uns zu, und sei unser Glaube auch so klein. Wir können Großes bewirken. Denn „Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt. (Mk 9,23)“.

 

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Ein Kommentar zu “Kleiner Glaube – große Wirkung

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Ein uraltes Problem des Glaubens: Gebete werden erhört oder auch nicht erhört. Lazarus wurde lebendig. Viele Wundergebete werden nicht erhört. Bonhoeffer sagt: Wir sind dauernd am Anfang des Verstehens. Wir erfahren häufig auch, dass ein kleiner Glaube oft viel bewirkt. Unser Gebet sollte aber durch Tun unterstützt werden. Gegen Naturkatastrophen hilft neues Verantwortungsgefühl. Bei Kranken verbreitet unser Gottvertrauen und unser Helfen eine Atmosphäre der Hoffnung und des heilsamen Vertrauens. Das hätte ich mir in der Predigt von Kollegin Zager etwas mehr gewünscht und empfehle es jedem Prediger im Sinne Jesu.

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